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(127 KB)   Leitungsbautrupp in Rüthen, 1920 / Recklinghausen, RWE Westfalen-Weser-Ems AG, Archiv   Leitungsbautrupp in Rüthen, 1920 / Recklinghausen, RWE Westfalen-Weser-Ems AG, Archiv
TITELLeitungsbautrupp in Rüthen, 1920
DATIERUNG1920


INFORMATIONEine 17-köpfige Gruppe von Arbeitern in Arbeitskleidung präsentiert sich dem Fotografen. Die ebenfalls abgebildeten Attribute wie Kupferleitungen, ein kleiner Leitungsmast mit Keramik-Isolatoren sowie die vielfach an den Gürteln befestigten Sicherungshaken und -leinen weisen die Gruppe als einen Trupp zum Aufstellen von Stromleitungen aus. Auch das im Vordergrund auf der Brust eines Arbeiters befestigte Schild mit der - allerdings kaum lesbaren Aufschrift "Hochspannung Vorsicht Lebensgefahr!" weist auf diesen Zusammenhang hin. Die Arbeiter präsentieren sich selbstbewußt, einigen, gerade jüngeren Arbeitern, ist der Stolz anzusehen, zu diesem Arbeitstrupp gehören zu dürfen. Diese Beobachtung wird bestätigt durch Augenzeugenberichte zur Elektrifizierung in Österreich [1], aus denen u.a. auch hervorgeht, daß viele der ersten Bautrupps der Elektrifizierung auf dem Lande mit dem Bewußtsein der Überbringer des technischen Fortschritts auftraten.

Die Augenzeugenberichte beinhalten sehr viele interessante Hinweise zur Alltagsgeschichte der Elektrifizierung. Zwar beziehen sie sich auf den österreichischen Raum, doch die ersten Erfahrungen der Menschen mit der neuen Energie dürften in Westfalen und Deutschland kaum andere gewesen sein. Die Erlebnisberichte, die sich in den zentralen Aussagen mehrfach wiederholen, zeichnen zusammengefaßt folgendes Bild von den Anfängen der elektrischen Überlandversorgung: Den technischen Arbeiten voraus ging zunächst eine Entscheidung im Gemeinderat. Sollte es elektrischen Strom geben oder nicht? Die Augenzeugen berichten davon, daß es teilweise erhitzte Diskussionen gab, daß sich aber letztlich meist die Fortschrittsbefürworter durchgesetzt oder daß sie einfach ein "Machtwort gesprochen" hätten. Die Errichtung und der Betrieb der elektrotechnischen Anlagen war damals mit wesentlich höheren Kosten verbunden als heute.

Eines Tages kam dann ein Arbeitstrupp von fremden Männern ins Dorf: "Sie hatten alle gleiche Bekleidung, eine Blaumontur." [2] Fremde Männer im Dorf waren etwas Außergewöhnliches und dies erst recht, wenn sie alle gleich gekleidet waren und im Auftrag einer fernen, fremden Institution, eben der Elektrizitätsgesellschaft, kamen.

Die Holzmasten und anderes Material wurden an einer Stelle im Dorf gelagert, teilweise mußten die Masten von den Bauern selbst zur Verfügung gestellt werden. Diese Lagerstätten waren besonders interessant für die Kinder des Dorfes, denn sie bekamen manchmal die nicht mehr brauchbaren Teile - Kupferdraht, beschädigte Isolatoren usw. - geschenkt. Hiermit ließ es sich wunderbar "elektrifizieren" spielen.

Die Masten wurden dann in vorher ausgehobene Erdlöcher eingestellt, "...gut mit Erde zugeschüttet, drauf mit Erde getrampelt. Nun standen diese Masten da wie tote Bäume." [3] Anfangs wurden die Holzmasten wohl unimprägniert in die Erde gesetzt, was zur Folge hatte, daß sie nach wenigen Jahren morsch waren und ausgewechselt werden mußten.

Die Männer stiegen mit ihren Steigeisen auf die Masten hinauf, setzten die Haken mit den Porzellan-Isolatoren ein und wickelten den isolierten Kupferdraht darum. Ein Kommentar von einer älteren Frau zu dem neuen Anblick der Stromleitungen lautete: "Wäre es nicht so hoch, könnte man ja die Wäsche dran aufhängen. " [4]

In einem nächsten Schritt wurden die Leitungen in die Häuser gelegt, wobei die älteren Menschen die Arbeiten oft mit Mißtrauen und Abneigung verfolgten. In der Regel gab es höchstens eine Lampe und einen Schalter pro Raum, oft strahlte das elektrische Licht auch nur in Stube und Küche.

