QUELLE

DATUM1957-05-31   Suche   Suche DWUD
AUSSTELLUNGSORTArnsberg
TITEL/REGESTVernehmung des Beschuldigten Helmut Gaedt im Vorfeld des Prozesses betr. die Ermordung von 208 Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern im März 1945 im Raum Warstein durch den Untersuchungsrichter Meyer, hier zu seiner Rolle bei der Eversberger Erschießungsaktion
TEXT3 Js. 27/55. Arnsberg, den 31. Mai 1957

Gegenwärtig:
Landgerichtsrat Meyer als Untersuchungsrichter,
Justizangestellter Steinem als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle.

In der Strafsache ./. [Wolfgang] Wetzling u[nd] And[ere] erscheint auf Ladung der Angeschuldigte [Helmut] Gaedt.

Zur Person:
Wie Band I, Blatt 175.
Der Angeschuldigte erklärte:
Die Verfügung vom 22.5.1957 über die Eröffnung der Voruntersuchung ist mir zugestellt worden und bekannt.

Zur Sache:
Ich bin bis Karfreitag 1945 in Suttrop/Warstein gewesen. An diesem Tage habe ich Suttrop/Warstein mit einem Abwicklungskommando des Stabes verlassen. Ich kann zwar Datum oder Wochentag der von mir geleiteten Exekution nicht mehr angeben. Mit Sicherheit kann ich aber sagen, dass die mich betreffende Exekution in der Woche vor der Karwoche 1945 stattgefunden hat. Ich meine jedenfalls, dass die Erschiessungen, an denen ich beteiligt war, in der ersten Hälfte der vor der Karwoche liegenden Woche durchgeführt worden sind.

An einem Vormittag in der Woche vor der Karwoche 1945 rief mich der Angeschuldigte [Johannes] Miesel telefonisch zu sich in sein Dienstzimmer. Er erklärte mir dort, der augenblickliche Zustand mit den Fremdarbeitern sei unhaltbar. Es seien zahlreiche Plünderungen vorgekommen. Es sei auch ein Teil der Plünderer bereits festgenommen worden. Der Divisionskommandeur Dr. [Hans] Kammler habe befohlen, [S. 2] die Plünderer zu erschiessen. Mir befahl Miesel dann unter Berufung auf diesen Befehl Dr. Kammler‘s, in der kommenden Nacht die Leitung bei der Erschiessung von festgenommenen Fremdarbeitern zu übernehmen, die als Plünderer festgenommen worden seien. Ich wandte ein, warum ich gerade als Waffen- und Geräte-Offizier diesen Befehl auszuführen hätte. Miesel entgegnete, ich sei Offizier und hätte als solcher den Befehl auszuführen. Eine Nichtausführung des Befehls sei eine Befehlsverweigerung vor dem Feinde gleichzuachten. Damit war mir klar, dass ich im Falle einer Verweigerung der Befehlsausführung erschossen würde. Ich erhob gegenüber Miesel nicht etwa deshalb Einwendungen, weil ich die Anordnung Dr. Kammler‘s für unrechtmäßig gehalten hätte. Sie kam mir nur sehr hart vor und es war mir unangenehm, mit einer solchen Aufgabe beauftragt zu werden. Ich war aber der Meinung, dass es sich tatsächlich um festgenommene Plünderer handele und dass in den damaligen Tagen des zu Ende gehenden Krieges Dr. Kammler als Oberster Gerichtsherr der Division auch die Befugnis habe, den genannten Erschiessungsbefehl zu erteilen. Eine schriftliche Anordnung über die Erschiessung habe ich nicht gesehen und auch nicht verlangt. Ich habe auch keine Namensliste über die zu erschiessenden Fremdarbeiter gesehen. Ich war aber der Überzeugung, dass der Befehl ordnungsgemäß erteilt worden sei. Als ich später den Unteroffizier [Herbert] Richter beauftragte, die zu erschiessenden Männer an der Schützenhalle [in Suttrop] abzuholen, war ich der Überzeugung, diese Leute seien dort für sich verwahrt und als Plünderer von den übrigen Fremdarbeitern gesondert gehalten. Wenn der Unteroffizier Richter erklärt hat, er habe mich so verstanden, dass er selbst etwa 80 Fremdarbeiter aus einer größeren Menge von Russen nach seinem Belieben auswählen solle, so muß er mich falsch verstanden haben. Ich war jedenfalls der Überzeugung, dass eine ganz bestimmte Anzahl überführter Plünderer an der Schützenhalle abzuholen sei und so sollte man Auftrag, den ich Richter erteilt habe, auch verstanden werden.

