MEDIEN

(81 KB)   Arbeiterinnen bei Gleisarbeiten am Hauptbahnhof Recklinghausen, 1918 (o) / Arbeiterinnen bei der Geschoßrevision, um 1917 / Münster, LWL-Medienzentrum für Westfalen, Sammlung Schäfer (o) / Essen, Historisches Archiv Krupp (u)   Arbeiterinnen bei Gleisarbeiten am Hauptbahnhof Recklinghausen, 1918 (o) / Arbeiterinnen bei der Geschoßrevision, um 1917 / Münster, LWL-Medienzentrum für Westfalen, Sammlung Schäfer (o) / Essen, Historisches Archiv Krupp (u)
TITELArbeiterinnen bei Gleisarbeiten am Hauptbahnhof Recklinghausen, 1918 (o) / Arbeiterinnen bei der Geschoßrevision, um 1917
DATIERUNG1918 / 1917 [um]


INFORMATIONDie Mobilisierung und Rekrutierung der Männer im Verlauf des Ersten Weltkriegs führte auf denn Arbeitsmarkt zu einem erhöhten Arbeitskräftebedarf. Dennoch war die Zeit zwischen 1914 und 1918 keinesfalls eine beispiellose Steigerung der Frauenlohnarbeit, wie es in der älteren historischen Forschung vielfach konstatiert wird, vielmehr bewegte sich die Zunahme der Frauenerwerbsarbeit im Trend der Vorkriegszeit. [1] Kennzeichnend für die Kriegswirtschaft war weniger der Anstieg als vielmehr die Neuverteilung von Frauenarbeitsplätzen. Die Wirtschaftszweige mit traditionell hohem Frauenanteil - stellvertretend sei hier auf die Textil- und Nahrungsmittelindustrie verwiesen - stellten die Produktion ein oder arbeiteten kurz. Die freigestellten weiblichen Arbeitskräfte rückten auf die freigewordenen Männerarbeitsplätze in den kriegswichtigen Branchen nach, wo sie vor allem als Hilfsarbeiterinnen beschäftigt wurden. Der Bedarf an Facharbeitern wurde soweit wie möglich durch Fremdarbeiter und Kriegsgefangene gedeckt.

Von Beginn der Kriegswirtschaft an fungierten die Frauen nur als Ersatzarbeitskräfte auf Zeit, die nach dem Friedensschluß ins Privatleben zurückkehren sollten. In vielen Betrieben, so zum Beispiel auch bei Krupp, übernahmen Frauen stellvertretend die Arbeitsplätze ihrer eingezogenen Männer. [2] Traditionelle Arbeitsfelder von Männern wurden nun entgegen allen herrschenden Vorurteilen von Frauen übernommen, und sie bewältigten die Anforderungen. 1918 waren in der Gußstahlfabrik von Krupp von 105.000 Beschäftigten 31.515 weiblich. 1914 hatten in den mechanischen und Hüttenbetrieben des Kruppschen Gußstahlwerks nur 292 Frauen gearbeitet. [3] Die Kriegswirtschaft schuf kaum zusätzliche Arbeitsplätze, sondern die Frauen wechselten aus anderen Wirtschaftszweigen in neue Arbeitsfelder. Angesichts der Notsituation wurden Schutzbestimmungen außer Kraft gesetzt und der Einsatz von Frauen in Männerberufen als "Dienst am Vaterland" für die Dauer des Krieges befürwortet.

Das geteilte Bild zeigt Frauen in zwei typischen Arbeitssituationen während der Kriegswirtschaft. Auf dem oberen Teilbild sind zehn Frauen mit Instandsetzungsarbeiten an den Gleisen des Recklinghauser Hauptbahnhofs beschäftigt. Im Hintergrund ist eine Zechenanlage mit Halde zu sehen. Die Frauen arbeiten mit Spitzhacken, Kohlegabeln und Schubkarren, um den Schotter zwischen den Schienen zu entfernen. Sieben der Frauen tragen Hosen, kurze Kittel und Kappen aus einem robusten, dunklen Stoff. Die anderen drei Frauen sind mit Blusen und Röcken bekleidet. Hinter der Frauengruppe stehen zwei Männer, die uniformähnliche Anzüge tragen und die Arbeiterinnen beaufsichtigen.

Auf dem unteren Teilbild ist eine Krupp-Arbeiterin mit der Geschoßrevision befaßt. Die Frau trägt die übliche zeitgenössische Arbeitskleidung: eine knielange Hose, einen kurzen Kittel und eine Mütze aus strapazierfähigem Material. Die Frau steht in einem Gang zwischen Geschoßhülsen, die dicht an dicht aufgereiht sind. In der rechten Hand hält die Arbeiterin eine elektrische Stablampe, mit der sie die Geschoßhülsen von innen ausleuchtet und auf Unebenheiten und Fehler hin überprüft. Sie übernahm damit eine wichtige Funktion bei der Qualitätssicherung der Waffenproduktion. Eine solche Aufgabe wäre einer Frau in Friedenszeiten keinesfalls anvertraut worden.

