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TITELGeschichte der Wiedertäufer zu Münster in Westfalen
AUFLAGE3. Aufl.


ORTMünster
JAHR1929


ONLINE-TEXTKapitel 8: Von der Eintheilung der Einwohner der Stadt [Auszug]
SEITES. 092-095


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[S. 92] Was den weltlichen Stand betrifft, so ist derselbe in Ansehung seiner Lebensart, seiner Sitten und Kleidung von dem geistlichen sehr unterschieden. Ich theile denselben in zwo Classen ein. Die eine machen die Patricier, und die andere die gemeinen Bürger aus. Denn die Ritterschaft ist weder den Satzungen des Volks noch den Stadtgesetzen unterworfen, und hat auch keinen Antheil an dem Bürgerrecht; sondern diese Ritter wohnen (obgleich einige von ihnen in der Stadt ansehnliche Palläste besitzen) ausserhalb der Stadt, der eine hier, der andere dort, auf ihren bevestigten Schlössern, wo ein jeder seine Rechte vertheidiget, und folglich einen vierten, von den übrigen drei Ständen des Bisthums verschiedenen Stand ausmachen. Sie leben von den Producten ihrer Ländereien und vom Ackerbau. Ich habe also die Laien der Stadt mit Recht in zwei Classen eingetheilet, aus welchen die dritte entspringt. Denn aus beiden Ständen werden durch die Mehrheit der Stimmen alte, erfahrene Manner, die wohlhabend sind, und vor andern ein unsträfliches Leben führen, wenn sie gleich keine Gelehrte sind, zu Rathsherren erwählet, denen die politische Verwaltung der Republic aufgetragen wird. Es sind aber der Rathsherren vier und zwanzig an der Zahl, welche zehen Stimmführer, oder Wahlpersonen (die vordem allein von den Handwerkern, ist aber viertelsweise von der ganzen Bürgerschaft erwählet werden,) jährlich in der verschlossenen Rathsstube zu dieser Ehrenstelle ernennen; welche, da sie wegen ihr Alter und ihrer Klugheit ehrwürdig sind, Senatoren (Rathsherren) genennet werden, und die Angelegenheiten des ganzen Viertels besorgen; in so fern sie aber die Vorsteher einer jeden einzelnen Zunft, oder Leuschoppen, wie sie es nennen, sind, heissen sie Schöffen, welche in ihren Vierteln die Streitigkeiten der Bürger, fürnämlich solche, die über das Bauwesen entstehen, auch vorhergegangener Localbesichtigung entscheiden, damit nicht der ganze Rath, als welcher mit wichtigern Dingen beschäftiget ist, mit dergleichen minderwichtigen Sachen belästiget werde.

[S. 93] Es ist aber die Stadt in sechs Viertel, oder Theile, nach ihrer Lage eingetheilet; nämlich in das Martinische, Lambertinische, Ludgerische, Liebenfrauen und Judenfelder Viertel. Aus einem jeden der vier ersten werden zwei, aus jedem der beiden leztern aber wird nur eine Wahlperson ernennet: daß also nicht Zwölf, sondern nur Zehen derselben sind, durch deren Stimmen die Raths-Glieder, sowohl aus dem Volk, als auch aus den Patriciern erwählet werden. Schlägt der Erwählte die ihm angetragene Rathsherrnstelle aus, so wird er, als ein Hasser der allgemeinen Wohlfarth, nicht nur um Geld, sondern auch mit der Verweisung aus der Stadt auf ein ganzes Jahr, und mit dem Haß der Bürger gestrafet. Diese Magistratspersonen werden, nach ihren Aemtern in gewisse Classen eingetheilet, welche aber nicht durch die, oben erwehnte Wahlpersonen bestimmet werden; sondern die durch die Mehrheit der Stimmen erwählte Rathsglieder theilen solche, zum Wohl des gemeinen Wesens, unter sich selbst aus. Die Häupter des Raths und der ganzen Bürgerschaft sind zwei Bürgermeister, welche in Ansehung ihrer Sorgfalt, Treue, Wachsamkeit, Klugheit, Authorität und langen Erfahrung vor allen übrigen den Vorzug haben. Ferner sind zwei von den Gliedern des Raths, sogenannte Weinherren, denen die Sorge für den Rathsweinkeller und den Wein aufgetragen ist. Dann sind zwei Gerichtsherren, oder Beisitzer, welche dem Stadtrichter beigegeben sind, und demselben in Untersuchungen der Rechtshändel und in Abfassung der Urtheile behülflich sind. Ferner etliche Bauherren, welche die Aufsicht über die öffentlichen Gebäude und über die Festungen der Stadt haben. Zwei Rentherren, welche für die Einkünfte der Stadt sorgen; wovon aber zwei Rathsglieder unterschieden sind, welche, da sie den Zins von dem sogenannten Myrthenbier, so vordem in der Stadt häufig getrunken wurde, und welches man mit einem neuen Namen Scormorrium beleget hat, einnehmen, die Scormor- oder Grutherren heissen. Denn die Abgabe von diesem Getränk war die beträchtlichste unter allen, daher die, demselben ehemahls beigelegte Benennung noch bis auf den heutigen Tag beibehalten wird. Dann sind zwei Glieder des Raths Beisitzer in dem sogenannten westphälischen heimlichen Gerichte, welches, um die Missethäter zu bestrafen, gehalten und das Freigrafengericht genannt wird. Dieses Gericht wird ausserhalb der Stadt, an einem einsamen, mit Eichbäumen umgebenen Ort gehalten. Heut zu Tage [S. 94] aber büsset man die Verbrechen nicht mehr, wie vordem, mit dem Strang, sondern mit Geld. Ferner sind zwei Bierherren, deren die Sorge für das einheimische sowohl, als auch für das fremde Bier aufgetragen ist, und die dahin zu sehen haben, daß das Bier nicht theuerer, als nach seinem wahren Werth verkaufet werde. Imgleichen sind zwei Kleiderherren in der Stadt, die also genennet werden, weil sie die Armen mit Kleider versorgen, welche auch die Vorgesetzten der Verwalter aller Armenhäuser in der Stadt, und der öffentlichen Allmosen, die in einem ieden Kirchspiel ausgetheilet werden, sind. Zwei Rathsherren haben die Aufsicht über das, zwischen den Brücken gelegene Hospital für Fremde, zwei über das Siechenhaus, welches ausserhalb der Stadt liegt; zwei über das Hospital der alten Männer, und zwei über die Ziegelbrennerei. Dieses ganze Rathscollegium bestand vordem aus lauter Patriciern; nach und nach aber nahm man auch etliche aus dem Volk darinn auf, so, daß allemahl einer von den gemeinen Bürgern, zu einem der zween Bürgermeister erwählet, und die übrigen Rathsherrenstellen theils Patriciern, theils gemeinen Bürgern, in gleicher Anzahl aufgetragen wurden. Diese Verfassung dauerte so lange, bis die Patricier anfingen, nach dem Ritterstand zu streben, den öffentlichen Ehrenämtern sich zu entziehen, und die Rechte der Stadt nicht mehr zu achten; aus welcher Ursache ist wenige Patricier, und zwar ungerne sich zu diesem Rathsherrenstand bekennen.

