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Mitteilung vom 08.09.23

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Restaurierung mit Überraschungen

Frühgotische Christusfigur ist Denkmal des Monats

Bewertung:

Datteln (lwl). Eine rund 700 Jahre alte Christusfigur aus der Kirche St. Mariä Heimsuchung in Datteln-Ahsen hat der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) als Denkmal des Monats September ausgezeichnet. Lange hatte die 80 Zentimeter große Holzskulptur im Chorraum wenig Beachtung gefunden. Erst während der umfassenden Kirchensanierung im Jahr 2019 rückte sie in den Blick von Kirchenvorstand, Denkmalpflege und Bistum.

"Der Gekreuzigte wirkte aus der Ferne unscheinbar und war durch den schlechten Erhaltungszustand mit abplatzenden Farbschichten unansehnlich geworden", erinnert sich LWL-Restauratorin Stephanie Keinert. "Bei näherer Betrachtung war jedoch eine präzise und qualitätvolle Schnitzerei zu erahnen." Was die Fachleute vor Beginn der Restaurierung nur vermuten konnten, darf nun angenommen werden: Die Christusfigur ist eines der wenigen erhaltenen Exemplare eines besonderen westfälischen Typus kleiner mittelalterlicher Kruzifixe aus der Zeit um 1300.

Im Sommer 2019 begann die Aufarbeitung der Skulptur in der Werkstatt der Restauratorin Beate Zumkley. Erste Untersuchungen ergaben überraschende Befunde. So gab eine große ovale Zinkblech-Platte an der Rückseite der Christusfigur den Fachleuten Rätsel auf. "Das Lösen des Blechs wäre ohne Beschädigung nicht möglich gewesen", so Materialexpertin Keinert.

Um dennoch weiter untersuchen zu können, initiierte das LWL-Denkmalfachamt eine strahlendiagnostische Untersuchung. In der Radiologie des Herz-Jesu-Krankenhauses in Münster-Hiltrup wurde die Figur im Sommer 2020 sowohl im CT als auch im Röntgengerät durchleuchtet. Die Projektbeteiligten staunten nicht schlecht, als der verschlossene Hohlraum sich als Depositorium für Reliquien herausstellte. "Die enthaltenen Gegenstände könnten aus Stoff sein sowie festeres organisches und bislang nicht näher identifiziertes Material wie Holz darstellen", so Keinert. "Darüber hinaus haben wir mehr über die Konstruktion der Holzskulptur erfahren."

Auch mit dem Mikroskop wurde die Christusskulptur untersucht: "Unter der einfachen und schlecht erhaltenen sichtbaren Fassung aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde eine frühere Farbschicht aus dem Zeitraum zwischen 1350 und 1600 nachgewiesen," so Keinert. "Stichprobenartige Freilegungen zeigten intensive Farben mit einem weißen Lendentuch und hellblau leuchtenden Augen."

Die Expert:innen entschieden, die oberste, durch Ablösungen und Schimmelbefall geschädigte Farbfassung mechanisch zu entfernen und die darunterliegende hochwertige Farbschicht freizulegen. "Einige Bereiche dieser unterliegenden Schicht mussten gefestigt und Fehlstellen gekittet werden. Ein Schwerpunkt der Bearbeitung war die abschließende punktgenaue Retusche von Fehlstellen und neuen Kittungen", so Keinert.

"Nach der Restaurierung beeindruckt die schnitzerisch gekonnt ausgeführte Christusfigur durch raffiniert ausgearbeitete Details wie die feinen Wangenrötungen, die leuchtenden hellblauen Augen und wenige markante Blutmale, die sich insbesondere an den Händen befinden", sagt Keinert. Wenn die letzten offenen Fragen der Präsentation geklärt sind, soll die Figur wieder an ihren Platz im Altarraum der Kirche St. Mariä Heimsuchung in Ahsen kommen.

Hintergrund
Die Skulptur aus dem 13. Jahrhundert besteht aus einem Schnitzblock Eichenholz, der durch das Ansetzen der Arme sowie Teile der Hände und Füße zum Werkblock erweitert ist. Weitere Anstückungen befinden sich im Bereich des oberen Rückens und des Kopfes. Die Figur ist bis auf die Abflachung auf der Rückseite zur Auflage auf einem Kreuz vollrund gearbeitet.

Die Untersuchung der Farbfassungen vor der Restaurierung zeigte drei Gestaltungsphasen. Alle waren nach demselben klassischen Schema - Vorleimung, Grundierung, Farbschichten, Lasuren - aufgebaut. Die bis zur Restaurierung vorhandene Sichtfassung konnte durch den Vergleich von Archivaufnahmen in die Zeit nach 1926 eingeordnet werden. Darunter befand sich eine Farbschicht, die aufgrund ihrer Gestaltung in den Zeitraum zwischen 1350 und 1600 einzuordnen ist. Die zuunterst auf dem Holz liegende Farbschicht lässt eine rosabeige bis gräulich wirkende Inkarnatfarbe mit sehr umfangreichen vom Kopf und über die Seitenwunde bis zu den Füßen laufenden Blutspuren erkennen. Das angrenzende Lendentuch scheint hellblau bis weiß zu sein. Als Vorgänger und möglicherweise Vorlage für Farbfassung 2 lassen sich auch hier Begleitlinien in schwarz und rot sowie Saumbänder in einem leuchtenden Blau erahnen.



Pressekontakt:
Markus Fischer, LWL-Pressestelle, Telefon: 0251 591-235
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