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VERFASSERPeine, Hans-Werner
TITELDie verschüttete Stadt


ONLINE-TEXT[Volltext]


TEXTJedem Besucher einer innerstädtischen Ausgrabung wird auf den ersten Blick klar, wie überaus kompliziert sich das untertägige, über Jahrhunderte gewachsene Gefüge der Stadt darstellt: In den Grabungsflächen sieht der interessierte Laie eine Vielzahl von Mauerzügen aus unterschiedlichem Steinmaterial und nicht aufeinander abgestimmten Ausrichtungen, die sich überlagern oder aber auch abschneiden und sich in den wenigsten Fällen zu vollständigen Hausgrundrissen fügen. Auch die Grabungsprofile vermitteln ihm ein verwirrendes Bild, denn neben übereinander liegenden Schichtpaketen, deren Mächtigkeit einige Meter erreichen kann, zeigen sich hier u.a. Gruben herausgebrochener Mauern, Füllschichten und Fußbodenhorizonte, die verschütteten Überreste vergangener Besiedlung eben, die der Archäologe gerade innerhalb der ummauerten Stadt konzentriert auf engstem Raum vorfindet.


Die mittelalterliche Stadt im Wandel

In Westfalen reichen die Wurzeln der modernen Stadt in vielen Fällen zurück bis in karolingische Zeit, als im Zuge der Christianisierung die kirchliche Organisation mit Bischofssitzen (Minden, Münster, Paderborn), Klöstern (Corvey, Geseke, Herford, Horhusen) und einem Netz von Pfarrkirchen (Höxter, Medebach, Siegen) die Voraussetzungen für die Entstehung stadtähnlicher Siedlungen schuf, die bereits im 10./11. Jahrhundert zu Kristallisationspunkten von Handel und Gewerbe geworden waren. Eine frühe Stadtentwicklung begünstigten auch wichtige Rohstoffvorkommen (Soest) sowie Pfalzen und Dynastenburgen, die an verkehrsgünstigen Knotenpunkten eine Marktentwicklung (Dortmund, Soest, Warburg) förderten. Kirchliche, weltliche und naturräumliche Faktoren übten eine starke Wechselwirkung aufeinander aus, so dass bei keiner der frühen Städte ein monokausaler Entwicklungsstrang vorliegt.

Die Zahl der Stadtgründungen nahm seit Beginn des 13. Jahrhunderts einen sprunghaften Anstieg. Auf herrschaftlichen Höfen mit zumeist alten Pfarrkirchen wurden nun Städte als Plananlagen gegründet (Lippstadt, Hamm) oder kleinere Kirchsiedlungen zu Städten erhoben und weiter ausgebaut. Immer stärker wurde bei Städtegründungen des späten Mittelalters auch Wert auf eine natürliche Schutzlage gelegt, dies vor dem Hintergrund der zunehmenden Fehden in den Auseinandersetzungen um die Landesherrschaft.

Die entstehenden Städte wurden ausnahmslos mit einer Befestigung umgeben die oftmals provisorischen Charakter trug. Erst im späten Mittelalter erhielten die Städte ihre bis in die fortgeschrittene Neuzeit bestehenden Stadtbefestigungen die für lange Zeit die innerstädtische Fläche festlegten. In diesem eng begrenzten Raum mussten die städtischen Einrichtungen wie Rathaus, Hospitäler und Gildehäuser ihren Platz genauso finden wie die Stadtburgen und Burgmannssitze der Landesherren, die Kirchen- und Klosterstiftungen sowie die Häuser der Bürger, von den Gademen der ärmeren Stadtbevölkerung bis hin zu den reich ausgestatteten Steinhäusern der Kaufleute am Markt.

Phänomene wie Flächenverdichtung, Zusammenlegung und Überformung von Parzellen, Neubewertung von Straßenzügen, insbesondere im Anschluss an große Brandkatastrophen, veränderten auch schon im Mittelalter das Bild der Stadt und führten bereits damals zu Substanzverlusten im Bodenarchiv der unterirdischen Stadt.

