QUELLE

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DATUM1914-08-02   Suche   Suche DWUD
URHEBER/AUSSTELLERZwirner, Kurt, Leutnant zur See
EMPFÄNGEREltern und Geschwister (Namen unbekannt)
AUSSTELLUNGSORTWilhelmshaven
GEOPOSITIONGoogle MapsOSM| 53.506212514165966 (NS), 8.150130866992185 (EW) (nicht-exakt)
TITEL/REGESTBrief des Leutnants zur See Kurt Zwirner an seine Eltern und Geschwister über die Mobilmachung und die euphorischen Reaktionen an Bord vor Wilhelmshaven
TEXTVor Wilhelmshaven, den
2. Aug. 1h nachts

Geliebte Eltern!
Liebste Geschwister!

Wenn Ihr das doch hier hättet mit erleben kön-
nen! Wie ich Euch gestern kurz mitteilte, sind wir
am 31. Juli nachm.[ittags] 5 Uhr ca. durch d. Kaiser Will-
helmkanal gegangen, heute am 1. Aug. sind wir vor
Wilhelmshaven um 4 h nachm.[ittags] vor Anker gegangen. Wir
fuhren am 1. Geschwader vorbei; von allen mit Hurrah be-
grüßt. Wußten sie wohl schon mehr wie wir? Wir wussten
nichts. Jeder Funkspruch brachte neues, bald bedrohlicher,
bald weniger. Da: eben war gekommen: Feuer ausmachen,
Ich also, es scheint nicht mehr brennend zu sein. Der
nächste Funkspruch: Seine Majestät d. Kaiser habe
die Mobilmachung von Heer u. Flotte für d. 2. August befohlen.
Sofort natürlich: Alle Mann achteraus u. d. Komman-
dant gab den Befehl bekannt. Solch begeistertes Hurrah, wie

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dieser Befehl auslöste, Ihr könnt das nicht ausdenken.
Und dann d. Feiern. Die Mannschaft ist in einer Stimmung, wie
sie nicht besser sein kann. Wir Offiziere saßen zusammen. Im-
mer wieder wurde man geholt, mitzusingen, Hurrahs
über Hurrahs auf alles mögliche. Um ½ 12 war Schluß
in der Offiziersmesse. Um 12, der ersten Stunde des 1. Mo-
bilmachungstages, bekam ich Mittelwache. Bis eben habe ich
die Kerls zur Ruhe gebracht, fast eine Stunde hat es ge-
dauert. Immer wieder die Wacht am Rhein, das Flottenlied,
u. Hurrah auf die Artillerie, die Torpedowaffe, die Division,
unseren Herrn Leutnant usw. usw. Aber sie mußten in
die Koje. Morgen gibt es noch harte Arbeit. Aber das
wird ein Arbeiten sein, eine Lust. Das kann man alles
gar nicht so beschreiben, wie herrlich das ist. Dabei wissen
wir gar nicht gegen wen das geht. "Für Kaiser und Reich", das
hört jetzt auf, eine bloße Phrase zu sein. Selbst wie
die Leute ja etwas nachher durch Alkohol animiert waren,
so war es doch erhebend, wie auch die sonst Schlechtesten
begeistert waren; die Reservisten, die also Oktober

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zur Entlassung kommen sollten, nur noch nach Ta-
gen rechneten, die zerbrachen ihre Reservistenstöcke u.
hielten begeisterte Reden. Welcher Jubel, als die Rede
Seiner Majestät vorgelesen wurde, die er gestern Abend vom
Balkon an die Menge in Berlin gerichtet hat.
Jetzt auf Wache schreibe ich Euch diesen Abschiedsgruß.
Kann ich Euch als letztes was Schöneres schreiben, als
daß hier solche Begeisterung herrscht, daß hier jeder,
nicht nur der Offizier, weiß, daß es ein verzweifeltes Ringen
wohl gegen halb Europa wird, u. daß da doch jeder
nur an d. allgemeine Wohl d. Vaterlandes denkt? Die
Stimmung unserer Leute ist herrlich, so muß es werden.
Gegen wen werden wir bloß alles losziehen. Wird Eng-
land unser Gegner sein? Wir wissen nichts Positives.
Dann saßen eine Menge Leute doch auch unten u.
schrieben noch einen Gruß nach Haus; die meisten an die
Eltern, ich fragte welche, nur wenige Leichtfüße schrieben
an die Braut.

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Ich möchte nun auch noch Euch einen letzten Gruß senden.
Gestern habe ich mein überflüssiges Geld an Euch abge-
sandt. Ist mein Koffer schon angekommen. Bei L[eutnan]t Geist
in Kiel, Holtenauerstr. 83 habe ich den Hauskoffer u. 2 klei-
nere leere Taschen stehen, mein Geschirr hat L[eutnan]t Stöcken.
Lieferanten habe ich, glaube ich, alle angewiesen. Die Wilhelms-
havener Waschfrau soll euch[1] die Rechnung schicken, ca. 10-15 M[ar]k.
Ob ich bei Fr. Ballentin - Waschanstalt in Kiel noch eine
Kleinigkeit stehen habe, weiß ich nicht genau. Es kann sein,
den Monat Juli mit 18.- M[ar]k. Bertling ist alles
angewiesen bis auf 6 Kragen u. 3 P[aar] Strumpf. Ich wollte
bloß alles noch klarstellen. Was mir sonst noch ein-
fällt, werde ich aufschreiben, außerdem weiß mein
Bursche Hoffmann Bescheid.
Nun lebt wohl geliebte Eltern u Geschwister.
Seid viel-vielmals herzlich gegrüßt u. geküßt von
Eurem Euch innig liebenden Sohn u. Bruder
Kurt.
Lebt wohl, lebt wohl!

[1] Original: ich.


PROVENIENZ  Landesarchiv NRW Abteilung Westfalen
BESTANDNachlass Zwirner
SIGNATURNr. 17


MATERIALPapier
SPRACHEdeutsch
ÜBERLIEFERUNGSARTOriginal


PROJEKT    Der Erste Weltkrieg in Westfalen - Ausgewählte Archivquellen
SYSTEMATIK / WEITERE RESSOURCEN  
Typ45   Brief, Bildpostkarte / Briefsammlung
Zeit3.9   1900-1949
Ort1.10.6800   Wilhelmshaven, Stadt
Sachgebiet5.7   Soldatinnen/Soldaten
5.7.2   Kriegsalltag / Soldaten
DATUM AUFNAHME2014-03-06
DATUM ÄNDERUNG2014-04-03
AUFRUFE GESAMT6430
AUFRUFE IM MONAT1533