Nach der Befehlsentgegennahme im Dienstzimmer Miesel‘s bezgl. der von mir zu leitenden Erschiessung bin ich zum Divisionsrichter [Wolfgang] Wetzling gegangen. Ich weiss nicht mehr sicher, [S. 3] ob mich Miesel zu Wetzling hinbeordert hat oder ob ich aus eigenem Antrieb zu Wetzling gegangen bin. Ich nehme an, dass Miesel mich zu Wetzling beordert hat. Denn Miesel hatte mir den Erschiessungsbefehl nur im allgemeinen erteilt, während ich von Wetzling erst nähere Umstände über die Ausführung des Befehls erfuhr. Eines jedenfalls steht fest, dass Miesel mich telefonisch zu sich hat kommen lassen und mir den Erschiessungsbefehl unter Berufung auf Dr. Kammler erteilt hat. Insoweit ist bei mir jeder Irrtum und jede Personenverwechslung völlig ausgeschlossen. Bei meiner Gegenüberstellung mit Miese soll ich nach dessen Einlassung Band V Blatt 28 d. A. am 24.4.1957 gefragt haben: „Kann es denn auch so gewesen sein, dass ein Anderer mir den Befehl gegeben hat?“ Eine solche Frage habe ich bei der Gegenüberstellung nicht gestellt, zumindest bin ich aber missverstanden worden. Ich habe wohl gefragt, ob nicht auch ein Anderer bei der Befehlserteilung Miesel‘s an mich zugegen gewesen ist. Ich wollte mit dieser Frage nur einen etwaigen Zeugen dafür suchen, dass Miesel mir den Befehl zur Exekution erteilt hat. Dass Miesel mir den Befehl erteilt hat, steht also mit aller Sicherheit ohne eine Verwechslungsmöglichkeit meinerseits fest.

Von Wetzling habe ich den Auftrag bekommen, in Richtung Meschede ein geeignetes Erschiessungsgelände auszuwählen. Spätestens von ihm, vielleicht aber auch schon von Miesel, ist die Zahl 80 oder 100 genannt worden. Ich bin allein mit dem Kraftwagen zur Auswahl der Exekutionsstätte herausgefahren. Als ich eine solche gefunden hatte, habe ich hierüber Meldung erstattet. Ich weiss aber nicht mehr, ob ich Miesel oder Wetzling diese Meldung gemacht habe. Ich möchte annehmen, dass es Wetzling gegenüber geschehen ist, weil er mir ja auch den Auftrag zur Auswahl einer Exekutionsstätte gegeben hatte. Anschließend habe ich durch Fremdarbeiter an der von mir ausgewählten Stelle eine größere Grube ausheben lassen, in der später die Erschiessungen stattfanden. Ich glaube nicht, dass ich auch noch über die Aushebung der Grube Meldung gemacht habe.

Ich habe mir von Wetzling in seiner Eigenschaft als Richter noch einmal die Rechtmäßigkeit des Erschiessungsbefehls bestätigen lassen, nachdem ich ja schon zuvor die Überzeugung [S. 4] gewonnen hatte, dass der Befehl Dr. Kammler’s zwar hart aber rechtmäßig sei. Ich möchte klarstellen, dass ich Wetzling nicht ausdrücklich in seiner Eigenschaft als Richter und unter Hervorhebung dieser seiner Stellung gefragt habe. Das war für mich ganz selbstverständlich, zumal ich ja von Miesel zu ihm geschickt wurde und annehmen musste, die ganze Exekution sei eine Angelegenheit, deren Vollstreckung in den Händen des Kriegsgerichts liege.