Die Verdichtung der Bebauung auf städtischen Parzellen vom 11.-14. Jahrhundert beispielsweise Mitte der 70er Jahre in Minden an der Bäckerstraße sowie Anfang der 90er Jahre in Warburg an der Klockenstraße archäologisch nachgewiesen, die Überformung von Parzellen, in diesem Fall die Umwandlung eines Bürgerhofes mit handwerklicher Nutzung in das Schwesternhaus St. Annen Rosengarten, ließ sich dagegen 1982-84 in Lippstadt auf einem Areal unweit der Nikolaikirche belegen. Die Umnutzung und Überformung eines älteren Klosterbereichs sowie die der mittelalterlichen Stadtbefestigung bildeten die Voraussetzung für den Bau des Unteren Schlosses in Siegen, wie archäologisch in den Jahren 1995/96 deutlich wurde. Die zwischen 1986 und 1989 erfolgten Ausgrabungen am Alten Steinweg in Münster schließlich gehören insofern in diese Beispielreihe, als sie neben wichtigen sozialtopographischen Ergebnissen auch die stärkere Akzentuierung des Steinweges gegenüber der ursprünglich für die Ausrichtung der Gebäude ausschlaggebenden Kirchherrengasse erbrachten, eine Aufwertung des Alten Steinweges, die sich in der Anlage von Gebäuden der gehobenen Kaufmannschaft seit dem 18. Jahrhundert manifestierte.


Großflächige Vernichtung von Denkmalsubstanz im 19. und 20. Jahrhundert

Tiefgründiger als die mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Baumaßnahmen griffen diejenigen des ausgehenden 19. Jahrhunderts in die Denkmalsubstanz der Städte ein, berücksichtigten jedoch dabei im Wesentlichen die altgewachsenen innerstädtischen Baustrukturen, nämlich das überkommene Parzellen und Straßenraster. Stärker von Veränderungen in Mitleidenschaft gezogen wurden die nun weitgehend funktionslos gewordenen städtischen Befestigungsanlagen, die entweder als Promenadenringe erhalten blieben oder aber insbesondere durch repräsentative Stadtvillen überbaut wurden. Großzügiger gründerzeitlicher Straßenausbau und einsetzende Industrialisierung veränderten das städtische Umfeld und vernichteten außerstädtische Einrichtungen, zu denen Leprosorien, Galgenplätze, Mühlen und Ziegeleien zählten.

Den schwerwiegendsten Eingriff in Denkmalsubstanz und -struktur der westfälischen Städte stellten die Zerstörungen des 2. Weltkrieges und der anschließende Wiederaufbau der Innenstädte dar, der fast ausnahmslos schnell und ohne begleitende archäologische Untersuchungen erfolgte. Auswirkungen des Städtebauförderungsgesetzes von 1970 sowie der wirtschaftliche Veränderungsdruck, zu nennen sind die Errichtung von Kauf- und Parkhäusern, Bürogebäuden, Straßenaus- und -neubau, Maßnahmen im Zuge der Stadtsanierung führten in den 70er Jahren und 80er Jahren vor allem in den Innenstädten zu großflächigen Verlusten unterirdischer städtischer Vergangenheit, ein Prozess, der sich in den 90er Jahren fortsetzte, als die letzten unbebauten Nachkriegsflächen und -provisorien überplant und Neubau- und Gewerbegebiete ringförmig um die mittelalterliche Stadt gelegt wurden.