Die Authorität dieser obrigkeitlichen Personen ist sehr groß in der Stadt. Bei ihnen stehet es, zu binden und loszulassen; Rechte zu stiften, und die gestifteten wieder aufzuheben; zu besehlen und zu verbieten; die Schuldigen zu bestrafen und freizusprechen; imgleichen Kupfermünzen zu schlagen, (die aber doch nur unter den Einwohnern der Stadt gelten.) Diese Herren haben das Recht, diejenigen geistlichen Beneficien, welche der Magistrat vergeben kan, nicht allein Gelehrten und Erwachsenen; sondern auch Kindern, die aber doch von guter Art seyn müssen, so, daß man von ihnen eine gegründete Hofnung hegen darf, sie werden dereinst rechtschaffene Männer werden, oder solchen, deren Eltern sich auf irgend eine Weise um den Staat verdient gemacht haben, zu ertheilen: Mit einem Wort, das Ansehen dieser Herren ist so gros, daß ihnen nicht nur die Gassen, sondern auch die Mauern und Thürme der Stadt; nicht nur die Geringen, und die vom bür [S. 95] gerlichen Stande; sondern auch die Vornehmen und die Patricier gehorchen. Es hat auch dieses Rathscollegium einen Sprecher oder Syndicus, der sehr reichlich besoldet wird; ferner einen Secretair, und einen Rathsstubenwärter; imgleichen vier reitende Gerichtsdiener, sechs Rathsdiener und einige Boten, welche letzere das silbeene Stadtwappen auf der Brust, und eine Schnur silberner Buckeln um den linken Arm tragen; nicht minder hat dasselbe einen Scharwachtmeister, dem die Sorge für die Nachtwachen und nächtlichen Unruhen aufgetagen ist; zuletzt einen Scharfrichter, der den Bösewichtern zum Schröcken dienet, und zum Unterscheid von andern Bedienten ein grünes Kleid trägt.

Es sind aber die adlichen Patricier Bürger und Abkömmlinge der alten Geschlechter, welche gemeiniglich Erbmänner genennet werden, das ist, eingebohrne und erbliche Nachfolger der Rechte ihrer Vorfahren, welche die angestammten Wapen ihrer Ahnen unbefleckt auf ihre Nachkömmlinge bringen, und keinen vom bürgerlichen Stande; wenn er gleich sehr reich ist, unter sich aufnehmen, es wäre denn, daß er von patricischen Eltern abstammete. Daher kömmt es, daß dieser, von dem bürgerlichen unterschiedene Stand bereits seit geraumer Zeit sich in seinem Wesen erhalten hat. Diese Patricier leben von ihren Renten und von der Landwirthschaft und ahmen den Rittern nach. Inzwischen schliessen wir sie doch nicht von der Zahl der Bürger aus, indem sie patricische, die übrigen aber gemeine Bürger, beide aber den Gesetzen der Stadt unterworfen sind. Zu diesem Orden der Patricier rechne ich auch diejenigen Personen, die durch ihre Gelehrsamkeit gleichsam geadelt sind, ich meine die Doctoren und Licentiaten aller Facultäten, ob sie gleich ursprünglich gemeinen Bürgerstandes sind.

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QUELLE     | Geschichte der Wiedertäufer zu Münster in Westfalen | S. 092-095

DATUM AUFNAHME2008-08-06
AUFRUFE GESAMT1681
AUFRUFE IM MONAT99