QUELLE

DATUM1933-01-16   Suche   Suche DWUD
TITEL/REGESTHitlers Pyrrhus-Sieg. Artikel aus: Germania, 16.01.1933
TEXTEs gibt Leute, die nach Lippe gegangen sind, wie zu einer alten Wahrsagerin. Weil sie selbst nicht mehr an ihre Zugkraft glaubten, mußten sie sich in diesem kleinsten deutschen Land die Bestätigung dafür holen, daß sie noch am leben sind. Dieses Alibi hat Adolf Hitler in Lippe erhalten. Er hat 5.800 Stimmen gewonnen, d.h. gegenüber der letzten Reichstagswahl. Den Höchststand seiner Bewegung vom Juli 1932 hat er trotz des Einsatzes aller Reserven auf diesem Miniaturschlachtfeld nicht mehr zu erreichen vermocht. Selbstverständlich beeilt sich die Reichspressestelle der NSDAP, zu verkünden, daß "die Stagnation der NSDAP völlig überwunden" sei, daß "eine neue Aufwärtsentwicklung der Bewegung nunmehr begonnen habe". 5.800 Stimmen! Wie ist Hitler doch bescheiden geworden. Daß der ganze Stab der NSDAP, einschließlich aller Chefs, dazu nötig war, daß Hitler selbst im wahrsten Sinne des Wortes "auf die Dörfer gehen" mußte, um 5.800 Stimmen zu erjagen und das Alibi dafür zu erhalten, daß er wirklich noch nicht tot ist, das tut ja nichts zur Sache. Der Effekt wird natürlich der sein, daß die Richtung Göring, Goebbels wieder Oberwasser bekommt und dem großen Führer klarmachen wird, daß Lippe gleich Deutschland sei. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit für eine neue Wahlprobe im Reiche. Es wird sich sehr bald zeigen, ob dieser Pyrrhus-Sieg in Lippe sich gelohnt hat.

Überraschend an dem Wahlergebnis in Lippe ist der Erdrutsch Hugenbergs. Er, der im November einen schwachen Versuch zum Wiederaufstieg machte, ist in dem kleinen Lippe fast um die Hälfte seiner Reststimmen gekommen. Von 9.750 Wählern im November hat er diesmal noch ganze 5.900 für sich gemustert. In deutsch-nationalen Kreisen zerbricht man sich bereits den Kopf, wie dieser "Erfolg" trotz des persönlichen Eingreifens Hugenbergs möglich sein konnte. Man meint, den Konflikt Landbund-Schleicher zur Erklärung heranziehen zu können. Ob er dazu ausreicht, möchten wir bezweifeln. Man schaue sich besser einmal den "Führer" an, der zu solchen "Siegen" emporführt.

Interessant ist das Abschneiden der Sozialdemokraten. Sie waren in Lippe immerhin seit 1919 Regierungspartei. Verantwortung soll nicht immer gut bekommen. Trotzdem haben sie seit November nicht unwesentlich Stimmen gewonnen. Sie sind also auch "im Vormarsch". Hitler holte seine Stimmen von Hugenberg, die Sozialdemokraten nahmen sie den Kommunisten, also Politik mit umgekehrtem Vorzeichen!

Man sollte dafür sorgen, daß Lippe die Bedeutung, die man seiner Wahl beimißt, nicht in den Kopf steigt. 100.000 Wähler sind nicht Deutschland, vor allem dann nicht, wenn man sie drei Wochen lang den Delirien einer hemmungslosen Demagogie aussetzt. In Lippe wird es sehr bald wieder ruhig werden. Man wird sich den Kopf darüber zerbrechen, mit wem gemeinsam die neuen Nationalsozialisten eine Regierung bilden sollen. Gelingt dieses Experiment, dann wird man von dieser Lippe-Wahl nur noch als von Kuriosität der parlamentarischen Entwicklung reden, wie sie Hitler dem deutschen Volk schon mehrfach präsentiert hat.


QUELLE    Helmert-Corvey, Theodor | Nationalsozialismus - Wahl in Lippe | Dokument 13, S. 48f.


PROJEKT    Diaserie "Westfalen im Bild" (Schule)
SYSTEMATIK / WEITERE RESSOURCEN  
Typ1.3   Einzelquelle (in Volltext/Regestenform)
Zeit3.9   1900-1949
DATUM AUFNAHME2004-02-08
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