Die Gründung des Fachreferates für Mittelalter- und Neuzeitarchäologie

Die Großgrabung an der Bäckerstraße im Zentrum von Minden, die noch vom Referat Archäologische Bauforschung als Unterabteilung des Landesamtes für Denkmalpflege durchgeführt wurde, war für die westfälische Mittelalterarchhäologie in zweierlei Hinsicht bahnbrechend. Zum einen dokumentierten die Ergebnisse dieser Flächengrabung, dass die Archäologie Aspekte städtischer Entwicklung offen legt, die durch keine andere Wissenschaftsdisziplin zu gewinnen sind. Zum anderen zeigte sich, dass bei der Vielzahl der westfälischen Städte mit eigener Entwicklung die organisatorischen und finanziellen Möglichkeiten des Referates Archäologische Bauforschung für derart komplizierte und aufwendige Ausgrabungen nicht ausreichten. Als 1980 das preußische Ausgrabungsgesetz durch das Gesetz zum Schutz und zur Pflege der Denkmäler im Lande Nordrhein-Westfalen (Denkmalschutzgesetz) ersetzt wurde, trug der Landschaftsverband Westfalen-Lippe den hierin gesetzlich festgeschriebenen Aufgaben mit einer Neuordnung der Ämter Rechnung. Unter der Bezeichnung Fachreferat Mittelalter wurde die Abteilung Archäologische Bauforschung nun beim Westfälischen Museum für Archäologie/Amt für Bodendenkmalpflege angesiedelt und personell erheblich verstärkt. Damit wurden nicht nur die Arbeitsmöglichkeiten für die Stadtarchäologie erheblich verbessert, sondern auch die wissenschaftliche Erforschung der westfälischen Burgenlandschaft und der ländlichen Siedlungen vorangetrieben.

Zu den gesetzlichen Verpflichtungen der Fachämter zählten von nun an neben der Ausgrabungstätigkeit verstärkt die Unterschutzstellung solcher Bodendenkmäler, die die im Denkmalschutzgesetz geforderten Kriterien erfüllen, weiterhin als Träger öffentlicher Belange die Begutachtung der Bauleitplanung, um bodendenkmalpflegerische Belange bei anstehenden Baumaßnahmen möglichst frühzeitig einbringen zu können. Um diese Aufgaben umgehend in allen Bereichen wahrnehmen und vertreten zu können, war eine Bestandserfassung der Bodendenkmäler notwendig, die nicht nur ihre genaue Ansprache und Lage, sondern auch die Schrift- und Bildquellen dazu auszuwerten hatte. Umgesetzt und finanziert wurde diese Bestandsaufnahme, die so genannten Schnellinventarisation, zwischen 1982 und 1989 mit Hilfe des Landes NRW. Da insbesondere die Innenstadtbereiche von einem starken Veränderungsdruck betroffen waren und sind, lag der Schwerpunkt der Schnellinventarisation im Fachreferat Mittelalter auf der Erfassung der mittelalterlichen Städte Westfalens. Bis auf wenige Ausnahmen wurden die 172 Städte und stadtähnlichen Siedlungen, die nach C. Haase (1960) bis 1803 in Westfalen auszuweisen sind, bearbeitet, das heißt, es wurden archivalische und kartographische Quellen zu bestimmten Einzelobjekten gesammelt. Darunter fallen Kirchen, Klöster, Synagogen, Hospitäler, ebenso städtische Einrichtungen wie Rathaus, Tanzhaus, Stadtwaage, Marktplatz, Stadtbefestigung und städtische Mühlen, aber auch Stadtburgen und Burgmannssitze zählen zu den vorrangig bearbeiteten Denkmälern. Im Rahmen des Programms nicht zu leisten war die flächendeckende Erfassung der Bürgerhäuser, deren Bearbeitung eine intensive Auswertung der städtischen Archivalien erfordert hätte. Gleichwohl war ein Problem unübersehbar: Berücksichtigt wurden bei dieser Vorgehensweise hauptsächlich die Hinterlassenschaften der städtischen Oberschicht, nicht die der Unterschichten, die im gleichen Maße das mittelalterliche Bild der Städte ausgemacht haben, ohne dass ihre Wohnstätten individuell fassbar sind.

Die einzelnen Bausteine der Stadt mögen besondere Bedeutung im Stadtgefüge besessen haben, doch auch in ihrer Zusammenschau werden sie dem komplexen Gesamtorganismus Stadt nicht gerecht. Andererseits ist ein theoretisch zu forderndes Flächendenkmal Stadt, das ständigem Veränderungsdruck der Wirtschaft ausgesetzt ist, im bodendenkmalpflegerischen Alltag nicht umsetzbar. Als sinnvoll und machbar hat sich bewährt, große Freiflächen innerhalb der mittelalterlichen Städte als potenzielles Bodenarchiv und somit als Flächendenkmal in die Schnellinventarisation aufzunehmen und unter Schutz zu stellen, um so der mittelalterlichen Stadt in ihrer Gesamtstruktur zumindest ansatzweise gerecht zu werden.

