QUELLE

DATUM1912   Suche   Suche DWUD
URHEBER/AUSSTELLERBergmann, Franz
TITEL/REGESTBericht über Entstehung, Ziele und Zwecke der Kinematographenkommission des Westfälischen Landgemeindetages
TEXTDie Kinokommission des Westfälischen Landgemeindetages

Die heutige Nummer dieser Zeitschrift erscheint zum erstenmal auch als Publikationsorgan der vom Westfälischen Landgemeindetag zur Reform des Kinematographenwesens gewählten Kommission. Es geziemt sich daher wohl, an dieser Stelle einen kurzen Überblick über deren Entstehung, Ziele, Zwecke und bisheriges Wirken zu geben.

Ihre Entstehung verdankt die Kommission der diesjährigen Tagung des westfälischen Landgemeindetags in Münster, wo sie zur Untersuchung der Kinofrage eingesetzt wurde. Bei einer ersten Kommissionssitzung, die am 14. Juni d. J. in Dortmund stattfand, legte die Kommission, welche Männer fast aller Berufsrichtungen angehören, in einer Reihe programmatischer Beschlüsse die nächsten Ziele ihres Wirkens fest, die schon in ausführlicher Weise in der letzten Nummer des ersten Jahrganges von "Bild und Film" dargelegt sind. Aus dem umfangreichen Programm sei hier nochmals folgendes kurz hervorgehoben:

Bekämpfung des jetzigen Kinowesens durch Anregung gesetzgeberischer Maßnahmen; Propaganda für die Errichtung von Reformkinos durch Gemeinden, eventuell durch Vereine oder sonst noch gesund fühlende Kreise; Unterstützung und Förderung guter deutscher Filmfabriken und Leihanstalten; Förderung des nationalen Gedankens in den Kinos durch Anregung geeigneter Aufnahmen aus dem Militär- und Staatsleben; Schaffung einer Auskunftsstelle für Kinofragen bei dem Amt Eickel und in technischen Fragen bei der Lichtbilderei GmbH. in M. Gladbach.

Die Kommission hat, anstatt sich mit unfruchtbaren Resolutionen und wertloser Kritik an den vielfachen Auswüchsen aller Art, die der Kino nun mal hat, zu beschäftigen, auf den Boden der Wirklichkeit gestellt und getreu der Devise, durch praktische Vorschläge und positive Arbeit die Kinematographen dem Volke, besonders der nationalen Jugendpflege und der Schule, dienstbar zu machen, die Ausführung der Beschlüsse durch den Vorsitzenden, Amtmann Berkermann (Eickel), in Angriff genommen:

Zunächst sind die beteiligten Ressortminister um Unterstützung der Bestrebungen angegangen, ferner der Kriegsminister um Veranlassung von Aufnahmen aus dem deutschen Militärleben ersucht worden, die er auch in anerkennenswerter Weise bereitwilligst zugesagt hat. Die Kommission hat dann wegen Aufnahme militärischer Bilder Verbindungen mit einer geeigneten Leihanstalt bzw. Filmfabrik angeknüpft; sodann hat sie zahlreiche aufklärende Flugblätter an die Behörden und sonstigen beteiligten Kreise in Westfalen versandt, in denen die Gründung von Reformkinos angeregt wurde. Und endlich hat sie in geeigneten Fällen durch persönliche Fühlungnahme die Reformbestrebungen zu fördern gesucht. Die eingerichtete Auskunftsstelle beim Amt Eickel ist häufig in Fragen auf dem Gebiete des Kinowesens von Verwaltungen, Vereinen und Privatpersonen angegangen worden, ebenso die mit der Gemeindekinobewegung Hand in Hand arbeitende, ihr parallel gehende Kinoreformbewegung der Lichtbilderei GmbH., M. Gladbach.

