PERSON

FAMILIEVetter
VORNAMEHeinrich
BERUF / FUNKTIONNS-Politiker, Oberbürgermeister von Hagen, NS-Kreisleiter


GESCHLECHTmännlich
GEBURT DATUM1890-09-10   Suche
GEBURT ORTFulda
TAUFNAMEHeinrich Hermann
TOD DATUM1969-12-30   Suche
TOD ORTWegerhof [Halver-Wegerhof]


ÄMTER / FUNKTIONEN | Westfalen-Süd, Gau | Gauleiterstellvertreter | 3 | 1936-10-26 - 1945


BIOGRAFIEHeinrich Hermann Vetter wurde am 10.09.1890 in Fulda als Sohn des Schuhmachers Nikolaus Vetter und seiner Ehefrau Maria, geb. Fuhrmann, geboren. Nach dem Umzug in das sauerländische Hobräck bei (Hagen-)Dahl, der Vater war bereit ein Jahr nach seiner Geburt verstorben, kam er mit fünf Jahren in ein von Nonnen geleitetes Waisenhaus in Paderborn, wo er bis zu seinem zwölften Lebensjahr blieb und die katholische Volksschule besuchte. Anschließend lebte Heinrich Vetter in Hohenlimburg bei seiner Mutter und den sechs Geschwistern. Einen Beruf erlernte Vetter nicht, da er nach eigenen Angaben bereits als Vierzehnjähriger zur Ernährung der Familie beitragen mußte. Wohl aus diesem Grund nahm er eine Tätigkeit als ungelernter Fabrikarbeiter auf und trat 1906 für zwei Jahre als Mitglied dem Deutschen-Metallarbeiter-Verband bei. Von Oktober 1911 bis September 1913 leistete er im Kaiser-Alexander-Garde-Grenadier-Regiment Nr. 1 seine Militärdienstzeit ab. Anschließend arbeitete Vetter bis zum Kriegsausbruch im August 1914 als Steinbruchsarbeiter in den Dolomitwerken in Hagen-Halden.

Im Ersten Weltkrieg war er überwiegend an der "Westfront" eingesetzt und erlitt Anfang 1917 schwere Verletzungen, die zum Verlust des rechten Fußes sowie zu Folgeschäden am linken Arm führten. Als Feldwebel sowie als Inhaber der Kriegsauszeichnungen des Eisernen Kreuzes 2. Klasse und des Verwundetenabzeichens in Silber wurde er offiziell im März 1919 mit einer 60 % Kriegsbeschädigung aus dem Heer entlassen. Am 01.10.1917 trat er bei der Hagener Firma Funcke & Hueck eine Stellung als "Betriebsbeamter" bzw. Lohnbuchhalter an, eine Tätigkeit, die er bis September 1930 ausübte. 1919 nahm Vetter seine politische Betätigung auf, in dem er der Deutschen Volkspartei (DVP) beitrat. Drei Jahre später heiratete er in erster Ehe Luise Bertram und wurde 1923 für die DVP in die Stadtverordnetenversammlung von Hagen gewählt. Doch schon im Frühjahr 1924 engagierte er sich im Völkisch-Sozialen-Block, der ein Sammelbecken für die zu dieser Zeit verbotenen NSDAP darstellte.

Unmittelbar nach der Aufhebung des Verbots trat Vetter am 09.05.1925 mit der Mitgliedsnummer 16447 in die NSDAP ein und war zehn Tage später an der Neugründung der Ortsgruppe Hagen maßgeblich beteiligt. Gleichzeitig wurde er vom damaligen Bezirksleiter der Partei, Josef Wagner, zum Ortsgruppenleiter von Hagen sowie im folgenden Jahr vom Gauleiter des "Großgaues Ruhr", Karl Kaufmann, zum Leiter des Bezirks Lenne-Volme (Stadt- und Landkreise Hagen, Altena, Iserlohn und Lüdenscheid) berufen. Seit der Stadtverordnetenwahl vom 17.11.1929 saß Vetter als einer von zwei NSDAP-Abgeordneten im Hagener Stadtparlament und war gleichzeitig auch Abgeordneter der Partei im Westfälischen Provinziallandtag. Anläßlich der Reichstagswahl am 14.09.1930 für die NSDAP im Wahlkreis 18 (Westfalen-Süd) in den Reichstag gewählt, wurde er am 01.10.1932 zum Kreisleiter von Hagen berufen und noch im selben Jahr zum "Reichsredner" ernannt; eine parteiamtliche Funktion für rhetorisch bzw. propagandistisch als besonders befähigt beurteilte Parteifunktionäre, die z.B. im Wahlkampf auf Massenveranstaltungen auftreten sollten. Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme erhielt Vetter am 24.04.1933 das Amt des Oberbürgermeisters von Hagen zunächst kommissarisch und im Februar des Folgejahres dann endgültig zugesprochen.