Die Überprüfung von Freiflächen, deren mittelalterliche Bebauung und Nutzung nicht festzumachen ist, erfolgt durch das Mittel der archäologischen Prospektion. Durch Suchschnitte ist hier zu klären, ob der Denkmalwert dieser Flächen gegeben ist.

Lässt sich der Denkmalwert einer innerstädtischen Fläche begründen, wird in der Regel ein Unterschutzstellungsverfahren eingeleitet. Unterschutzstellung heißt allerdings nicht immer langfristiger Schutz des Bodendenkmals, da gerade die innerstädtischen Flächen bevorzugte wirtschaftliche Standorte darstellen und somit ein erheblicher Veränderungsdruck besteht. In Abwägung der öffentlichen Belange wird diesen wirtschaftlichen Interessen häufig Rechnung getragen und das Bodendenkmal vor dem Hintergrund übergeordneter städtischer Interessen aufgegeben. Auflage des Fachamtes allerdings ist, vor der Zerstörung des Bodendenkmals mit seinem unwiederbringlichen Aussagewert für die Stadt- und Landesgeschichte eine archäologische Untersuchung zu seiner Dokumentation durchzuführen. Wegen der Komplexität des Bodendenkmals ist dies einzig und allein durch eine den Bodeneingriff abdeckende Flächengrabung zu gewährleisten. In solchen Fällen liegen die Konflikte auf der Hand, die sich aus der Größenordnung der entstehenden Kosten wie auch der zeitlichen Kalkulation der Ausgrabung ergeben.


Ausgrabungen In der Bielefelder Innenstadt - Das Projekt "ArchäoWelle"

Die Gefährdung der unter Asphalt verborgenen Bodendenkmäler in westfälischen Städten lässt sich an einem Beispiel der jüngsten Vergangenheit hervorragend zeigen: Als letzte große Freifläche der im Zweiten Weltkrieg schwer zerstörten Stadt Bielefeld war der 4.000qm große Parkplatz zwischen den Straßenzügen An der Welle und Am Bach übrig geblieben. Ernst zu nehmende Pläne einer vollständigen Überbauung des Parkplatzes führten zur Unterschutzstellung des Areals auf dem vorstädtische Bebauung vermutet wurde und das Quartiere der Alt- und Neustadt einschließlich der sie trennenden Erstbefestigung umfasste. Im Vorfeld der geplanten Bebauung kam es zu intensiven Gesprächen zwischen Fachamt, Stadt und Investor sowie dem Ministerium für Städtebau und Wohnen, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen und der Gesellschaft für Arbeit- und Berufsförderung (GAB), in denen die Belange des Bodendenkmals, die städteplanerischen Überlegungen und die Interessen des Investors Berücksichtigung fanden. Gleichzeitig wurde ein Grabungsschnitt zur Überprüfung der Befundlage angelegt. Am Ende der Gespräche und der Auswertung des Probeschnittes stand fest, dass eine zweijährige Flächengrabung unumgänglich war. Ein wichtiges Ergebnis war auch, dass die die Stadtstruktur betreffenden archäologischen Ergebnisse in die Neubebauung einfließen sollten. Einem entsprechenden Entwurf wurde im Realisierungswettbewerb Neubebauung "Parkplatz Welle" am 12.12.2000 der 1. Preis zugesprochen. Aus Sicht vieler interessierter Bielefelder Bürger dürfen die aussagekräftigen Grabungsbefunde an der Welle nicht nur in der Grabungsdokumentation festgehalten werden, sondern sie müssen so aufbereitet werden, dass sie der Öffentlichkeit in verständlicher Form die Vergangenheit ihrer Stadt vor Augen führen, dies umso mehr, als selbst Teile der historischen Bausubstanz in die Neubebauung miteinbezogen werden.