Kurz vor der Abfahrt zu Exekution wurde mir von einem Soldaten auf man Dienstzimmer Weinbrand und Rauchwaren gebracht. Der Soldat berief sich dabei auf eine Anordnung des Ia. Ich habe selbst keine bestimmte Erinnerung daran, dass Miesel mich persönlich etwa wegen der Ausgabe dieser Genussmittel in Kenntnis gesetzt hat oder dass ich meinerseits an ihn herangetreten bin. Ich weiss nur bestimmt, dass der Soldat, der die Sachen brachte, sich auf den Ia, also Miesel, berief.

Ich habe das Erschiessungskommando über den durchzuführenden Befehl unterrichtet. Das war kurz vor der Abfahrt von Suttrop nach Warstein zur Abholung der zu erschiessenden Fremdarbeiter. Ich habe den Angehörigen des Kommandos noch ganz besonders strengstens Stillschweigen auferlegt. Auch mir gegenüber hatte sowohl Miesel wie auch Wetzling unbedingtes Stillschweigen über die ganze Angelegenheit verlangt. Als der Unteroffizier Richter mit seinen Leuten die Fremdarbeiter an der Schützenhalle in Warstein abholte, war ihm also bekannt, zu welchem Zweck das geschah. Ich bin selbst nicht mit zu Schützenhalle gefahren. Ich war mit dem Lkw. und anderen Leuten in Richtung Exekutionsstätte hinausgefahren.

Die Fremdarbeiter und das Erschiessungskommando sind mit einem Lkw. herausgefahren worden. Wenn ich früher so verstanden worden bin, dass mir dieser Lkw. von Miesel auf meine Vorstellungen hin zur Verfügung gestellt worden sei, so ist das nicht richtig. Es ist vielmehr so, dass damals die Benutzung eines Kraftfahrzeuges auf Befehl Kammler’s nur mit besonderer Zustimmung des Ia gestattet war. Wenn aber, wie es tatsächlich der Fall war, ein Lkw. für die Fahrt zur Exekution bereitgestellt war, so folgere ich, dass dieses nur mit besonderer Zustimmung Miesel’s geschehen sein kann. [S. 5] Ich hatte den Soldaten des Erschiessungskommandos Weisung gegeben, wie die Exekution vor sich gehen sollte. Ich hatte jedem Soldaten eingeschärft, dass jeder von ihnen für den ihm zugeteilten Fremdarbeiter verantwortlich sei. Die Fremdarbeiter wurden schubweise mit dem Lkw. bis in die Nähe der Exekutionsstätte herangebracht. Dort übernahm je ein Soldat je einen Fremdarbeiter, den er rechts neben sich hergehen liess. Die Arbeiter wussten offenbar, was ihn bevorstand. Denn beim Abspringen vom Lkw. versuchte einer von ihnen, wegzulaufen. Der ihm zugeteilte Soldat hat ihn mit seiner Waffe erschossen. Das geschah in Ausführung meines Befehls, jeder Soldat sei für den von ihm übernommenen Fremdarbeiter verantwortlich. Ein anderer Fremdarbeiter sagte zu mir in russischer Sprache, die ich soweit verstanden: „Warum kaputt? Nur ein bischen zapp cerapp“ [zappzarapp, zu russ. zaprat = greifen, im Sinne von entwenden]. Mit dem letzten Wort meinte er Plünderungen. Auch dadurch wurde mir wieder bestätigt, dass die Erschiessung wirkliche Plünderer betraf. Die Exekution selbst ging so vor sich, dass die Fremdarbeiter sich in die Grube hineinstellen mußten, an die eine Längswand, während hinter ihnen an der gegenüberliegenden Längswand, ebenfalls in der Grube, jeweils ein Soldat stand. Sämtliche Soldaten hatten maschinelle Waffen, und zwar entweder Maschinenpistolen oder Sturmgewehre. Auf meinen Feuerbefehl wurden dann jeweils die in der Grube stehenden Fremdarbeiter durch einen Feuerstoss ins Genick getötet. Ich gebe zu, dass ich einen Fremdarbeiter mit meiner Pistole 08 durch Genickschuss getötet habe. Ob ich persönlich noch mehr Russen erschossen habe, kann ich jetzt wirklich nicht mehr sagen. Ich habe die geschilderte Art der Erschiessungen deswegen so angeordnet, weil ich sicher sein wollte, dass bei den Fremdarbeitern möglichst rasch der Tod eintrat und nicht noch Quälereien entstanden. Nach jeder Erschiessung eines Schubs habe ich die einzelnen Fremdarbeiter mit der Taschenlampe abgeleuchtet, um mich davon zu überzeugen, dass sie auch tot waren. Darauf habe ich die Toten in der Grube zusammenlegen und mit Erde bedecken lassen. Nach der Erschiessung habe ich die Papiere der Fremdarbeiter, die ihn auf Befehl Wetzling’s abzunehmen waren und ihre sonstigen Sachen, die sie nicht am Leibe trugen, z. B. Rucksäcke, Brotbeutel, Mäntel, an Ort und Stelle verbrennen lassen. [S. 6] nach Beendigung der Erschiessungen habe ich mich in meinem Dienstzimmer in Suttrop auf mein Bett niedergelegt. In den Morgenstunden, es mag 7:00 Uhr gewesen sein, befahl mich Miesel zu sich in sein Dienstzimmer. Er fragte mich bei Betreten seines Dienstzimmers dem Sinne nach, ob die Erschiessungen durchgeführt seien. Ich bestätigte ihm, dass in der vergangenen Nacht 80 Fremdarbeiter erschossen worden seien. Miesel fragte, warum denn nicht 100 Fremdarbeiter erschossen worden seien. Ich antwortete, es seien nur 80 an der Schützenhalle abgeholt worden. Dem Sinne nach entgegnete Miesel, es würden ja noch weitere Fremdarbeiter erschossen. In diesem Zusammenhang gebrauchte er den Ausdruck „Pack“.

