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Mitteilung vom 01.04.14

Presse-Infos | Kultur

Reiz & Scham: Vom Liebestöter zum Hauch von Nichts

TextilWerk Bocholt startet mit drei Ausstellungen in die neue Spinnerei-Saison

Bewertung:

Bocholt (lwl). Lange weiße Rüschenunterhose, darüber ein atemberaubend eng geschnürtes Korsett, Reifrock und Unterröcke. Was vielen heute altmodisch und bieder erscheint, war vor 150 Jahren hocherotisch, vor allem, wenn die seidenen Unterröcke auch noch verheißungsvoll raschelten. Ein tiefes Dekolleté, ein nackter Arm oder gar eine entblößte Schulter ¿ nicht immer war dies jenseits der großen Bälle erlaubt. In der Ausstellung ¿Reiz & Scham. Kleider, Körper und Dessous¿ (4.4. bis 2.11.2014) zeigt der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) in seinem TextilWerk Bocholt, wie sich das ¿Darüber¿ und ¿Darunter¿ im Laufe der letzten 150 Jahre gewandelt haben.

Die Schau ist die größte von insgesamt drei Sonderausstellungen, mit denen das LWL-Industriemuseum am ersten Aprilwochenende in die neue Spinnerei-Saison startet. Außergewöhnliche Modefotografien der Niederländerin Marjo Jansen und eine Präsentation großformatiger Quilts ergänzen die Präsentation.

¿Mode ist nicht nur schön anzusehen, sondern immer auch Ausdruck gesellschaftlicher Normen, Tugend- und Moralvorstellungen ihrer jeweiligen Zeit. Wenn es um Dessous geht, ist der Blick in die Kleiderschränke früherer Zeiten natürlich besonders reizvoll¿, erklärte LWL-Kulturdezernentin Dr. Barbara Rüschoff-Thale am Dienstag (1.4.) in Bocholt. ¿Reiz & Scham¿ ist eine Zusammenführung von ursprünglich zwei Ausstellungen aus dem LVR-Industriemuseum. Für die Präsentation im TextilWerk Bocholt hat das LWL-Industriemuseum zahlreiche Exponate aus der eigenen Sammlung ergänzt.

Gleichzeitig ist die Schau der Beitrag des TextilWerks zum Themenjahr ¿Unterwelten¿ im LWL-Industriemuseum. An allen acht Standorten beleuchten Ausstellungen und Veranstaltungen ganz unterschiedliche Facetten des Themas. Das Spektrum reicht von versunkenen Schiffen über Subkulturen im Ruhrgebiet und die verborgenen Welt der Glashütten von Murano bis hin zu Rüstungsproduktion und Krieg. Die Hauptausstellung ¿Über Unterwelten. Zeichen und Zauber des anderen Raums¿ läuft im LWL-Industriemuseum Zeche Zollern in Dortmund. Alle Informationen unter http://www.unterwelten.lwl.org.

Reiz & Scham

Kleider und Körper
Auf rund 800 Quadratmetern präsentiert das LWL-Industriemuseum in der historischen Spinnerei mehr als 400 originale Kleidungsstücke. Große Roben und Straßenkleidung, Outfits für den Strand und solche für den Tabubruch, vor allem aber jede Menge Unterwäsche ¿ vom Liebestöter bis zum Hauch von Nichts unserer Tage - erzählen von Sittlichkeits- und Tugendvorstellungen ihrer Zeit und dem Spiel mit körperlichen Reizen.

Welche Partien des weiblichen Körpers durften wann und wo gezeigt werden und welche nicht? Im ersten Teil zeigt die Ausstellung, wie sich im Laufe von 150 Jahren die enge Grenze zwischen ¿gerade noch erlaubt¿ und ¿eigentlich schon verboten¿ veränderte. ¿Beine, Busen, Po oder Taille - ihre Bedeckung oder Enthüllung in der Kleidung und den Accessoires offenbart die jeweiligen Grenzen von Reiz und Scham¿, erklärt Kurator Martin Schmidt vom LWL-Industriemuseum.