Zerstörung und Bewahrung eines Bodendenkmals: Der Alte Hof in Ahlen

Nicht immer muss die Lösung so aussehen wie in Bielefeld, die mit der vollständigen Zerstörung des Bodendenkmals einhergeht. Wie im Fall von Bielefeld war auch in Ahlen der vorstädtische Mittelpunkt, der für die Stadtentstehung wichtige Hof der Bischöfe von Münster, bekannt und als Bodendenkmal geschützt. Die Überbauung eines Teilbereiches dieses Bodendenkmals konnte nicht verhindert werden, und es mussten in den Jahren 1997 bis 2000 archäologische Untersuchungen durchgeführt werden. Aufgrund von Verhandlungen des Fachamtes mit dem Bauherrn ließ sich aber nachfolgend für die noch verbliebenen Flächen eine Umplanung erreichen. Von einer Unterkellerung wurde abgesehen und das neu zu errichtende Gebäude auf Streifen- und Punktfundamente gegründet. Der Erhalt des Bodendenkmals unter der Bodenplatte ist somit für die nächsten Jahrzehnte gesichert.


Die Klockenstraße in der Warburger Altstadt einst und jetzt

Im Zuge der seit 1980 in Gang gesetzten Altstadtsanierung wurde der chemische Betrieb Brauns-Heitmann zwischen Klockenstraße und Josef-Kohlschein-Straße aus der Warburger Altstadt verlegt und ein Ideenwettbewerb ausgeschrieben, um eine den Zielen der Altstadtsanierung entsprechende Neubebauung zu entwerfen. Diese sollte der ortstypischen traditionellen Blockrandbebauung entsprechen, für die u.a. tiefe Hausgärten charakteristisch sind. Eine Verdichtung der Bebauung war nach Ansicht der Städteplaner zu vermeiden, weil man dem Urkatasterbefund zu folgen beabsichtigte. Aus der Urkatasterkarte von 1838 hatten sich Anhaltspunkte dafür ergeben, dass Zusammenlegungen von Grundstücken im betroffenen Areal stattgefunden hatten und deshalb das ursprüngliche Siedlungsgefüge kaum noch zu erschließen war. Die nur geringfügig anzusetzenden modernen Bodeneingriffe durch die kaum unterkellerten Fabrikgebäude der Firma Brauns-Heitmann hätten aber eine hervorragende Ausgangssituation geboten, um durch archäologische Untersuchungen im Vorfeld der Maßnahme die Basis für eine den formulierten Zielen entsprechende Neubebauung zu liefern. Doch eine rechtzeitige Beteiligung des Westfälischen Museums für Archäologie an den Planungen unterblieb, und erst ein Hinweis aus der Bevölkerung war Ausgangspunkt für eine kurzfristige und zeitlich begrenzte Notuntersuchung im Jahr 1991. Die hierbei erfasste sehr aussagekräftige Stratigraphie ergab wichtige Einblicke in den Aufbau des mittelalterlichen Siedlungsgefüges der Altstadt und hätte, wenn die fnanziellen Möglichkeiten für eine mehrjährige Flächengrabung eingeräumt worden wären, die Geschichte eines Stadtquartiers vom 12. Jahrhundert bis in die Gegenwart dokumentiert. Nicht nur für die Rekonstruktion vergangener Epochen, sondern auch für die Gestaltung der Altstadt in der Zukunft wurde eine wichtige Chance vertan: Statt der traditionsreichen und durch Jahrhunderte immer wieder aufgegriffenen giebelständigen Bebauung an der Klockenstraße geht nun die Hauptwirkung von zwei mächtigen traufseitigen Baublöcken aus, die der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Stadtstruktur an dieser Stelle nach den Ergebnissen der archäologischen Untersuchung nicht entsprechen.

Die Diskrepanz zwischen ergrabener Baustruktur und umgesetzter Baumaßnahme wurde der Warburger Öffentlichkeit 1995 nicht nur in einer Ausstellung zur Ausgrabung, sondern auch in der Begleitpublikation "Mittelalterliches Leben an der Klockenstraße" vor Augen geführt.

Dieses für die Neugestaltung der Altstadt schlecht abgestimmte Vorgehen und weitere Konfliktfälle, die nicht ausbleiben können in einer Stadt, die so reich an Bau- und Bodendenkmälern ist wie Warburg, dürften Ausgangspunkt dafür gewesen sein, endlich Klarheit zu schaffen über den Denkmalbestand der Stadt Warburg mit dem Ziel größerer Planungssicherheit. Um dieses Ziel zu erreichen, wurde die Fachhochschule Köln hinzugezogen, die 1998/99 die Archäologische Bestandserhebung in Warburg im Rahmen eines der Arbeitsgemeinschaft der historischen Stadt- und Ortskerne in NRW umfassenden Projektes durchführte. Im Folgenden soll dieses näher erläutert werden.


