QUELLE

DATUM1913   Suche   Suche DWUD
TITEL/REGESTBericht über den Instruktionskurs der Kinokommission des Westfälischen Landgemeindetages am 26.02.1913 in Eickel
TEXTInstruktionskurs der Kinokommission des Westfälischen Landgemeindetags in Eickel

Dem von der Kinokommission des Westfälischen Landgemeindetags am 26. Februar im Gemeindelichtspielhaus in Eickel veranstalteten Kinoinstruktionskursus war ein voller Erfolg beschieden. Etwa 450 Teilnehmer waren aus allen Teilen der Provinz Westfalen und dem angrenzenden Gebiete der Rheinprovinz zusammengeströmt. Die Königliche Regierung in Arnsberg war vertreten durch die Herren Oberregierungsrat Waldschmidt, Geheimen Regierungsrat Rahm und Regierungs- und Schulrat Reibert, die Königliche Regierung in Münster durch die Herren Regierungs- und Schulrat Cranhold und Regierungsassessor Dr. Schmige. Der Bischof von Paderborn hatte den Vorsitzenden der katholischen Jugendvereine der Diözese, Pfarrer Sandhage in Hamm, entsandt. Zahlreich waren auch die sonstigen staatlichen und kommunalen Behörden vertreten. So bemerkten wir u.a. Herrn Polizeipräsidenten Dr. zur Nieden (Gelsenkirchen), zahlreiche Bürgermeister und Amtmänner, Kreisschulinspektoren, Vertreter der katholischen und evangelischen Geistlichkeit, Lehrer von höhern und Volksschulen, Mitglieder von Jugendpflegeausschüssen usw. Gewiß ein erfreulicher Beweis, wie die Bedeutung der Kinematographie und die Notwendigkeit einer Reform in immer weitere Kreise gedrungen ist, und daß die Arbeiten der westfälischen Kinokommission bis in die höchsten Kreise hinein sich einer gerechten Würdigung und wohlwollenden Förderung erfreuen.

Der Kursus selbst nahm folgenden Verlauf: Nach einer kurzen Begrüßung gab der Vorsitzende der Kommission, Amtmann Berkermann (Eickel) einen gedrängten Überblick über die bisherige Tätigkeit der Kinokommission, die an anderer Stelle dieser Zeitschrift schon ausführlich gewürdigt ist, ferner über die Zwecke und Ziele des Kursus. Er solle den Teilnehmern Aufklärung über das Wesen und die Bedeutung des Kinematographen als Volksbildungsmittel, über die Mittel zur Bekämpfung seiner Auswüchse über seine Anwendbarkeit auf den verschiedenen Gebieten der Volksbildung, Schule, Jugendpflege, Wissenschaft usw. bringen und dadurch einer kräftigen Kinoreform den Weg ebnen. Nach der Begrüßungsansprache überbrachte Oberregierungsrat Waldschmidt die Wünsche des Herrn Regierungspräsidenten und der Königlichen Regierung in Arnsberg. Er betonte das große Interesse, das die Königliche Regierung an den Arbeiten der Kinokommission stets genommen habe und wünschte dem Kursus und der Kinoreform überhaupt einen gedeihlichen Fortgang. Ähnliche Wünsche sprach Regierungs- und Schulrat Cranhold in Münster aus, der die Grüße des Herrn Regierungspräsidenten in Münster überbrachte. An diese Ansprache schloß sich zunächst die Vorführung des von der Lichtbilderei M.Gladbach gelieferten bekannten Musterdramas, des Itala-Films "Der Vater". Dann behandelte Prof. Dr. Sellmann (Hagen) das Thema "Der Kinematograph in psychologischer und pädagogischer Beziehung" mit den Unterabteilungen: der Kinematograph und die Schule, der Kinematograph und die Jugendpflege und der Kinematograph und die Volksbildung. Der Redner zeigte in packender Weise, wie der Kino heute noch überwiegend ein Volksverderber sei. Er bringe viel Albernes, verderbe durch die kriminellen und sexuellen Darstellungen, die in den Sensationsdramen die Hauptrolle spielten, die Jugend, mißhandle die deutsche Sprache, überschwemme das deutsche Volk mit ausländischen Filmen schwüler Erotik usw. Aber trotz alledem könne er ein Volkserzieher werden, wenn er richtig geleitet würde. Er zeigte an Beispielen seine Bedeutung für die Schule, namentlich für die Fortbildungsschule, für die Jugendpflege und Wissenschaft, aber auch für die einzelnen Berufsstände, besonders für Industrie und Landwirtschaft.

