QUELLE

DATUM1912   Suche   Suche DWUD
TITEL/REGESTBericht über die zweite ordentliche Sitzung der Kinokommission des Westfälischen Landgemeindetages am 11.12.1912 in Dortmund
TEXTDie Kinokommission des Westfälischen Landgemeindetags

Am 11. Dezember 1912 fand im Fürstenzimmer des Hauptbahnhofs in Dortmund die zweite ordentliche Sitzung des vom Westfälischen Landgemeindetag zur Untersuchung der Kinofrage und Förderung der Kinoreform eingesetzten Kommission statt. Zahlreich waren die Mitglieder aus allen Teilen der Provinz Westfalen der vom Vorsitzenden, Amtmann Berkermann (Eickel), ausgehenden Einladung gefolgt. Auch hatte der rheinische Gemeindetag, der eine ähnliche Bewegung einleiten will, die Herren Bürgermeister Heynen (Friemersheim) und Krake (Kupferdreh) als Vertreter zu der Beratung entsandt, ein Beweis, welch großes Interesse man neuerdings allerorts der Kinofrage entgegenbringt, und wie sehr man von der Notwendigkeit einer praktischen Kinoreform überzeugt ist. Der zahlreichen Beteiligung entsprach der anregende Verlauf der mehrstündigen Sitzung, die wieder eine Reihe für die Reform wichtiger Ergebnisse zeitigte.

Einleitend gab der Vorsitzende einen kurzen Überblick über die bisherigen Arbeiten und Erfolge der Kommission und der beim Amt Eickel eingerichteten Auskunftsstelle, über die in den frühern Nummern des Verbandsorgans der Kommission, "Bild und Film", schon ausführlich berichtet ist. Sodann teilte er mit, daß der Vorstand des Westfälischen Landgemeindetags aus praktischen Gründen, da noch nicht eine genügende Beteiligung der in Frage kommenden Gemeinden zu erreichen gewesen sei, von der Anschaffung eines eignen Wanderkinos Abstand nehmen wolle. Die Gemeinden, die ein Wanderkino wünschen, sollen auf das von der Lichtbilderei G.m.b.H., M.Gladbach, eingerichtete Wanderkino hingewiesen werden. Auch soll ihnen geraten werden, mit Kinobesitzern benachbarter Städte wegen Vorführungen von Reformvorstellungen Beziehungen anzuknüpfen. Mit Befriedigung wurde davon Kenntnis genommen, daß der Minister der geistlichen und Unterrichtsangelegenheiten der Kommission zur Bestreitung der Druckkosten für Propagandaschriften und der aufklärenden Arbeit in der Presse einen Betrag von 500 M. zur Verfügung gestellt hat. Im Anschluß hieran wurde die Notwendigkeit der fortlaufenden Aufklärung der Öffentlichkeit über die Gefahren unseres heutigen Kinowesens durch die Presse, Versammlungen, allgemeine Kreiskonferenzen u. dgl. betont. - Nach längerer Ausprache beschloß die Kommission, zu dem "Verein der Lichtbildtheaterbesitzer von Rheinland und Westfalen" eine abwartende Stellung einzunehmen. Wenn der Verein tatsächlich auch im Reformsinne arbeiten wolle, sei das nur zu begrüßen. Man verhehlte sich dabei aber nicht die großen Schwierigkeiten, die einer Reform von den Privatkinobesitzern wegen ihrer bunten Zusammenwürfelung, der bisherigen indifferenten, zum Teil feindlichen Stellung zur Kinoreform, der zu sehr überwiegenden Erwerbsinteressen, Konkurrenzneid usw. entgegenständen. Das beste Mittel sei eine kräftige Weiterarbeit der Kommission in der bisherigen Weise. Die aufklärende Arbeit habe im Verein mit dem Bemühen anderer Reformbestrebungen, vor allem der Lichtbilderei M. Gladbach, offensichtlich den Erfolg gezeitigt, daß in einzelnen Städten eine gewisse "Kinomüdigkeit" bezüglich des bisher dargebotenen Schunds eingetreten sei. Das Volk lerne den zweifelhaften Wert der zum Teil albernen und geschmacklosen, zum Teil sittlich anstößigen Programme allmählich einsehen und meide die Kinos. Die in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedrohten Besitzer würden dazu übergehen müssen, einwandfreie und wertvollere Filme zu bringen. An einigen Orten haben die Theaterbesitzer in richtiger Erkenntnis dieser Sachlage sich schon freiwillig einer Zensurkommission unterworfen. Das ist z. B. in M.Gladbach erreicht worden, hauptsächlich durch das energische Vorgehen der Lichtbilderei. Soweit die Bestrebungen des sogenannten "Theatervereins" sich gegen die allzu hohen Kinosteuern richteten, die durchaus kein Mittel zur Hebung des Kinowesens seien und nur deren Betrieb verteuerten, könne man sich damit einverstanden erklären. Wenigstens müsse man verlangen, daß die Kommunen eine weitgehende Steuerermäßigung oder Befreiungen für Veranstaltung von Reformvorführungen gewährten, wie dies z. B. in Hagen geschehen sei.

