QUELLE

DATUM1856   Suche   Suche DWUD
AUSSTELLUNGSORTBerlin
TITEL/REGESTÜber den Bochumer Verein für Bergbau und Gussstahlfabrikation, Auszug aus dem Bericht über die Weltausstellung in Paris 1855
TEXTWeit aus das Interessanteste unter den Glocken und wohl das wichtigste Neue der ganzen Klassen, sind die Gußstahlglocken der Gesellschaft für Bergbau und Stahlfabrikation zu Bochum, in Westphalen, indem sich an diesen Glockenguß noch die Erwartung weiterer höchst wichtiger Anwendung des Gußstahls knüpft.

Die von der Gesellschaft zu Bochum ausgestellten drei gössern Thurmglocken aus Gußstahl übertrafen an Grösse alle in der Ausstellung vorhandenen Bronzeglocken, ausser denselben waren aber auch einige kleinere Stahlglocken von ihnen ausgestellt. Dieselben waren, wie bereits erwähnt, grossen Anfechtungen ausgesetzt. Auf der einen Seite erschienen die Glockengiesser, welche die Dauerhaftigkeit und den Ton anfochten, auf der andern war es der eigene Landsmann der Aussteller, Krupp, welcher, auf seine Erfahrungen gestützt, die direkte Darstellung gußstählerner Glocken auf dem Wege des Gusses für eine Unmöglichkeit erklären wollte, und deshalb die Glocken von Bochum ohne Weiteres als Glocken aus Gußeisen deklarirte. Was nun die Einwürfe der Glockengiesser betrifft, so war durch eine Reihe amtlicher Dokumente über gelieferte Gussstahlglocken die Dauerhaftigkeit ausser Zweifel gestellt, und über den Ton liess sich immerhin in soweit urtheilen, dass er, wenn auch in der Dauer der Fibration die Bronzeglocken nicht erreichend, doch ein angenehmer starker und namentlich sehr voller ist, welcher dem Bedürfnisse eines Kirchengeläutes hinlänglich entspricht. Nachdem nun der Preis dieser Glocken kaum die Hälfte von demjenigen der Bronzeglocken erreicht, so war es ausser allem Zweifel, dass hier ein sehr wichtiger Fortschritt vorlag. Handelt es sich nun aber um das Maß der Anerkennung für diesen Fortschritt, so kam allerdings auch in Betracht, ob und in wie weit die Benennung „Gußstahlglocken“ die richtige sei oder nicht, indem die grössere oder geringere Schwierigkeit der Darstellung abhängt.

Es ist Thatsache, dass eine Menge Versuche fehlgeschlagen haben, den Gußstahl in Formen zu giessen. Es treten dabei hauptsächlich drei Schwierigkeiten auf. Die erste derselben ist die hohe Temperatur, welche namentlich ein nicht allzuharter zäher Gußstahl bedarf, um den für einen reinen Guß erforderlichen Grad von Flüssigkeit zu erhalten, welcher bei dem Gusse der Stahlbarren nicht nothwendig ist. Gelangt man dahin, durch Anwendung besonders haltbarer Schmelztiegel, gut ziehender Oefen, ausgezeichneten Brennmaterials und geeigneter Gußvorrichtungen, welche die Erkaltung beim Ausgiessen verhüten, den Stahl flüssig genug in die Formen zu bringen, so tritt die zweite Schwierigkeit darin auf, dass dort nicht wie bei dem Gusse der zum Verschmieden bestimmten parallelepipedischen Barren gußeiserne Formen angewendet werden können, welche vermöge ihrer starken Wärmeleitung der Schmelzung durch das eingegossene heisse Material widerstehen, das Gußstück muss beim Erstarren sich kontrahiren können, muss also, sobald es Facon hat, in eine Form gegossen werden, welche dieser Kontraktion nachgiebt, sonst zerspringt es, die dieser Bedingung entsprechenden gewöhnlichen Sand- oder Lehmformen vermögen aber nicht der Hitze des zum dünnen Flusse gebrachten Gußstahles zu widerstehen. Endlich hat es, namentlich in solchen Formen nicht gelingen wollen, der Blasenbildung Einhalt zu thun, welche beim Gusse grosser Gußstahlmassen ohnedies viele Schwierigkeiten bereitet. Somit erschienen die Zweifel über die eigentliche Stahlnatur der Glocken nicht ohne Berechtigung, die Aussteller selbst erkannten dieses an, und sandten im Verlaufe der Ausstellung noch eine Glocke, an welcher sich noch der Anguss befand, welcher an seinem Ende zu einer quadratischen Stange ausgeschmiedet war.

