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Mitteilung vom 04.12.23

Presse-Infos | Kultur

Von Fischsauriern bis zu Flutschäden an archäologischen Denkmälern

Neue LWL-Publikation präsentiert aktuelle Forschungsergebnisse aus der Archäologie

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Münster (lwl). Die neue Publikation "Archäologie in Westfalen-Lippe 2022" des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) spiegelt das breite Spektrum der Forschungsmethoden wider, mit denen die paläontologische und archäologische Vergangenheit Westfalens erforscht wird.

Die Entdeckungen reichen von einem Fischsaurier aus der Trias (vor zirka 210 Millionen Jahren) über die mit einem Alter von etwa 12.000 Jahren ältesten Knochenreste des modernen Menschen in Westfalen, den Nachweis von Römern in Paderborn und ein frühmittelalterliches Gräberfeld bis zu einer Bestandsaufnahme der Schäden der Jahrhundertflut.

In über 70 Beiträgen informieren 92 Autor:innen über aktuelle Forschungsergebnisse aus Paläontologie und Archäologie und werfen einen Blick zurück auf Ausstellungen in Westfalen im Jahr 2022.

Mit dem Abklingen der Corona-Pandemie 2022 normalisierten sich die Besuchszahlen in den archäologischen Museen weitgehend. Auf den Bauboom und die Hobbys Sondengängerei und Magnetangeln hatte die Pandemie aus archäologischer Sicht keinen Einfluss. "Seit Jahren müssen wir immer neue Rekorde bei der Anzahl der notwendigen Ausgrabungen und der zu betreuenden Sondergänger:innen vermelden, so auch wieder für das Jahr 2022", weiß Prof. Dr. Michael Rind, LWL-Chefarchäologe. "Das ist mit dem vorhandenen Personal kaum zu bewältigen und führt zu längeren Bearbeitungszeiten."

Besonders schwierig wird es, wenn unvorhergesehene Ereignisse hinzukommen so wie die Flutkatastrophe im Sommer 2021, die mehr als 180 Menschen das Leben kostete. Da sich schnell herausstellte, dass auch an archäologischen Denkmälern Schäden entstanden sind, wurde von der LWL-Außenstelle in Olpe ein Projekt zur Erfassung dieser Schäden initiiert.

Dank der Sondermittel des NRW-Heimatministeriums konnten ab Mai 2022 zwei zusätzliche Mitarbeiter hierfür angestellt werden. "Das Ausmaß der dokumentierten Schäden ist wirklich gravierend. Wir arbeiten mit den Kommunen zusammen und werden auch Handlungsempfehlungen zur Sicherung der geschädigten Fundstellen und zum Schutz des kulturellen Erbes vor zukünftigen Flutereignissen geben", so der Direktor der LWL-Archäologie für Westfalen weiter.

"Solche Unwetterereignisse, aber auch die Folgen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes werden uns vor weitere große Herausforderungen stellen", ist sich auch Dr. Aurelia Dickers, Archäologin und Vorsitzende der Altertumskommission sicher. "In den für den forcierten Ausbau der erneuerbaren Energien benötigten Flächen für Solarfelder, Windparks und Stromtrassen inklusive der Zufahrtswege verbergen sich gegebenenfalls Bodendenkmäler, die vor ihrer Zerstörung untersucht und dokumentiert werden müssen." Da Ausgrabungen im Wesentlichen nur noch dann stattfänden, wenn Bodendenkmäler gefährdet seien, böten diese Aufgaben auch Chancen für die Erforschung unserer Vergangenheit. "Die Fülle spannender Forschungsergebnisse und außergewöhnlicher Fundstücke in der neuen Publikation stellt dies unter Beweis."

Die Publikation "Archäologie in Westfalen-Lippe 2022" ist in jeder Buchhandlung, in den LWL-Museen in Herne, Haltern und Paderborn sowie im Internet unter https://www.archaeologie-und-buecher.de zum Preis von 19,50 Euro erhältlich. Die Beiträge des Bandes stehen nach einem Jahr auch online über Open Access kostenfrei zur Verfügung. Weitere Informationen gibt es unter https://www.lwl-archaeologie.de.


