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(110 KB)   Weberinnen an mechanischen Webstühlen, um 1910 / Münster, LWL-Medienzentrum für Westfalen   Weberinnen an mechanischen Webstühlen, um 1910 / Münster, LWL-Medienzentrum für Westfalen
TITELWeberinnen an mechanischen Webstühlen, um 1910
DATIERUNG1910 [um]


INFORMATIONIm nördlichen und östlichen Westfalen, dem Raum zwischen deutschniederländischem Grenzgebiet und Weserbergland, bestimmte die Textilbranche die industrielle Entwicklung bis in das 20. Jahrhundert hinein entscheidend. [1] Während im Westmünsterland vor allem Baumwolle veredelt und verarbeitet wurde, prägten die Leinenfabrikation sowie Wäsche- und Konfektionsbetriebe in Ostwestfalen die Textilindustrie. Im Zuge der Mechanisierung von Spinnerei und Weberei wurde die familiäre Heimarbeit - oft im Verlagssystem - durch die zentralisierte Produktion in den Fabriken zunächst ergänzt und später dann abgelöst.

In den verschiedenen Betrieben der entstehenden Textilindustrie, in Spinnereien, Webereien und Nähereien, fanden Frauen neue außerhäusliche Beschäftigungsmöglichkeiten. Dazu trugen zwei Voraussetzungen bei: Die Frauen kannten aus ihren häuslichen Pflichten die anfallenden Arbeiten in den Textilbetrieben. Zugleich wurde die Arbeit durch die Mechanisierung qualitativ abgewertet. Die Maschinen konnten durch angelernte Arbeitskräfte mühelos bedient werden. Männer legten auf solche "Hilfsarbeiten" keinen Wert und räumten diese Arbeitsplätze vielfach. Frauen, traditionell ohne Berufsqualifikation, rückten dann nach. Männer beanspruchten in den neu entstehenden Industriezweigen die qualifizierten Tätigkeiten zum Beispiel als Mechaniker oder fungierten als Aufseher.

Dementsprechend arbeiteten Frauen als un- bzw. angelernte Arbeiterinnen unter der Aufsicht von Männern. 1875 waren in Preußen rund 7 % aller Fabrikarbeiterinnen ledig. Zwei Drittel der Arbeiterinnen waren jünger als 25 Jahre. Die Arbeit in der Fabrik diente den Frauen in der Frühphase der Frauenerwerbsarbeit als Überbrückung der Zeit zwischen Beendigung der Schule und der Hochzeit. Mit der Eheschließung, spätestens mit der Geburt des ersten Kindes, wurde von den Frauen erwartet, daß sie sich aus dem außerhäuslichen Erwerbsleben zurückzogen. Wenn es notwendig war, sollte die Frau allenfalls durch Heimarbeit oder Nebenerwerb weiterhin zum Familieneinkommen beitragen. [2] Erst um die Jahrhundertwende stieg die Zahl der verheirateten Fabrikarbeiterinnen an. Das lag an der zunehmend schlechten Bezahlung der Heimarbeiterinnen. Aber auch der Umstand, daß die handarbeitenden Heimarbeiterinnen nicht auf Dauer mit den Maschinen konkurrieren konnten, trug dazu bei, daß die außerhäusliche Erwerbsarbeit auch für die verheiratete Frau immer selbstverständlicher wurde.

Das Bild zeigt den Blick in einen Saal mit mechanischen Webstühlen um 1910. Die Mittelachse des Fotos bildet eine Doppelreihe sich gegenüberstehender Webstühle, an denen ausschließlich Frauen arbeiten. Jeder Webstuhl wird von einer Weberin bedient. Der Gang zwischen den Maschinen ist so eng, daß die Frauen nur versetzt stehen können. Die Weberinnen tragen normale Kleider, die durch Schürzen geschützt werden. Die Haare sind hochgesteckt, aber nicht durch Hauben oder Tücher verdeckt. Die Frauen blicken konzentriert auf ihre Arbeit und scheinen den Fotografen nicht wahrzunehmen. Die Frau rechts im Bildvordergrund überprüft die Spule im sogenannten Schützen, das ist ein Holzmantel mit spitzzulaufenden, metallverstärkten Enden, der den Schußfaden durch das Fach der Kettfäden führt. Der Schütze bewegt sich dabei in der sogenannten Ladenbahn, die als dunkler Kasten oberhalb des Stoffes zu erkennen ist. Die Frau links im Bild kontrolliert offenbar den Stoff auf mögliche Fehler. Im oberen Bilddrittel ist ein Mann in einem Anzug zu sehen, der offensichtlich die Arbeit der Frauen beaufsichtigt.

Rechts und links neben den Frauen sind die Webstühle mit den bereits fertiggestellten Stoffbahnen zu sehen, die in Kniehöhe auf den sogenannten Warenbaum aufgewickelt werden. Etwa in der Bildmitte befinden sich die Spulrahmen mit hellem Garn. Mit ihnen werden die Schützen bestückt. Eine Aufgabe der Weberinnen war es, die Fadenenden möglichst unauffällig miteinander zu verknüpfen. Über den durch Transmissionsriemen betriebenen Webstühlen sind elektrische Lampen angebracht. Sie waren beweglich montiert, um alle Stellen des Webstuhl ausleuchten zu können.

