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VERFASSERKlaukien, Jürgen
TITELTechnische Kulturdenkmäler im Ruhrgebiet


ORTMünster
JAHR1988


ONLINE-TEXTB. Technische Kulturdenkmäler und das Ruhrgebiet
SEITES. 10-14


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B. Technische Kulturdenkmäler und das Ruhrgebiet

Die Gleichrangigkeit von Denkmälern

Zu den Kulturdenkmälern zählen die Kunstdenkmäler und Technische Denkmäler, auch Industriedenkmäler genannt. Die Begriffe "Industrie" und "technisch" stehen für alle Bereiche, die zur Rohstoffgewinnung, -verarbeitung, zum Handel, Verkehr und zur Versorgung gehören.

Das Denkmalschutzgesetz kennt keine unterschiedliche Wertigkeit zwischen Denkmälern. Damit fand die Gleichrangigkeit von Denkmälern in Nordrhein-Westfalen ihren Schlußpunkt.


Entwicklungen

Am Anfang dieser Entwicklung standen Ideen von Oskar von Miller, der 1903 die Gründung des Deutschen Museums von Meisterwerken der Naturwissenschaft und Technik anregte. Es wurde 1925 in München eröffnet.

1928 bildeten das Deutsche Museum, der Deutsche Bund Heimatschutz und der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) die "Deutsche Arbeitsgemeinschaft zur Erhaltung Technischer Kulturdenkmäler". Als Ziel der Arbeitsgemeinschaft legten die Gründungsmitglieder das Streben nach Gleichrangigkeit von Technischen Kulturdenkmälern (Begriff wurde von von Miller geprägt) und Kunstdenkmälern fest.

Schon seit 1926 entwickelte Conrad Matschoß, Direktor des VDI und ehrenamtlicher Mitarbeiter in den Gremien des Deutschen Museums, eine Systematik für die Erhaltung und Dokumentation von technischen Denkmälern, die heute noch weitgehend gültig ist. Danach gilt es, zunächst Material zu sammeln und zu inventarisieren, d. h. beispielsweise einzelne Gebäude, technische Einrichtungen, aber auch Fotos, Arbeitsverträge, Kleidung, Geräte des Arbeiters. Aus der Materialsammlung sollte Erhaltenswertes selektiert werden, denn nicht alles Alte ist erhaltenswert. Für bewahrungswürdige Technische Kulturdenkmäler muß denkmalpflegerischer Einsatz erfolgen. Wenn eine Erhaltung aber nicht möglich ist, so soll wenigstens eine fotografische, zeichnerische und filmische Dokumentation durchgeführt werden.

Matschoß erfaßte die gesellschaftliche Komplexität von technischen Kulturdenkmälern und deren Wert als Informationsträger für die Gesellschaft.

All diese Ansätze gerieten im Laufe der nationalsozialistischen Herrschaft in Vergessenheit. Der Denkmalpflege boten sich nur im NS-Sinne Entfaltungsmöglichkeiten. Die Gedanken von Matschoß und anderen fanden im Dritten Reich keinen Platz, weil sie durch Solidarisierungseffekte politische Gefährdungen nicht ausschlossen.

Das vom Nationalsozialismus geprägte Bild beherrschte vielfach bis in die 60er Jahre die Vorstellung von der Arbeit der technikschaffenden Ingenieure. Die zügige Instandsetzung der Bundesrepublik Deutschland und das Wirtschaftswachstum unterstützten den Fortschrittsglauben, bei dem es für Technische Kulturdenkmäler keinen Platz gab. Im Gegenteil: Nach dem 2. Weltkrieg wurde mehr erhaltenswerte Denkmalsubstanz zerstört, als durch den Bombenkrieg. Ganz besonders waren von den Nachkriegsplanierungen technische Anlagen betroffen. Stadtsanierungen, Rationalisierungen, härterer Konkurrenzdruck, wirtschaftliche Konzentrationsprozesse, Konkurrenzfähigkeit, Wandel städtebaulicher Leitvorstellungen, kommunale Fehlentscheidungen usw. sollen für den Abbruch von Industrieanlagen hier nur einige Stichworte sein.

Das "Zechenstreben" der noch jugendlichen Bundesrepublik Deutschland in den 60er Jahren bildete hier einen End- und Anfangspunkt, der nicht zufällig im Ruhrgebiet lag. Etwa 100 Jahre lang war das Ruhrgebiet dank seiner Montanindustrie und der Fähigkeit Strukturkrisen zu überwinden, unbestritten das Herz Mitteleuropas. Dennoch verursachten zahlreiche Faktoren eine dauerhafte Verunsicherung über die Zukunft des Ruhrgebietes, von denen einige hervorzuheben sind.

