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VERFASSERBerger, Louis
TITELDer alte Harkort


ORTLeipzig
JAHR1890


ONLINE-TEXTÜber die Anfänge der "Mechanischen Werkstätte" und die englischen Fachleute
SEITES. 150-154
PROVINIENZ  Stiftung Westfälisches Wirtschaftsarchiv
SIGNATURB 55


TEXT[S. 150]
[...] Im Hause des angesehen Kaufherrn Jakob Aders zu Elberfeld lernte dessen Schwager Heinrich Kamp, „der thätigste Mann des Gemeinwesens seiner Stadt“, wie ihn Harkort nennt [1], den letztern kennen. Eine genial veranlagte Persönlichkeit, welcher für ihre Unternehmungslust ansehnliche Mittel zu Gebote standen, erkannte Kamp in dem feurigen jungen Westfalen, der sich für neue Erfindungen und Verbesserungen begeisterte und alles energisch und selbstthätig anzugreifen pflegte, den gleichgestimmten Charakter. Durch das eifrige Studium Englischer technischer Zeitschriften auf die riesige Entwickelung des Maschinenwesens in Großbritannien aufmerksam gemacht und klar erkennend, daß Deutschland sich die gleichen Vorteile zu eigen machen müsse, wenn seine Industrie nicht binnen kurzer Zeit von England vollständig überflügelt werden solle, [S. 151] einigten sich beide zu einer geschäftlichen Verbindung, welche die Anlage einer Maschinenfabrik oder sogenannten Mechanischen Werkstätte zum Zwecke hatte. Kamp sollte die erforderlichen Geldmittel beschaffen, Harkort die Leitung übernehmen. Bei Untersuchung der wichtigen Frage nach dem geeigneten Orte für das neue Unternehmen kam man, da das Augenmerk vorzugsweise auf die Herstellung von Dampfmaschinen gerichtet war, notwendig auf den Industriebezirk an der Ruhr, dessen bedeutender Bergbau nicht nur gute Aussicht auf Absatz solcher Motoren, sondern auch den Vorteil billigen Bezugs von Eisen und Kohlen darbot. Die Wahl fiel schließlich auf die alte Burg in Wetter, die, vom Fiskus zum Verkaufe gestellt, im Jahre 1818 von den beiden Teilhabern der neuen Firma Harkort & Co. erworben wurde. In die Räume, die Jahrhunderte hindurch von Kriegsgetöse und Waffenlärm wiederhallt hatten, hielt die Großmacht des neunzehnten Jahrhunderts, die Industrie, ihren Einzug.