Weiter behandelte er die einzelnen Arten der Filme. Zum Schlusse wies er auf die heute schon bestehenden einzelnen Reformbestrebungen hin, wobei er mit ganz besonderm Nachdruck und unter dem Beifall des Kursus auf die sehr verdienstvolle Tätigkeit der Lichtbilderei G.m.b.H. in M.Gladbach und der von derselben herausgegebenen Kinozeitschrift "Bild und Film" hinwies. Er empfahl dringend das Abonnement auf diese beste Kinofachzeitschrift. An den Vortrag schloß sich eine äußerst interessante Diskussion, namentlich über die Berechtigung des Dramas im Kino, besonders des vorgeführten Itala-Films "Der Vater". Die Mehrheit war der Ansicht, daß Dramen in der bisherigen Art zwar zu verwerfen seien, man aber die Möglichkeit eines "Kinodramas" prinzipiell und für die Zukunft nicht leugnen könne. Das vorgeführte Musterdrama "Der Vater" wurde als der Lösung des "Filmdramas" ziemlich nahekommend und vorbildlich bezeichnet. Herr Polizeipräsident Dr. zur Nieden gab dann im weitern Verlauf der Diskussion wertvolle Winke über die Handhabung der Zensur. Ein Redner aus Essen schilderte das niedrige Niveau der dortigen Kinos und tadelte die zu große Nachsicht der Essener Polizei bei Handhabung der Zensur. Prof. Dr. Sellmann faßte dann das Resultat des Vortrags und der Diskussion namentlich in bezug auf das Land in folgender Resolution zusammen:

Das Lichtspiel auf dem Lande

"1. Das Lichtspiel dringt als Wander- und Standkino von der Großstadt hinaus aufs Land. Leider sind es zumeist Schundkinos, die Sensationsdramen bieten; während man in den Großstädten derartiger Paprikakost schon überdrüssig zu werden beginnt, scheint auf dem Lande für derartige Schundkinos Zustimmung vorhanden zu sein, falls nicht energische Aufklärungsarbeit das Vordringen der Schundkinos hindert.

2. Die Landbevölkerung zieht in großen Scharen, besonders am Sonntag, vom Lande in die benachbarten Städte, um sich die Kinos anzusehen. Es gibt schon jetzt Tausende und aber Tausende, die regelmäßig die Stadtkinos besuchen, auch wenn diese weiter entfernt liegen. Diese moderne Völkerwanderung vom Lande in die städtischen Schundkinos ist in wirtschaftlicher und sittlicher Beziehung nicht wünschenswert.

3. Es sind Filme herzustellen (Gesuche an Landwirtschaftskammern oder an das Ministerium), in denen landwirtschaftliche Musterbetriebe und überhaupt landwirtschaftliche Arbeit und ländliches Leben vorgeführt wird. (Verschiedene Früchte und Körnerbau, Obstzucht, Moor- und Heidekultur, landwirtschaftliche Maschinen im Betriebe, die Landwirtschaft fremder Länder, Trachten, Volksbräuche, Volksfeste, Wiesenmeliorationen, Molkereien, Viehzucht usw.). Derartige Filme haben große Bedeutung
a) für die landwirtschaftliche Bevölkerung im allgemeinen,
b) für die ländlichen Fortbildungsschulen insbesondere,
c) für die städtische Bevölkerung, damit diese wieder Sinn und Verständnis bekommt für die ländliche Arbeit und das ländliche Leben.

4. In größeren Landgemeinden sind in den Häusern, die der Jugendpflege dienen, gleichzeitig die Anlagen für Kinematographen und Lichtbildapparate ins Auge zu fassen. Man darf diese vorzüglichen modernen Anschauungsmittel nicht länger mehr der ländlichen Bevölkerung besonders der ländlichen Jugend vorenthalten. Auf den Landratsämtern, Kreishäusern sind Filmarchive für diese Zwecke einzurichten.

5. Auf dem Lande müssen auch Filme gezeigt werden, die das Leben der Großstadt veranschaulichen, damit die Landbevölkerung, wenn sie einmal in die Stadt kommt, nicht einer fremden Welt gegenübersteht und auch schon rechtzeitig vor den Gefahren der Großstadt gewarnt wird. Es geht viel zu viel Menschenmaterial, das vom flachen Lande in die Stadt kommt, im Sumpfe der Großstadt verloren (Bauernfängerei, Schicksal der Mädchen vom Lande in der Stadt, der landwirtschaftlichen und der Industriearbeiter). Derartige Filme sind ganz besonders wichtig.

6. In Gemeinden, die sich keinen eignen Apparat anschaffen, ist für eine derartige gediegene Unterhaltung und Belehrung mit Hilfe der Wanderkinos zu sorgen, die in bestimmten Zwischenräumen wiederkehren und besonders im Winter in Umlauf gesetzt werden müssen."