Der 2. Weltkrieg erbrachte als Ergebnis auch eine Vertiefung und Intensivierung aller internationalen Beziehungen. "Die Welt war kleiner geworden." Die Bundesrepublik Deutschland konnte sich nicht mehr von internationalen politischen Entwicklungen abkoppeln. Nach Beendigung der Krisensituationen 1956 und Wiedereröffnung des Suez-Kanals sanken die Mineralölpreise. Preiswerte Öle liefen in der Folgezeit der Kohle mehr und mehr den Rang ab. Die Kohle lagerte auf immer höheren Abraumhalden, da sie zusätzlich durch Importe aus anderen Ländern ersetzt wurde. Die wirtschaftlichen und politischen Verflechtungen intensivierten sich, und doch kam es 1973 zum Schock durch die Ölkrise. Nach dem Jom-Kippur-Krieg im Oktober 1973 drehten arabische Ölstaaten wegen der Unterstützung Israels durch die westlichen Industriestaaten den Ölhahn zu.

Eine neue Chance für die Kohle? Mitnichten! Forschungsmittel flossen bereits in die Kernenergie, auf die Frankreich und die USA ebenfalls setzten. Die Bundesregierungen sahen ihrerseits in der Kernenergie eine kostengünstige Alternative, zumal sich das Öl nach der Ölkrise bis 1984 verteuerte. Der Bau von Kernkraftwerken wurde gegen Bürgerproteste durchgesetzt. Nach den Reaktorunfällen und Störfällen fordern gesellschaftliche Gruppierungen und Institutionen den Ausstieg aus der Kernenergie. Bietet sich hier die Kohle wieder als Energieträger an?

Wie das "Zechensterben" veränderte auch die "Stahlkrise" seit 1975 die Stellung des Ruhrgebietes. Im Laufe der Nachkriegszeit produzierten zahlreiche Länder mit günstigeren Produktionsbedingungen oder durch staatliche Subventionen für Kapitalgeber Stahl. Sie boten ihre Produkte daher preiswerter an, so daß die Aufträge für die Stahlwerke im Ruhrgebiet ausblieben. Standortvorteile, internationale Verpflichtungen, Produktionskosten, unrentable Betriebe sind weitere Ursachen für den Bedeutungsverlust der Stahlregion Ruhr.

Der Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft beschleunigte den Prozeß. In der Bundesrepublik Deutschland entwickelten sich neue Wirtschaftszentren, während der wirtschaftliche Strukturwandel im Ruhrgebiet recht zögerlich vonstatten ging. Zeitungen schrieben von einem Süd-Nord-Gefälle. Soziale und ökologische Probleme verschärften die Krise zusätzlich.

Dennoch, das Image vom rußigen Ruhrgebiet - es stimmt seit Jahren nicht mehr. Die Landesregierung, die Landschaftsverbände, Kreise und Gemeinden haben in den vergangenen 12-15 Jahren nicht immer ohne Druck aus der Bevölkerung erreicht, daß das Ruhrgebiet lebenswerter geworden ist. Damit ist insbesondere der Freizeit- und Kulturwert gemeint, der sich hinter keiner Region Europas zu verstecken braucht.

Das Ruhrgebiet ist immer noch ein Industrie-Koloß, der sich ständig veränderten Bedingungen anpaßte und dadurch seine Stellung erhielt. Der Wandel vollzog sich nie abrupt. Das Ruhrgebiet integrierte Menschen aus allen Teilen Europas. Die Wirtschaftskraft wuchs.

Das "Zechensterben" der 60er Jahre bedeutete vielleicht den Anfang vom Ende des Bergbaues in der Region zwischen Ruhr und Lippe. Aber jedes Kind im Ruhrgebiet weiß auch, daß der Bergbau nach Norden wandert.

Am 31.03.1987 schloß die Zeche Minister Stein nach Ausbeutung der Kohlefelder als letzte in Dortmund und beendete die 700 Jahre alte Bergbau-Geschichte der Stadt. Auch in Bochum und Essen ruht der Kohleabbau.

Genauso wie die Epoche der Montanindustrie im Ruhrgebiet sich allmählich ihrem Ende zuneigt, gingen in anderen Regionen andere Wirtschaftsbereiche ein. Mit dem Ruhrbergbau verlor die Eisenindustrie des Sauer- und Siegerlandes an Bedeutung. Die Hammerwerke im Märkischen Kreis zeugen noch von vorindustriellen Produktionsweisen. Was lag da näher, als technische Kulturdenkmäler der Nachwelt zu erhalten. Dazu boten sich die gerade stillgelegten Zechen an. Das "Zechensterben" markiert den Anfang und Auslöser des Schutzes und der Pflege der Technischen Kulturdenkmäler.

Nicht von ungefähr lag deshalb der Beginn in Nordrhein-Westfalen. Schon im Nordrhein-Westfalen-Programm 1975, verfaßt 1970, erklärte die damalige sozialliberale Landesregierung unter Ministerpräsident Heinz Kühn:
"ln Zukunft wird die Landesregierung verstärkt die Erhaltung wertvoller Bauwerke sichern, die für die technische und wirtschaftliche Entwicklung des Landes charakteristisch sind. Dazu gehören u. a. Fördertürme, Maschinenhallen, Schleusen und Schachtgebäude. Diese Aufgabe muß wegen der schnellen industriellen Veränderung jetzt in Angriff genommen werden."

