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(117 KB)   Oberländer, Adolf: Die Schulfrage im 19. Jahrhundert: Karikatur auf den Schulunterricht, aus: "Fliegende Blätter", 1892
 / Münster, LWL-Medienzentrum für Westfalen/J. Klem   Oberländer, Adolf: Die Schulfrage im 19. Jahrhundert: Karikatur auf den Schulunterricht, aus: "Fliegende Blätter", 1892
 / Münster, LWL-Medienzentrum für Westfalen/J. Klem
TITELDie Schulfrage im 19. Jahrhundert: Karikatur auf den Schulunterricht, aus: "Fliegende Blätter", 1892
URHEBER OBJEKTOberländer, Adolf
DATIERUNG1892
GEOPOSITIONGoogle Maps OSM | 51.745228273865200 (NS), 8.712327182292938 (EW) (exakt)


INFORMATIONIm 19. Jahrhundert erfuhr das Schulwesen einen enormen Bedeutungswandel. Der Staat nahm durch die Einführung der Schulpflicht die Volksbildung in seine Hände und griff damit wesentlich in das Leben des Einzelnen ein. Außerdem entfaltete sich die Schule zum Gegenstand gesellschaftlicher und politischer Auseinandersetzungen. Preußen wurde für die meisten deutschen Staaten zum Vorreiter dieser Bildungsreform, deren Verlauf durch einen kontinuierlichen Ausbau des Schulwesens seitens der Verwaltung gekennzeichnet war.

Gleichzeitig war diese Entwicklung aber starken Restriktionen von politischer Seite unterworfen. Am Widerstand des Adels und der Kirchen scheiterte 1819 ein Schulgesetz, das ein einheitliches Erziehungssystem mit aufeinander bezogenen Schulstufen zum Inhalt hatte und somit eine gewisse Chancengleichheit jenseits gesellschaftlicher Unterschiede gewährte. In den 20er Jahren ist dann ein Vordringen konservativer Ideen zu beobachten, aber bis 1848 war diese Politik ohne durchschlagenden Erfolg. Die einmal begonnenen Reformen entwickelten sich unabhängig von ideologischen und politischen Kursänderungen weiter. Nach der Revolution von 1848 intensivierte die Regierung ihre Versuche, ein konservatives Programm durchzusetzen, da sie eine besondere Verantwortung für die Ereignisse dem pädagogischen Versagen der Schulen zuschob. Das Ergebnis war das Stiehlsche Regulativ aus dem Jahr 1854, ein nahezu klassisches Programm restriktiver Schulpolitik. Der Unterricht sollte auf das Erlernen elementarer Techniken, wie Lesen, Schreiben, Rechnen und Religion konzentriert werden. Wesentlich war die Erziehung zur Loyalität gegenüber dem Staat und zur Einpassung in die bestehende Gesellschaftsordnung. Politische Unterrichtsinhalte und Erziehung zur Kritikfähigkeit waren dagegen verpönt, da hierdurch, so meinten seine konservativen Initiatoren, falsche Gleichheitsvorstellungen und Unzufriedenheit geweckt würden. Ziel des Unterrichts sollte es ein, zu stabilisieren, nicht zu mobilisieren. Daher wollte die Regierung vor allem die Ausbildung der Lehrer in den Seminaren auf dieses einfache Niveau zurückführen.

In der Praxis war die Situation des deutschen Volksschulwesens im 19. Jahrhundert katastrophal, was in dem vierteiligen Holzstich von Adolf Oberländer aus dem Jahre 1892 besonders treffend zum Ausdruck kommt. Oberländer (1845-1923) war bekannt als Meister satirisch-humoristischer Zeichnungen, die er größtenteils für die "Fliegenden Blätter" herstellte, eine 1844 in München gegründete satirische Zeitschrift, die bis 1928 erschien und in welcher u.a. auch Wilhelm Busch und Karl Spitzweg Illustrationen veröffentlichten. Der Text unterhalb des Holzstichs berichtet von der Einrichtung einer zweiklassigen Schule in Sparhausen. Die Körperlänge des Lehrers Bakel - der Name ist von dem lateinischen baculus (Stock) abgeleitet - kommt der Gemeinde dabei sehr zustatten, da Bakel sitzend die untere Klasse, stehend die obere Klasse unterrichten kann und so kein zweiter Lehrer angestellt werden muß. Sehr anschaulich zeigt der Stich die negativen Seiten des Schulalltags. Im Gegensatz zur Stadt war auf dem Lande die meist überfüllte einklassige Schule der Regelfall. So kamen in Westfalen 1816 im Durchschnitt 120 Schüler, 1838 etwa 105 Schüler auf einen Lehrer, womit diese Provinz die höchste Lehrer-Schüler-Relation in Preußen nach Oberschlesien (1:125) hatte. Ein Lernerfolg war unter diesen Umständen eher zweifelhaft. Auch dies verdeutlicht der Stich: Die Schüler sitzen eng gedrängt in den Bänken, in dem unkontrollierten Klassenteil herrscht absolutes Chaos und in dem anderen verschafft sich der Lehrer mittels des aufgerichteten Stockes Autorität, aber nicht, um einen individuellen Unterricht abzuhalten, sondern um die Kinder gemeinsam lesen zu lassen. Schließlich war der mangelnde Lernerfolg auch auf die schlechte Ausbildung der Lehrer trotz des zwei- bis dreijährigen Seminarbesuchs zurückzuführen. Daneben spielte auch die äußerst schlechte Bezahlung der Lehrer eine Rolle: In Westfalen erhielt ein Landschullehrer 1833 ein Jahresgehalt von rund 78 Talern, ein städtischer Lehrer etwa 120 Taler. Im Jahre 1858 empfingen die Lehrer ein durchschnittliches Gehalt von 190 Talern. Sie waren daher auf Nebentätigkeiten im Kirchendienst oder in der Landwirtschaft angewiesen.