Die mechanischen Webstühle arbeiteten weitgehend selbständig. Zu den Aufgaben der Weberinnen gehörte es, die Maschinen mit Material zu bestücken, den reibungslosen Ablauf des Webvorganges zu überwachen und bei kleineren Störungen korrigierend einzugreifen. Das Einziehen der Kettfäden in die Ösen der Schäfte blieb bis in das 20. Jahrhundert hinein Handarbeit. Die fertigen Stoffbahnen, die bis zu 50 Meter lang waren, mußten die Frauen von den Webstühlen nehmen und der Putzerei zuführen. Eine körperlich sehr schwere Tätigkeit, die Frauen nach zeitgenössischem Verständnis eigentlich überfordern mußte. Am Ende eines Arbeitstages, der bis zu zwölf Stunden umfaßte, mußten die Weberinnen den Webstuhl von Staub und Fadenresten reinigen. Wenn die Frauen schwerwiegende Fehler machten, wurden sie mit Lohnabzug bestraft. Unpünktlichkeit oder nachlässiges Arbeiten konnte zur fristlosen Kündigung führen.

Das Bild vermittelt den Eindruck diszipliniert arbeitender Frauen an einem sauberen Arbeitsplatz. Dieser Eindruck täuscht. Die Staubentwicklung und der enorme Lärm durch die maschinell betriebenen Webstühle und die einschlagenden Schützen bleiben dem Betrachter ebenso verborgen wie das feuchtheiße Raumklima, das üblicherweise in Webereien herrschte. Gesundheitsschädigende Arbeiten, lange Arbeitszeiten und niedrige Entlohnung lassen die Fabrikarbeit rückblickend wenig verlockend erscheinen. Doch bei den beschränkten Arbeitsmarktchancen der Frauen bot die Fabrikarbeit insbesondere den Frauen der Unterschichten Erwerbsmöglichkeiten, bei denen ihr geringes Bildungsniveau kein Hinderungsgrund für die Einstellung war. Denn in den Volksschulen wurde allenfalls eine Rumpfbildung vermittelt, die oftmals nur zu einer rudimentären Lese- und Schreibfähigkeit führte. Von Lehrberufen waren die Mädchen ausgeschlossen. Das begründete den traditionell hohen Frauenanteil bei den un- bzw. angelernten Arbeitskräften. Diese Entwicklung und die bewußte Verweigerung einer qualifizierten Berufausbildung dienten in den folgenden Jahrzehnten immer wieder als Argumente, die Frauen auf dem Arbeitsmarkt zu benachteiligen. Unterstützung konnten die Arbeiterinnen im Kampf gegen die ungleichen Arbeitsbedingungen auch von den Gewerkschaften nicht erwarten. Selbst wenn die Frauen gewerkschaftlich organisiert waren, scheiterte ihre Interessenvertretung an der Gleichgültigkeit der männlichen Kollegen, die in den Arbeiterinnen oft nur unerwünschte Lohndrückerinnen sahen und sie am liebsten vom Arbeitsmarkt verdrängen wollten. [3]


[1] Vgl. H.-J. Teuteberg: Vom Agrar- zum Industriestaat (1850-1914). In: W. Kohl (Hrsg.): Westfälische Geschichte, Bd. 3: Das 19. und 20. Jahrhundert: Wirtschaft und Gesellschaft, Düsseldorf 1984, S. 163-311, hier S. 197ff.
[2] R. Hagedorn:  Karoline Zwiener. in: A. Brünink; H, Grubitzsch (Hrsg.): "Was für eine Frau!" Porträts aus Ostwestfalen-Lippe. Bielefeld 1992, S. 107-120, hier S. 112; U. Frevert: Frauen-Geschichte, S. 84f.; G. Neumann: Arbeits- und Lebensbedingungen der Bielefelder Textilarbeiterinnen von 1850 bis 1914 am Beispiel der Ravensberger Spinnerei. In: J. Brehmer; J. Jacobi-Dittrich (Hrsg.): Frauenalltag in Bielefeld. Bielefeld 1986, S. 109-143, hier S. 110ff.
[3] R. Hagedorn:  Karoline Zwiener, S. 114; C. Neumann: Textilarbeiterinnen, S. 130.


TECHNIKFoto
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FOTO-PROVENIENZMünster, LWL-Medienzentrum für Westfalen


QUELLE    Kurzweg, Martina | Frauenerwerbsarbeit im Wandel | Dia 03, S. 18-21
PROJEKT    Diaserie "Westfalen im Bild" (Schule)

SYSTEMATIK / WEITERE RESSOURCEN  
Typ35   Bildmaterial (Reproduktion, Foto)
Zeit3.9   1900-1949
Sachgebiet6.8.8   Frauen
10.9.2   Arbeitswelt
10.13   Industrie, Manufaktur
DATUM AUFNAHME2004-02-25
AUFRUFE GESAMT3626
AUFRUFE IM MONAT187