PERSON

FAMILIEHundt
VORNAMEFriedrich


GESCHLECHTmännlich
GEBURT DATUM1807-05-06   Suche
TOD DATUM1887-07-04   Suche


BIOGRAFIEKaum eine Erfindung des wahrhaft erfindungsreichen 19. Jahrhunderts hat die Menschen so bewegt und in Atem gehalten wie die Fotografie. Mit der im Kern banalen Entdeckung ihres physikalisch-chemischen Verfahrens ging im Herbst des Jahres 1839 ein uralter Traum der Menschheit in Erfüllung: der Traum, das eigene flüchtige Spiegelbild wahrheitsgetreu zu fixieren und der verrinnenden Zeit so ein Stück Ewigkeit abzutrotzen. Er hat bis heute nichts von seinem Zauber verloren. Ganz im Gegenteil.

Bekanntlich erblickte die Fotografie das Licht der Welt in Paris. Innerhalb weniger Wochen und Monate verbreitete sich die Sensation über nahezu alle Kontinente. Anhand der bald in sämtliche Weltsprachen übersetzten Anleitung zur Erstellung dieser technisch erzeugten Bilder versuchten überall Männer (und Frauen), den spektakulären Erfolg des Monsieur Daguerre zu wiederholen, dem es tatsächlich gelungen war, die Wirklichkeit mit Hilfe von Jod- und Quecksilber ganz ungeschminkt auf präparierte Platten zu bannen. Er war es, der der neuen Entdeckung seinen Namen gab.

Auch in der verschlafenen Provinzstadt Münster begeisterte man sich lebhaft für diese Neuigkeit. Vor den Auslagen der Coppenrathschen Buch- und Kunsthandlung, in der die Daguerreschen Schriften zum Verkauf auslagen, drängten sich im Oktober 1839 die Neugierigen. Unter ihnen war ein 31-jähriger Metallarbeiter namens Friedrich Hundt, der bisher im Leben wenig Glück gehabt hatte. In Iserlohn geboren, war er, wie sein Vater, Knopfmacher und Gürtler geworden. Von dort kam er nach Münster, wo er 1833 den begehrten Bürgerbrief erwarb. Seine Lebensumstände waren höchst bescheiden. Ein Jahr darauf verheiratete er sich mit der Tochter eines Tagelöhners, die allerdings wenig später ein Opfer der Schwindsucht wurde und das soeben geborene Töchterchen mit in den Tod nahm.

Im Oktober 1837 ging der junge Witwer eine zweite Ehe ein. Seine Wahl war auf die Tochter eines wohlhabenden Blaufärbers und Tuchhändlers aus Ahlen gefallen. Dank einer wohl nicht geringen Mitgift bezog das junge Paar bald nach der Hochzeit ein eigenes Haus in der Kreuzstraße. Von den sechs Kindern, die dort in der Folgezeit das Licht der Welt erblickten, überlebte nur die älteste Tochter Sophia.

Ein kleines, mühsam erkämpftes Glück im Winkel, ein von harter Arbeit geprägtes Leben, das wohl ohne tiefere Spuren zu hinterlassen vergangen wäre, hätte es da nicht diese kuriose französische Erfindung gegeben, die den jungen Familienvater dazu veranlasste, sich ernsthaft mit dem so Aufsehen erregenden wie teuren Verfahren zu beschäftigen. Doch er hatte Erfolg, und es mangelte ihm nicht an Selbstbewusstsein. Die Annonce, mit der er im Mai 1840, also kaum acht Monate nach der ersten Vermeldung aus Paris, dem staunenden Publikum stolz eine Reihe selbst erzeugter Lichtbilder mit münsterschen Sehenswürdigkeiten im Haus des Kunstvereins ankündigte, unterzeichnete er werbewirksam mit dem Namenszusatz "Mechanikus", der wohl seine technische Kompetenz unterstreichen sollte. So wurde man langsam aufmerksam auf ihn.
1842, er hatte in der Zwischenzeit seine Fertigkeiten weiter vervollkommnet, errichtete er im Garten seines Hauses nach eigenen Plänen ein hochmodernes Glasatelier, das ihn und seine vornehme Kundschaft von den Launen des westfälischen Wetters unabhängig machte. Bald gaben sich dort die Honoratioren der Stadt, Adel und Geistlichkeit, Kaufleute, hohe Beamte und Offiziere die Türklinke in die Hand, um sich von Friedrich Hundt "daguerreotypieren" zu lassen. Herr und Frau Biedermeier waren regelrecht süchtig nach diesen kleinen Porträts im Silberspiegel. Die Nachfrage muss trotz hoher Preise enorm gewesen sein, wie heute noch viele im Familienbesitz erhalten gebliebene Bilder beweisen.

