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Mitteilung vom 15.12.08

Presse-Infos | Soziales

LWL-Themenvorschlag: Ein neues Zuhause bei alten Bekannten

Jugendliche mit Behinderung zieht nach sieben Jahren Heim in eine Pflegefamilie

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Kreis Soest (lwl). Seit Anfang August besucht Alexandra* ihre neue Schule in Soest. Mit den Mädchen in ihrer Klasse versteht sie sich gut, erzählt die 16-Jährige, mit den Jungs eher weniger. Bevor sich Alexandra morgens auf den Weg zum Schulbus macht, sitzt sie mit ihrer Familie am Frühstückstisch ¿ eine alltägliche, aber für die geistig behinderte Jugendliche auch eine ungewohnte Situation.

In den letzten sieben Jahren lebte Alexandra in einem Heim. Den Wechsel in eine Pflegefamilie ermöglichte ihr der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL). Im Laufe eines Jahres will der Kommunalverband weitere geeignete Kinder und Jugendliche mit geistigen und körperlichen Behinderungen in eine Familie vermitteln. Alexandra ist die erste von ihnen. ¿Der LWL schafft damit für Heranwachsende, deren Herkunftsfamilien ausfallen, eine Alternative zum Heim¿, erklärt LWL-Sozialdezernent Matthias Münning.

Für Kinder, die aus verschiedenen Gründen nicht mehr bei ihren leiblichen Eltern leben können, ist grundsätzlich die Jugendhilfe zuständig. Das können unter anderem vernachlässigte und traumatisierte Heranwachsende sein. Auf Kinder mit Behinderung trifft diese Ausgangslage häufig nicht zu. Die meisten Eltern, die ihr behindertes Kind in ein Heim geben, seien mit dem erhöhten Betreuungsbedarf einfach überfordert, erläutert Münning.

Andererseits sei bisher kaum daran gedacht worden, Kinder mit einer erheblichen Behinderung in einer Pflegefamilie unterzubringen. Der LWL will das im Rahmen des Modells der Westfälischen Pflegefamilien ändern. Diese Familien kümmern sich um Jungen und Mädchen, für die weder ein Heim oder eine Wohngruppe noch eine ¿normale¿ Pflegefamilie der richtige Lebensort ist. Gehandicapte Kinder sollen nun ebenfalls verstärkt in Westfälischen Pflegefamilien unterkommen.

Für Ramona und Kurt D. bestand diese Chance nicht, als sie Alexandra vor sieben Jahren aufnehmen wollten. Sie kamen als Pflegeeltern nicht in Frage. Dass Ramona sich bereits als Tagesmutter um Alexandra kümmerte, nutzte den Eheleuten nichts. Mit einer Adoption war die leibliche Mutter nicht einverstanden. Alexandra kam daher zunächst in ein Kinderheim nach Detmold. Doch Familie D. war weiter für sie da. Jeden zweiten Sonntag besuchte Ramona ihr ehemaliges Tageskind, ging mit ihr in den Vogelpark oder ins Freilichtmuseum. Hin und wieder war Alexandra an Wochenenden bei der Familie zu Gast. Ein eigenes Zimmer war dort für sie frei.

Im Frühjahr dieses Jahres erfuhr Klaus Lanwehr vom Sozialdienst Katholischer Frauen von der Schließung des Kinderhauses in Bad Sassendorf, in dem die Teenagerin wohnte. ¿Da der LWL das Modell der Westfälischen Pflegefamilien ausgeweitet hat, eröffnete sich für Alexandra die Chance, doch noch dauerhaft bei Familie D. zu leben¿, sagt der Sozialpädagoge. Der Jugendlichen wurde somit ihr eigener Wunsch erfüllt. Selbst ihre leibliche Mutter kann heute mit dieser Lösung gut leben.

Alexandras Aufnahme in die neue Familie ist durch die bereits aufgebaute Bindung unkompliziert verlaufen. Die sonst sehr schwierige Phase des Kennen lernens blieb aus, die Eingewöhnungsphase war von kurzer Dauer. Weil sich zudem die Pflegeeltern aufgrund ihrer Fähigkeiten bestens für die Betreuung eines behinderten Kindes eigneten, sei die Entscheidung völlig unbedenklich gewesen, so Lanwehr, der die Westfälischen Pflegefamilien betreut. ¿Im Normalfall bedarf es allerdings einer langen Vorbereitungsphase, in der wir genau prüfen müssen, ob die Chemie zwischen Pflegeeltern und Kind stimmt¿, betont der Fachmann.

Alexandra ist binnen weniger Wochen zu einem vollständigen Mitglied der Familie geworden. In ihrer Freizeit liest die 16-Jährige viel, sie hört gern Musik und verbringt Zeit bei den Pferden der Familie. Die elfjährige Thabea ist für sie Schwester und beste Freundin zugleich. Im Alltag ist Alexandra wegen ihrer geistigen Behinderung vielfach auf die Hilfe ihrer Pflegefamilie angewiesen. Sie hat Probleme, Zeiten einzuhalten, das fehlende Verständnis für Zahlen erschwert ihr den Umgang mit Geld und damit zum Beispiel den Einkauf. ¿Wir geben unserer Pflegetochter viele Anweisungen und schaffen ihr auf diese Weise Strukturen im Alltag, die sie selbst nicht entwickeln kann¿, sagt Pflegevater Kurt, der seit über 20 Jahren in einer Werkstatt für behinderte Menschen arbeitet.
Ohne den ¿angeleiteten Alltag¿, wie es Ramona D. bezeichnet, wäre der Jugendlichen ein geregelter Tagesablauf nicht möglich.

Nach ihrer Ankunft im neuen festen Zuhause wartete auf Alexandra gleich eine große Überraschung. Gemeinsam mit ihrer Pflegefamilie fuhr sie in den Ferien ins Allgäu ¿ der erste richtige Urlaub in ihrem Leben. Und auch das Weihnachtsfest erlebt sie dieses Jahr mit dem Wissen, danach nicht wieder ins Heim fahren zu müssen.
*Name geändert



Pressekontakt:
Martin Holzhause, LWL-Pressestelle, Telefon: 0251 591-235
presse@lwl.org




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Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) arbeitet als Kommunalverband mit 20.000 Beschäftigten für die 8,3 Millionen Menschen in der Region. Der LWL betreibt 35 Förderschulen, 21 Krankenhäuser, 18 Museen sowie zwei Besucherzentren und ist einer der größten deutschen Hilfezahler für Menschen mit Behinderung. Er erfüllt damit Aufgaben im sozialen Bereich, in der Behinderten- und Jugendhilfe, in der Psychiatrie und in der Kultur, die sinnvollerweise westfalenweit wahrgenommen werden. Ebenso engagiert er sich für eine inklusive Gesellschaft in allen Lebensbereichen. Die neun kreisfreien Städte und 18 Kreise in Westfalen-Lippe sind die Mitglieder des LWL. Sie tragen und finanzieren den Landschaftsverband, dessen Aufgaben ein Parlament mit 125 Mitgliedern aus den westfälischen Kommunen gestaltet.


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