Die Burg zu Wetter, von der sogenannten „Freiheit“, dem Burgfrieden, umgeben, krönt mit ihrem stolzen Hauptturme eine nach Osten und Süden vorspringende, steil zur Ruhr abfallende Kuppe des Arden-Gebirges. Ursprung und Zeit der Entstehung der starken Feste ist historisch nicht nachgewiesen; doch unterliegt es wohl keinem Zweifel, daß der Bau von den Landesherrn, den Grafen von der Mark, selbst ausgeführt wurde [...] [S. 152] Jahrhunderte hindurch blieb dann die Burg Sitz der Clevischen Amtleute und späteren Drosten und war Hauptort des Kreises Wetter. 1780 wurde, wie bereits berichtet, das Märkische Bergamt von Hagen nach Wetter verlegt, wo es - von 1792 bis 1804 unter dem Titel eines Westfälischen Oberbergamts - auch während der Dauer der Französischen Herrschaft verblieb. Nach der ersehnten Wiedervereinigung der Mark mit Preußen hoffte man in Wetter umsomehr auf Belassung des Bergamts an seinem alten Sitze, als der Nahrungsstand der Bevölkerung unter der fremdländischen Okkupation durch Darniederliegen des Messerschmiedegewerbes stark zurückgegangen war. Doch diese wie andere Hoffnungen schlugen fehl; nachdem Wetter schon das Landratsamt und Gericht verloren, wanderte auch das Bergamt am 2. Dez. 1815 weiter westwärts nach Bochum. Vergeblich machte der damals noch lebende Peter Harkort im Hermann auf den traurigen Zustand des in nächster Nähe von Schede und Schönthal gelegenen Ortes aufmerksam und bat, wenn nun einmal keine Behörde in Wetter ihre Stelle finden könne, so möge man doch das in den Ringmauern der Burg angelegte „große schöne bergamtliche Gebäude für heranzuziehende Fabriken wohlfeil hergeben“. Mit diesem Vorschlage war der allein richtige Weg zur Erlangung von Arbeit, zum Wohlstand und zur Zufriedenheit für Wetter gewiesen. Die nämliche Nummer des Hermann (63 von 1816), die Harkorts Klage veröffentlichte, brachte unter der Überschrift „Soho bei Birmingham“ in einem Auszuge aus dem Reisetagebuche des Gußstahlfabrikanten Fischer aus Schaffhausen die Beschreibung eines Besuchs des Verfassers bei dem weltberühmten James Watt und dessen Sozius Boulton. Er hatte in der sonst streng verschlossenen Fabrik dieser Väter der Dampfmaschine die für einen damaligen Gewerbetreibenden des Kontinents bewunderungswürdigsten Dinge gesehen: Eisengußstücke bis zu 200 Ctr. Schwere, Fußböden, Treppen und Dächer aus Eisen, durch Gas erleuchtete Werkstätten, Cylinder von 54 Zoll Durchmesser, Dampf- und Hilfsmaschinen für alle möglichen Zwecke und sonstige Wunderdinge mehr. In anderen Werken, zu denen ihm Watt Eingang verschaffte, erblickte Fischer Hochöfen, die täglich 70 bis 100 Tonnen (?) Eisen erbliesen, wie auch einen „Pudding-Furnace“, welchen man mit 200 Pfd. Roheisen beschicken und aus diesen nach gar nicht langer Zeit 6 Luppen machen konnte. „Diese Luppen wurden unter dem großen, 12-15 Ctr. schweren, mit Stiel und Hülfe aus einem Stücke gegossenen Hammer ausgeschmiedet und unter die Walz- und Schneidewerke gebracht, wo in den allmählich [S. 153] abnehmenden eingedrehten Rinnen viereckige, runde oder flache Stäbe gebildet wurden.“ Durch solche sinnreiche Vorkehrungen sei es möglich geworden, trotz des enormen Arbeitslohnes von 16-20 Schilling pro Woche, gewalztes Eisen zu 12 Schilling pro Centner zu liefern.

Fischers Mitteilungen erregten an allen Orten, wo der Märker Eisen reckte, großes Aufsehen und bei vielen schwere Sorgen darüber, was aus ihnen werden solle, wenn den Engländern gestattet würde, solches billige Eisen nach Preußen hineinzubringen und dem inländischen Produkte Konkurrenz zu machen. Nur einer - und dieser war Fritz Harkort - meinte: Was die Engländer können, müssen wir Deutsche doch auch schließlich fertig bringen; und gerade hier an der Ruhr, wo wir neben guten Kohlen billige Arbeitslöhne und im Sauerlande und Siegerlande vorzügliches Eisen haben! Über solche unerhörte, verwegene Gedanken schüttelten natürlich alle „verständigen“ Leute die Köpfe und verschafften dem jungen Neuerer schon damals den Namen eines Projektenmachers. Doch das störte diesen wenig, sondern vermehrte nur seinen Mut und seinen Eifer. Am 21.09.1818 hielt er Hochzeit mit Auguste Mohl, schloß seinen Vertrag mit Kamp, kaufte am 28.10.1818 desselben Jahres die Burg in Wetter nebst dem dabei befindlichen Bergamtsgebäude und segelte, über die unzähligen Bedenken zaghafter Verwandten und Freunde sich hinwegsetzend, im folgenden Jahre nach England, um von dort für die neue Machenische Werkstätte Sachverständige und Arbeiter herüberzuholen. Das war leicht gesagt, aber schwer, sehr schwer gethan. Tüchtige Leute waren nur durch hohe, das Einkommen in der Heimat übersteigende Gehälter zu bewegen, ihr merry old England zu verlassen und nach dem unbekannten, des englischen Komforts entbehrenden Deutschland überzusiedeln. Die Zahl der anständigen Männer, die Harkort folgten, blieb darum nur klein und er mußte, aus der Not eine Tugend machend, dazu übergehen, auch solche Leute anzunehmen, denen der Aufenthalt in ihrem Vaterlande aus irgend welchen Gründen schwül geworden war, wenn sie nur Kenntnis der Maschinenarbeit besaßen. „Ich habe damals verschiedene meiner Engländer,“ pflegte er in späteren Jahren zu äußern, „so zu sagen vom Galgen herunterschneiden müssen, nur um überhaupt welche zu bekommen.“ Wer solche Anwerbung fremdländischer Arbeiter zu tdeln geneigt ist, möge sich daran erinnern, daß bis zum heuteigen Tage hin alle Nationen, die neue Indsutriezweige bei sich einführen, sich der gleichen Sünde, wenn man es so nennen will, schuldig gemacht haben. So hatte damals der mehrerwähnte frühere preußische Kriegsrat und Fabrikenkommissarius Erversmann, welcher [S. 154] als Bergrat und Direktor des Hüttenwerks zu Slatoust in Kaiserlich Russische Dienste getreten war, noch im Jahre 1814 Deutsche Klingenschmiede aus Solingen und andere Metallarbeiter aus Westfalen nach dem Ural geholt. Es geht in solchem Falle wie im Familienleben. Hat eine junge Mutter nicht selbst genug Nahrung für ihre Kind, so ist sie genötigt, eine Amme zu suchen und diese zu nehmen, wo und wie sie zu finden ist.[2]

