QUELLE

DATUM1912   Suche Portal
TITEL/REGESTDas Gemeindelichtspielhaus in Eickel
TEXTDer erste Gemeindekino im Ruhrkohlenbezirk.

Einen bemerkenswerten Beschluß hat die Gemeindevertretung von Eickel einstimmig gefaßt: die Gründung und den Betrieb eines Gemeindekinematographentheaters. Unseres Wissens ist das der erste Gemeindekino im rheinisch-westfälischen Industriebezirk. Während die Städte Stettin und Altona seit einiger Zeit schon derartige Anstalten in eigner Regie betreiben, halten die Gemeinden in Westdeutschland noch vorsichtig zurück. Und doch ist gerade in diesen Bezirken wie nirgendwo das Feld für Gemeindekinos. Wer sehenden Auges durch unsere Großstädte geht, dem werden die marktschreierischen, nicht selten sogar anstößigen Reklamebilder zeigen, welche Luft dort weht. Die Verhandlungen unserer gesetzgebenden Körperschaften haben noch in letzter Zeit ein trauriges Bild der Folgen unseres Kinowesens entrollt, und in seltener Einmütigkeit wurden von allen Parteien von der äußersten Rechten bis zur Linken gesetzgeberische Maßnahmen gegen die Auswüchse der Kinos gefordert. Aber hiermit allein ist es nicht getan. Die Schere des Zensors kann wohl die gröbsten, anstößigsten Bilder beschneiden, wird aber nicht verhindern können, daß so mancher Film, der auf der Grenze steht, durchschlüpft. Hier gilt es Hand anlegen und sich nicht mit prohibitiven Maßregeln zufriedengeben, sondern aus dem Kino allmählich das erstklassige Volksbildungsmittel zu schaffen, das es nach Ansicht maßgebender Autoritäten werden kann. Als ein Schritt hierzu ist die Errichtung eines Gemeindekinos zu begrüßen.

Man wird zwar nicht glauben dürfen, in einem Gemeindekino dürften sofort nur Darstellungen belehrenden und künstlerischen Inhalts gegeben werden, und das "Drama" würde mit einem Schlage verschwinden können. Dazu ist der Geschmack unseres Volkes leider noch zu sehr verdorben. Will man nicht vor leeren Bänken spielen, so wird man vorläufig dem Geschmack unseres Volkes leider noch in etwa Rechnung tragen müssen. Es gilt hier sehr vorsichtig zu lavieren. Aus der großen Anzahl der vorhandenen Filme ist geschickt eine Auswahl zu treffen, die, wenn auch noch keine erstklassige Kost, so doch noch eine genießbare für das Volk darstellt. Auf dem Programm müssen "Dramen" mit belehrenden und künstlerischen Darstellungen wechseln, so daß der Gewinn für den einzelnen immerhin noch ein großer ist. Erst allmählich läßt sich der verbildete Geschmack des Publikums wieder zurückbilden. Aber vereinten Anstrengungen wird und muß es gelingen - wir haben jetzt soviel Vertrauen zu dem gesunden Sinn unseres Volkes -, einst das "Drama" aus dem Kino zu verbannen dorthin, wo es hingehört, auf die Kunstbühne, und die Kinematographie zu dem Ausgang und eignen Felde ihrer Betätigung zurückzuführen, zur objektiven, möglichst scharfen und wahrheitsgetreuen Erfassung und Wiedergabe der bewegten Wirklichkeit in allen ihren Etappen, in allen ihren ungezählten, tausendfach abgestuften Möglichkeiten: Naturgeschehnissen und Landschaften, Geographie, Mikroskopie, Völkerkunde, Arbeit der Menschen, Kriegsbilder usw.