Nach einem gemeinsamen Mittagessen wurden dann die Verhandlungen fortgesetzt. Amtmann Berkermann sprach kurz über die Kinofragen rechtlicher und wirtschaftlicher Natur. Er begrüßte die in Aussicht stehende gesetzliche Einführung der Konzessionspflicht, deren Ausdehnung er auch auf die bereits bestehenden Kinos forderte. Gerade unter den bestehenden seien in baulicher Beziehung derartig minderwertige Lokale, daß man sie als zum Aufenthalt von Menschen für ungeeignet bezeichnen müsse. Es sei vorgekommen, daß Ställe, Scheunen usw. zu Lichtspielhäusern umgebaut seien. Er besprach dann weiter die Grundsätze, nach denen die Zensur zu üben sei, ferner die Steuer. Hierbei betonte er, daß die Kinosteuer, wie sie heute in den meisten Städten eingeführt sei, die Kinos geradezu erdrücken müsse. Eingehend erörterte er dann Betrieb und Betriebsform eines Gemeindekinos, wobei er das Gemeindekino in Eickel als Beispiel nahm, und besprach die Gründe, die die Gemeinde Eickel zur Errichtung eines Gemeindelichtspielhauses geführt hätten, ferner die verwaltungstechnischen Einrichtungen und die Geschäftsführung des Kinos. Hierbei gab er wertvolle Winke über die Verbilligung des Betriebes. Das bisherige finanzielle Ergebnis des Gemeindekinos sei durchaus befriedigend.

Auch an diesen Vortrag schloß sich eine lebhafte Dikussion, in der besonders im Anschluß an die betonte Schwierigkeit der Beschaffung guter und einheitlicher Programme, die Notwendigkeit des Zusammenschlusses aller bisher bestehenden Kinoreformbestrebungen als dringlich bezeichnet wurde. Nur durch Zusammenschluss sei es möglich, an die Fabrikanten heranzukommen und auf den Filmmarkt Einfluß zu gewinnen. Namentlich wurde die Einrichtung einer Auskunftsstelle für Kinofragen, die die Gründung von Reformkinobetrieben und überhaupt die Reformbestrebungen fördern solle, mit einem besoldeten Generalsekretär an der Spitze erörtert. An der Erörterung beteiligte sich besonders Herr Geheimer Regierungsrat Rahm (Arnsberg), der auf dem Gebiete der Jugendpflege in dem Arnsberger Bezirk Mustergültiges geschaffen hat und dadurch weit über die Grenzen dess Regierungsbezirks hinaus bekannt geworden ist. Über die Form und den Träger der Auskunftsstelle gingen die Meinungen auseinander. Während die einen, namentlich Prof. Dr. Sellmann (Hagen), Dr. Lorenz Pieper (M. Gladbach) usw. eine besondere Organisation schaffen wollten, der Einzelmitglieder und Korporationen etwa mit einem Jahresbeitrag von 3 bis 10 M. angehören sollten, sprachen sich Amtmann Berkermann und Geheimrat Rahm gegen die Bildung einer neuen Organisation aus. Man solle zunächst versuchen, auch die Städtetage für die Kinoreform zu interessieren. Landgemeindetag und Städtetag zusammen würden dann eventuell mit Unterstützung der Staatsregierung eine derartige Auskunfsstelle unterhalten können. Es wurde dann auch die folgende Resolution angenommen:

"Die heutige Versammlung spricht dem Landgemeindetag ihren Dank für seine Bemühungen um Reform des Kinos aus und bittet die Kommission, sich in Permanenz zu erklären.
Der Herr Minister der geistlichen und Unterrichtsangelegenheit wird gebeten, für das Jahr 1913 der Kommission einen erhöhten Staatszuschuß zu bewilligen, damit ein Sekretär angestellt werden kann, der die Bestrebungen durch Wort und Schrift weiter verbreitet.
Es wird empfohlen, sich mit dem Westfälischen Städtetag in Verbindung zu setzen und so die Angelegenheit auf eine breitere Basis zu stellen."

Dr. Pieper wies darauf hin, daß diese Resolution die Sache vorläufig wohl fördern möge, daß aber das Hauptgewicht doch wohl auf die baldige Gründung einer besonderen Organisation zu legen sei, die alle bestehenden Kinoreformbestrebungen, also sowohl Einzelpersonen wie Verbände, auch die Landgemeinde- und Städtetage umschlösse. Heute sei es doch so, daß energische Reformbestrebungen an manchen Orten wie Strohfeuer aufflackerten, aber oft ebensoschnell verlöschten. Er erinnerte an die "Gesellschaft für Lebensbilder" in Berlin und die verschiedenen Reformvorstöße in Dresden, Leipzig usw. Einzelpersonen und Vereine mühten sich einzeln meistens ohne nennenswerte durchschlagende Erfolge ab. Es sei jammerschade um so vielen guten Willen und so viele vergeudete Kraft. Dem Ganzen fehle die zielbewußte einheitliche Leitung, die Zentralstelle, an der Erfahrungen gesammelt und wieder verwertet werden könnten, die stets wieder von neuem ansporne und nicht locker lasse, die selbst Anregung zur Herstellung guter Filme gebe und eventuell die Herstellung derselben in die Hand nehme. Eine Auskunftsstelle mit einer solchen Fülle von Arbeiten müsse schon aus finanziellen Gründen einen breitern Resonnanzboden haben, als Landgemeinde- und Städtetag naturgemäß schaffen könnten.