Bei den anschließend aufgelisteten 14 Objekten handelte es sich um 11 Technische Kulturdenkmäler aus Westfalen. Als langfristiges Ziel verkündete die Landesregierung die "Wiederherstellung und Erhaltung der künstlerischen und technischen Baudenkmäler des Landes." Der Maßnahmenkatalog bis 1975 umfaßte die Beseitigung vorhandener Kriegsschäden, die Sicherung und Restaurierung wertvoller profaner Baudenkmäler und ausdrücklich auch die Erhaltung technischer Kulturdenkmäler.

Schon 1964 forderten Architekten und Techniker auf ihrem 2. Internationalen Kongreß in Venedig eine Ausweitung des Denkmalbegriffs, der auch Alltägliches wie Arbeitsstätten beinhalten sollte. Der Denkmalbegriff "erstreckt sich nicht nur auf die großen Schöpfungen, sondern auch auf die bescheidenen Werke, die mit der Zeit eine kulturelle Bedeutung erworben haben".

Das Jahr 1967 kann in Nordrhein-Westfalen als Beginn der Denkmalpflege von Technischen Kulturdenkmälern gesehen werden. Erste Erfassungen und Empfehlungen zur Erhaltung von Technischen Denkmälern standen am Anfang. Die beiden Marksteine der Entwicklung bildeten 1973 der Erhalt der Zeche Zollern II/IV, bei der seit 1955 die Förderung ruhte und die Translozierung (Übertragung, Versetzung) des 1944 über dem Zentralschacht der Zeche Germania in Dortmund-Marten errichteten Doppelbock-Fördergerüstes zum Deutschen Bergbaumuseum in Bochum. Die Zeche Zollern II/IV ist heute als Zentrale des Westfälischen lndustriemuseums teilweise in Betrieb.

Konzeptionell erfüllt Nordrhein-Westfalen eine Vorbildfunktion. Für die Regionen des bevölkerungsreichsten Bundeslandes setzte der Landschaftsverband Westfalen-Lippe thematische Schwerpunkte bei der Erhaltung Technischer Kulturdenkmäler. Für das Ruhrgebiet liegt dieser Schwerpunkt im Bereich von Steinkohle und Stahl. Die vorliegende Bild-Serie "Technische Kulturdenkmäler im Ruhrgebiet" greift diesen Themenschwerpunkt auf. Alle Abbildungen stehen im engeren und weiteren Zusammenhang mit dem "schwarzen Gold" des Ruhrgebietes. Bedauerlicherweise ist für die Hüttenindustrie festzustellen, daß in Frage kommende Denkmäler weitgehend verschwunden, weil abgerissen sind.

Rückschläge traten in der Denkmalpflege ein, als sich die wirtschaftliche Lage in den 70er Jahren verschlechterte. Dennoch sprachen sich 1980 in einer Umfrage schon 88 % der Befragten für den Denkmalschutz aus, gegenüber 69 % im Anschluß an das Europäische Denkmalschutzjahr 1975.

Nicht nur in der Bevölkerung stoßen Denkmalschutz und Denkmalpflege auf breitere Resonanz, auch die Kommunen als Untere Denkmalbehörden erkennen mehr und mehr den Wert von Denkmälern als historische Dokumente an. Selbst die Wirtschaft steht der Denkmalpflege heute aufgeschlossener gegenüber als noch vor wenigen Jahren.

Nach wie vor bleiben die finanziellen Verhältnisse in der Denkmalpflege angespannt weil die Kommunen und das Land angesichts mannigfaltiger gesellschaftspolitischer Aufgaben Prioritäten setzen, die zuweilen zu Lasten der Denkmalpflege gehen (müssen). Trotz der Engpässe und Belastungen nimmt die Zahl der Denkmäler ständig zu.

Daß das Ruhrgebiet Ausgangspunkt für den Erhalt Technischer Kulturdenkmäler wurde, ist mit einem volkskundlichen Erfahrungssatz erklärbar, der hier wohl auch politisch-psychologische Gültigkeit beanspruchen kann: In Krisenzeiten neigen die Menschen dazu, Erreichtes zu bewahren, zu sichern und zu pflegen.

Bezogen auf den Schutz der Technischen Kulturdenkmäler bedeutet das: Während und nach der Zeit des "Zechensterbens" setzten sich gesellschaftlich dazu in der Lage befindliche Gruppen, Parteien, die Landesregierung usw. dafür ein, die Denkmäler der Arbeit der Bevölkerung zu sichern, zu pflegen und zu erhalten, um so zu dokumentieren, daß die Menschen ihre Arbeitskraft und ihr ganz alltägliches Leben für den Wohlstand der Region einsetzten.






QUELLE    Klaukien, Jürgen | Technische Kulturdenkmäler im Ruhrgebiet | S. 10-14
PROJEKT    Diaserie "Westfalen im Bild" (Schule)

DATUM AUFNAHME2004-02-25
AUFRUFE GESAMT5061
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