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(91 KB)   "Guten Morgen, Herr Bürgermeister!" Überraschungsbesuch bei einem Bürgermeister: Vinckes Amtsverständnis und Aufgaben / Münster, LWL-Medienzentrum für Westfalen/S. Sagurna   "Guten Morgen, Herr Bürgermeister!" Überraschungsbesuch bei einem Bürgermeister: Vinckes Amtsverständnis und Aufgaben / Münster, LWL-Medienzentrum für Westfalen/S. Sagurna
TITEL"Guten Morgen, Herr Bürgermeister!" Überraschungsbesuch bei einem Bürgermeister: Vinckes Amtsverständnis und Aufgaben
GEOPOSITIONGoogle Maps OSM | 51.745228273865200 (NS), 8.712327182292938 (EW) (exakt)


INFORMATIONDas Bild illustriert anekdotenhaft die ausgedehnte, unkonventionelle Reisetätigkeit des Oberpräsidenten, mit unangekündigten, daher auch bisweilen unangenehm überraschenden Besuchen; bisweilen traf er nicht einmal wie im vorliegenden Fall den Bürgermeister an. Einfache Kleidung und schlichtes Auftreten ermöglichten dem zierlichen Mann, sich unerkannt im Lande zu bewegen. Verräterisch war allerdings sein Markenzeichen, die ständig im Munde hängende Tabakpfeife. Keine Mühsal scheuend stieg der Präsident auch aus der Kutsche aus, um entlegene und unwegsame Regionen seiner Provinz aufzusuchen, Das zeugt zum einen von seinem umfassenden Interesse an Land und Leuten, das sicher über die ihm von Amts wegen obliegende Aufsichts-, Kontroll- und Berichtspflicht hinausging. Zum anderen findet hier die schon in den Anfängen seiner Ausbildungszeit in der Kurmark gewachsene Überzeugung Ausdruck, daß Aktenarbeit vom Schreibzimmer aus für eine gute Verwaltung nicht ausreicht, daß auf Augenschein beruhende Kenntnisse der realen Verhältnisse ganz unentbehrlich sind. Eine Deutung des Bildes als Schnüffelei bis in den privaten Bereich hinein, als Überziehung staatlicher Autorität, würde der Intention des Karikaturisten nicht entsprechen.

Staatsrechtlich gesehen war der Oberpräsident ein zeitlich unbefristet vom König in die Provinz entsandter Kommissar, ein politischer Beamter, der in seiner Amtsführung ausschließlich dem Monarchen verantwortlich war. In der Sache aber sah Vincke sich selbst, ebenso die Regierungen, nach ihm die höchsten Provinzorgane, als Mittler zwischen Staat und Gesellschaft. So forderte er in einer Ansprache an das Münstersche Regierungskollegium am 3. August 1816 dieses auf, "auch in Ermangelung von Ständen das Land überall zu vertreten". [1] Mit dem Auftrag, die Interessen des Landes wahrzunehmen, war es nicht genug, von einem weitergehenden pädagogischen Impetus war die Auffassung getragen, daß "der Charakter (der Nation) durch die Verwaltung gebildet werden könnte". [2] Folgerichtig setzte sich Vincke für die Errichtung von Lehrerbildungsanstalten ein und wehrte Anstrengungen der katholischen Kirche, insbesondere des Generalvikars von Droste-Vischering ab, die Kultushoheit des Staates in Frage zu stellen. In Berlin, gegenüber den Ressortministern oder im Staatsrat, verfocht Vincke hingegen die Interessen der Provinz im ganzen oder bestimmter gesellschaftlicher Gruppen im besonderen, wobei er in seinem Engagement für die unteren Stände gegen adelige Vorrechte vielfach mit den Ministerialbehörden kollidierte. Der Hauptzweck seiner Tätigkeit bestand jedoch darin, dem Ministerium einen Überblick über die Provinzialverwaltung zu verschaffen, ihm Detailarbeit zu ersparen oder diese zu erleichtern und Materialien zum Erlaß neuer gesetzlicher Bestimmungen an die Hand zu geben.

