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Rundgang durch die Ausstellung

Im Foyer des historischen Werkstattgebäudes der Zeche Zollern stimmt Kunst die Besucher auf den Übergang in eine andere Welt ein: Der schwebende Einbaum des Künstlers Gordon Brown erinnert an das Boot, das die Seele des Toten über den Grenzfluss in die Unterwelt bringt. Die Videoinstallation „Höllentrip“ der Medienkünstler Heidrun Holzfeind und Christoph Draeger entlässt die Zuschauer mit einem rasanten Zusammenschnitt von Unterweltenszenen aus über 100 Filmen in die Ausstellung. Diese entfaltet sich auf zwei Etagen mit einer Fläche von insgesamt 600 Quad-ratmetern.

Prachtgefäß mit Szenen antiker Unterweltenmythen, um 320-310 v.Chr.

Schauder und Begierde

Die ältesten und kostbarsten Exponate erwarten die Besucher in der Ausstellungsabteilung über Mythen, Religionen und Wissenschaften. Bronzefiguren, eine über 2.000 Jahre alte Prachtvase, Handschriften, Kupferstiche aus Mittelalter und früher Neuzeit – sie zeigen bekannte Götter aus der ägyptischen und griechisch-römischen Unterwelt wie Osiris und Hades, „Reiseführer“ wie den Götterboten Hermes, der die verstorbenen Seelen zum Styx führt, Wanderer zwischen den Welten wie Herakles, Odysseus und Orpheus, aber auch Jesus als Sieger auf der zerbrochenen Höllentür oder in einer Darstellung Albrecht Dürers von Christus in der Vorhölle (Faksimile).

„Gerade die Übergänge in den anderen Raum haben Künstler und Schriftsteller immer wieder fasziniert“, so Kurator und Projektleiter Dr. Eckhard Schinkel. Auch das Höllentor, das der französische Bildhauer Auguste Rodin für das Kunstgewerbemuseum in Paris entwarf, kennzeichnet einen solchen Übergang. Das LWL-Industriemuseum zeigt einen Bronzeguss des ersten Modells von 1880. Farbenfroh kommen die hinterleuchteten Abbildungen von Miniaturen aus einer mittelalterlichen Prachthandschrift daher, die das Ghetty-Museum in Los Angeles zur Verfügung gestellt hat. In 13 Szenen begleitet der Betrachter den Ritter Tondal bei seinem Gang durch die Hölle.

Eine Mumie und Bronzefiguren ägyptischer Gottheiten gehören zu den ältesten Exponaten der Ausstellung.

Dem christlichen Weltbild stellt die Ausstellung Jenseitsvorstellungen aus anderen Religionen gegenüber, die oft überraschende Parallelen aufweisen. So zeigt die Abbildung auf einer japanischen Seidenrolle, wie ein erleuchteter Schüler Buddhas die Seele eines Verstorbenen aus einem brodelnden Kessel zieht, während ein Dämon das Feuer schürt. Ein Säckchen mit heiliger Erde vom Ölberg steht für den jüdischen Bestattungsritus.

Gelten diese Bilder und Rituale immer noch? Was Menschen unterschiedlichen Glaubens heute mit Hölle und Unterwelt verbinden, vermitteln Interviews mit Migranten, darunter ein muslimischer Taxifahrer und eine tamilische Katholikin. Zusammen mit Fotografien von Brigitte Kraemer spiegeln sie auch die religiöse Vielfalt im Ruhrgebiet wider.

Unterwelten des Bergbaus

Frühe wissenschaftliche Abhandlungen über Vorstöße in die Tiefe markieren den Übergang zum Bergbau. In einer dunklen Kabine, die einem Förderkorb nachempfunden ist, unternehmen die Besucher eine virtuelle Seilfahrt: Für die Illusion sorgen Szenen aus einem Dokumentarfilm aus dem Jahr 1981. Historische Fotografien von Bergleuten stehen für Generationen von Männern, die tagein, tagaus in die Gruben des Reviers einfuhren – auf der Zeche Zollern mit einer Geschwin-digkeit von zehn Metern pro Sekunde.

„Da rauschen einfach diese Schachtwände an einem vorbei“, berichtet ein türkischer Bergarbeiter. Er ist einer der Interviewpartner, die für die Ausstellung über ihre Eindrücke bei der Einfahrt und der Arbeit in 1.000 Metern Tiefe befragt wurden. „Die erste Seilfahrt war für die jungen Bergleute ein besonderes Ereignis: eine Fahrt ins Ungewisse und eine Einführung in die Welt der erwachsenen Männer“, erklärt Dr. Dagmar Kift, Kuratorin der Bergbauabteilung.

Inszenierte Männlichkeit strahlen Bronze-Skulpturen aus der Museumssammlung aus, die musku-löse Bergarbeiter als „Helden der Arbeit“ darstellen. Für die weibliche Seite des Bergbaus steht unter anderem die Heilige Barbara als allgegenwärtige Schutzpatronin und Werbeträgerin.