Im weitern Verlauf der Verhandlungen beschloß die Kommission auf Vorschlag des Prof. Dr. Sellmann (Hagen) die Einrichtung von Kinoinstruktionskursen für Beamte, Geistliche, Lehrer, Jugendpfleger, in denen die Kinofrage nach ihrer pädagogischen, volksbildenden, rechtlichen, volkswirtschaftlichen und technischen Seite behandelt werden soll. Die Einrichtung der Kurse ist so gedacht, daß den Vorträgen von fachverständiger Seite nebst Diskussion sich die Vorführung geeigneter Filme anschließt. Von der Abhaltung derartiger Kurse verspricht sich die Kommission außerordentlich viel im Sinne einer Nutzbarmachung der Kinematographie für die Zwecke der Volksbildung, Jugendpflege und Schule. Es soll zunächst für den Ruhr-Industriebezirk am 24. Februar im Gemeinde-Lichtspielhaus in Eickel ein derartiger Kursus abgehalten werden, für den Prof. Dr. Sellmann und der Vorsitzende der Kommission, Amtmann Berkermann, Vorträge übernommen haben. Die betreffenden Königlichen Regierungen sollen gebeten werden, die Behörden, Lehrer, Jugendpflegeausschüsse usw. auf den Kursus hinzuweisen und ihnen den Besuch durch Erstattung der Reisekosten, eventuell aus dem Fonds für Jugendpflege, zu ermöglichen.

Des weiteren will die Kommission sich mit den Landwirtschafts- und Handwerkskammern in Verbindung setzen, um sie zu veranlassen, aufklärende Filme aus dem Gebiete der Landwirtschaft, der Industrie und des Handwerks herstellen zu lassen. Die Filme sollen zunächst zu Lehrzwecken in den Fortbildungsschulen und den Fachversammlungen dienen, dann aber in der Hauptsache die Industrielle Bevölkerung über Wesen, Bedeutung und Wert der Landwirtschaft, und umgekehrt die ländliche Bevölkerung über die Industrie aufklären. Man wird zugeben müssen: wenn der Plan gelingt, kann er ein vorzügliches Mittel zur Überbrückung der bedauerlichen Interessengegensätze zwischen Industrie und Landwirtschaft werden und die beiden für die Nation wichtigsten Berufsgruppen im gegenseitigen Verstehen einander näherbringen. Der Plan stellt daher ein wichtiges nationales Beginnen dar.