In vier Zeitschnitten ¿ um 1900, 1920er, 1950er und 1980er Jahre ¿ stellt die Schau die unterschiedlichen Konventionen vor, die auf der Straße, am Strand oder beim Abendball galten. Martin Schmidt: ¿Ein tief ausgeschnittenes Ballkleid oder ein knapper Bikini, die im Ballsaal des Kaiserreichs bzw. auf einer Ferieninsel der 1980er selbstverständlich waren, würden im Berufsalltag oder auf der Straße gänzlich unpassend, ja schamlos wirken. Schon das zeigt, wie relativ und wenig ¿naturgegeben` Reiz- und Schamgrenzen waren und sind.¿

Eine wichtige Rolle spielen Übergänge, in denen die jeweiligen Normen hinterfragt wurden. Oft gehen diese mit Zeiten politischen Veränderungen oder wirtschaftlichen Krisen einher. Impulse geben auch einzelne gesellschaftliche Gruppierungen, vor allem die künstlerische Avantgarde. ¿Solche Übergangszeiten wie etwa die Reformzeit nach 1900 oder auch die 1970er Jahre werden in der Ausstellung sichtbar sein¿, ergänzt der Kurator.

Ergänzt werden die vier Zeitschnitte jeweils durch ein ¿rotes Kabinett¿, in dem Besucher einen Blick in gesellschaftliche Tabu-Bereiche werfen können: auf die versteckte und öffentlich verleugnete erotische Welt in Männerzirkeln und Bordells, aber auch auf die provokativen Grenzüberschreitungen, die die Künstler ganz bewusst begehen und mit denen sie dann auch immer wieder den Wandel in Gang setzen.

Dessous ¿ 150 Jahre Kulturgeschichte der Unterwäsche
Im zweiten Teil der Ausstellung Reiz & Scham ändert sich die Perspektive: Rüschenwäsche, atemberaubend eng geschnürte Korsetts und BHs spielen hier die Hauptrolle. Dabei zeigt sich, dass der Blick auf die Unterkleidung nicht nur aus historischer Perspektive viel mit dem jeweiligen Betrachter und der Epoche zu tun hat. Martin Schmidt: ¿Für die Näherin war das Dessous vielleicht nur ein Stück Stoff, in dem viel Arbeit steckte. Der Arzt sah in ihm ungesunde, weil nicht wärmende Wäsche." Erotik pur verspricht der letzte Teil der Ausstellung, der einen Reigen durch die Zeit von der ¿femme fatale¿ über die ¿Sexbombe¿ zum ¿Vamp¿ präsentiert.

Modejournale, Fotos, Accessoires und Filmausschnitte eröffnen Blicke auf das ¿Darunter¿. Im Mittelpunkt aber steht die Unterwäsche selbst: Mehr als 200 Originalexponate: Korsetts und Krinolinen des 19. Jahrhunderts oder auch den Hauch von Nichts der modernen Dessous, die mit sehr viel weniger Stoff auskommen als ihre Vorgänger, frühe Modelle aus den Anfängen des Büstenhalters, edle Seidenensembles aus den 1930er Jahren und panzerartige Mieder der Wirtschaftswunderzeit ¿ das Nebeneinander der Stile zeigt den Wandel der Unterwäsche.

Doch dieser historische Blick zurück ist nur einer von vielen. Beispiel Korsett: Eine junge Frau nutzte im 19. Jahrhundert ganz selbstverständlich das Schnürmieder, um ihren Körper in eine zierliche Idealform zu bringen: Umso schmaler der Hüftumfang, desto besser die Heiratschancen. Der erotische Blick: Männer empfanden das Korsett immer schon ausgesprochen anziehend und aufregend. Es hebt und betont den Busen. Schnüre und Schleifen, Knöpfe und Häkchen inszenieren das An- und Ablegen. Der medizinische Blick: Der Arzt sah in einem engen Korsett das ungesunde Kleidungsstück, das Organe einschnürt. Der aktuelle Blick: Heute wird das Korsett in der Oberbekleidung zitiert. Das berühmteste Beispiel ist das von Jean-Paul Gaultier geschaffene ¿goldene Korsett¿, das Madonna auf ihrer ¿Like a Virgin¿-Tour 1990 trug. Martin Schmidt: ¿Dank ihres Outfits und Auftritts drohte Madonna in Kanada sogar eine Haftstrafe.¿