Arbeitsplatz der Bergarbeiterfrau

Unter Tage wurden Frauen im Ruhrbergbau nicht eingesetzt. Anderswo schon. So deportierten die Sowjets nach 1944 Angehörige der deutschen Minderheit aus Rumänien und Ungarn und ließen sie in ihren Bergwerken arbeiten, darunter auch viele Frauen. Für ihr Schicksal steht die Steppjacke einer Zwangsarbeiterin aus Siebenbürgen.

Schlagende Wetter, herabfallendes Gestein, Wassereinbruch – Gefahren unter Tage sind bis heute allgegenwärtig, Rettungsversuche oft dramatisch. Manchmal ging es gut aus wie 1963 beim „Wunder von Lengede“, als elf Verschüttete nach zwei bangen Wochen das Tageslicht erblickten. Daran erinnert die Dahlbuschbombe. Das LWL-Industriemuseum präsentiert den Prototyp der engen Rettungskapsel, 1955 auf der Gelsenkirchener Zeche Dahlbusch gebaut, und einen origi-nalgetreuen Nachbau. Bei Führungen können Besucher in die 38 cm schmale Röhre steigen.
Ein Blick auf den Reigen der Produkte aus Steinkohlenteer zeigt, dass das schwarze Gold aus der Tiefe nicht nur als Energielieferant die Wirtschaft ankurbelte: Perlonstrümpfe, Farben, Düngemit-tel, Aspirin, Telefone und Lichtschalter aus Bakelit – alles aus Kohle.

Inszenierung zur Kanalinspektion

Die zweite Stadt

Auch das Gaslicht, das im 19. Jahrhundert seinen Siegeszug zuerst in den Fabriken und dann auf den Straßen antrat, ist eine Errungenschaft aus der Tiefe. Das Leuchtgas entstand als Nebenprodukt bei der Verkokung von Kohle; eine Straßenlaterne anno 1900 steht am Beginn der Ausstellungsabteilung zur unterirdischen Infrastruktur. „Parallel zum Baufortschritt  über der Erde entstand während der Industrialisierung ein unterirdisches Geflecht aus Versorgungssystemen und Entsorgungskanälen, eine regelrechte zweite Stadt“, erklärt Kurator Dr. Andreas Immenkamp.
Als 1972 in Dortmund die letzte von zeitweise über 6.000 Gaslaternen abmontiert wurde, hatte längst der Strom einen großen Teil der Energieversorgung übernommen. Durch armdicke Erdkabel fließen heute 110.000 Volt unter unseren Füßen.

Modell einer Schildvortriebsmaschine zum Bau von Abwasserkanälen

Die Versorgung der Bevölkerung mit sauberem Trinkwasser und die Abfuhr von Abwässern ist nicht erst seit der Industrialisierung ein Thema. Eine mittelalterliche Wasserleitung, Fragmente eines Brunnens und ein Abortkübel zeigen frühe Stufen der Infrastruktur. Ein 100 Jahre altes Wasserklosett markiert die Schnittstelle zwischen der Ver- und Entsorgung. 1.900 Kilometer misst das heutige Netz der Abwasserkanäle unter Dortmund. Diese Welt im Verborgenen ist nicht nur ein Tummelplatz für die Wanderratte, die sich dem Besucher in Gestalt eines präparierten Exemplars präsentiert, sondern auch ein Arbeitsplatz: Eine rekonstruierte Kanalbaustelle und Geräte wie Handlampe, Schachthaken, Spiegel und Sielhose geben Eindrücke vom Kanalbau und den notwendigen Begehungen.

Heute machen Kanal-TV-Kameras den Abstieg in den Schacht oft überflüssig. Eine technologische Steigerung ist der Supermolch, den die Emschergenossenschaft zur Inspektion des neuen Emscherkanals einsetzt. Der Boot-Roboter ist mit einer Kamera und intelligenten Mess-Systemen  ausgestattet. In einem Computerspiel können Besucher den Molch durch die Unterwelt schicken.

Zeitzeugen schildern ihre Erinnerungen an die Zeit im Bunker

In einer „historischen Tiefenbohrung“ dringt die Ausstellung zur vier Kilometer langen Tiefstollen-anlage unter der Dortmunder Innenstadt vor. Über Kopfhörer werden die Erinnerungen von Zeitzeugen an die Luftangriffe der Jahre 1944 und 1945 wach. Zu sehen gibt es Pläne, Fotografien und Objekte, darunter ein Kamm aus Kupferblech – hergestellt von einem russischen Kriegsgefangenen, der beim Bau der Anlage eingesetzt war -  sowie Dinge aus dem Notgepäck.

Was würde man heute im Notfall mitnehmen? Die beiden Dortmunder Fotografinnen Cornelia Suhan und Karin Hessmann haben Menschen in einem Bunker mit dieser Frage konfrontiert. Aus ihrer Porträtserie stellt die Ausstellung sechs Personen mit den Objekten und ihren Motiven für die Wahl vor. Mit Stift und Papier können Besucher notieren, wie ihr persönliches Notgepäck ausse-hen würde. Über einen Scanner landen die Bilder auf einer eigenen Facebookseite.