Die Kommission will ferner die von der Lichtbilderei M.Gladbach bereits in weitem Umfange begonnene Zusammenstellung guter Reformprogramme energisch unterstützen. Hierbei teilte der Vertreter der Lichtbilderei, Dr. Lorenz Pieper, mit, daß die Lichtbilderei, wenn sich genügend Beteiligung, etwa 20 dauernde Abnehmer, fänden, beabsichtige, ein spezielles wissenschaftliches Wochenprogramm stets neu anzuschaffen und zu verleihen. Das Programm würde jeweils 1000 Meter an Filmen bieten; der Leihpreis für jedes Theater wird pro Meter und Tag 6 Pf., d. h. 60 M. für das ganze Programm, betragen. Desgleichen wurde aufmerksam gemacht auf das neu aufgelegte und ergänzte Verzeichnis "Belehrende Filme für Schule und Volk" der Lichtbilderei M.Gladbach; es enthält etwa 700 belehrende Filme aus den Gebieten: Naturwissenschaft, Medizin und Hygiene; Landwirtschaft und Nebengewerbe; Geographie; Reise- und Naturbilder; Völkerkunde; Industrie und Technik; Geschichtliches; Militärisches; Patriotisches; Sport; Flotte; Luftschiffahrt; Religiöses. Ein anderer Spezialprospekt hat mit Hilfe dieses großen Verzeichnisses der einzelnen Filme etwa 30 feste "Schülerprogramme" (enthaltend 8 bis 10 belehrende Filme von insgesamt etwa 1000 m Länge) aufgestellt, zum Teil unter einheitlichem Titel, z.B.: Das Leben des Meeres; Flotte; Balkan; Der Winter; Bilder aus der Schweiz; Durch Italien; Bewohner des Wassers; Aus nordischen Ländern; Theodor Körner usw. Der Preis dieser Programme bewegt sich von 15 M. an je nach Wert und Alter der Filme.

Zu dem im "Reichsanzeiger" veröffentlichten Entwurf eines Reichstheatergesetzes, der auch die Einführung der Konzessionspflicht für die Kinos bezweckt, nahm die Kommission die in dem Aufsatz auf Seite 83 dieser Nummer näher begründete Stellung ein, die sie in folgender Resolution, die an das Reichsamt des Innern und die Reichstagsabgeordneten gesandt werden soll, niederlegte:
"Die vom Westfälischen Provinzial-Landgemeindetag zur Behandlung der Kinofrage eingesetzte Kommission begrüßt den in dem "Reichsanzeiger" veröffentlichten Entwurf eines Reichstheatergesetzes, soweit er die Unterstellung der Kinematographentheater unter die Reichsgewerbeordnung bezweckt, also namentlich die Novelle zu den §§ 33a, b und 53 der Gewerbeordnung in Artikel I des Gesetzentwurfs als ein durchaus geeignetes Mittel zur Reform der Kinos; namentlich die Einführung der Bedürfnisfrage für stehende Kinematographentheater und die Forderung eines Qualifikationsnachweises in sittlicher und finanzieller Hinsicht für den Unternehmer. Auch glaubt die Kommission im Gegensatz zu der am 19. Dezember auf dem ersten Deutschen Kinokonkreß in Berlin von den Vertretern des Schutzverbandes der Deutschen Lichtbildtheater gefaßten Resolution, daß eine solche Regelung der Kinematographenfrage durchaus auch im Interesse der Kinobesitzer selbst liegt. Sollte aber tatsächlich eine Schädigung der Privatkinos eintreten, so muß diese als unvermeidlich hingenommen werden, da das durch das jetzige Kinowesen bedrohte Volkswohl unter allen Umständen über die Privatinteressen einiger Kinobesitzer gestellt werden muß.