Godwin und Thomas hießen die ersten englischen Ingenieure, welche die in eine Pflanzschule der Technik umgewandelte Burg zu Wetter betraten und mit ihrem jungen Chef vereint die Mechanische Werkstatt in Betrieb setzten. Thomas, ein talentvoller aber haltungsloser Mann, verlor sich später nach Böhmen; sein Schwiegervater Godwin dagegen, den Harkort einen Gentleman sonder Tadel nennt, harrte aus und veranlaßte auch nach einigen Jahren seinen nach den Vereinigten Staaten gewanderten, tüchtigen Sohn George, vom Onega-See nach der Ruhr zu kommen. Der ältere Godwin konstruierte eine verbesserte liegende Bohrmaschine für Cylinder und suchte schon damals den Bau horizontaler Brücken mit weiter Spannung, wie sie jetzt bei Eisenbahnen üblich sind, zur Ausführung zu bringen, während sein Sohn die vertikalen Bohrmaschinen für kleinere Gegenstände einführte. Zu den beiden Engländern gesellten sich bald andere strebsame Techniker, wie Treviranus aus Bremen, welcher bei den berühmten Optikern Fraunhofer in München und Herschel in England gearbeitet hatte; ferner der früher in Schiffswerften in Rotterdam thätig gewesene Tischbein. Bei der praktischen Ausführung der Arbeiten bot besonders der Guß schwerer Faconstücke große Schwierigkeiten. Der erste Gießermeister Obrey, aus der berühmten Fabrik von Maudsley in London, ging bald wieder in die Heimat zurück und mußte nacheinander durch andere Engländer, Namens Richmond, Roose und Potter ersetzt werden, weil es den einheimischen Arbeitern an Erfahrung, lange Zeit auch an nötigem Kraftbewußtsein und Mut fehlte, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. [...]


[1]“Harkort, Geschichte des Dorfs, der Burg und der Freiheit Wetter, als Beitrag zur Geschichte der Grafschaft Mark“ (Hagen 1856), S. 37.
[2]Selbst England, das damals unfreiwillig solche Nährammen für die Industrie in Nachbarländern lieferte, hat sich noch gegen Ende des Jahrhunderts seinerseits zu gleichem Verfahren genötigt gesehen. Im November 1888 teilte der Staatssekretär des Krieges, Mr. Stanhope, dem Unterhause mit, daß mehrere Arbeiter aus Solingen von der Englischen Regierung angestellt worden seien, um die Englischen Arbeiter in der Anfertigung von Hieb- und Stoßwaffen zu unterweisen. Der Minister fügte hinzu, die Kenntnis dieses Faches sei in England fast ganz ausgestorben. (Dortmunder Zeitung vom 28.11.1888)






QUELLE    Berger, Louis | Der alte Harkort | S. 150-154

DATUM AUFNAHME2004-03-31
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