Aber noch waren die Zweifler nicht beruhigt, es war möglich, dass beim Gusse nur die zuletzt eingegossene Masse wirklicher Gußstahl, das Andere Roheisen, oder auch, dass der Anguss durch Ausglühen weich gemacht war. Wirklich wurde dieser Verdacht auch geäussert, und nun erschien der Erfinder der Gußstahlfacongüsse, Herr Meyer, aus Bochum selbst, liess in Gegenwart einer Jury-Kommission die angestrittene Glocke zerschlagen und beliebige Scherben aus allen Theilen derselben ausschmieden und abhärten. Jetzt verstummten die Zweifler. Die Gesellschaft von Bochum erhielt die grosse Ehren-Medaille und Herr Meyer ward mit dem Kreuze der Ehrenlegion dekorirt.

Diese Auszeichnung hat er auch verdient. Mit der Darstellung der Facongüsse aus Gußstahl, deren Detail er als sein Geheimniss bewahrt, ist der Anwendung dieses vortrefflichen Materials ein neues, grosses Feld eröffnet und der Maschinen-Konstrucktion ein weiteres unschätzbares Hülfsmittel geboten. Können Stücke, wie Kurbelachsen, Reife für Lokomotivräder und dergleichen schon im Gusse eine solche Form erhalten, dass für Hammer oder Walze nur die Dichtung und letzte Vollendung verbleibt, so ist eine Menge von Arbeit, welche bisher aufgewendet werden musste, gewonnen, und wenn überhaupt beim Gußstahle wie bei der Bronze Guß- und Schmiedearbeit Hand in Hand gehen können, so werden wir nicht nur eine Menge Gegenstände mit Hülfe dieses Materiales schneller und billiger, sondern auch manche neue Erzeugnisse entstehen sehen, deren Herstellung bisher nicht lohnend gewesen wäre. Nach indirekten Nachrichten aus England soll Herrn Meyers Verfahren dort bereits nach seiner Anleitung in grösserem Maßstabe in Anwendung sein.[1]


[1]Bericht über die allgemeine Industrie-Ausstellung zu Paris, Wien 1856, I. S. 148
ERLÄUTERUNGDer Streit zwischen der Firma Krupp und dem Bochumer Verein für Bergbau und Gußstahl-Fabrikation um die Echtheit der Bochumer Gussstahlglocken (s. erreichte 1855 auf der Pariser Weltausstellung seinen Höhepunkt. Vor Fachpublikum wiederholte Alfred Krupp seine Überzeugung, dass es sich bei dem Material der Glocken um Gusseisen, nicht Gussstahl handelte. Nach einer offiziellen Untersuchung wurde das Material jedoch eindeutig als Gussstahl identifiziert. Für sein Produkt erhielt der Bochumer Unternehmer Jacob Mayer die Goldene Ehren-Medaille der Weltausstellung. Mayer beantragte für seine feuerfesten Gussformen das Patent.

Siehe dazu auch: Antwort des Bochumer Vereins für Bergbau und Gussstahlfabrikation auf die von Alfred Krupp veröffentlichten Zweifel an der Echtheit der Bochumer Gussstahlglocken


PROVENIENZ  Historisches Archiv Krupp
BESTANDArchiv Bochumer Verein für Gussstahlfabrikation AG / Krupp Stahl AG Bochum
SIGNATURWA 80 / 56600 Nr. 1


FORMALBESCHREIBUNGEs handelt sich um einen Auszug aus dem "Amtlichen Bericht über die Allgemeine Pariser Ausstellung von Erzeugnissen der Landwirthschaft, des Gewerbefleisses und der schönen Kunst im Jahre 1855", Berlin 1856, S. 350-351. Der Auszug liegt im Historischen Archiv Krupp als Kopie vor.


SYSTEMATIK / WEITERE RESSOURCEN  
Typ1.3   Einzelquelle (in Volltext/Regestenform)
20   Ausstellung / Katalog, Begleitpublikation
Zeit3.8   1850-1899
Ort1.1   Bochum, Stadt <Kreisfr. Stadt>
1.5   Ruhrgebiet
Sachgebiet10.2   Wirtschaftsförderung, Wirtschaftspolitik, Gewerbepolitik
10.6.1   Unternehmen, Unternehmer
10.13   Industrie, Manufaktur
10.14   Montanindustrie
13.8   Technik
14.1   Medien und Öffentlichkeit / Allgemeines
DATUM AUFNAHME2004-05-11
AUFRUFE GESAMT4480
AUFRUFE IM MONAT397