Viele Berichte zeigen, daß anfangs sehr unachtsam mit der gefährlichen Energie umgegangen wurde. In den Innenräumen lagen die stromführenden Drähte, mit Blechhülsen notdürftig geschützt, auf der Wand, außen lagen sie sogar blank und waren nur mit Draht befestigt. Eine Frau berichtet davon, wie in ihrem Dorf auch direkt die Freileitung angezapft wurde, als für eine Dreschmaschine kein eigener Anschluß vorgesehen war.

Möglichkeiten der neuen technischen Errungenschaft wurden auch noch in anderer Hinsicht ausprobiert: Ein weiterer Zeitzeuge berichtet davon, daß zum Zwecke des Sammelns von Regenwürmern für die Fischerei das leitende Stromkabel in die Erde gesteckt wurde, um so die Tiere an die Oberfläche zu locken. Das Spiel mit der Gefahr war für manche Dorfjungen ein besonderer Reiz: Sie hielten sich an den Händen und der Mutigste von ihnen sollte dann einen blanken Draht an das stromführende Kabel halten! "Durchschütteln" nennt eine Autorin dieses gefährliche Spiel.

In der Anfangszeit der Elektrifizierung kam es wegen der beschriebenen Unachtsamkeit und der Neugier entsprechend oft zu Stromstößen und anderen Unfällen. Eine Frau berichtet, daß sie als junges Mädchen an einem schlecht isolierten Schalter immer wieder einen Schlag bekam und deswegen eine chronische Angst vor Elektrizität entwickelte: "Ich erinnere mich nicht, daß mich jemand vor diesem Killer gewarnt hätte." [5]

Besondere Bedeutung besitzt in der Erinnerung der beteiligten Menschen jeweils der Moment des ersten Anknipsens des Lichtschalters. Die ausführenden Elektriker wußten inzwischen wohl, wie sehr sie die unkundigen Menschen mit dem Licht beeindrucken konnten und entwickelten deswegen eine Neigung dazu, diesen Moment regelrecht zu inszenieren. "Der Elektriker, damals ein vielbewunderter Mann, versammelte nach getaner Arbeit alle Hausgenossen in der Stube und sagte: 'Jetzt paßt's auf!' Dann knipste er feierlich das Licht an. Das begeisterte 'Ah!' aller Anwesenden bewies den Sinn des Mannes für Bühneneffekte." [6]

Viele Menschen waren wirklich tief beeindruckt von der Helligkeit, der Sauberkeit dieses neuen Lichts, das so schlagartig den Alltag veränderte und im Laufe der Jahre viele Hausarbeiten sehr erleichterte: "Als das erste Mal das Licht aufstrahlte, liefen mir die Tränen der Freude über die Wangen. " [7] Die Freude wurde allerdings stark gedämpft durch die erste Stromrechnung, die meist wenig später eintraf.

[1] Arnold, Viktoria (Hrsg.): "Als das Licht kam": Erinnerungen an die Elektrifizierung. Wien, Köln, Graz 1986.
[2] Arnold, Viktoria (Hrsg.): "Als das Licht kam": Erinnerungen an die Elektrifizierung. Wien, Köln, Graz 1986, Bericht Ludmilla Misotic, S. 186ff.
[3] Ebd.
[4] Ebd.
[5] Arnold, Viktoria (Hrsg.): "Als das Licht kam": Erinnerungen an die Elektrifizierung. Wien, Köln, Graz 1986, Bericht Frieda Moshammer, S. 192.
[6] Arnold, Viktoria (Hrsg.): "Als das Licht kam": Erinnerungen an die Elektrifizierung. Wien, Köln, Graz 1986, Bericht Irmgard Fischer, S. 88.
[7] Arnold, Viktoria (Hrsg.): "Als das Licht kam": Erinnerungen an die Elektrifizierung. Wien, Köln, Graz 1986, Bericht Maria Mittermayer, S. 39.


TECHNIKFoto
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OBJEKT-PROVENIENZRecklinghausen, RWE Westfalen-Weser-Ems AG, Archiv


QUELLE    Bolle, Rainer | "Als das Licht kam..." | Dia 07, S. 29-31
PROJEKT    Diaserie "Westfalen im Bild" (Schule)

SYSTEMATIK / WEITERE RESSOURCEN  
Typ35   Bildmaterial (Reproduktion, Foto)
Zeit3.9   1900-1949
Ort1.11.9   Rüthen, Stadt
Sachgebiet7.4   Infrastruktur, Infrastrukturpolitik
7.5   Energieerzeugung, Energieversorgung
DATUM AUFNAHME2004-02-25
AUFRUFE GESAMT523
AUFRUFE IM MONAT125