Weitere Diskussionsredner wiesen darauf hin, daß eine derartige Organisation aus allen interessierten Kreisen, natürlich in erster Linie Landgemeinde- und Städtetag, dann aber auch aus den Gemeinden, Ämtern, Bürgermeistereien und Kreisen selbst, weiter aus Vereinen religiöser, patriotischer und wirtschaftlicher Natur sich zusammensetzen müsse, besonders aus interessierten Einzelpersonen, namentlich auch Großindustriellen, endlich aus Landwirtschaftskammern, Handelskammern, landwirtschaftlichen und industriellen Berufsvereinen. Namentlich auch die letzteren hätten ein großes Interesse an der Frage. Es fehle heute noch an Filmen über landwirtschaftliche und industriellen Fragen, die zu Lehrzwecken, aber auch zur Aufklärung verwendet werden können. Wie noch vor kurzem von einem Sachkenner und Lehrer auf dem Gebiete des Bergbaues betont worden, seien z.B. überhaupt noch keine brauchbaren Filme über den Bergbaubetrieb usw. vorhanden, die im Fachunterricht verwendet werden könnten. Diesem Mangel abzuhelfen, hätten die genannten Kreise im eigenen Interesse die Pflicht, und gerade auf diesem Gebiete lasse sich die Verwendungsmöglichkeit des Kinematographen in wertvoller Weise erweitern. Was der Film auf diesem Gebiete zeigen könne, beweise der im Auftrag der Firma Krupp hergestellte Film über die Entwicklung des Waffenhandwerks, der gelegentlich der Jahrhundertfeier der Firma vorgeführt werden sollte. (Übrigens hat Herr Legationsrat Krupp v. Bohlen-Halbach der Kinokommission für später die Überlassung des Films in anerkennenswerter Weise in Aussicht gestellt.) Für alle diese Fragen könnte die Organisation der Mittelpunkt werden. Übrigens brauche die Organisation sich auch nicht als neuer Verein darzustellen, man könne ruhig eine andere Gesellschaftsform wählen, etwa eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung oder degleichen. Auf die Form komme es nicht an, die Hauptsache sei, daß der Zweck erreicht werde. Aber ohne einer derartige Organisation hänge die ganze Kinoreform in der Luft, und es würde nichts Durchgreifendes dabei herauskommen.

Den Schluß des Kursus bildete ein Vortrag von Herrn Eduard Liesegang (Düsseldorf) über die Technik der kinematographischen Apparate, die Behandlung der Filme und Lichtbilder usw. Der Redner zeigte an Hand von trefflichen Lichtbildern in äußerst instruktiver Art die Technik der Kinematographie.

Leider mußten wegen Beginns der Abendvorstellungen für das Publikum und wegen der vorgerückten Zeit die Verhandlungen gegen 6 Uhr abends abgebrochen werden. Amtmann Berkermann schloß die Versammlung mit Worten des Dankes für die rege Anteilnahme. Ein Teilnehmer sprach dem Landgemeindetag den Dank für die Veranstaltung aus. Allgemein aber wurde der Wunsch auf baldige Wiederholung eines solchen Kursus laut. Die Verhandlungen sollen demnächst im Druck erscheinen und den Teilnehmern und sonstigen interessierten Kreisen zugesandt werden.

Der Wert eines derartigen Instruktionskursus liegt vor allem darin, daß weiten Kreisen der Verwaltung, den Geistlichen und Lehrern usw. eingehende Aufklärung über die Kinofrage gegeben wird, damit sie selbst ihrerseits in ihrer Heimat die Kinoreform in Fluß bringen. Auch der Austausch der Erfahrungen auf diesem Gebiete hat sich als sehr wertvoll erwiesen. Man kann daher nur den Wunsch äußern, daß solche Kurse an den verschiedensten Orten abgehalten werden möchten.


QUELLE     | Bild und Film | 2. Jg., Heft 6, S. 142-145


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Typ1.3   Einzelquelle (in Volltext/Regestenform)
Zeit3.9   1900-1949
Sachgebiet14.14   Film, Kino
DATUM AUFNAHME2004-05-10
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