QUELLE

DATUM[um 1859]
URHEBER/AUSSTELLERNathan, Fanny
  Nathan, Viette, gt. Fanny  |  
AUSSTELLUNGSORTPaderborn
TITEL/REGESTChronik des jüdischen Waisenhauses für Westphalen und Rheinland
TEXTChronik des Waisenhauses für Westphalen und Rheinland.

Verfaßt von der Gründerin und Vorsteherin Fräulein Fanny Nathan.

Wo der Samen des Guten auf den einen oder andern Theil der Erde ausgestreut werden kann, da weiß der Lenker des Weltalls den Boden zur frommen Aussaat zu finden, und sendet Seine Diener und Dienerinnen um das Werk Seiner Beschlüsse auszuführen. So erging an mich der Ruf des Allmächtigen am 14. Januar 1855, ein Waisenhaus für arme, elternlose Kinder zu stiften, und in demuthsvoller Beharrlichkeit unterzog ich mich gern dem heiligen Werke. Aus eigenen Mitteln, wie denen naher Verwandten, wurde der erste Grund gelegt. Auf einen Bericht des um die Stiftung hoch verdienten Herrn Landraths Grasso erhielt das Haus durch die Gnade unseres hochseeligen Königs Friedrich Wilhelm IV., den 3. August 1855, die Corporationsrechte, und wurde das entworfene Statut zeitweilig von Sr. Excellenz dem Herrn Oberpräsidenten von Duesberg, den 17. August 1855, bestätigt. Ich wählte zu Mitgliedern des Kuratoriums die Herren M. Meyersberg, M. Raß und F. Baderstein, alle drei von hier. Die beiden Ersteren verließen Paderborn und es wurden an ihrer Stelle die Herren L. Loewenbach und J. Eichengrün gewählt. Am 1. März 1855 eröffnete ich das Waisenhaus mit zwei Kindern, und beschaffte die Mittel, mehrere andere angemeldete Waisen zu ernähren, durch Collecten.

Auf einer Collecten-Reise nach Krefeld traf ich mit dem hochwürdigen Herrn Ober-Rabbiner Bodenheimer zusammen. Er sprach den Wunsch aus, dass ich das Waisenhaus nicht nur für Westphalen, sondern auch für die benachbarte Schwester-Provinz „die Rheinlande“ gründen möge. Um eine solche Ausdehnung zu gewinnen, bedurfte ich wieder des amtlichen Beistandes des Herrn Landraths Grasso, und seiner humanen Befürwortung war es zu danken, dass ein hohes, königliches Ministerium die Vereinigung beider Provinzen für diesen Zweck, den 15. September 1859 genehmigte. Ein sich hierauf beziehender Anhang der Statuten, welcher der Rheinprovinz gleiche Rechte mit Westphalen sicherte, wurde den 19. August 1859, beim hiesigen Kreisgerichte aufgenommen, und von dem Oberpräsidium, den 15. September 1859, bestätigt. Die ehrwürdigen Herrn Ober-Rabbiner Bodenheimer in Krefeld und Cahn in Trier wurden zu Curatoren gewählt, und erhielten ihre Bestätigung von dem Herrn Ober-Präsidenten der Rheinprovinz, von Pommer-Esche. Als Stellvertreter des Ersteren wirkte mit lobenswerthem Eifer, der Herr Lehrer Alsbach zu Camen.

Auf diesem Wege ist das Waisenhaus entstanden, und so stehen wir unter Gottes Gnade und Beistand vor der Grundsteinlegung. Möge sich auf diesem Fundament ein festes, großes Haus erheben, weithin verkündend, dass Wohltätigkeitssinn und werkthägliche Liebe nimmer aufhören! Möge das wohllöbliche Kuratorium und alle edlen Wohlthäter nicht ermüden im Wirken, und Gott ihre Herzen mit Liebe und Eifer für das Werk erfüllen! Möge diese Anstalt insbesondere dem Staate treue Mitbürger und Mitbürgerinnen erziehen, gesund und stark an Körper und Geist, voll Anhänglichkeit an unsern König und Herrn, Wilhelm I. Möge sich aber das Haus auch Seines königlichen Schutzes erfreuen und Gottes Segen in reichster Fülle auf ihm ruhen!


PROVENIENZ  Stadtarchiv Paderborn
SIGNATURA 1413


SYSTEMATIK / WEITERE RESSOURCEN  
Typ1.3   Einzelquelle (in Volltext/Regestenform)
Zeit3.8   1850-1899
Ort2.7.8   Paderborn, Stadt
Sachgebiet6.8.10   Juden
6.8.15   Säuglinge, Kinder, Jugendliche
8.4   Sozialfürsorge, Fürsorgeeinrichtungen
16.4   Jüdische Gemeinden
DATUM AUFNAHME2004-04-20
DATUM ÄNDERUNG2010-08-06
AUFRUFE GESAMT303
AUFRUFE IM MONAT58