Ist die Kommission mit dem Entwurf auch im großen und ganzen durchaus einverstanden, so hält sie doch einige Änderungen für dringend erforderlich, und zwar:

1. die Einfügung der Worte "und der Beurteilung der Filme" hinter dem Worte "Hinsicht" im § 33a Ziffer 1. Es würde hierdurch erreicht, daß an den Kinoleiter eine gewisse Anforderung in bezug auf seinen Bildungsgrad hinsichtlich der Beurteilung der Filme gestellt werden könnte;

2. die Einfügung der Worte "und den Gemeindebehörden" hinter dem Worte "Ortspolizeibehörde" im § 33a Ziffer 4. Die Erteilung der Erlaubnis zur Ausübung des Kinogewerbes berührt nicht nur wie die andern im § 33a der Gewerbeordnung genannten Lustbarkeiten polizeilich zu schützende, sondern vitale Interessen der Gemeinden, namentlich auf dem Gebiete der Volkswirtschaft, der Schule und Jugendpflege, deren Pflege zu dem Aufgabenkreis der Gemeinden gehört. Die Kommission hält daher die Forderung, daß vor Erteilung der Erlaubnis auch die Gemeindebehörde in Analogie zum § 33 der Reichsgewerbeordnung gutachtlich gehört werden muss, im Interesse der Gemeinden durchaus für berechtigt.

Sollten bei der dem Vernehmen nach im Reichsamt des Innern stattfindenden Beratung über das Reichstheatergesetz auch Kinointeressenten zugezogen werden, so bittet die Kommission auch sie und die Lichtbilderei G.m.b.H. in M.Gladbach als die bedeutsamsten bisher bestehenden praktischen Kinoreformbewegungen, die, teils mit behördlicher Unterstützung, im Sinne der Reform tatkräftig gearbeitet und namentlich auch die Gründung von Gemeindelichtspielhäusern betrieben und eine Reihe namhafter Erfolge auf diesem Gebiete davongetragen haben, hinzuzuziehen."

Man kann es nur begrüßen, daß auch von der Reformseite das Verlangen gestellt wird, zu den Beratungen über das Gesetz im Reichsamt des Innern zugezogen zu werden. Hat doch sogar der Verband der Lichtbildtheaterbesitzer für Cöln und Umgebung in diesen Tagen ein ähnliches Verlangen gestellt. Es erscheint daher nötig, daß die maßgebenden Stellen nicht nur einseitig informiert werden.

Zum Schlusse befürwortete die Kommission warm das Abonnement auf die Kinoreformzeitschrift "Bild und Film", deren gediegener Inhalt und objektive, jede konfessionelle und parteipolitische Tendenz ausschließende, eine allseitige Kinoreform anstrebende Redaktion anerkennend hervorgehoben wurde. Die Zeitschrift sei namentlich auch den Kommunen und Polizeibehörden zu empfehlen.

So hat die Kinokommission des Westfälischen Landgemeindetags wieder bedeutsame Anregungen im Interesse der Kinoreform gegeben. Es ist nur zu bedauern, daß ihre bisherige praktische Arbeitsweise und ihre nahmhaften Erfolge nicht auch weitere Kreise, speziell die Gemeindeverbände anderer Provinzen, vor allem die Städtetage, da ja in den Städten das Kinoproblem am brennendsten ist, zu gleichen energischen Vorgehen veranlaßt haben. Wenn heute täglich etwa 3 1/2 Millionen Deutscher sich in die 4000 deutschen Kinos drängen, also wöchentlich etwa 24 Millionen, d.h. mehr als ein Drittel der deutschen Nation, so ist bei dem jetzigen ästhetischen und moralischen Stande des Kinowesens in Deutschland angesichts der drohenden moralischen Verflachung unseres Volkes das Wort berechtigt: Periculum in mora!
B.


QUELLE     | Bild und Film | 2. Jg., Heft 4, S. 93-96


SYSTEMATIK / WEITERE RESSOURCEN  
Typ1.3   Einzelquelle (in Volltext/Regestenform)
Zeit3.9   1900-1949
Sachgebiet14.14   Film, Kino
DATUM AUFNAHME2004-05-10
AUFRUFE GESAMT2254
AUFRUFE IM MONAT184