Wenn der Angeschuldigte Miesel behauptet, er habe erst nach der von mir geleiteten Erschiessung von der Exekution Kenntnis erhalten und er habe mir sogar Vorhaltungen gemacht, so ist das unwahr. Ich bleibe bei meiner Darstellung, dass ich am Vormittag vor der Erschiessungsnacht von Miesel den ganz klaren Befehl zur Erschiessung von Fremdarbeitern erhalten habe, nachdem er mich telefonisch zu sich gerufen hatte. Ich bleibe weiter dabei, dass Miesel mich am Morgen nach der Erschiessung wiederum telefonisch zu sich gerufen hat, um von mir die Vollzugsmeldung, wie ich es oben geschildert habe, entgegenzunehmen.

Der verstorbene Oberzahlmeister [Ernst] Schulz hat mir nach der Aufgabe unserer Stellung Suttrop/Warstein, als wir an der Elbe lagen, vertraulich erzählt, dass Miesel einmal in Suttrop an ihn wegen der Führung eines Erschiessungskommandos herangetreten sei. Schulz hat die Übernahme dieses Auftrages, so wie er mir sagte, strikte abgelehnt und sich darauf berufen das ihm als Oberzahlmeister und Beamten der Wehrmacht ein solcher Befehl überhaupt nicht erteilt werden könnte. Wenn Miesel ihm, also Schulz, wegen Befehlsverweigerung erschiessen wolle, dann möge er das tun. Dieses Ansinnen muss Miesel an Schulz um die Zeit gestellt haben, zu der ich mit der Erschiessung beauftragt wurde, also Ende März 1945.

