QUELLE

DATUM1962-07-02   Suche   Suche DWUD
URHEBER/AUSSTELLERMeyers, Franz
AUSSTELLUNGSORT[Bochum]
TITEL/REGESTAnsprache des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Dr. Franz Meyers anlässlich der feierlichen Grundsteinlegung für das erste Gebäude der Ruhr-Universität Bochum am 02.07.1962
TEXTFeierliche Grundsteinlegung

für das erste Gebäude der Ruhr-Universität Bochum

am 2. Juli 1962.

Herr Landtagspräsident,
Meine Herren Bundesminister,
Exzellenz,
Magnifizenzen,
meine Damen und Herren Abgeordneten,
meine Herren Generalkonsuln und Konsuln,
meine Damen und Herren!

Die Grundsteinlegung für das erste Gebäude der Ruhr-Universität Bochum, zu der wir uns festlich versammelt haben, markiert in der Geschichte der Gründung dieser Universität einen bedeutsamen Punkt:

Die Planung, die bisher im wesentlichen nur Aktenbände anwachsen ließ, gewinnt nun für jedermann sichtbare Gestalt und vermittelt damit die Gewißheit, daß der Aufbau der Universität Bochum begonnen hat. Den bestehenden wissenschaftlichen Hochschulen im Lande Nordrhein-Westfalen, den Universitäten Münster, Bonn und Köln, der Technischen Hochschule Aachen und der Medizinischen Akademie Düsseldorf, wächst eine Schwester heran. Die Stadt Bochum wird Universitätsstadt. Das Ruhrgebiet erhält einen zusätzlichen kulturellen Akzent.

Aber nicht nur für die Universität Bochum selbst, für das Land Nordrhein-Westfalen und die Stadt Bochum bezeichnet diese Grundsteinlegung einen bedeutsamen Punkt der Entwicklungsgeschichte, sondern auch für die Geschichte der deutschen Wissenschaftspflege überhaupt. Sie bezeichnet augenfällig die Einleitung einer neuen Phase in der Entwicklung des deutschen Hochschulwesens, die mit dessen gegenwärtiger Gesamtsituation und dem Drängen nach Reformen in Zusammenhang steht.

Das allgemeine Anwachsen der Studentenzahlen, das zu der bekannten Überfüllung der deutschen Universitäten geführt hat, hat den Gedanken nahegelegt, neben dem Ausbau der bestehenden wissenschaftlichen Hochschulen, der nur bis zum äußersten Grade ihrer Kapazitäten möglich ist, neue wissenschaftliche Hochschulen zu errichten. Der Wissenschaftsrat hat dies in seinem im November 1960 vorgelegten Gutachten dringend empfohlen. Dabei wurde mit Recht davon ausgegangen, daß die Zahl der Studenten unter dem Gesichtspunkt einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung nicht beschränkt werden sollte. Mit dieser Empfehlung waren die Länder der Bundesrepublik als die primären Träger der Kulturhoheit zur Initiative aufgerufen. Das Land Nordrhein-Westfalen hat daraufhin unverzüglich die Planung einer neuen Universität im westfälischen Raum, in dem bisher nur die Universität Münster besteht, in Angriff genommen. Der Landtag hat in seiner Sitzung am 18. Juli 1961 beschlossen, die Landesuniversität in Bochum zu errichten. Sie wissen, daß in anderen Ländern ähnliche Pläne behandelt werden, deren Verwirklichungen freilich noch nicht ganz soweit fortgeschritten sind, wie die unsrigen. Wenn wir heute bereits den Grundstein für das erste Gebäude unserer neuen Universität legen können, so ist dies neben den - zugegebenermaßen glücklichen - finanziellen Möglichkeiten unseres Landes insbesondere allen denjenigen zu danken, die die vorbereitenden Planungen so energisch vorwärtsgetrieben haben.

Zur technisch-organisatorischen Seite der Planung hat die Landesregierung einen Interministeriellen Ausschuß gebildet, in dem alle an dem Aufbau der Universität beteiligten Ressorts vertreten sind, also insbesondere der Kultusminister, der Bauminister und der Finanzminister.

