QUELLE

DATUM1848-03-25   Suche Portal
AUSSTELLUNGSORTDetmold/Lemgo
TITEL/REGESTKommentar in der linksdemokratischen Zeitschrift "Wage", Bd. 1, Nr. 1, zur Gewährung der Pressefreiheit durch die Regierung Lippes im Zuge der Revolution von 1848/1849
TEXTPreßfreiheit

Es ist billig, daß wir zuerst von dem reden, dem diese Zeitschrift ihre Entstehung verdankt, wovon ihr Bestehn abhangen wird. Wir können ohne Rückhalt zu unsern Lesern reden, denn wir haben Preßfreiheit errungen. Wir können ohne Rückhalt reden, d.h. mit andern Worten, wir können die Wahrheit reden, denn die Ketten sind gesprengt, welche Willkühr und Tyrannenwahn dem freien Wort angelegt hatten. Etwas Andres als Wahrheit aber wollen wir nicht reden. "Zwischen uns und unsern Lesern soll Wahrheit sein.“ Wir wollen ihnen keine Redensarten auftischen, an die wir selbst nicht glauben, wir wollen keine Freude heucheln, wo Zorn und Groll uns durchzuckt, keine Ergebenheit, wo das Herz sie uns nicht eingiebt; wir wollen nicht zurückhalten mit dem, was uns Gerechtigkeit scheint, wir wollen es nicht verdecken, selbst nicht mit dem durchlöcherten 'Mantel der christlichen Liebe'; wir wollen es offen sagen, was wir lieben, ebenso offen aber auch aussprechen, was wir hassen. Die Censur ist aufgehoben, die Presse ist frei!

Mit Wehmut, erröthend vor Schaam werden unsere Nachkommen einst die Blätter der Geschichte aufschlagen, wo es geschrieben stehen wird mit großer, leserlicher Schrift, wie es im deutschen Vaterlande aussah bis zum Jahre 1848 nach Christi Geburt. Sie werden die Worte finden: Censur und Censoren, sie werden nicht begreifen, was die Worte bedeuten; wenn sie nachsuchen in den Wörterbüchern des Alterthum’s, dann werden sie zweifelnd nicht glauben wollen, und wenn sie es glauben müssen, dann wird die wuthgeballte Faust ihre Empfindungen und Gefühle bezeugen.

Aus dem schönen Lande Italien, 'wo die Citronen und Orangen blühn', stammt die Erfindung, den freien Gedanken, das freie Wort in Fesseln zu schlagen. Die tödlichste Waffe päpstlichen Hasses gegen den protestantischen Geist der Freiheit war die Censur. Die Deutschen haben bisher unglückliche Griffe in der Nachahmung fremder Nationen gethan. Die protestantischen Päpste haben ihre Meister in Rom vielleicht noch übertroffen in Handhabung der Censur.

Der deutsche Bundestag hat kaum Etwas Andres gethan, als Bücher verboten, Verlagshandlungen verboten, Censurgesetze geschmiedet, statt daß er seine heilige Pflicht gewesen wäre, für Deutschlands Wohl zu sorgen, und es war so Viel zu sorgen. Es war kein Scherz, es war der fürchterlichste Ernst, wenn gesungen wurde:
'Wer die Wahrheit kennet und saget sie frei,
Der kommt nach Berlin auf die Hausvogtei.'

Aber das gaben die Machthaber freilich nicht zu, daß sie die Wahrheit unterdrücken wollten: nur auf die Unwahrheit, hieß es immer mit grobem Hohn, sei es abgesehen. Wenn Bücher verboten wurden, so sprachen sie: es sei Unwahrheit darin, wenn Zeitungen herauszugeben untersagt ward, so sprachen sie: es werden wahrscheinlich Unwahrheiten darin gesagt werden; wenn Schriftsteller die Gebrechen der Verwaltung, die Mängel der Verfassung rügten, so hieß es: das sind Lügen oder es ist Hochverrath. Richter, von denen bestellt, die angegriffen waren, richteten den Unglücklichen und zufällig ward er fast immer verurtheilt. Ja die Wahrheit darf man sagen, nur die Unwahrheit nicht, so redeten die Herren vom Regiment! Wir hätten sie gerne gefragt: was ist Wahrheit? Aber sie ließen sich auf Erörterungen nicht ein. Mit der Wahrheit sah es bei ihnen aber also aus; - ich erwähne nur ein Beispiel unter tausenden: In einem Lande wurden rationalistische Schriften verboten, im anderen fromme Traktätlein.

Doch wenden wir uns zurück von der traurigen Zeit, von der Zeit des Todesschlafes in Deutschland: es erregt nur Groll, wenn man daran zurückdenkt, des Grolles ist aber genug vorhanden, er braucht nicht mehr gesteigert zu werden!

Das Volk ist erwacht: es will Frühling werden auf der deutschen Erde.

Die Preßfreiheit ist uns Bürge für die bessere Zukunft. Wir wollen nicht einmal Gewicht darauf legen, daß die Preßfreiheit einem jeden das Recht sichert, seine Meinung zu äußern, wir wollen kein Gewicht darauf legen, denn der Schriftsteller sind im Verhältniß wenige, der Lesenden die meisten. Aber die freie Presse bürgt dafür, daß wir nicht stehen bleiben, daß wir fortschreiten, daß wir uns weiter entwickeln werden. Die freie Presse wird die Verfassung hüten, wie ein Geizhals seine Schätze, sie wird mit scharfem Auge ein Wächter sein der Verwaltung. Die freie Presse wird auftreten je nach Bedürfniß, bald drohend, bald ermuthigend, bald warnend, bald bittend. Sie wird an dem Veralteten rütteln mit unermüdlicher Hand, bis der letzte Stein hinabrollt; sie wird in die Hütten der Armen und Verlassenen treten, wird für sie predigen von den Dächern; sie wird in die finstern Aktenstuben, wo Spinnen und Eulen hausen, die Ungerechtigkeit verfolgen.
Mein Volk, du hast den Wunsch nach Preßfreiheit jetzt freilich ausgesprochen, aber Du kennest ihren Werth noch nicht ganz, du hast ihre Vorzüge noch nicht erprobt; du hast dich in ihrem Strahle noch nicht gesonnt; aber du scheust wenigstens das Licht nicht, das sie verbreiten wird, wie die thun, deren Befehl sie dir so lange entzogen hat. Ich hoffe es, mein Volk, du wirst es erkennen, was sie bedeutet, du wirst sie liebgewinnen, du wirst sie festhalten wie dein theuerstes Kleinod. - Halte sie fest!


SYSTEMATIK / WEITERE RESSOURCEN  
Typ1.3   Einzelquelle (in Volltext/Regestenform)
165   Presseveröffentlichung (Zeitungsartikel)
Zeit3.7   1800-1849
3.7.2   Revolution <1848/1849>
Ort1.3   Deutscher Bund <1815-1866>
3   Lippe(-Detmold), Gt. / Ftm. / Freistaat / Land < - (1934)1947>
Sachgebiet3.20   Politische und soziale Bewegungen
4.2   Verfassung, Staatsrecht, Stadtrecht, Verfassungsrecht
14.4   Pressefreiheit, Zensur
DATUM AUFNAHME2004-03-25
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