Aber gehört denn der Betrieb eines Kinos zu den Aufgaben einer Gemeinde? Es besteht heute wohl kein Zweifel mehr darüber, daß die Schule, die Bildungs- und Erziehungsanstalten des Volkes wie überhaupt alle Bestrebungen, welche diesen Zwecken dienen, wie Theater, Volksunterhaltungsabende, Jugendpflege u. dgl., zu den Aufgaben der Gemeinde gehören. Ebenso kann und muß auch der Kino in der Hand der Gemeinden ein hervorragendes Bildungsmittel werden. Es wird zwar viele geben, die die Errichtung der Kinematographen von Gemeinde wegen bekämpfen werden. Zuerst das Heer von kleinlichen Nörglern, die jede Neuerung, zumal wenn sie von den Gemeinden kommt, unbesehen kritisieren und verurteilen, mag sie noch so dankenswert sein. Diesen ist nicht zu helfen. Ein anderer Teil wird die Errichtung von Kinos bekämpfen, weil sie nicht zu den Aufgaben der Gemeinde gehöre. Wie denn in letzter Zeit überhaupt über "zuviel Städteregierung" geklagt wird. Es hat nun mal die soziale Entwicklung unserer Zeit mit sich gebracht, daß die Gemeinden das Feld ihrer Betätigung immer mehr ausdehnen müssen, von den Anstalten für Säuglingspflege und den Mutterberatungsstellen bis zu kommunalen Schweinemastanstalt in Karlsruhe - wohl ein Kind der Fleischnotperiode. Es mag sein, daß die Bestrebungen einzelner Gemeinden mal über das Ziel hinausgeschossen sind, im ganzen läßt sich die Entwicklung der Gemeindebetriebe als durchaus gesund bezeichnen. Und manches läge im argen, manche soziale Notlage wäre vorhanden, wenn die Gemeinden nicht notgedrungen eingesprungen wären. Es ist tatsächlich schon vieles infolge verspäteten Eingreifens der Gemeinden verfahren; man denke nur an die Gas- und Elektrizitäts- und Wasserversorgung im Ruhrrevier. Zur Schwarzseherei, wie sie eine Verwaltungszeitschrift am Niederrhein zum Ausdrucke bringt, die mit dem ersten städtischen "Kinodirektor" auch gleich die "fertige Stadt Bebels" kommen sieht, ist durchaus kein Grund vorhanden. Die Bildung des Volkes gehört unbestritten zu den Gemeindeaufgaben, und hierzu gehört die Errichtung von Kinos. Gehen doch schon höhere Schulen zur Errichtung eigner Kinematographen für Schulzwecke über.

Unter den Gegnern der Gemeindekinos, die sich schon zu Wort gemeldet haben, befinden sich unverständlicherweise auch die Theaterdirektoren, die anscheinend eine unbequeme Konkurrenz der Kunstbühne fürchten. Man hätte mit Fug und Recht annehmen können, daß diese Herren die Gemeindekinos als Bundesgenossen in ihrem schweren Kampfe gegen das Überwuchern des "Dramas" an den Lichtspielhäusern begrüßen würden. Ist es doch auch Absicht des Gemeindekinos, das Drama aus dem Kino allmählich zu verbannen. Verständlicher ist schon, wenn die Privatkinematographenbesitzer und Filmverleihanstalten gegen die Gemeindekinos wettern. Gewiß, es gibt auch heute schon manche gute Privat-Kinematographentheater, es gibt auch heute schon einsichtige Besitzer derartiger Anstalten, die die Entwicklung, die die ganze Kinematographie genommen hat, mit uns beklagen, aber allein zu schwach sind, um dagegen ankämpfen zu können und mit dem Strome schwimmen müssen. Diesen gilt der Kampf nicht. Im Gegenteil, sie verdienen alle Unterstützung, und sie werden sich über die Gegenbewegung, die in jüngster Zeit gegen die Auswüchse des "Kientopps" einsetzt, freuen. Ihre Existenzberechtigung neben derartigen Gemeindeanstalten soll durchaus nicht bestritten werden. Es gibt ja auch gute Privaterziehungsanstalten neben den staatlichen und Gemeindeschulen. Sie können ruhig nebeneinander bestehen und Hand in Hand arbeiten. Aber die andern, die in dem Kino, spekulierend auf niedere Instinkte der Massen, nur ein Ausbeuteobjekt sehen, haben keine Existenzberechtigung.

Millionen und aber Millionen Mark gehen heute für die Filme in das Ausland, vor allem nach Frankreich, das den Filmmarkt beherrscht. Eine Tatsache, die, abgesehen von fremdem, ausländischem, undeutschem Wesen, das sich heute in den Kinodarstellungen breitmacht und sicher nicht zur Stärkung des Deutschtums beitragen kann - man achte nur darauf, daß aus Deutschlands ruhmreicher Kriegsgeschichte fast keine Darstellung gebracht wird, dagegen französische und amerikanische Schlachtenbilder und Soldaten ständig zu sehen sind - als Schädigung des Nationalvermögens tief zu beklagen ist. Hier Wandel zu schaffen, den Filmmarkt im eignen Lande zu zentralisieren und die auf deutschen Bühnen gezeigten Filme von ausländischem, undeutschem Wesen zu befreien, wäre ein patriotische Tat. Auch hierzu können die Gemeindekinematographen allmählich beitragen helfen. In diesem Sinne ist die Errichtung des ersten Gemeindelichtspielhauses im rheinisch-westfälischen Industriegebiete zu begrüßen, und man kann nur den Wunsch aussprechen: Vivant sequentes!


QUELLE     | Bild und Film | 1. Jg., Heft 2, S. 53-54


SYSTEMATIK / WEITERE RESSOURCEN  
Typ1.3   Einzelquelle (in Volltext/Regestenform)
Zeit3.9   1900-1949
Ort1.6   Herne, Stadt <Kreisfr. Stadt>
Sachgebiet14.14   Film, Kino
DATUM AUFNAHME2004-05-10
AUFRUFE GESAMT2316
AUFRUFE IM MONAT196