Landschaftsverband Westfalen-Lippe - 11.05.18 - 15:17 Uhr

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Bochum als Zentrum der Polenbewegung

Bochum war das Zentrum der Polenbewegung in Preußen, vor allem aber das Zentrum der Ruhrpolen. Die Stadt war unter Polen bekannt als „Bochumer Kaderschmiede“.

Zu Beginn des ersten Weltkrieges lebten rund 500000 Polen im Ruhrgebiet. Ab etwa 1880 begannen sie sich ohne Systematik und örtlich beschränkt zu formieren, Auslöser waren seelsorgerische Initiativen des deutschen Klerus. Ab 1891 wurden sie durch die polnischsprachige Tageszeitung „Wiarus Polski“ (Polnischer Knappe / Schutzpatron) verbunden. In einem zweiten Schritt begannen polnische Aktivisten um den „Wiarus Polski“, kirchlich unabhängige, überregionale politische Organisationen und Vereine zu bilden. In einem dritten Schritt baute man eine polnische Infrastruktur im Wirtschaftsleben auf. Man gründete Genossenschaften, Interessenverbände, Konsumläden, Banken.

Alle Aktivitäten der Polen wurden von staatlicher und kirchlicher Seite misstrauisch beobachtet, weil vermutet wurde, dass sie auf die Wiedererrichtung des annektierten polnischen Staates hinarbeiten. Außerdem widersprachen sie der Germanisierungspolitik des Deutschen Reiches, dass zum Beispiel den Gebrauch der polnischen Sprache ab 1873 in Schulen, 1899 auf Schachtanlagen und 1908 in öffentlichen Versammlungen untersagte.

Bochum entwickelte sich eher zufällig zum Zentrum der Polen in Deutschland. Als Beginn kann man die Berufung eines Priesters für die Seelsorge polnischer Einwanderer 1884 betrachten. Er und seine Nachfolger wohnten im Redemptoristenkloster, dass sich bis in die Gegenwart als Zentrum der Polenseelsorge im Ruhrgebiet erhalten hat, nun aber vor der Schließung steht. Von hier aus wurde der „Wiarus Polski“ gegründet, der am Kortländer seine Redaktion und Druckerei erhielt.

1895 wurde Bochum Gründungsort des „Bundes der Polen in Deutschland“ (Zwi_zek Polaków w Niemczech, ZPwN). 1898 entstand in Bochum ein polnisches Wahlkomitee, dass die Wählerstimmen bündelte und gezielt mit Gewicht versah bei Wahlen jeglicher Art bis hin zu den Reichtagswahlen. Es folgte 1902 die Gründung der „Polnisch gewerkschaftliche Vereinigung“ ZZP, die 1913 80000 Mitglieder besaß. Viel Einfluss hatte auch der 1904 gegründete „Bund polnisch-katholischer Vereine für gegenseitigen Hilfe in Westfalen, Rheinland und in den benachbarten Provinzen mit Sitz in Bochum“, der 1914 174 Vereine mit 18.500 Mitgliedern koordinierte. Zwischen 1905 und 1917 wurden verschiedene Banken für Polen gegründet, die erfolgreichste war die Arbeiterbank „Bank Robotnikow“, deren Werbung noch heute am Kortländer an einer Hauswand zu lesen ist.

Die Bochum zugewachsene Bedeutung war bereits 1894 mit dem ersten polnischen Katholikentag in der Stadt deutlich geworden, 1913 fand hier ein Industrieausstellung des Vereins polnischer Kaufleute und Gewerbetreibender statt.

Die polnischen Organisationen hatten 1905 beschlossen, eigene Räumlichkeiten zu erwerben und kauften in der Folge die sieben Häuser Kortländer 2 – 14. Hier arbeiteten noch 1939 die jeweils auf die Interessen der Ruhrpolen ausgerichtete Arbeiterbank, die Gewerkschaft ZZP, der Bund der Polen, die Nationale Arbeiterpartei, die Zentrale der Volksbüchereien, das Sekretariat der Schulvereine, der Wiarus Polski, das Büro der Reichtagsfraktion. Die Räume wurden mit dem Angriff auf Polen vom NS-Staat geplündert und enteignet. Über das in der Verfolgung erlittene Schicksal der Mitarbeiter ist nichts bekannt. Es gibt Aussagen, dass im Hof des Hauses Nr. 6 Erschießungen stattfanden.

Nach dem Krieg wieder belebt, sollen beim Bund der Polen z.B. in den 1980er Jahren Schriften für die Gewerkschaft Solidarnosc gedruckt worden sein. Zur Zeit gibt es Pläne, das Zentrum am Kortländer zu reaktivieren. Das wäre angemessen, denn Polinnen und Polen haben einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung Bochums geleistet.


 

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