Das geschäftliche Glück blieb ihm treu, musste aber immer wieder neu erarbeitet werden. Denn einerseits machte die Fototechnik rasche Fortschritte, und andererseits bekam er bald Konkurrenz jüngerer Kollegen, die ihm den Erfolg streitig zu machen suchten. Aber Hundt war nicht nur ein begnadeter Fotograf mit dem untrüglichen Gefühl für den rechten Augenblick, er besaß auch einen ausgeprägten Geschäftssinn und blieb so, mit einem erstaunlichen Fleiß begabt, fast ein halbes Jahrhundert lang der gefragteste Fotograf der Stadt. Aus dem »Mechanikus« der schweren Anfangsjahre war längst der "Bildkünstler" Hundt geworden, der nach Paris reiste und auf der Londoner Weltausstellung 1851 sogar mit einem 1. Preis ausgezeichnet wurde. In seinem Atelier in der Kreuzstraße lernten viele westfälische Fotografen der nächsten Generation ihr Handwerk, um es dann in die kleineren Städte der Provinz hineinzutragen. Der Hinweis auf eine Lehrzeit im Hundtschen Atelier galt als werbewirksamer Leistungsbeweis.

Im Mittelpunkt seines privaten Lebens stand Sophia, das einzige Kind, dessen Heranwachsen der Familienvater liebevoll mit der Kamera begleitete. Sophia Hundt entwickelte ihrerseits eine ausgesprochene künstlerische Begabung, was den stolzen Herrn Papa dazu veranlasste, ihr den damals durchaus nicht alltäglichen Wunsch zu erfüllen, sich an der berühmten Düsseldorfer Akademie zur Malerin ausbilden zu lassen. Hier wurde sie Schülerin des kleinwüchsigen Stilllebenmalers Johann Wilhelm Preyer. Verschiedene, im Besitz der Familie erhalten gebliebene Bilder in der altmeisterlichen Art ihres Lehrers verraten ihr Talent.

1861 heiratete Sophia den aus Kevelaer am Niederrhein stammenden Dr. Bernhard Schellen. Auf ihm, der sich seinerseits als ein recht begabter Fotograf erwies und Hundt im Atelier tatkräftig unterstützte, ruhten bald alle geschäftlichen Hoffnungen des Vaters. Doch Schellen starb nach gerade fünfjähriger glücklicher Ehe an Tuberkulose. Von den fünf Kindern überlebte nur der 1863 geborene Antonius, genannt "Tono". Er wurde später Jurist.

Sein Großvater, der kleine, rundgesichtige Herr Hundt, dessen Kinnbart längst weiß geworden war, zog sich erst 1885 endgültig in den Ruhestand zurück und übersiedelte in die Villa seiner inzwischen verwitweten Tochter vor dem Neutor in Münster. Als er 1887 starb, war er ein vermögender Mann, ein hoch geachteter Bürger und Mitglied zahlreicher Vereine und Gesellschaften. Ein Mann, vor dem man den Hut zog und den man ehrerbietig grüßte, wenn er vorbeiging.