Die Ziele und Methoden der Archäologischen Bestandserhebung in NRW

Auf Initiative des Ministeriums für Stadtentwicklung und Verkehr des Landes NRW sowie der Bodendenkmalpflegeämter der beiden Landschaftsverbände Westfalen-Lippe und Rheinland wurde 1991 das Projekt "Archäologische Beandserhebung in historischen Stadt- und Ortskernen in Nordrhein-Westfalen" ins Leben gerufen. Die Ausführung des Projektes obliegt bis heute dem Fachbereich Architektur, Forschungs- und Entwicklungsschwerpunkt Baudenkmalpflege und Restaurierung der Fachhochschule Köln.

Das Projekt fußt auf den Ergebnissen der Schnellinventarisation der 80er Jahre,
durch die Bodendenkmalämter erarbeitet wurden, und trägt in bislang nicht gekanntem Maße alle für die Erfassung von Bau- und Bodendenkmälern wichtigen Informationen zusammen. Die Datenbank erfasst Literatur, Bildmaterial, Stadtansichten, Karten, Planmaterial sowie eine Übersicht über die historischen Quellen, die in einem ersten Arbeitsschritt in Zusammenschau für die Siedlungsgeschichte der Stadt und ihre Einzelobjekte ausgewertet werden. Der zweite Arbeitsschritt beschäftigt sich mit der Darstellung des archäologischen Forschungsstandes und ist deshalb umso wichtiger, als erstmals akribisch alle bisher im Stadtgebiet erfassten Fundstellen, vom einzelnen Bodenfund bis zur Großgrabung, zusammengetragen werden. Wichtig in diesem Zusammenhang ist die Kartierung aller Ergebnisse unter Hinzuziehung der Urkatasteraufnahme aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in einem Kartenwerk, das sich mit dem vorhandenen Baubestand ebenso beschäftigt wie mit der Siedlungsgenese und den Siedlungsschwerpunkten, mit Stadtquartieren und Einzelobjekten.

Bislang noch niemals flächendeckend durchgeführt worden ist die Kartierung aller bekannten innerstädtischen Bodeneingriffe, angefangen bei Leitungs- und Rohrtrassen bis hin zu großflächigen Maßnahmen wie beispielsweise Tiefgaragen. Erfasst und kartiert wurden durch Begehungen auch sämtliche zugänglichen Keller der jeweiligen Altstädte, um so Aufschluss über den Erhaltungszustand des Bodendenkmals "Stadt" zu erlangen. Nebenprodukt bei diesen Begehungen waren Informationen über das Baumaterial der Keller sowie deren bauliche Ausführung, die wichtige Anhaltspunkte für ihr Alter liefern. Die jeweiligen Ergebnisse wurden detailliert auf Karten festgehalten und bieten einen eindrucksvollen und differenzierten Überblick über den Zerstörungsgrad des Bodendenkmals Stadt, aber auch über die Flächen im Stadtgefüge, auf denen Archäologie einen wertvollen Einblick in die Stadtgeschichte leisten kann, um zum Ausgangspunkt für eine konfliktfreie und sich mit Traditionen auseinander setzende Stadtplanung zu werden (Karte 1). Auf diese Weise bearbeitet wurden bislang die im Mittelafter überregional bedeutenden Städte Minden und Soest, aber auch kleinere und mittlere Städte wie Detmold, Freudenberg, Tecklenburg, Warburg und Wiedenbrück.

