QUELLE

DATUM1986-03-03   Suche   Suche DWUD
AUSSTELLUNGSORTMünster
TITEL/REGESTVerabschiedung der 40-Prozent-Quote auf dem Unterbezirksparteitag in Münster, Zeitungsartikel aus: Westfälische Nachrichten vom 03.03.1986
TEXTUnterbezirksparteitag spielt Vorreiter: Quotierung verabschiedet
"Frauen-Power“ bei der SPD

Umsetzung der 40-Prozent-Regelung birgt Probleme / Catenhusen: Auch auf Bundesebene?

"Den Frauen die Hälfte der Welt, den Männern die Hälfte der Familie“ - Münsters SPD-Frauen ließen gestern keinen Zweifel, wie das Motto des Unterbezirksparteitags, wie die Gleichberechtigung auch bei der Verteilung politischer Macht zu erreichen sei: durch Quotierung. Für die Forderung, dass in allen Entscheidungsgremien sowie bei der Besetzung aller Funktionen und Mandate mindestens 40 Prozent eines jeden Geschlechts vertreten sein müssen, hatten sie erfolgreich um Verbündete - auch unter den Männern - geworben. Mit 87 Ja-Stimmen bei 122 Delegierten war die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit für eine entsprechende Satzungsänderung erreicht. Eine mit Jubel begrüßte Entscheidung, mit der der münstersche Unterbezirk eine Vorreiterrolle übernommen hat, die, so hoffte man, Signalwirkung nach außen haben soll.

Es war ein Parteitag der Frauen, den der SPD-Unterbezirk Münster gestern zelebrierte - unübersehbar. Fast nur Frauenthemen. Bei den Delegierten war die magische 40-Prozent-Marke überschritten. Am Präsidiumstisch nahmen drei Frauen und zwei Männer Platz. Und während am Rednerpult wortreich, mit Humor und kabarettistischen Quotierung gestritten wurde, ging den Gegnern der 40-Prozent-Regelung wohl langsam der Mut aus. Weniger am Rednerpult als beim Mittagessen äußerten und diskutierten sie ihre Bedenken. So blieb’s für die Befürworter bis zum Schluß eine Zitterpartie - würden die Stimmen reichen? Keiner mochte vorab seinen Tip abgeben.

"Gleichberechtigung ist Gerechtigkeit, und wir können sie nicht für die Gesellschaft und den Staat fordern und in der Partei verweigern“, hatte der Unterbezirksvorsitzende Klaus-Dieter Franke eingangs die Genossen in die Pflicht genommen. Die Bedingung dafür sei die Quotierung.

"Wir Frauen wollen teilen, die Hausarbeit, aber auch die Macht“, forderte die Bundestagsabgeordnete Doris Odendahl in ihrem Referat. Dabei ginge es auch um die Vorbildfunktion der Sozialdemokraten, um ihre Glaubwürdigkeit. Die Quotierung müsse man solange als Prothese, als Krücke fordern, bis die Gleichberechtigung zur Selbstverständlichkeit geworden sei.

Denn daß Appelle alleine keinen Fortschritt brächten, belegte die Kabarettistin und Journalistin Karin Hempel-Soos mit Beispielen „frauenbefreiter“ Regionen. Humorvoll aber deutlich ging sie den Herren Mandatsträgern ans Leder: „Die Aktionsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen kann nicht mehr mit ansehen, wie sich unsere Männer kaputtmachen. Und kaputte Männer machen kaputte Politik. Wir fordern zum Schutz der Männer die Quotierung“. Um sich zu wehren, müßten die Frauen "zu sowas finden wie zivilem Ungehorsam“.

Quotierung als "Generalangriff auf die Macht der Männer“ (Norbert Kunz) wurde beschworen, nötig, weil man ehemals mangels Alternative bei „mancher männlichen Pfeife“ ein Kreuzchen machen mußte. Als Chance für die Frauen, sich nicht mehr nur Frauenfragen, sondern anderen Sachthemen widmen zu können. Als Hilfe, dem "Ziel ein Stück näher zu kommen“ (Beate Zahe).

Daß dieser von den Ortsvereinen Süd und West eingebrachte Antrag nicht ohne Probleme ist, wurde nicht nur von den Gegnern deutlich gemacht. Klaus-Dieter Franke sah durchaus, daß Frauen sich diskriminiert fühlen könnten, wenn sie nur nach der Zahl, nicht nach der Qualifikation gewählt würden. Und er fürchtete auch, daß Männer, die sich verdient gemacht hätten, sich vors Schienbein getreten fühlen könnten. "Aber Gleichberechtigung kann vor nichts halt machen.“

Das gewichtigste Problem stellt in seinen Augen jedoch die Umsetzung des Quotierungsbeschlusses dar: "Da sind wir als Partei gefragt, das hat für jeden auch persönliche Konsequenzen.“ Probleme, die sich seiner Meinung nach lösen lassen. Eine Kommission solle den Ortsvereinen dabei helfen, die auch Wolf-Michael Catenhusen (MdB) angeregt hatte. Um glaubwürdig zu bleiben, kündigte er übrigens an, werde man auch auf Bundesebene zu einer Quotierung kommen müssen, wenn andere Versuche fehlschlügen.

Die "Quotenfrau“ als Schreckgespenst? Für die Gegner der 40-Prozent-Regelung kann sie zum Bumerang werden, der sich negativ aufs Selbstbewußtsein der aktiven Frauen auswirkt. Schädlich sein für die Mobilisierung der Frauen an der Basis, weil der Eindruck eines Gerangels um Posten erweckt werde.

Für die Männer, die jetzt um ihre Posten bangen mögen, hatte die Frauen-Songgruppe („Kennt ihr die Frauengruppe aus der Rathaustruppe - und Münsters ASF? Wir sind die Powerfrauen, die sich viel zutrauen, und wir fordern unser Recht.“) einen musikalischen, aber vielleicht doch nicht so tröstlichen Tip parat: „Weine nicht, wenn ein Vorrecht fällt, es gibt Besseres auf der Welt. Marmor, Stein und Eisen bricht, aber Frauen-Power nicht!“

Übrigens soll mit einem Begleitantrag zu Tagungszeiten und -orten sowie Kinderbetreuung sichergestellt werden, dass den Frauen politische Betätigung auch tatsächlich möglich wird.



SYSTEMATIK / WEITERE RESSOURCEN  
Typ1.3   Einzelquelle (in Volltext/Regestenform)
Zeit3.10   1950-1999
Ort3.5   Münster, Stadt <Kreisfr. Stadt>
Sachgebiet3.18   Parteien
6.8.8   Frauen
DATUM AUFNAHME2004-05-05
AUFRUFE GESAMT3188
AUFRUFE IM MONAT167