Zwischen 1934 und 1936 wurde er in Westfalen-Süd als Gauinspektor der NSDAP eingesetzt, wobei seine bisher wahrgenommene Tätigkeit als Kreisleiter auf den früheren Ortsgruppenleiter von Altenhagen/Eckesey, dem Schmiedemeister August Schmidt, überging. Auf Vorschlag von Josef Wagner wurde Vetter am 26.10.1936 von Hitler zum Stellvertretenden Gauleiter und Nachfolger von Emil Stürtz ernannt. In Vertretung von Josef Wagner, der als Gauleiter und Oberpräsident von Schlesien sowie als Reichskommissar für die Preisbildung im Gau Westfalen-Süd meistenteils abwesend war, erledigte Vetter die geschäftsführende Leitung des Gaues. So nahm er bis 1941 regelmäßig u.a. an den Sitzungen des Reichsverteidigungsausschusses für den Wehrkreis VI im Oberpräsidium in Münster teil. Auch wurde er im Oktober 1940 in den neu gebildeten, sechsköpfigen "Haushaltsauschuß" für die Provinz Westfalen berufen.

Im "Dritten Reich" hatte die Kommunalverwaltung von Hagen nach verschiedenen, im Zusammenhang mit dem Spruchgerichtsverfahren gegen Vetter 1947-1948 vorgebrachten Aussagen weit über die Grenzen der Stadt einen denkbar schlechten Ruf, der anscheinend in zahlreichen Korruptionsaffairen und Personalskandalen begründet lag. In den diversen Vorkommnissen und Affairen war besonders auch Vetter persönlich involviert. So wurde Vetter am 26.06.1943 durch den Hagener Rechtsanwalt Dr. Wilhelm Lüsebrink aufgrund eines "irrsinnigen" persönlichen Auftritts in volltrunkenem Zustand während eines Fliegeralarms im Hochbunker Bergstraße, der die dort Schutzsuchenden in ernste Schwierigkeiten gebracht haben soll, angezeigt, was Lüsebrink hingegen eine ernste Ermahnung durch den Hagener Gestapo-Chef, Friedrich Hollborn, einbrachte. Besonders aber die Affaire um den Hagener Stadtrat und Polizeidezernenten Dr. Alfred Müller, der an mehreren "Orgien und sexuellen Ausschweifungen" in einem "bordellartigen" Haus in der Körnerstraße teilgenommen hatte, führte in Hagen zu einem öffentlichen Skandal. Vetter und sein Personalchef, Friedrich Feldtscher, versuchten unter Einsatz von Rechtsbeugung und massiven Drohungen das vom Regierungspräsidenten in Arnsberg durchgeführte Dienststrafverfahren, das im Sommer 1944 mit der Entlassung von Müller endete, zu verhindern. Eine weitere Strafverfolgung von Müller verschleppte Vetter dadurch, in dem er die Ermittlungsankten für eine "Rücksprache" mit dem Gauleiter Hoffmann auf der Befehlsstelle Harkortberg in Wetter anforderte. Nachfragen ließ er anschließend stets beantworten, daß die angebliche Rücksprache mit Hoffmann noch nicht stattgefunden habe. Schließlich wurden die Akten bei der Räumung der Gaubefehlsstelle auf dem Harkortberg im April 1945 vernichtet.

Nicht zuletzt aufgrund der zahlreichen Skandale und Affairen, aber wohl auch persönlicher Defizite galt Vetter innerhalb des NS-Führerkorps als völlig ungeeignet für die Position eines Gauleiters sowie für die Wahrnehmung der geschäftsführende Leitung eines Gaues, was die Partei-Kanzlei in einer Beurteilung ausdrücklich konstatiert hatte. Martin Bormann legte als Leiter der Partei-Kanzlei nach einem Antrag von Albert Hoffmann auf sofortige Entlassung Vetters, die dem Gauleiter wohl auch im Zusammenhang mit der oben geschilderten "Affaire Dr. Müller" notwendig erschien, im November 1943 fest, daß die de facto beschlossene Absetzung in einem "ehrenvollen" Rahmen "nach dem Krieg" vorzunehmen sei. Daraufhin wurde Vetter als "alter Kämpfer" anscheinend nur noch als eine Art von Gallionsfigur geduldet, obgleich er den Gauleiter 1944 auf einigen wichtigen Besprechungen offiziell vertrat sowie auch mehrere öffentliche Veranstaltungen abhielt. Auch während der mehrmonatigen Erkrankung des Gauleiters Hoffmann von Januar bis März 1944 fungierte er als offizieller Vertreter im Amt.