Der überirdische Verkehr droht zu kollabieren – liegt die Lösungen für die Zukunft unter der Erde? Für den Güterverkehr gibt es bereits einen ausgereiften Plan namens CargoCap. Eine Animation, Pläne und Modelle zeigen, wie futuristische Kapseln mit 40 Stundenkilometern zwischen Dortmund und Köln durch unterirdische Röhren sausen und an allen wichtigen Handelsplätzen ihre Waren ausspucken.

Protestplakate stehen für das Thema Fracking

Die Zukunft der Energie

Auch wenn nach 2018 in Deutschland keine Steinkohle mehr gefördert wird, Energie können die alten Schächte und Stollen trotzdem liefern: Wärme aus Grubenwasser und Grubengas werden bereits heute in Modellversuchen genutzt. Fotos, Proben und Messgeräte zeigen, wie es funktioniert. Erdgas und Erdöl sind die fossilen Alternativen zur Kohle; Bohrungen das wichtigste Mittel beim Erkunden entsprechender Vorkommen. Das LWL-Industriemuseum präsentiert den originalen Bohrkern aus der tiefsten Bohrung, die jemals in Nordrhein-Westfalen unternommen wurde: „Münsterland 1“ erreichte vor 50 Jahren eine Tiefe von 5.956 Metern. Auf einer vibrierenden Plattform können Besucher Erschütterungen im Boden aus Bohrungen und seismischem Untersuchungen wahrnehmen und dazu über einen Kopfhörer die entsprechenden Geräusche hören.

Mit der „Hydraulic Fracturing“-Methode kann auch Gas aus unkonventionellen Lagerstätten freigesetzt und gefördert werden. Dabei wird ein Gemisch aus Wasser, Sand und Chemikalien in den tiefen Untergrund gepresst, um das Gestein aufzubrechen. Das Fracking stößt wegen befürchteter Umweltschäden in breiten Bevölkerungsschichten auf massiven Widerstand, wie Demo-Plakate in der Ausstellung zeigen. Ein Musikvideo von Sean Lennon, Yoko Ono und den „Artists Against Fracking“ sowie eine Plastik der Dortmunder Bildhauerin Barbara Abendroth zeigen künstlerische Protestformen.

Mindestens ebenso wertvoll wie die fossilen Brennstoffe sind heute sogenannte „Seltene Erden“. Die Alleskönner stecken in vielen Hightech-Produkten wie Smartphones, Energiesparlampen oder auch Windrädern. „Diese Metalle werden zurzeit hauptsächlich in China abgebaut. Ihre Gewinnung und Verarbeitung belastet Menschen, Tiere und Umwelt schwer“, erklärt Maja Lange, als wissen-schaftliche Volontärin für diesen Bereich der Ausstellung zuständig. Proben seltener Erden wie Scandrium, Yttrium, Lanthan und Samarium präsentiert das LWL-Industriemuseum in luftdicht abgeschlossenen Glasröhrchen.

LWL-Direktor Dr. Wolfgang Kirsch (l). und Kurator Dr. Eckhard Schinkel im "Unterwelten-Archiv"

Unterwelten-Archiv

Bereits viele Monate im Vorfeld der Eröffnung haben über 500 Schülerinnen und Schülern aus dem Ruhrgebiet auf Anregung und mit Materialien aus dem LWL-Industriemuseum zum Thema Unterwelten gearbeitet. Ihre Ergebnisse sind ebenfalls in der Ausstellung zu sehen, darunter ein-drucksvolle Masken aus einem Projekt der Dortmunder Droste-Hülshoff-Realschule: Die „Über-/Unterweltenwesen“ vereinen jede für sich die beiden Seiten der menschlichen Seele. Kreativ ist auch ein U-Bahn-Linienspiel aus der „Unterwelten-AG“ der Dortmunder Kielhornschule. Es ergänzt Objekte, Fotos und Filme im Ausstellungsbereich zur unterirdischen Infrastruktur.

Gleich mit vielen Klassen hat sich das Recklinghäuser Hittorf-Gymnasium samt seiner ausländi-schen Partnerschulen in die Tiefe begeben. Schüler und Schülerinnen aller Jahrgangsstufen er-stellen ein „Unterwelten-Archiv“: Im Ergebnis werden rund 50 Skizzenbücher nach und nach einen großen Schrank in der Dortmunder Ausstellung füllen und zum Stöbern einladen. Zu den Arbeiten gehören zum Beispiel 3-D-Bilder zum Thema Hölle, ein Film über Gegenstände, die zu Boden fallen, Bücher über Albträume, Unterwelten-Literatur oder Mythen aus der griechischen Antike, ein interaktiver Film mit selbst eingespielter Musik, Tuschezeichnungen von unterirdischen Gängen und Kanälen.

Für Anja Hoffmann vom LWL-Industriemuseum ist das Projekt ein Beispiel für Partizipation in der Kulturarbeit: „Dass Museen junge Menschen schon bei der Konzeption einer Ausstellung mit ein-beziehen, ihre Sichtweisen ernst nehmen und diese mit einbeziehen, kann Schule machen.“

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