Bietet die "Archäologische Bestandserhebung" bislang die beste Handhabe, Bodendenkmäler zu lokalisieren, zu schützen oder aber im Vorfeld geplanter Baumaßnahmen archäologisch zu untersuchen, so deckt sie doch nicht alle Facetten des bodendenkmalpflegerischen Alltags ab, denn auch durch dieses enge Raster fallen Überreste der Vergangenheit, die außer im Boden keinerlei Spuren hinterlassen haben, zu denken ist an Bodendenkmäler aus der an Nachrichten armen vorstädtischen Zeit des 9.-12. Jahrhunderts, aber auch aus dem Lebensumfeld ärmerer Bevölkerungsgruppen. Gerade in diesen beiden Fällen bietet die Archäologie die einzige Möglichkeit, fundierte Kenntnisse zu sammeln.

Das Wissen um die Lückenhaftigkeit der nichtarchäologischen Quellen hat gezeigt, dass die Methode der archäologischen Prospektion wie Baustellenbeobachtungen und Suchschnitte unverzichtbar für die Erforschung der mittelalterlichen Stadt sind, führen sie doch immer wieder zu überraschenden Ergebnissen. Denn wer hätte sich schon vorstellen können, dass im Süden und Westen um die karolingische Domburg in Paderborn ein ca. 50 m breiter Streifen bis in 13m Tiefe unter heutiges Niveau ausgebrochen wurde. Der gewonnene Kalk diente als Baustoff für die Domburg und der entstehende Graben war geplanter Bestandteil der Domburgbefestigung.


Die Fachämter des Landschaftsverband Westfalen-Lippe und die kommunale Archäologie in Westfalen: Ein Erfolgsmodell

Die Instrumentarien von Bestandserhebung und Prospektion gewinnen an Durchschlagskraft, wenn Städte selbst in der Lage sind, geeignetes Fachpersonal zur Nutzung und Umsetzung der Bestanderhebung sowie zur Durchführung archäologischer Prospektionen einzusetzen. Informationsvorteile und kurze Verwaltungswege vor Ort haben in den letzten beiden Jahrzehnten zur Einrichtung von Stadtarchäologien in nachgewiesenerweise alten und bedeutenden Städten Dortmund, Höxter, Münster und Soest geführt (s.o.), während in Paderborn die mittelalterliche Stadt von der Außenstelle des Westfälischen Museums für Archäologie in der Paderborner Kaiserpfalz betreut wird. Dies bedeutet, dass zwei von drei Bischofsstädten Westfalens sowie die beiden bedeutendsten Handelsmetropolen eine intensive archäologische Betreuung erfahren, eine wertvolle Unterstützung für das Westfälische Museum für Archäologie/Amt für Bodendenkmalpflege, das über die Gebietsreferate und das Fachreferat Mittelalter- und Neuzeitarchäologie die fachliche Oberaufsicht auch für diese Städte innehat.

Die besondere Konzentration des Fachamtes, in dessen Zuständigkeitsbereich alle Kommunen Westfalens fallen, auf die wesentlich größere Zahl der übrigen Städte zeigt sich in mehrfacher Hinsicht: Zum einen erfordert eine Betreuung des westfälischen Landesteils mit einer Vielzahl von Städten, die im Mittelalter Bestandteile und Zentren verschiedener Territorien gewesen sind, einen besonderen Überblick und Aufgeschlossenheit für die individuellen Entwicklungen der einzelnen Städte, zum anderen resultiert daraus die Fähigkeit, gleiche wie unterschiedliche Entwicklungen zu erkennen und in übergreifenden Publikationen darzustellen. Diese Möglichkeiten ergeben sich gerade auch durch die Koppelung verschiedener Wissenschaftsdisziplinen innerhalb des Fachreferates, in dem neben der Archäologie Siedlungsgeographie, Kunstgeschichte und mittelalterliche Geschichte betrieben und mit der archäologischen Forschung eng verzahnt werden. Diese Arbeitsweise kommt der Auswahl der archäologischen Untersuchungen ebenso zugute wie deren Auswertung in umfangreichen Einzelpublikationen. Ausgrabungsaktivitäten, die die genannten Wissenschaftsdisziplinen einbeziehen, haben in den letzten beiden Jahrzehnten fast in allen Kommunen stattgefunden und zur Bereicherung u.a. der mittelalterlichen und neuzeitlichen Stadtgeschichte beigetragen.




DATUM AUFNAHME2004-11-05
AUFRUFE GESAMT1401
AUFRUFE IM MONAT2