Unmittelbar vor dem Einmarsch von US-amerikanischen Truppen in Hagen tauchte Vetter am 15.04.1945 unter und versteckte sich auf einem Bauernhof im Umkreis von Breckerfeld. Vorher hat er vom damaligen militärischen Stadtkommandanten im Raum Hagen, Oberstleutnant Hartmann, nachdrücklich die Verteidigung "seiner" Stadt Hagen mit allen Mitteln gefordert sowie die Auflösung der NSDAP und des Volkssturms durch Gauleiter Albert Hoffmann zwei Tage zuvor scharf verurteilt. Am 24.04.1945 wurde er in seinem "Versteck" von der britischen Militärverwaltung verhaftet und zunächst im Untersuchungsgefängnis Hagen sowie anschließend in einem provisorischen Internierungszentrum in Lüdenscheid inhaftiert. Seit dem 04.05.1945 erfolgte die rund dreijährige Internierung von Vetter aufgrund seiner Zugehörigkeit zum politischen Führerkorps im britischen Internierungslager C.I.C. 5 (Civil Internment Camp No 5 = Lager für Zivilinternierte Nr. 5, d. V.) in Paderborn-Staumühle. Am 06.11.1948 wurde Vetter im zweitägigen Entnazifizierungsverfahren vor dem Hauptausschuß in Hagen aufgrund seiner früheren "politischen Tätigkeit" sowie der festgestellten "Unbelehrbarkeit" - Vetter trat vor dem Ausschuß als ein "kompromißloser Anhänger seines Führers" auf - in die Kategorie III (Minderbelasteter) eingestuft, da ihm Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie die Kenntnis von solchen Taten nicht nachgewiesen werden konnten.

Der Hagener Entnazifizierungsausschuß konstatierte ausdrücklich, daß
"zusammenfassend festgestellt werden [kann], dass es sich bei Vetter um einen fanatischen Anhänger der nationalsozialistischen Lehre handelt, der nie bereit sein wird, sich einem neuen demokratischen Staatsgefüge anzupassen. [...] Unter Demokratie versteht er den Staatsaufbau des Dritten Reiches. Er wird auf unbegrenzter Zeit ein Gegner der demokratischen Staatsauffassung sein und diese bekämpfen, wo ihm die Gelegenheit dazu gegeben ist."

Vom Vorsitzenden des Entnazifizierungsausschusses wurde in seinem Urteil zusätzlich festgestellt, daß er in der Person von Heinrich Vetter "eine Gefahr für den reibungslosen Aufbau eines neuen deutschen Staatswesens" sah. Bei Heinrich Vetter erwies sich die Einstufung in die Kategorie III, der höchsten von den deutschen Behörden zu vergebenen Kategorie, als völlig unzureichend, denn eigentlich hätte er aufgrund seines "Fanatismus" und im Hinblick auf sein fortgesetztes politisches Wirken in die Kategorie II (Aktivisten und Nutznießer) eingestuft werden müssen.

Am 30.11.1948 tagte dann auch das Spruchgericht Hiddesen gegen Heinrich Vetter. In der Bevölkerung wurde die viertägige Verhandlung nach Presseberichten kaum wahrgenommen und anscheinend auch weitgehend ignoriert, da im Sitzungssaal des Landgerichts Hagen außer den mit dem Verfahren befaßten Personen kaum Interessenten anwesend waren. Während der Verhandlung wiederholte Vetter seine bereits in den vorausgegangenen staatsanwaltschaftlichen Vernehmungen getroffenen Aussagen. Im Fall der von einem Zeugen aufgestellten Behauptung, daß in der Endphase des Kriegs in Hagen eine Liste von zu ermordenden Personen kursierte, erhielt Vetter unverhofft Rückendeckung von einem Mitglied des Hauptentnazifizierungsausschusses, der diese Zeugenaussage als unrichtig bezeichnete. Der öffentliche Ankläger beantragte nach Abschluß der Beweisaufnahme für Vetter eine Haftstrafe von sieben Jahren. Demgegenüber stellte das Gericht am 03.12.1948 eine Gesamtstrafe von vier Jahren und zwei Monaten fest, bei der die Internierungszeit voll angerechnet wurde. Vetter mußte deshalb eine noch einjährige Gefängnisstrafe antreten, blieb allerdings auf freiem Fuß, da kein Haftbefehl erlassen worden war.