In der Krisenzeit bewährten sich die Frauen auf den "unweiblichen" Arbeitsplätzen. Sie straften die gängigen Vorurteile über ihre berufliche Unfähigkeit und mangelnden Voraussetzungen Lügen. Dieser Erkenntnis konnten sich auch Unternehmer nicht entziehen. In der Kriegsgedenkschrift von Krupp aus dem Jahr 1920 wurde bestätigt, daß Frauen in nahezu allen Bereichen die Arbeitsleistung der Männer erreichten, sie in einzelnen Sparten sogar übertrafen. [4] Trotz dieser gelungenen Bewährung der Frauen auf dem Arbeitsmarkt änderte sich an der grundsätzlichen, ablehnenden gesellschaftlichen Einschätzung der Frauenerwerbsarbeit nichts. Die Befürchtungen, Frauen könnten durch die harte Arbeit verrohen, wurden durch die bevorzugte Hosenmode in vielen Arbeitsbereichen bestärkt. Der vermehrte Einsatz von Frauen in den Fabriken sollte ein Provisorium bleiben. Deshalb erhielten die Arbeiterinnen auch keine qualifizierte Ausbildung. In einer kurzen Anlernphase wurden sie mit den wichtigsten Arbeitsabläufen vertraut gemacht. Die "Schmalspurqualifikation" (Ute Daniel) entsprach dem Anliegen, daß die Frauen die Männer nur kurzfristig ersetzen sollten. Keinesfalls sollten die Frauen in die Lage versetzt werden, nach dem Krieg mit den zurückkehrenden Männern um die Arbeitsplätze konkurrieren zu können.

Die Gefahren für die tradierte Geschlechterordnung, die von der Mobilisierung der Frauen ausgingen, erkannten die Zeitgenossen sehr wohl. In einer Reichstagsdrucksache hieß es am Ende des Krieges:
"Ich wiederhole, daß das (die Verdrängung der Frauen vom Arbeitsmarkt) nicht ohne Härte abgehen wird, die Frauen, die sich an die hohen Löhne und an das selbständige Arbeiten gewöhnt haben, werden sich natürlich nicht immer leicht und freiwillig in die alten Verhältnisse zurückfinden." [5]
Die führenden gesellschaftlichen Schichten trugen mit einer intensiven Demobilisierungskampagne zur teilweisen Restitution des geschlechtsspezifischen Arbeitsmarktes der Vorkriegszeit bei. Rückblickend betrachtet war der Erste Weltkrieg kein Schrittmacher der Frauenemanzipation. Zur Ausweitung der Frauenerwerbsarbeit trug er nur indirekt bei, indem er das Selbstbewußtsein der Frauen stärkte. Die Erfahrungen, die Frauen mit der wirtschaftlichen Selbständigkeit gemacht hatten, führten in der Tat dazu, daß der Beruf in der weiblichen Lebensplanung einen neuen Stellenwert einnehmen konnte. [6] Die grundsätzliche Einschätzung der Frauenrolle erfuhr durch den Ersten Weltkrieg weder in gesellschaftlicher noch in wirtschaftlicher Hinsicht eine strukturelle Veränderung. Die Einbindung der Frauen in die Kriegswirtschaft bedeutete nur eine kurze Phase der Gleichstellung, die durch bewußt gering gehaltene Qualifikation und gesellschaftlichen Konsens nach 1918 weitgehend revidiert wurde.


[1] U. Daniel: Arbeiterfrauen, S. 35f.
[2] A. Lüdtke: Gesichter der Belegschaft. Porträts der Arbeit. In: K. Tenfelde (Hrsg.): Bilder von Krupp. Fotografie und Geschichte im Industriezeitalter. München 1994, S. 67-88, hier S. 82 u. 86.
[3] Ebd., S. 82.
[4] Ebd., S. 84.
[5] Zit. nach. U. Daniel: Arbeiterfrauen, S. 118, S. Rouette: Nach dem Krieg, S. 174.
[6] U. Frevert: Frauen Geschichte, S. 158f.: S. Rouette: Nach dem Krieg, S. 179f.


TECHNIKFoto
FORMATjpg


FOTO-PROVENIENZMünster, LWL-Medienzentrum für Westfalen, Sammlung Schäfer (o) / Essen, Historisches Archiv Krupp (u)


QUELLE    Kurzweg, Martina | Frauenerwerbsarbeit im Wandel | Dia 04, S. 22-25
PROJEKT    Diaserie "Westfalen im Bild" (Schule)

SYSTEMATIK / WEITERE RESSOURCEN  
Typ35   Bildmaterial (Reproduktion, Foto)
Zeit3.9   1900-1949
Ort3.6.9   Recklinghausen, Stadt
Sachgebiet6.8.8   Frauen
10.9   Arbeit, Beschäftigte
10.9.2   Arbeitswelt
DATUM AUFNAHME2004-02-25
AUFRUFE GESAMT695
AUFRUFE IM MONAT93