QUELLE

DATUM1979-09-21   Suche Portal
AUSSTELLUNGSORTMünster
TITEL/REGESTBeschlussvorlage der Verwaltung des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe an den Landschaftsausschuss betr. Gründung eines Westfälischen Industriemuseums
TEXT[S. 35] Beschlußantrag:

Der Landschaftsausschuß beschließt die Errichtung eines Westfälischen Industriemuseums im Haushaltsjahr 1980.

[...]

Begründung:

In ihrer Sitzung am 19. Juni 1979 hat die Landschaftsversammlung einstimmig die anliegende Resolution beschlossen, mit der die Verwaltung aufgefordert wurde, ein Konzept für ein Westfälisches Industriemuseum vorzulegen.


1. Ausgangsüberlegungen

Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe unterhält mit den beiden Westfälischen Freilichtmuseen in Detmold und Hagen zwei auf Westfalen bezogene, aber weit über Westfalen hinaus bedeutsame Einrichtungen zur Darstellung und Erforschung der Lebensformen vergangener Zeiten. Das Westfälische Freilichtmuseum Bäuerlicher Kulturdenkmale - Landesmuseums für Volkskunde - in Detmold zeigt die Entwicklung des bäuerlichen Lebensbereichs vom frühen 15. Jahrhundert bis heute. Das Westfälische Freilichtmuseum Technischer Kulturdenkmahle - Landesmuseum für Technik- und Handwerksgeschichte in Hagen - hat die Aufgabe, die Entwicklung des Handwerks von den Anfängen bis zum Beginn des Maschinenzeitalters darzustellen. Die zeitliche Grenze für seine Arbeit ist damit die Mitte des vorigen Jahrhunderts. Die spätere Entwicklung außerhalb des bäuerlichen Lebensbereiches wird von der Museumsarbeit des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe nicht erfaßt.

Die seit der Mitte des 19. Jahrhunderts verstärkt einsetzende Industrialisierung und das damit zusammenhängende Entstehen großstädtischer Lebensformen hat jedoch größte Bedeutung für das Verständnis unserer heutigen Zivilisation. Als Beispiele für diese Entwicklungen mit ihren Voraussetzungen, Ursachen und Folgen seien genannt: die wirtschaftliche und staatliche Einigung Deutschlands; die Massenzuwanderungen in das Ruhrgebiet; der Bau der großen Verkehrswege mit seinen ökonomischen, aber auch militärischen Hintergründen; die Einführung der Elektro- und Verbrennungsmotoren; das Entstehen der Arbeiterbewegung; die Entwicklung des Systems der sozialen Sicherung und des modernen Kreditwesens; die Veränderungen der Arbeitsplätze und der Wohnverhältnisse.

Die Kenntnis dieser Fakten und Zusammenhänge ist nicht nur Voraussetzung für das Verständnis unserer heutigen wirtschaftlichen, technischen und gesellschaftlichen Umwelt; sie ermöglicht auch die Bildung einer geschichtlichen Identität, wo Zeugnisse der Vergangenheit wie Burgen, Kirchen und Bürgerhäuser fehlen oder die eigene Vergangenheit der Menschen und ihrer Vorfahren nur ungenügend repräsentieren. Sie gibt Hilfen für die Orientierung in einer Umwelt, die zunehmend komplizierter und schwerer durchschaubar ist.

Aufgrund dieser Verantwortung für die landschaftliche Kulturpflege muß sich der Landschaftsverband Westfalen-Lippe der Aufgabe [S. 36] stellen, die Industriekultur museal zu erfassen. Es ist daher beabsichtigt, ein Westfälisches Industriemuseum zu errichten.


2. Aufgaben des Museums

Das Westfälische Industriemuseum soll die Kultur des Industriezeitalters und ihre Entwicklung in Westfalen seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts bis zum Ende des 2. Weltkrieges beispielhaft darstellen und erforschen. Dabei sollen die Lebensverhältnisse der Menschen (arbeiten, wohnen, Freizeit) im Mittelpunkt stehen. Das Museum muß die vielfältigen Wechselwirkungen zwischen technischer, wirtschaftlicher, politischer, rechtlicher und gesellschaftlicher Entwicklung zeigen und ihre Auswirkungen auf das Leben des einzelnen darstellen.

Die zweite wichtige Aufgabe des Museums besteht in der Erschließung der zahlreichen Denkmäler, die noch als Zeugen dieser Zeit in Westfalen bestehen, für die Öffentlichkeit. Hier muß das Industriemuseum Konzepte für die pädagogische Aufbereitung und die Öffentlichkeitsarbeit erstellen und in enger Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege und den örtlichen Stellen (Kommunen, Heimatvereinen usw.) verwirklichen. Dabei soll das Bemühen im Vordergrund stehen, vor Ort Eigeninitiative und die Bereitschaft zu wecken, vorhandene Denkmäler selbstverantwortlich zu betreuen.


3. Grundlagen der Organisation

Das Westfälische Industriemuseum soll seinen Sitz auf dem Gelände der ehemaligen Zeche Zollern II in Dortmund-Bövinghausen haben. Dort soll die Hauptstelle des Museums arbeiten, die für die Forschung sowie die Entwicklung und Erstellung der Schausammlungen zuständig sein soll. Daneben werden an 6 bis 8 anderen Orten in Westfalen Abteilungen des Museums eingerichtet. Diesen Abteilungen obliegt die Betriebsführung vor Ort, die laufende Betreuung der dortigen Schausammlungen und die Erschließung der Kulturdenkmäler des 19. und 20. Jahrhunderts in dem jeweiligen Raum. Die Hauptstelle leitet und koordiniert die Arbeit der Abteilungen.