Den Beschlüssen und bisherigen Arbeiten der Kinokommission ist ein überraschendes Echo gefolgt. Zustimmungen und Sympathiekundgebungen von vielen Seiten zeigen, daß die Kinoreformbestrebungen des Westfälischen Landgemeindetags auf dem rechten Wege sind. Die Landräte der Provinz Westfalen haben sich bei Gelegenheit einer Konferenz in Königsborn in zusagendem Sinne geäußert und ebenso eine Reihe hervorragender Parlamentarier. Sympathiekundgebungen laufen auch von ausländischen Personen und Vereinen sehr zahlreich ein. Aus den inlädischen Zuschriften möchten wir hier nur hervorheben die des Jung-Deutschland-Bundes und des Vereins für Volksbildung sowie der Zentrale der Bayerischen Bauernvereine in Regensburg. Auch hat der Ausschuß der evangelischen Arbeitervereine für Rheinland und Westfalen bei Gelegenheit einer Tagung in Dortmund ausdrücklich beschlossen, die Bestrebungen der Kommunalverwaltungen auf dem Gebiete des Kinos in jeder Weise zu fördern. Die durch ein besonderes Rundschreiben an die Gemeinden angeregte Gründung von Reformkinos durch die Gemeinden, Ämter, Kreise oder Vereine, oder von Wanderkinos für kleinere Gemeinden ist vielerorts in Erwägung gezogen worden; als vorläufiges Ergebnis registrieren wir die Gründung von Reformkinos, die direkt oder indirekt auf die Anregung der Kommission oder ihr nehestehender Personen oder Gesellschaften zurückzuführen sind, in den Gemeinden Eickel, Osterfeld, Bottrop, Hamborn, Sterkrade, Horst, Hagen und eines Wanderkinos für den Landkreis Beckum. In Aussicht genommen ist die Gründung in Datteln, Buer, Hüsten, ferner je eines Wanderkinos für die Ämter in Sodingen, Annen usw. Da zahlreiche kleinere Gemeinden ein Wanderkino wünschen, ist die Anschaffung eines solchen von der Kommission in Erwägung gezogen worden.

Man sieht, die Kommission hat in kurzer Zeit ein nicht geringes Arbeitspensum erledigt, und einige recht namhafte Erfolge aufzuweisen gehabt. Jedenfalls ist es ihr Verdienst, weite Kreise der Verwaltungen, Gemeinden, der Geistlichen und Schulmänner auf die Gefahren unseres heutigen Kinos aufmerksam gemacht, manche aus ihrer Ruhe aufgerüttelt und überhaupt Reformbestrebungen vielerort in Fluß gebracht zu haben. Gelegentlich der Einweihung des Gemeindekinos in der Gemeinde Eickel, Anfang November, wird die Kommission voraussichtlich zur Beratung weiterer Schritte zusammentreten.

Da auch der Landgemeindetag der Rheinprovinz ähnliche Schritte wie der Westfälische Landgemeindetag unternehmen will, so ist zu hoffen, daß die Reformbestrebungen immer weitere Kreise in ihren Bann ziehen und allmählich steigende positive Erfolge haben werden. Namentlich wäre zu wünschen, daß die beteiligten Kreise in den schnell wachsenden Industrieorten, wo die Privatspekulation sich noch nicht des Kinos bemächtigt hat und noch ein weites Feld für die Kinobewegung offensteht, nämlich in den Landkreisen Recklinghausen und Beckum, mit ihrer zum Teil amerikanischen Entwicklung mit der Gründung von Reformkinos energisch vorgehen würden.