Sein Geschäft, das er längst in andere Hände übergeben hatte, konnte die Arbeit unter veränderten Bedingungen erfolgreich fortsetzen. Erst in den Bombennächten des Zweiten Weltkrieges ging das alte Haus in der Kreuzstraße, das mehr als hundert Jahre mit dem Namen Hundt und den Anfängen der Fotografie in Westfalen verbunden war, mitsamt seinem reichhaltigen Archiv unter.

Die Weiterentwicklung der Fotografie erwies sich von Anfang an als eine faszinierende Erfolgsgeschichte. Als ein Welterfolg sogar. Innerhalb weniger Jahrzehnte etablierte sie sich auf allen Kontinenten. Die Fotografie war das erste visuelle Medium, das unsere Augen mit der Welt außerhalb unseres Horizontes bekannt machte. Das uns ihre Vielfalt und Schönheit zeigte, aber auch das herrschende Unrecht, Kriege, Elend und Not. Ihre Bilder haben zwar nicht die Welt verändert, aber ihre Wahrnehmung. Sie nährt unsere Erinnerung. Und noch etwas ist bemerkenswert: die Dynamik, mit der sie sich ständig verändert und sich immer wieder neu erfindet.

Es war ein langer Weg von der silbrig schimmernden Daguerreotypie über die Einführung des Negativ/Positiv-Verfahrens und die Entdeckung der Farbfilme bis hin zur Digitalisierung unserer Tage, die heute jedermann die weltweite Bildvermittlung ermöglicht. Dabei wollte sich die Fotografie nicht mit der bloßen Wiedergabe des Realen begnügen, sondern strebte von Anfang an nach Höherem. Sie wollte Kunst sein, so, wie es ihr Name besagt: "fotografein" bedeutet im Griechischen ja nichts anderes als "mit Licht malen". Schon Friedrich Hundt sah sich selbstbewusst als ein Künstler, der in der direkten Nachfolge der Maler und Zeichner eigene, kreative Schöpfungen hervorbringt.

Ist Fotografie Kunst oder bloßes Handwerk? Entgegen der Auslegung des preußischen Staates, der bereits 1845 unmissverständlich festgestellt hatte, dass "das Verfertigen von Lichtbildern... nicht als eine Kunst, sondern lediglich als eine mechanische Tätigkeit" angesehen werden müsste, zeigt ein Blick in die Geschichte des Mediums auch in Westfalen, dass die Grenzen fließend sind. Heute hat sich die Fotografie fest in der Kunstszene des Landes etabliert. Seit vielen Jahren wird sie an den Fachhochschulen in Bielefeld und Dortmund ebenso wie an den Kunstakademien des Landes auch als künstlerische Ausdrucksform vermittelt.

Die vielfältigen Strömungen, Tendenzen und Sichtweisen der Gegenwartsfotografie als eigenständige Kunstform sind fast unübersehbar geworden. Ihr widmet sich besonders die 1991 gegründete Friedrich-Hundt-Gesellschaft in Münster, die, ihrem Selbstverständnis nach ein Kunstverein für Fotografie, sich in ihren Ausstellungen höchst erfolgreich bemüht, eine Brücke zu schlagen zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart. Der namentliche Verweis auf den legendären münsterschen Fotopionier ist der Gesellschaft Aufgabe und Verpflichtung zugleich.

Volker Jakob, Westfalenspiegel 5, 2005

AUFNAHMEDATUM2005-10-20


QUELLE     | Lichtbilder auf Papier | S. 13-22

SYSTEMATIK / WEITERE RESSOURCEN  
Zeit3.7   1800-1849
3.8   1850-1899
Ort3.5   Münster, Stadt <Kreisfr. Stadt>
Sachgebiet10.6.1   Unternehmen, Unternehmer
15.4.4   Fotografie, Fotograf/Fotografin
DATUM AUFNAHME2005-10-20
DATUM ÄNDERUNG2011-05-05
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