LWL-Presse- und Öffentlichkeitsarbeit

Mitteilung vom 28.10.15

Presse-Infos | Psychiatrie

¿Fast jeder hält durch¿

Psychisch kranke Menschen auf den Brettern, die die Welt bedeuten

Bewertung:

Bochum/Herten (lwl). Sie sind depressiv oder leiden unter Angstzuständen. Einige haben eine Psychose. Dennoch stehen psychisch kranke Menschen im Schauspielhaus Bochum oder bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen auf der ganz großen Theaterbühne. Wie das möglich ist, erklärt Dr. Silke Echterhoff von der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik des Landschafsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) in Herten. Zusammen mit ihrer ärztlichen Kollegin Dr. Idun Uhl, der Drama- und Theatertherapeutin Sandra Anklam und dem Psychiatrieseelsorger Thomas Klare hat die Psychiaterin ein Buch über ihre Erfahrungen veröffentlicht.

Wie ist die Idee entstanden, ein derartiges Buchprojekt zu realisieren?

Echterhoff: Wir veranstalten in Kooperation mit dem Schauspielhaus Bochum seit 2009 Theaterprojekte mit psychisch kranken Patienten der LWL-Uniklinik Bochum. Seit 2012 machen wir das in Zusammenarbeit mit den Ruhrfestspielen Recklinghausen auch in der LWL-Klinik in Herten. Die Theatertherapeutin Sandra Anklam führt dabei Regie, ich hatte die ärztliche Leitung. 2012 erhielten wir für unsere Projekte den Anti-Stigma-Preis der DGPPN (Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde). Von dem Preisgeld wollten wir eine Art Erfahrungsbericht erstellen, in dem die verschiedenen Beteiligten ihre Erfahrungen und Gedanken zu diesen Projekten vorstellen. Daraus ist dann das Buch entstanden.

Welchen Zweck soll das Buch erfüllen?

Echterhoff:
Wir wollen den Beteiligten eine Stimme geben und die Entstigmatisierung der Psychiatrie weiter vorantreiben. Die Theaterprojekte zeigen, dass auch psychisch kranke Menschen anspruchsvolles Theater machen können. Tatsächlich haben sie eine Menge Ressourcen, die sie durch das Theaterspielen freisetzen. Die Stücke haben nämlich mit Laientheater nicht mehr viel zu tun. Inszenierungen im Schauspielhaus Bochum oder im Rahmen der Ruhrfestspiele müssen sehr hohe Ansprüche erfüllen.

Wie kamen Sie auf die Idee, in den LWL-Kliniken Bochum und Herten Theaterprojekte zu veranstalten?

Echterhoff:
Sandra Anklam und ich haben uns gefragt, was wäre, wenn ¿Verrückte¿ professionelles Theater spielen. Ursprünglich wollten wir dadurch das Angebotsspektrum der Kliniken um eine künstlerische Therapieform erweitern. Das Besondere an diesen Theaterprojekten ist, dass sie zeitlich abgeschlossen sind und am Ende eine Inszenierung im öffentlichen Raum steht. Die übliche Theatertherapie bleibt ja eher im Klinikrahmen. Unsere Projekte dauern in der Regel fünf Monate. Bevor wir mit den Proben beginnen, gucken wir zusammen mit den Patienten, ob eine Zusammenarbeit möglich wäre. Schließlich müssen sie sich auf die Projekte vollkommen einlassen und regelmäßig an den Proben teilnehmen.

Springen da nicht viele Patienten ab?

Echterhoff:
Das dachte ich auch erst. Tatsächlich ist es faszinierend zu sehen, dass fast jeder durchhält. Das liegt daran, dass aufkommende Unsicherheiten in therapeutischen Gesprächen aufgefangen werden. Am Anfang und am Ende jeder Probe stehen Gesprächsrunden. Ein sehr stabilisierender Faktor ist auch der Zusammenhalt innerhalb der Gruppe. Die Patienten fangen sich gegenseitig auf. Gerade psychisch kranken Menschen tut es außerdem sehr gut, zu merken, dass sie gebraucht werden, dass sie in der Gruppe eine wichtige Rolle einnehmen. Das gibt Selbstsicherheit. Hinzu kommt, dass die Theaterprojekte einen hohen künstlerischen Anspruch haben. Das Schauspielhaus Bochum und die Ruhrfestspiele Recklinghausen lassen uns nur auf die Bühne, wenn wir auch wirklich etwas zu bieten haben. In unseren Stücken spielen immer wieder bekannte Akteure wie der ¿Tatort¿-Schauspieler Wolfram Koch mit. Dieser hohe Anspruch wirkt ebenfalls sehr motivierend auf die Patienten. Letztlich haben all diese Faktoren auch Einfluss auf ihren Krankheitsverlauf: In der Regel spielen in den Theaterstücken Menschen mit, die sich bei uns in ambulanter Behandlung befinden. Viele brauchen danach gar keine stationäre Behandlung mehr.

Welche Stücke führen Sie auf?

Echterhoff:
Das ist eine bunte Mischung. Wir haben zum Beispiel Dostojewskis ¿Der Traum eines lächerlichen Menschen¿ oder Kafkas ¿Die Verwandlung¿ gespielt. Und im Schlossgarten von Herten haben wir letztes Jahr ¿Alice im Wunderland¿ aufgeführt. Immer wieder schreiben Patienten auch eigene Passagen, die flechten wir dann in die Stücke ein.


Idun Uhl, Sandra Anklam, Silke Echterhoff, Thomas Klare (Hrsg.)
Theater in der Psychiatrie. Von Verwandlungen, Wagnissen und heiterem Scheitern
24,99 Euro, Schattauer Verlag
ISBN 978-3-7945-3148-6



Pressekontakt:
Hannah Reichelt, LWL-Pressestelle, Telefon: 0251 591-5400 und Rosa Sommer, LWL-Universitätsklinikum Bochum, Telefon: 0179 4645487, rosa.sommer@lwl.org.
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