Ludwig Vincke übte die Kontrolle über die Provinzialbehörden genau und sorgfältig aus, doch besaß er als Oberpräsident gegenüber den Regierungskollegien fast keine Befehlsgewalt. Als Präsident der Bezirksregierung, in deren Bereich die Provinzhauptstadt lag, für Vincke Münster, hatte er formell weitergehende Rechte, doch lagen die Routinegeschäfte überwiegend in der Hand des Vizepräsidenten, bis 1833 Johann Georg Julius von Schlechtendahl. Das Büro der Bezirksregierung diente gleichzeitig als Büro des Oberpräsidenten. Der Oberpräsident war Vorsitzender mehrerer Sonderbehörden. Bis 1834 leitete er, nicht die Regierungen, die Generalkommission zur Regulierung der gutsherrlichen und bäuerlichen Verhältnisse. Die aus Verwaltungsfachleuten und Juristen besetzte Kommission befaßte sich mit der Neuverteilung des Bodens, Umsiedlungen, Grenzziehungen und Entschädigungen infolge von Dienstablösungen, Gemeinheitsteilungen und Eigentumsverleihungen. Sie vollzog die Liberalisierung der preußischen Agrarverfassung. In strittigen Fragen, z.B. beim Jagdrecht, das Adelige auf fremdem Boden beanspruchten, stellte sich Vincke auf die Seite des Bauerntums, konnte sich aber gegen die von Minister Gustav Adolf Rochus von Rochow unterstützten adeligen Grundbesitzer nicht durchsetzen. Erfolgreich wehrte er aber Angriffe gegen die Katastrierung von Grund und Boden ab, darunter die des langjährigen Weggefährten Freiherrn vom Stein. Im Jahre 1822 war er zum Generaldirektor des rheinisch-westfälischen Katasters ernannt worden. Die Gegner fürchteten die hohen Kosten der Landvermessung und die darauf folgende angeblich ungerechte Besteuerung. Weitere Aufgaben des Oberpräsidenten betrafen so unterschiedliche Gegenstände wie Straßenbau in der Provinz, Leitung der obersten Schul-, Medizinal- und Kultusbehörden, Genehmigung gemeinnütziger Einrichtungen, Konzessionen für besondere Gewerbe wie Apotheken, Pressezensur. Er war der Vertreter des Staates in den Provinziallandtagen. Der große Aufgabenbestand berechtigt, von einer Allzuständigkeit zusprechen; dem korrespondierte eine potentielle Allgegenwärtigkeit, die der Überraschungsbesuch beim Bürgermeister, den das obige Bild anekdotenhaft festhält, sinnfällig zum Ausdruck bringt.


[1] Zit. nach Ludger Graf von Westphalen, Stein und Vincke ( Eine Veröffentlichung der Freiherr-vom-Stein-Gesellschaft e.V.), Köln 1977, S. 77.
[2] Vincke, Zwecke und Mittel der preußischen Staatsverwaltung, welche dieselbe verfolgen, deren dieselbe sich bedienen dürfte, Berlin, 3. August 1808, in: Heinrich Scheel (Hrsg.); Doris Schmidt (Bearb.), Das Reformministerium Stein. Akten zur Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte aus den Jahren 1807/08, 3 Bde., Berlin 1967-1969, Bd. III, S. 707.

Abbildung aus: Julius Disselhoff, Lebensgeschichte des Oberpräsidenten Ludwig von Vincke, Kaiserswerth [o.J.], S. 39


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FOTO-PROVENIENZMünster, LWL-Medienzentrum für Westfalen/S. Sagurna


QUELLE    Burg, Peter | Ludwig Freiherr von Vincke | Dia 08, S. 43-45
PROJEKT    Diaserie "Westfalen im Bild" (Schule)

SYSTEMATIK / WEITERE RESSOURCEN  
Typ35   Bildmaterial (Reproduktion, Foto)
Zeit3.7   1800-1849
DATUM AUFNAHME2004-02-23
AUFRUFE GESAMT255
AUFRUFE IM MONAT53