Der Divisionskommandeur Dr. Kammler war nach meiner Erinnerung im Durchschnitt einmal wöchentlich beim Stabe Suttrop/Warstein. Meistens kam er abends an, hielt bis in die Nacht hinein Besprechungen, nahm am frühen Morgen irgendeine Besichtigung [S. 7] vor und fuhr dann bald wieder fort. Dr. Kammler pflegte sich zunächst in das Zimmer des Divisionsadjutanten zu begeben, wenn er in Suttrop angekommen war und liess dann die Offiziere, mit denen er etwas zu besprechen oder an deren Maßnahmen er etwas zu beanstanden hatte, einzeln zu sich kommen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Dr. Kammler bei seinen Besuchen in Suttrop den Ia des Stabes übergangen hat. Ich habe auch nichts festgestellt, was auf Differenzen zwischen Dr. Kammler und Miesel schließen lassen könnte. Dr. Kammler war ein Mann, der Miesel an der Stelle eines Ia überhaupt nicht geduldet hätte, wenn er ihm dort nicht gepasst hätte.

Erst nach der von mir geleiteten Erschiessung habe ich davon gehört, dass auch noch an anderen Tagen weitere Fremdarbeiter erschossen worden sind. Ich kann keine Zeitangaben darüber machen, wann die weiteren Erschiessungen stattgefunden haben, ob vor der von mir geleiteten Exekution oder nachher. Noch als ich Soldat war, hörte ich, dass in der Nähe von Suttrop/Warstein noch eine weitere Erschiessung stattgefunden habe. Erst im Laufe dieses Verfahrens habe ich gehört, dass eine dritte Exekution durchgeführt worden ist.

Selbst gelesen, genehmigt und unterschrieben:
Helmut Gaedt [handschriftlich]

Meyer [handschriftlich] Steinmann [handschriftlich]


Hierauf wurde der Angeschuldigte Miesel aus der Untersuchungshaft vorgeführt und dem Angeschuldigten Gaedt gegenübergestellt. Dem Angeschuldigten Miesel wurde die ihn belastenden Angaben des Angeschuldigten Gaedt vorgehalten. [S. 8] Der Angeschuldigte Miesel erklärte: Ich bleibe bei dem, was ich bei meiner letzten richterlichen Vernehmung ausgesagt habe. Ich habe keinen Erschiessungsbefehl an den Angeschuldigten Gaedt weitergegeben. Ich habe von ihm auch keine Vollzugsmeldung entgegengenommen. Ich bin am Tage nach der von Gaedt geleiteten Exekution durch Dr. [Werner] Holtfreter überhaupt erstmalig auf die bis dahin durchgeführten Erschiessungen aufmerksam gemacht worden. Am selben Morgen habe ich dem Angeschuldigten Gaedt wegen der Erschiessungen in der Nacht zuvor heftige Vorhaltungen gemacht. An Einzelheiten kann ich mich nicht mehr erinnern, wie ich schon früher gesagt habe. Ich weiss also nicht mehr, in welcher Form im einzelnen meine Vorhaltungen gegenüber Gaedt gemacht worden sind und ich weiss auch nicht mehr, was Gaedt etwa darauf erwidert hat.

Wenn ich von dem Angeschuldigten [Heinz] Zeuner, dem Ordonnanzoffizier und Begleiter Dr. Kammler’s am Tage der Ankunft Dr. Kammler’s in Suttrop gesehen worden bin, so brauche ich noch nicht an einer Befehlserteilung Dr. Kammler’s wegen der von ihm angeordneten Erschiessungen teilgenommen zu haben. Ich halte es für möglich, dass Dr. Kammler noch am selben Tage mit mir gesprochen hat und dass ich mich dann in unsere neuen Einsatzräume im Teutoburger Wald begeben habe. Vielleicht hat Dr. Kammler nach meiner Abfahrt ersten den Erschiessungsbefehl gegeben. Mir hat er jedenfalls davon nichts gesagt, wie ich erneut betonen möchte.