Man hätte annehmen dürfen, daß die Reformbestrebungen der Gemeinden auf dem Gebiete des Kinos in allen Kreisen, die es mit der Bildung des Volkes ernst meinen, Anklang und Billigung gefunden haben würde. Aber, wie überall bei derartigen Bestrebungen, haben sich auch hier berufene und unberufene Kritiker eingestellt. Wenn wir hier von der immerhin schon verständlichen Gegnerschaft der privaten Lichtbühnen und Leihanstalten sowie der weniger verständlichen der Theaterdirektoren absehen, hört man auch häufig in andern Kreisen die Ansicht vertreten, die Errichtung und der Betrieb von Lichtspielhäusern gehöre nicht zu den Aufgaben einer Gemeinde. Da darf man wohl fragen: was gehört denn eigentlich zu deren Aufgaben? Gesetzliche Bestimmungen darüber gibt es nicht. Aus allgemeinen Erwägungen und aus dem Begriffe und Zweck der Gemeinden überhaupt hat das Oberverwaltungsgericht mehreremal versucht, eine Definition über den Begriff und Umfang der Gemeindeaufgaben zu geben. So führt es einmal (Entscheidungen Band 19, S. 176) aus: "Die Gemeinden können alles in den Bereich ihrer Wirksamkeit ziehen, was die Wohlfahrt des Ganzen, die materielle Fürsorge und die geistige Entwicklung des einzelnen fördert, sie können gemeinnützige Anstalten, welche hierzu dienen, einrichten, unternehmen und unterstützen." Von dieser Definition der Gemeindeaufgaben ausgehend, haben die Gemeinden auch bisher schon volksbildende und gemeinnützige Anstalten in ihren Wirkungskreis gezogen. Wir weisen nur auf die zahlreichen Einrichtungen auf sozialem und volksbildendem Gebiete, z.B. Säuglingspflege, Mutterschutz, Volksgärten, Volksunterhaltungsabende, Fortbildungsschulen, städtische Theater u. dgl., hin. Auch besteht heute wohl in Theorie und Praxis kein Zweifel mehr darüber, daß das gesamte Schulwesen sowie alle Einrichtungen, welche zur Bildung und Erziehung des Volkes dienen, zu den Aufgaben der Gemeinde gehören. Nach Ansicht hervorragender Fachmänner kann nun aber ein gut geleitetes Kino ein vorzügliches Unterrichts- und Volksbildungsmittel werden. Es ist daher sehr wohl berechtigt, daß die Gemeinden sich auch dieses Mittels zur Bildung des Volkes bemächtigen. Jedenfalls haben private Theaterbesitzer durchaus keinen Grund, sich über diese Entwicklung zu beklagen.

Die bisher abwegige Entwicklung des Kinowesens hat zur Genüge gezeigt, daß sie nicht imstande war, den Kino in rechte Bahnen zu lenken und aus dem Kino ein wahres Volksbildungsmittel zu machen. Es soll hier durchaus nicht untersucht werden, wer an dieser Entwicklung schuld hat: der Geschmack des Publikums, die Theaterbesitzer, Leihanstalten oder die Filmfabriken. Von all diesen Faktoren möchte am liebsten der eine auf den andern die Schuld abwälzen. Genug, es muß mit der Tatsache der abwegigen Entwicklung des Kinos gerechnet werden. Und da ist es nicht nur ein Recht, sondern eine Pflicht der Gemeinden, hier durch die Errichtung von städtischen Lichtspielhäusern Wandel zu schaffen und dadurch auf die Darbietungen der Privatkinos allmählich Einfluß zu gewinnen. Man braucht wahrlich kein Freund eines übermäßigen Munizipalismus zu sein, um die Berechtigung der Errichtung von Lichtspielbühnen durch die Gemeinden zu bejahen. Alle, die es mit der Bildung des Volkes ernst meinen, können nur wünschen, daß die in den ersten Anfängen ihrer Entwicklung stehenden städtischen Lichtbildbühnen sich immer mehr verbreiten und allmählich festen Fuß gewinnen. Wenn die Arbeiten der Westfälischen Kinokommission hierzu beitragen, so werden sie sich sicherlich ein dauerndes Verdienst um das Volk erwerben. Zwecks weiterer grundsätzlicher Orientierung sei nachdrücklichst hingewiesen auf den die Frage der Gemeindekinos sehr gründlich behandelnden, ausgezeichneten 15seitigen Artikel von Oberlehrer Dr. Warstat (Altona) in Heft Nr. 39 (25 September 1912) der "Grenzboten" (Verlag der Grenzbogen GmbH., Berlin SW 11): Städtische Musterlichtbühnen. Das Heft kostet 50 Pf.; es ist indes auch leihweise zu beziehen von der Lichtbilderei GmbH., M. Gladbach, die auch, wie schon bemerkt, sonst zu Gratisauskünften über alle das Kinowesen angehenden technisch-praktischen und ethisch-künstlerischen Fragen bereit ist.

Franz Bergmann, wissenschaftlicher Hilfsarbeiter des Verbandes Rheinisch-westfälischer Gemeinden zu Cöln.


QUELLE     | Bild und Film | 2. Jg., Heft 1, S. 21-23


SYSTEMATIK / WEITERE RESSOURCEN  
Typ1.3   Einzelquelle (in Volltext/Regestenform)
Zeit3.9   1900-1949
Sachgebiet14.14   Film, Kino
DATUM AUFNAHME2004-05-07
AUFRUFE GESAMT2297
AUFRUFE IM MONAT188