Besonderen Dank darf ich an dieser Stelle der Stadt Bochum sagen, die das Land Nordrhein-Westfalen bei der Grundstücksbeschaffung, bei der städtebaulichen Planung und bei der Lösung vieler weiterer Einzelfragen - auch bei der Ausgestaltung dieser Feierstunde - immer wieder bereitwillig und erfolgreich unterstützt hat. Dieser freundschaftlichen Partnerschaft auch für die Zukunft sicher zu sein, ist eine wertvolle Grundlage für die noch bevorstehenden Arbeiten.

Alles planerische Bemühen des Staates wäre allerdings unzulänglich, wenn es nicht ergänzt würde durch den geistigen Antrieb zu neuen Gestaltungen aus dem Kreise der Wissenschaft selbst. Die Gelegenheit der Gründung einer neuen Universität wäre schlecht genutzt, wenn nur eine der bestehenden Universitäten kopiert würde. Mit der Möglichkeit, zur Entlastung der bestehenden Hochschulen eine neue zu errichten, verbindet sich die Möglichkeit, Reformgedanken aufzunehmen, neuartige Konzeptionen zu versuchen und damit den sich aus dem gegenwärtigen Stande der Wissenschaft ergebenden Anforderungen Rechnung zu tragen. Schon der Wissenschaftsrat hat hierzu wichtige Hinweise gegeben.

Die Landesregierung schätzt sich glücklich, in dem von ihr berufenen Gründungsausschuß für die Ruhr-Universität Bochum, dem namhafte Gelehrte aus dem Lande Nordrhein-Westfalen und anderen Bundesländern angehören, ein Beratungsgremium zur Seite zu haben, das gerade in diesem Sinne auch neue Gestaltungsmöglichkeiten aufgezeigt. Das Maß der von dem Gründungsausschuß in kurzer Zeit geleisteten Arbeit ist erstaunlich. Bereits vor mehreren Wochen hat er eine Zusammenfassung der von ihm entwickelten Gesamtkonzeption der neuen Universität, Empfehlungen zur Struktur ihrer einzelnen Bereiche und Einrichtungen vorgelegt. Hierfür sei dem Ausschuß, insbesondere seinem Vorsitzenden, Herrn Professor Dr. Wenke, im Rahmen dieser Feier nochmals ausdrücklich gedankt. Die Landesregierung hat diesen Empfehlungen inzwischen zugestimmt.

Danach soll in Bochum eine Universität für etwa 10000 Studenten entstehen, die im wesentlichen dadurch charakterisiert ist, daß erstmalig auch ingenieurwissenschaftliche Disziplinen, die sonst an der Technischen Hochschule gepflegt werden, in den Bereich einer Volluniversität einbezogen werden. Hiervon können vielfältige, wechselseitige wissenschaftliche Impulse und mancherlei Nutzen für die Ausbildung der Studenten aller Fächer erwartet werden. Insbesondere bei dieser Einbeziehung soll das für die ganze Universität zugrundegelegte Grundprinzip der gegenseitigen Durchdringung und Verflechtung der einzelnen Disziplinen, der Zusammenarbeit verschiedener Fachvertreter in gemeinsamen Zentren zur Geltung kommen. Die Grenzen zwischen den bisherigen Fakultäten, die sich vielfach verhärtet haben, sollen zugunsten einer erneuten Sichtbarmachung der Gemeinsamkeit allen wissenschaftlichen Bemühens überwunden werden. In diesem Zusammenhang wird statt der Übernahme des starren Fakultätenschemas die Gliederung der Universität in kleinere funktionsfähigere Einheiten, "Abteilungen", in Aussicht genommen. In alledem liegt die Chance der Universität Bochum, moderne Organisationsformen zu erproben, die für alle - zumindest künftigen - Universitäten beispielhaft werden könnten.

Die Universität steht als Einrichtung des Staates einerseits und als Selbstverwaltungskörperschaft andererseits in der Spannung zwischen Staatsverwaltung und akademischer Selbstverwaltung. Diese Spannung, die uns nicht Gegensätzlichkeit, sondern Möglichkeit zu fruchtbarer Ergänzung bedeutet, ist bewußt auch schon in das Anfangsstadium der Gründung der neuen Universität hineingenommen worden, indem der Gründungsausschuß als ein Element der Selbstverwaltung an dem Aufbau beratend mitwirkt. Der freiheitliche Staat hört auf die Wissenschaft, die selbst Bezeugung der Freiheit ist. Dies hat seinen Grund letztlich darin, daß beide nicht Selbstzweck sind, sondern sich zusammenfinden im Dienst am Menschen, und zwar nicht am Menschen einer besonderen Klasse, sondern am Menschen schlechthin, im Dienst also auch des ganzen Volkes.