Der Angeschuldigte Gaedt erklärte:

Ich bleibe bei meiner heutigen Aussage. Ich betone nochmals, dass ich mit aller Bestimmtheit mich an die Entgegennahme des Erschiessungsbefehls durch den Angeschuldigten Miesel in dessen Dienstzimmer erinnere. Ich weiss weiter noch ganz bestimmt, dass ich vorstellig wurde, warum ich denn diese Erschiessung leiten solle und dass Miesel mir die Notwendigkeit der Befehlsausführung und die Folgen einer Befehlsverweigerung vorhielt. Es besteht für mich weiterhin nicht der geringste Zweifel daran, dass ich nach den Erschiessungen von Miesel angerufen und in sein Dienstzimmer [S. 9] beordert wurde. Dort hat er die Vollzugsmeldung über die Erschiessung von 80 Fremdarbeitern mit dem Bemerken entgegengenommen, warum es nicht 100 gewesen seien und dass ja noch weitere Erschiessungen stattfinden würden. Ich erinnere mich ferner noch mit aller Sicherheit an das von Miesel gebrauchte Wort „Pack“.

v[orgelesen] g[enehmigt] u[nterschrieben]

Miesel [handschriftlich]

Meyer [handschriftlich] Gaedt [handschriftlich] Steinmann [handschriftlich]


Der Angeschuldigte Miesel erklärte in Abwesenheit des Angeschuldigten Gaedt weiter: Ich habe bereits unter dem 7.5.1957 (Band IV Blatt 172R d. A.) zu Protokoll erklärt, dass ich an einer Krankheit gelitten habe, welche auch mein Erinnerungsvermögen beeinträchtigt und zu einem teilweisen Gedächtnisverlust geführt hat. Im Verlaufe jener Krankheit habe ich mehrfach eine Erscheinung vor mir gehabt mit Christus am Kreuze in der Uniform eines deutschen Soldaten. Diese Erscheinung habe ich so gedeutet, dass der deutsche Soldat des zweiten Weltkrieges gewissermassen wie Christus gequält worden ist. Denn in den ersten Jahren nach dem Kriege wurden ja vielfach der deutsche Soldat schlechthin ohne Rücksicht darauf, ob es sich etwas hat zuschulden kommen lassen oder nicht, beschimpft. Nach Beendigung meiner damaligen stationären Behandlung habe ich dieses Bild nicht mehr vor mir gehabt. Neuerdings aber, und zwar seit der Untersuchungshaft, habe ich eine ähnliche Erscheinung. Nunmehr sehe ich Christus, wie üblich, am Kreuze und getrennt davon den Oberkörper eines deutschen Soldaten aus dem zweiten Weltkrieg. Sein besonderes Merkmal ist für mich sein entstelltes Gesicht. Ich meine, dieses entstellte Antlitz könnte das Gesicht des Angeschuldigten Gaedt sein an jenem Morgen, als er die Erschiessungen durchgeführt hatte und von mir gerufen und [S. 10] zur Rede gestellt wurde.

Ich bin damit einverstanden, dass die Krankenpapiere zu den Akten angefordert werden. Sie befinden sich im Krankenhaus Hamburg-Alsterdorf, Neurologische Abteilung in Hamburg. Der damalige behandelnde Arzt war Professor Dr. B. Prof. Dr. B. hat sich in der Zeit meiner Krankenhausbehandlung sehr eingehend persönlich mit mir befasst. Ich entbinde Prof. Dr. B. und auch andere Ärzte, die mich behandelt haben und noch behandeln, von der ärztlichen Schweigepflicht. Seit einem Jahr stehe ich in Behandlung des praktischen Arztes Dr. G. […].

v[orgelesen] g[enehmigt] u[nterschrieben]

Miesel [handschriftlich]

Meyer [handschriftlich] Steinmann [handschriftlich]


PROVENIENZ  Landesarchiv NRW Abteilung Westfalen
BESTANDQ 221
SIGNATUR412


MATERIALPapier
SPRACHEdeutsch


SYSTEMATIK / WEITERE RESSOURCEN  
Zeit3.9   1900-1949
Ort1.7.8   Meschede, Stadt
1.11.11   Warstein, Stadt
1.70   Polen
1.80   Russland / Sowjetunion <1922-1992> / Russische Föderation <1992 - >
Sachgebiet4.5   Kriminalität
6.10.3   Tod, Witwenschaft, Witwerschaft
10.9.6   Zwangsarbeit
DATUM AUFNAHME2019-02-27
DATUM ÄNDERUNG2019-03-04
AUFRUFE GESAMT907
AUFRUFE IM MONAT318