Für diese Arbeitsteilung sind folgende Überlegungen maßgebend:
a) Das Schwergewicht der industriellen Entwicklung Westfalens lag und liegt im Ruhrgebiet. Daneben gibt es weitere Schwerpunkte etwa im Westmünsterland und im Minden-Ravensberger Raum. Die Konzeption des Industriemuseums muß dieser räumlichen Vielfalt Rechnung tragen.

b) Der Erfolg der Museumsarbeit hängt wesentlich von der Verankerung des Museums in seinem Raum ab. Das Industriemuseum wird noch stärker als die beiden Westfälischen Freilichtmuseen auf die Mitarbeit der Bevölkerung bei der Forschung und der Sammlung des Museumsgutes angewiesen sein. Die vorgeschlagene Konzeption schafft dafür die Voraussetzung.

c) Die Erschließung der Denkmäler des industriellen Zeitalters in der Fläche für breite Bevölkerungskreise setzt Ortskenntnis und persönlichen Kontakt mit den örtlichen Stellen voraus. Sie gewährleisten, daß vorhandene Initiativen gestärkt und für die Arbeit des Museums aufgenommen und neue Aktivitäten angeregt werden können. Diese Arbeit kann nicht von Dortmund aus für ganz Westfalen geleistet werden.


4. Standort des Museums

Die Zechenanlage Zollern II als Kulturdenkmal von internationaler Bedeutung kann allein aufgrund der vorhandenen baulichen Substanz und ihrer Ausstattung schon einen wichtigen Bestandteil des Industriemuseums in Dortmund ausmachen. Mit dem Westfälischen Industriemuseum ist für dieses bedeutende Denkmal zugleich eine angemessene Nutzung gefunden. Die unmittelbar anschließende Zechensiedlung bietet die Möglichkeit, die enge Verbindung von Wohn- und Arbeitsbereich zu demonstrieren. Sie soll deshalb teilweise in das Museum einbezogen werden.

[...]

Auch an den anderen Standorten des Museums soll die Verbindung mit einem mindestens für den ganzen westfälischen Raum bedeutenden Kulturdenkmal angestrebt werden. So sollen Abteilungen des Westfälischen [S. 37] Industriemuseums beim Schiffshebewerk in Waltrop-Henrichenburg und im Malakow-Turm der Zeche Hannover in Bochum eingerichtet werden. [...] Weitere Abteilungen des Westfälischen Industriemuseums müssen in den Industrielandschaften des Westmünsterlandes und Ostwestfalens eingerichtet werden.

[...]
ERLÄUTERUNGDer sogenannte "Strukturwandel", das heißt der langsame Niedergang und Wandel älterer Industriebranchen wie dem Bergbau und der Textilindustrie, führte zu einer neuen Sichtweise auf die alten Produktionsstandorte. Viele Fabrikanlagen erschienen aufgrund ihrer Architektur erhaltenswert, während gleichzeitig das Interesse an der Alltags- und Technikgeschichte der Branchen wuchs.

Den Anstoß für diesen Umgang mit dem industriellen Erbe gab die Maschinenhalle der 1966 stillgelegten Zeche Zollern II/IV in Dortmund. Für den Erhalt dieser Anlage setzten sich vor allem Dortmunder Bürger ein. Schließlich schlug im Dezember 1969 der westfälische Landeskonservator erstmals vor, hier ein Museum für Industrialisierung einzurichten.
1973 wurde im Westfälischen Amt für Denkmalpflege das Referat für Technische Kulturdenkmale gegründet, das zunächst einmal die Erfassung der Industriedenkmale in Westfalen zur Aufgabe hatte. Die Idee, für einige erhaltenswerte Industrieanlagen als Nachnutzung ein Westfälisches Industriemuseum einzurichten, wurde weiter verfolgt. Am 19.06.1979 beauftragte die Landschaftsversammlung (das Parlament des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe, LWL) die Verwaltung des LWL, eine Vorlage zur Gründung eines Westfälischen Industriemuseums zu erarbeiten. Diese Vorlage wurde am 21.09.1979 im Landschaftsausschuss verabschiedet.
Heute hat das Westfälische Industriemuseum acht Standorte: Zeche Zollern II/IV in Dortmund, Zeche Hannover in Bochum, Zeche Nachtigall in Witten, das Schiffshebewerk Henrichenburg in Waltrop, die Henrichshütte in Hattingen, das Textilmuseum in Bocholt sowie in Ostwestfalen die Ziegelei Lage und die Glashütte Gernheim.

Zusammen mit den sechs Standorten des Rheinischen Industriemuseums zeichnen sie die wirtschaftliche und sozialgeschichtliche Entwicklung Westfalens und des Rheinlands im Zeitalter der Industrialisierung nach.


QUELLE     | Ein westfälisches Industriemuseum | S. 35-37


SYSTEMATIK / WEITERE RESSOURCEN  
Typ1.3   Einzelquelle (in Volltext/Regestenform)
Zeit3.10   1950-1999
Ort1   Westfalen/-Lippe (allg.)
1   Provinzialverband / LWL
1.1   Bochum, Stadt <Kreisfr. Stadt>
1.2   Dortmund, Stadt <Kreisfr. Stadt>
1.3   Münsterland
1.4   Ostwestfalen-Lippe
1.5   Ruhrgebiet
3.5   Münster, Stadt <Kreisfr. Stadt>
Sachgebiet3.9.2   Provinzialverband / Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL)
15.2   Kulturpolitik
15.3   Kulturförderung, Mäzenatentum
15.8   Architektur, Baudenkmäler, Architekt/Architektin
15.11   Museen, Sammlungen, Ausstellungen
DATUM AUFNAHME2004-05-15
AUFRUFE GESAMT2026
AUFRUFE IM MONAT164