Im November 1952 wurde Vetter als politischer Kopf der rechtsextremen "Bewegung Reich" verhaftet und fünf Monate später zu einer zweijährigen Haftstrafe verurteilt, von der er jedoch nur wenige Wochen "absitzen" mußte. Als Mitwirkender in rechtsextremen Publikationen und Aktivitäten, die u.a. von seiner zweiten Ehefrau herausgegeben wurden, trat er bis zu seinem Tod am 30.12.1969 immer wieder in Erscheinung. Seine 1992 posthum veröffentlichen "Erinnerungen" zeigen Vetter als einen unbelehrbaren Nazi, der bis ins hohe Alter "seinen Führer" huldigte und die historischen Fakten leugnete. Vetter definierte in seinen "Memoiren" das "Dritte Reich" rückblickend als die beste Zeit seines Lebens. Die "Memoiren" des einstigen Hagener Oberbürgermeisters und Stellvertretenden Gauleiters in Westfalen-Süd verschwanden glücklicherweise sehr bald aus dem Buchhandel.

Heinrich Vetter war ein besonders extremes Beispiel für einen "Alten Kämpfer" der NSDAP. Verwurzelt in der nationalsozialistischen Ideologie und mit den Ansichten eines kleingeistigen Spießbürgers repräsentierte er über Jahre die Kultur und Politik in der südwestfälischen Großstadt Hagen sowie auch in der Region. Obwohl nicht direkt in massive Verbrechen verstrickt, war Vetter an der Verfolgung von politischen Gegnern sowie am Terror, an der Ausplünderung und der Ermordung von Juden im NS-Gau Westfalen-Süd aktiv beteiligt. Vor einer weitergehenden Strafverfolgung in der Nachkriegszeit rettete ihn seine Kriegsverletzung, die zurückhaltende deutsche Justiz und sein provokativ-dreistes Auftreten z.B. vor den Entnazifizierungsorganen. Im Gegensatz zur überwiegenden Mehrheit seiner früheren Amtskollegen aus dem NS-Führerkorps verschwand Vetter nach 1945 nicht in der "Versenkung" und paßte sich der neuen politischen Situation an, sondern agierte besonders zu Beginn der 1950er Jahre in einer Art und Weise, die vermuten läßt, dass er diese Zeit als eine neue "Kampfzeit der nationalsozialistischen Bewegung" wahrgenommen hat. Diese im Rückblick völlig aberwitzig wirkende Interpretation der Nachkriegszeit begleitete Vetter bis zu seinem Lebensende, das 1969 in einem finanziellen und persönlichen Chaos endete.

Quelle:
Blank, Ralf: "... ein fanatischer Anhänger der nationalsozialistischen Lehre". Heinrich Vetter und die Vergangenheitsbewältigung in Hagen, in: Hagener Jahrbuch 4 (1999), S. 149-172.
 
AUFNAHMEDATUM2003-10-10
 
Weitere Biografie/n:
  Biografie | 1 | Ralf Blank, Heinrich Vetter
  Lilla, Joachim | Leitende Verwaltungsbeamte und Funktionsträger in Westfalen und Lippe (1918-1945/46) | S. 300


PERSON IM INTERNETBiografien, Literatur und weitere Ressourcen zur Person mit der GND: 13014567X
  Datenbank der deutschen Parlamentsabgeordneten 1867-1938
  Hessische wissenschaftliche Bibliotheken, Verbundkatalog (hebis)
  Personen im Verbundkatalog des HBZ NRW


QUELLE    Stelbrink, Wolfgang | Die Kreisleiter der NSDAP in Westfalen und Lippe | S. 282f.
  Lilla, Joachim | Leitende Verwaltungsbeamte und Funktionsträger in Westfalen und Lippe (1918-1945/46) | S. 300

SYSTEMATIK / WEITERE RESSOURCEN  
Zeit3.8   1850-1899
3.9   1900-1949
3.10   1950-1999
Ort1.4   Hagen, Stadt <Kreisfr. Stadt>
2.66   Westfalen-Süd, Gau
Sachgebiet3.18   Parteien
5.2   Militärorganisation, Wehrverfassung
5.9   Kriege, militärische Konflikte
DATUM AUFNAHME2003-10-10
DATUM ÄNDERUNG2015-10-26
AUFRUFE GESAMT3284
AUFRUFE IM MONAT250