Schon seit dem Vormärz befaßte sich Friedrich Harkort mit der Situation an den Volksschulen. Er forderte die Erhöhung der Staatsausgaben zur besseren Ausstattung der Schulen, denn "100.000 Fibeln, die 3.000 Thaler kosten, haben größeren Werth für die Erziehung der Menschheit, als 100.000 Bewaffnete, die jährlich 9 Millionen verschlingen." [1] Zudem verlangte Harkort die verstärkte Einstellung von Lehrern, deren Ausbildung in dreijährigen Seminaren intensiviert und durch Fortbildungskurse ergänzt werden sollte. Des weiteren drang er auf eine bessere materielle Absicherung der Lehrer, welche Nebenverdienste überflüssig machen und deren soziale Stellung in der Gesellschaft anheben würde, sowie auf eine angemessene Pension und Witwenunterstützung.

Schließlich wollte Harkort die Volksschule aus dem Zugriff der Kirche lösen, wobei es ihm nicht um die Verdrängung der Religion aus der Schule ging, da er die ethische Seite des Christentums für einen wichtigen Bestandteil der Allgemeinbildung hielt, nicht aber die dogmatische.
"Die Schule vereint, man schließt Bündnisse mit Kameraden aller Bekenntnisse, welche zeitlebens dauern. Dagegen trennt die Kirche, sie macht bereits in der Schule einen Eindruck auf das jugendliche Herz, dem irgend eine Unbehaglichkeit gegen Andersdenkende anklebt. Dann fällt es schwerer, die richtige Mitte zu finden und fest zu halten an dem Grundsatz: Wir sind alle gleich berechtigte Bürger eines großen Vaterlandes!" [2]
Anfang der 70er Jahre, zur Zeit des "Kulturkampfes", erneuerte Harkort verstärkt in Reden und Zeitungsartikeln seine Forderung und machte deutlich, daß konfessionelle Auseinandersetzungen nicht in die Schule gehörten:
"Für den besonderen religiösen Unterricht falle die Sorge den verschiedenen Religionsgesellschaften anheim, allein die Leitung der Schule, die uns für das bürgerliche Leben, für Wissenschaft und Kunst vorbereitet, darf nicht in ihre Hände gelegt werden, denn sie waren und sind stets geneigt, das Feld des Wissens einzuschränken und mit Glauben zu überdecken. (...) Die Naturwissenschaften greifen täglich mehr fordernd ein in das bürgerliche Leben und gerade mit diesen steht die Geistlichkeit auf einem schlimmen Fuße." [3]

Zur gleichen Zeit führte eine schon in den 1860er Jahren beginnende preußische Kulturpolitik, die bestimmt war vom liberalen Zeitgeist, zu einer heftigen Krise zwischen Staat und katholischer Kirche. Unter der Ägide des Kultusministers Adalbert Falk wurde der Einfluß der Kirchen auf die Schule entscheidend zurückgedrängt. Die Reformen entsprachen den Erfordernissen einer Gesellschaft, deren soziale und industrielle Entwicklung ein Wissen und Können verlangte, das nur eine neue, leistungsfähige Schule vermitteln konnte. Infolgedessen nahmen auch die konservativen Nachfolger Falks die Reformen im Kern nicht zurück.


[1] Harkort, Civilisation, S. 11.
[2] Harkort, Bemerkungen, S. 17.
[3] Harkort, Bemerkungen über die Preußische Volksschule unter dem Ministerium des Herrn v. Mühler, S. 129.


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FOTO-PROVENIENZMünster, LWL-Medienzentrum für Westfalen/J. Klem


QUELLE    Killing, Anke | Friedrich Harkort | Dia 10, S. 34-37
PROJEKT    Diaserie "Westfalen im Bild" (Schule)

SYSTEMATIK / WEITERE RESSOURCEN  
Typ35   Bildmaterial (Reproduktion, Foto)
120   Karikatur
165   Presseveröffentlichung (Zeitungsartikel)
Zeit3.8   1850-1899
Sachgebiet14.11   Karikatur
DATUM AUFNAHME2004-02-24
AUFRUFE GESAMT683
AUFRUFE IM MONAT6