QUELLE

DATUM1860-07-01   Suche   Suche DWUD
URHEBER/AUSSTELLERLüning, Otto
AUSSTELLUNGSORTRheda
TITEL/REGESTBrief Otto Lünings an Fedor Streit über die Arbeit des Nationalvereins in Westfalen
TEXTLieber Streit!

[...] Auf die Anfrage wegen der Reichsverfassung habe ich noch nicht geantwortet, weil ich erst in den umliegenden Ortschaften mich umhören wollte. Ich habe zu dem Zwecke die Mitglieder, welche der Nat[ional] Ver[ein] dort zählt, zus[ammen]berufen u. die Diskussion auf diesen Punkt geführt, selbstredend ohne der Aufforderung zu erwähnen.

Ich für meine Person glaube, daß es sehr zweckmäßig sein wird, die Reichsverfassung jetzt mehr vorzuschieben. [...] Die Versammlung neigte mit dahin. Sie erkannte, daß eine Centralgewalt ohne weitere Erörterung zu unbestimmt sei, daß die Berufung des Parlaments doch ein Wahlgesetz voraussetze, daß dieses in der Reichsverfassung vorliege [Wahlgesetz vom 27.03.1849] u. daß schließlich das Parlament doch unmöglich die mühselige Verfassungs-Arbeit noch einmal von vornherein beginnen dürfe.

Ich war zur Zeit der Reichsverfassungs-Bewegung nicht in Norddeutschland u. weiß daher nicht, einen wie tiefen Eindruck dieselbe hier gemacht u. hinterlassen hat. Möglich ist es, daß die eigenthümliche Angst des Liberalismus der neuen Aera vor dem "zu weit“ gehen, die zarte Sorgfalt, nichts zu wollen, wenn man nicht sicher weiß, daß die Regierung dasselbe will, Manchem die Erklärung für die Reichsverfassung bedenklich erscheinen läßt. Wir meinen aber hier, es ginge in einem hin. Eine bloße Militair-Convention [der deutschen Staaten] oder eine Centralgewalt ohne verfassungsmäßige Beschränkung genügt doch wohl selbst dem Liberalismus der neuen Aera nicht; u. einer Centralgewalt mit oder ohne Parlament werden die Fürsten ohne nachhaltigen Druck der öffentlichen Meinung so wenig zustimmen, als der Reichsverfassung; u. die preußische Regierung verharrt gegen beide in gleicher Passivität. Darum halten wir es für besser, gleich das in den Vordergrund zu schieben - auch ohne Rücksicht auf die Wünsche Süddeutschlands - was die meisten Mitglieder ja doch wohl als das Ziel ansehen.

Wir haben im August wieder eine Versammlung verabredet, um die Sache weiter zu besprechen. Dabei erlaube ich mir den Vorschlag, von Vorstands wegen (oder in der Wochenschrift) zu solchen lokalen Versammlungen anzuregen. Wenn dann, wie ich vermuthe, im Herbst wieder eine größere Versammlung [Generalversammlung] in Frankfurt stattfindet, so könnten die einzelnen beanspruchen - wenn auch vielleicht polizeilicher Bedenken wegen nicht formell - als Delegirte der Mitglieder einzelner Gegenden auftreten u. man hätte den Vortheil, bei der doch wohl unvermeidlichen Debatte über unsere Präzisirung des Programms nicht bloß persönliche Ansichten zu vernehmen. Von der Nothwendigkeit dieser Präzisirung waren hier Alle überzeugt.
Ich bitte die Flüchtigkeit dieser Zeilen mit Geschäftsüberhäufung zu entschuldigen; aufschieben mochte ich den Brief nicht mehr.

Mit Gruß u. Handschlag
Ihr Dr. O. Lüning


PROVENIENZ  Bundesarchiv Koblenz
BESTANDR8031/12
SIGNATURBl. 185f.


QUELLE    Jansen, Christian (Bearb.) | Nach der Revolution 1848/49 |


SYSTEMATIK / WEITERE RESSOURCEN  
Typ1.2   Urkundenbuch, Quellensammlung, Quellenedition
45   Brief, Bildpostkarte / Briefsammlung
Zeit3.7   1800-1849
3.7.2   Revolution <1848/1849>
Ort1   Westfalen/-Lippe (allg.)
Sachgebiet3.18   Parteien
DATUM AUFNAHME2004-04-08
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