Das Bekenntnis zum Dienst am Menschen erhält für die Ruhr-Universität Bochum seine besondere Ausprägung durch den Standort inmitten des nordrhein-westfälischen Industriegebiets. Die neue Universität wird sich mit vornehmlicher Betonung den Wissenschaften widmen, die sich mit den arbeitenden Menschen befassen: in der Arbeitswissenschaft, der Arbeits- und Sozialpsychologie, der Sozialethik, der Arbeitsmedizin, dem Arbeitsrecht und dem Sozialrecht. Darüber hinaus soll die Universität aber von allen Disziplinen aus auch ausstrahlen über ihren eigenen Raum hinaus und das Gespräch suchen zwischen der Wissenschaft und der vielschichtigen Bevölkerung des Ruhrgebiets. "Die Gesellschaft der Freunde der Ruhr-Universität Bochum" ist in dankenswerter Hingabe bereits dabei, hierfür den Boden zu bereiten.

Der Mensch, der im Vordergrund der Universität steht, ist jedoch der Student, der von ihr ausgebildet und gebildet werden soll. Wir alle, die wir dieses Vorhaben ins Werk setzen, hoffen, daß Bochum schon in wenigen Jahren eine blühende Universität ist, die sich regen Zustroms und großer Beliebtheit erfreut. Die Größe und der landschaftliche Reiz des zur Verfügung stehenden Geländes an den Nordhängen des Ruhrtals bietet die Möglichkeit, eine großzügige, eine moderne, eine schöne Universität zu schaffen. Ich habe die besondere Hoffnung, daß sich hier auch viele ausländische Studenten einfinden werden und daß von dieser Universität ein guter internationaler Geist der Hilfsbereitschaft ausgeht, der andererseits auch viele deutsche Studenten ermutigt, als junge Wissenschaftler in andere Länder, insbesondere in die Entwicklungsländer, hinauszugehen.

Es ist ein glücklicher Umstand, daß das erste Gebäude der Ruhr-Universität, dessen Grundstein wir heute legen, ein Studentenwohnheim wird. Es liegt nur wenig abseits von dem eigentlichen Universitätsgelände, für das soeben ein städtebaulicher Wettbewerb öffentlich ausgeschrieben worden ist. Dieses Gebäude kann aber mit umso größerem Recht als das erste Gebäude der Universität gelten, als es dazu bestimmt ist, zunächst den Kern der Universitätsverwaltung und erste wissenschaftliche Arbeitsgruppen aufzunehmen.

Ich vollziehe nunmehr die Grundsteinlegung, indem ich zunächst den Text der Urkunde verlese, die in den Grundstein eingemauert wird.

- Urkunde, Zulöten der Kassette, Einmauern, Hammerschläge -

Mit den symbolischen Hammerschlägen besiegele ich die Wünsche, die wir auch in die Urkunde aufgenommen haben:

Möge der Aufbau der Universität Bochum, der mit dieser Grundsteinlegung begonnen worden ist, glücklich vonstattengehen und sich glücklich vollenden,

mögen Forschung und Lehre sich an der Universität Bochum in wissenschaftlichem Geiste frei entfalten,

möge die Universität Bochum allen, die an ihr lehren und lernen, sowie auch der Stadt, dem Land, dem deutschen Vaterland und der weiträumigen Welt der Wissenschaft zu Segen und Nutzen gereichen.


PROVENIENZ  Landesarchiv NRW Abteilung Rheinland
BESTAND122/83
SIGNATURS 30-35


SYSTEMATIK / WEITERE RESSOURCEN  
Typ1.3   Einzelquelle (in Volltext/Regestenform)
Zeit3.10   1950-1999
Ort1.1   Bochum, Stadt <Kreisfr. Stadt>
1.1   Nordrhein-Westfalen (NRW) <1946 - >
Sachgebiet13.2   Wissenschaftspolitik, Wissenschaftsförderung
13.3   Hochschulen
DATUM AUFNAHME2006-07-08
AUFRUFE GESAMT3237
AUFRUFE IM MONAT207