Archäologie in Westfalen-Lippe 2022
Herausgegeben von der LWL-Archäologie für Westfalen und der Altertumskommission für Westfalen

Langenweißbach 2023
300 Seiten, durchgehend farbig bebildert
ISBN 978-3-95741-204-1
ISSN 2191-1207
19,50 Euro (im Abo nur direkt über den Verlag: 18,50 Euro)

Erhältlich über jede Buchhandlung und im Onlineshop des Verlages Beier & Beran.


Blick ins Buch: Auswahl an Beiträgen
In der Nähe von Warburg-Bonenburg (Kreis Höxter) werden seit Jahren jeden Sommer paläontologische Grabungen in etwa 200 Millionen Jahre alten Meeresablagerungen durchgeführt. Dabei treten immer wieder Fragmente von großen Fischsauriern auf. Das Material aus Bonenburg reiht sich ein in bereits bekannte Funde aus Frankreich, den Schweizer Alpen und England. Sie zeigen, dass diese Tiere kurz vor ihrem Aussterben mit mindestens 26 Metern noch größere Ausmaße erreichten, als es aus den besser dokumentierten älteren Stufen bekannt ist.

Bei Ausgrabungen auf dem Vorplatz der Blätterhöhle in Hagen wurden einige Zähne und ein Unterkieferfragment eines etwa 7-jährigen Kindes geborgen werden. Mit einem Alter von etwa 12.000 Jahren handelt es sich um die ältesten menschlichen Überreste des modernen Menschen (Homo sapiens) in Westfalen. Sie sind noch in die späte Altsteinzeit einzuordnen. Ein isolierter Zahn belegt zudem ein weiteres, älteres Individuum.

Eine archäologische Sensation gab es im Herbst in Paderborn bei Ausgrabungen am St. Johannisstift nördlich der Neuhäuser Straße. Dort soll der Westbau des ehemaligen Garnisonslazarettes, in dem sich heute eine Fortbildungsstätte befindet, erweitert werden. Dabei wurden Strukturen freigelegt, die wesentlich älter sind als das Lazarett. Nach näherer Untersuchung steht fest, dass es sich um Feldbacköfen handelt, wie sie ausschließlich in römischen Marschlagern vorkommen. Funde römischer Weinamphoren und naturwissenschaftliche Datierungen bestätigen diese Interpretation.

Erstmals im Kreis Lippe wurde in Schieder-Schwalenberg ein frühmittelalterliches Reihengräberfeld nachgewiesen. Insgesamt konnten bis zu 70 Gräber aus der Zeit vom frühen 7. bis ins 9. Jahrhundert und mindestens sechs Pferdebestattungen untersucht werden. Hervorzuheben sind zwei Kammergräber, die in ihren Ausmaßen alle anderen Bestattungen übertrafen. Das reiche Fundmaterial des Gräberfeldes besteht aus Schmuck, darunter mehrere hundert Perlen, Waffen, Pferdegeschirr und Keramikgefäßen. Eine kleinere Siedlungsgemeinschaft bestattete hier über drei bis vier Generationen ihre Toten.

Den Umschlag des diesjährigen Bandes zieren Scherben, die aus der Abfallgrube einer Glaserwerkstatt in der Sendenhorster Altstadt (Kreis Warendorf) stammen. Die meisten Gläser sind grün, es kommen aber auch blaue und rote Töne vor. Zudem wurden einige Gläser nachträglich bemalt. Mithilfe von Bleieinfassungen (Bleiruten), die ebenfalls in der Abfallgrube gefunden wurden, ließen sich gläserne Gesamtkunstwerke zusammensetzen und als prachtvolle Fenstergläser präsentieren. Der in Westfalen-Lippe seltene Fund weist in den Zeitraum des 17./18. Jahrhunderts. Um dies genauer zu klären und um herauszufinden, wo die fertigen Fenster eingesetzt wurden, ist ein eigenes Auswertungsprojekt notwendig.

In Schloß Holte-Stukenbrock (Kreis Gütersloh) befand sich von 1941 bis 1945 das "Stalag (Stammlager) 326 VI K", ein Rekrutierungs- und Durchgangslager für überwiegend sowjetische Kriegsgefangene im Zweiten Weltkrieg. Mehr als 200.000 Menschen wurden hier registriert, um anschließend vor allem im Ruhrgebiet Zwangsarbeit zu leisten.