Wild Thing. Fotografie von Marjo Jansen (mrj fotografie)
Auch die schwarzweißen Fotografien der niederländischen Fotografin Marjo Jansen spielen mit Emotionen und Erotik, zeigen Mode und Leidenschaft. Es ist ihre besondere Leistung, eben diese in den Models erwachen zu lassen, sie bei der Arbeit vor der Kamera an neue Grenzen zu führen. Die Fotografien führen zudem zurück zur Frage: "Was ist beim Tragen von Kleidung heute erlaubt." Der rote Faden aus der Ausstellung Reiz & Scham wird so wieder aufgenommen. Den Hintergrund für die im harten schwarz-weiß Kontrast aufgenommen Bilder bilden vielfach Motive aus Standorten des LWL-Industriemuseums wie das Schiffshebewerk Henrichenburg oder auch die Weberei und Spinnerei des TextilWerks, die so in neuer und ungewöhnlicher Weise scheinen.

Magie, Intimität & Emotionen. 22 textile Positionen
Mit den traditionellen Decken, die aus Stoffteilen zusammengesetzt werden, haben diese Quilts kaum mehr etwas zu tun. Gezeigt werden 22 großformatige Kunstwerke, die mal als Skulptur, mal als Rauminstallation und eben auch in der Fläche die klassische Formensprache ihres Genres ausloten, brechen und neu definieren. Die Präsentation des Vereins für Quiltkunst e.V. ist gleichsam eine Standortbestimmung der internationalen Quiltkunst. Die Themen der Künstlerinnen reichen vom intimen ¿Garten der Lüste¿ bis zur hintergründigen ¿Seelenwanderung¿.

Eröffnung und Saison
Alle drei Ausstellungen werden am Donnerstag (3.4.) eröffnet. LWL-Direktor Dr. Wolfgang Kirsch begrüßt die Gäste um 18 Uhr in der Spinnerei. Nach den Grußworten steht eine Talkrunde auf dem Programm: WDR-Moderator Matthias Bongard spricht mit den Kuratorinnen und Museumsdirektor Dirk Zache über Ideen und Inhalte der Ausstellungen. Mit Jazz klingt der Abend aus. Am Sonntag (6.4.) erwartet die Besucher in der Spinnerei zwischen 10 und 18 Uhr ein Tag voller Aktionen: Führungen durch das Gebäude und die neuen Sonderausstellungen, der Mode-Workshop ¿Trendsetter¿ für Kinder und Vorführungen von Teilnehmerinnen der Strick-, Spinn- und Klöppel-Workshops des Textilwerks stehen auf dem Programm. An diesem Tag ist der Eintritt frei.

Reiz & Scham. Kleider, Körper und Dessous
4.4.-2.11.2014
Wild Thing. Fotografie von Marjo Jansen (mrj fotografie)
4.4.-2.11.2014
Magie, Intimität & Emotionen. 22 textile Positionen
4.4.-17.8.2014

LWL-Industriemuseum Textilwerk Bocholt I Spinnerei
Industriestraße 5, 46395 Bocholt
Geöffnet Di-So 10-18 Uhr
Tel. 02871 21611-0
http://www.lwl-industriemuseum.de



Pressekontakt:
Markus Fischer, LWL-Pressestelle, Telefon: 0251 591-235 und Christiane Spänhoff, LWL-Industriemuseum, Telefon: 0231 6961-127
presse@lwl.org



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Der LWL im Überblick:
Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) arbeitet als Kommunalverband mit 20.000 Beschäftigten für die 8,3 Millionen Menschen in der Region. Der LWL betreibt 35 Förderschulen, 21 Krankenhäuser, 18 Museen sowie zwei Besucherzentren und ist einer der größten deutschen Hilfezahler für Menschen mit Behinderung. Er erfüllt damit Aufgaben im sozialen Bereich, in der Behinderten- und Jugendhilfe, in der Psychiatrie und in der Kultur, die sinnvollerweise westfalenweit wahrgenommen werden. Ebenso engagiert er sich für eine inklusive Gesellschaft in allen Lebensbereichen. Die neun kreisfreien Städte und 18 Kreise in Westfalen-Lippe sind die Mitglieder des LWL. Sie tragen und finanzieren den Landschaftsverband, dessen Aufgaben ein Parlament mit 125 Mitgliedern aus den westfälischen Kommunen gestaltet.


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