Für den Bau von Flüchtlingsunterkünften wurde 2022 kurzfristig der Oberboden auf einer Fläche von knapp 30.000 Quadratmetern abgetragen. Der Stukenbrocker Ortsheimatpfleger Ludwig Teichmann suchte in Eigeninitiative über mehrere Wochen den gesamten Oberboden durch und sicherte damit ein umfangreiches Fundensemble. Unter den zahlreichen Funden sticht ein Konvolut mit über 1.000 Erkennungsmarken für Insassen des Kriegsgefangenenlagers heraus.

Im Münsterland wurden von lizenzierten Sondengängern fünf bronzezeitliche Beile gefunden. Obwohl es sich bei allen um Einzelfunde von Ackerflächen ohne Befundzusammenhang handelt, werfen sie ein Schlaglicht auf die Metallverwertung in der frühen und mittleren Bronzezeit und die Handelswege für Rohstoffe in dieser Zeit. Da Bronze bzw. Kupfer und Zinn im Münsterland nicht gewonnen werden können, muss zumindest das Rohmaterial importiert worden sein. Es war entsprechend wertvoll und wurde immer wieder recycelt.

Um das Erzrevier naturwissenschaftlich bestimmen zu können, benötigt man Proben aus dem unvermischten, also noch nicht recycelten Metall einer einzelnen Lagerstätte. Da es sich bei den neugefundenen Beilen um sehr frühe Metallwerkzeuge handelt, besteht die Hoffnung, dass sie diese Voraussetzung erfüllen und einen wertvollen Beitrag zur Regional- und Handelsgeschichte leisten können.

Von der Jahrhundertflut im Juli 2021 waren in Westfalen vor allem Gebiete im Märkischen Kreis, die kreisfreie Stadt Hagen und der Ennepe-Ruhr-Kreis betroffen. Angesichts der massiven Schäden war offensichtlich, dass auch archäologische Denkmäler beschädigt und zerstört worden sind. Bei ersten Prospektionen zeigte sich, dass die archäologischen Fundstellen in den Tallagen der großen Fließgewässer weniger von Zerstörungen betroffen waren als in den Tälern der benachbarten Vorfluter.

Diese Gebiete weisen eine Vielzahl montanarchäologischer Fundstellen auf, die der Region eine überregionale wissenschaftliche Bedeutung verleihen. Bis Ende 2022 konnten über 200 Fundstellen begutachtet werden, von denen 114 Flutschäden unterschiedlichen Ausmaßes aufweisen. Derzeit werden Handlungsempfehlungen zur Sicherung der geschädigten Fundstellen und zum Schutz des kulturellen Erbes im Boden vor zukünftigen Flutereignissen erarbeitet.


Achtung Redaktionen:

Zur Ihrer Information haben wir Ihnen das Inhaltsverzeichnis der neuen LWL-Publikation sowie eine Auflistung der einzelnen Fundorte (s. Online-Version dieser Pressemitteilung - über den Link oberhalb dieser Mail erreichbar) angehängt.



Haben Sie Probleme das PDF-Dokument zu lesen? Dann wenden Sie sich bitte unter presse@lwl.org an die LWL-Pressestelle. Wir helfen Ihnen gerne weiter.



Pressekontakt:
Frank Tafertshofer, LWL-Pressestelle, Telefon: 0251 591-235 und Julia Großekathöfer, Tel.: 0251 591-8946
presse@lwl.org



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48147 Münster
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Der LWL im Überblick:
Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) arbeitet als Kommunalverband mit 20.000 Beschäftigten für die 8,3 Millionen Menschen in der Region. Der LWL betreibt 35 Förderschulen, 21 Krankenhäuser, 18 Museen sowie zwei Besucherzentren und ist einer der größten deutschen Hilfezahler für Menschen mit Behinderung. Er erfüllt damit Aufgaben im sozialen Bereich, in der Behinderten- und Jugendhilfe, in der Psychiatrie und in der Kultur, die sinnvollerweise westfalenweit wahrgenommen werden. Ebenso engagiert er sich für eine inklusive Gesellschaft in allen Lebensbereichen. Die neun kreisfreien Städte und 18 Kreise in Westfalen-Lippe sind die Mitglieder des LWL. Sie tragen und finanzieren den Landschaftsverband, dessen Aufgaben ein Parlament mit 125 Mitgliedern aus den westfälischen Kommunen gestaltet.


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