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(93 KB)   Zeitungsbericht über den Fluchtversuch zweier Häftlinge, aus: Bürener Zeitung, 16.05.1939 / Büren, Kreismuseum Wewelsburg   Zeitungsbericht über den Fluchtversuch zweier Häftlinge, aus: Bürener Zeitung, 16.05.1939 / Büren, Kreismuseum Wewelsburg
TITELZeitungsbericht über den Fluchtversuch zweier Häftlinge, aus: Bürener Zeitung, 16.05.1939
DATIERUNG1939-05-16


INFORMATIONDer in dem Zeitungsartikel beschriebene Fluchtversuch fiel in die Anfangsphase des Konzentrationslagers. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich die 100 Häftlinge als Außenkommando des KZ Sachsenhausen mit ihren Bewachern erst wenige Tage in Wewelsburg. Die Häftlinge Paul Bugla und Walter Henningsen hatten am 15.05.1939 in dem unübersichtlichen Waldgelände, auf dem das zweite Lager errichtet wurde, einen Posten überwältigt und waren geflüchtet. Ihr Fluchtversuch mißlang, Henningsen starb an den Folgen einer Schußverletzung. Bugla wurde am nächsten Tag von Polizeibeamten in der Nähe der Nachbarstadt Geseke festgenommen und bereits am 24. Juni durch ein Sondergericht zu zehn Jahren Zuchthaus mit Sicherungsverwahrung verurteilt; das bedeutete erneute Einlieferung in ein KZ.

Neben dem persönlichen Schicksal der beiden Häftlinge ist an diesen Vorgängen der Aspekt der Wirkung nach außen bemerkenswert. Sie war schon dadurch gegeben, daß nach den Flüchtigen öffentlich gefahndet wurde. Das Kommando über die Fahndungsaktion übernahm ein hochrangiger SS-Führer der Allgemeinen SS auf der Burg, SS-Sturmbannführer Elstermann von Elster, der zugleich einen hohen Polizeirang bekleidete. Neben SS, Wehrmacht und Polizei wurden für die Fahndung auch die freiwilligen Feuerwehren der umliegenden Dörfer alarmiert. Nur die Wewelsburger Feuerwehr weigerte sich, an der Aktion teilzunehmen. Sie tat dies offenbar auch nach damaligem Verständnis zu Recht; Fahndungen gehörten nicht zu ihren Aufgaben. Diese Weigerung wird allgemein als Indiz der reservierten Haltung der Wewelsburger Bevölkerung zur SS, besonders in bezug auf das Konzentrationslager verstanden. Die SS selbst interpretierte sie ähnlich; denn der Kommandant des KZ Sachsenhausen, SS-Oberführer Baranowski, erschien selbst im Ort, um dafür zu sorgen, daß "dort keine unwahren Sensationsgerüchte auftauchten".

Möglicherweise glaubte man auch, daß die Presseberichte zur Entstehung solcher Gerüchte beitrügen. Denn die Härte des Vorgehens gegen den entflohenen Häftling von Seiten der SS, der Fahndungsaufwand u.a. standen in merkwürdigem Kontrast zur sachlichen Sprache des Zeitungsberichtes, der auf jede Wertung der Häftlinge oder der Ereignisse verzichtete. Ähnlich hatte die "Bürener Zeitung" ihren Lesern auch schon die Einrichtung eines "Gefangenenlagers" im März 1939 angekündigt. Bis zum Kriegsbeginn finden sich - nicht nur in Wewelsburg - durchaus Zeitungsberichte über Konzentrationslager. Das NS-Regime versteckte diese Einrichtungen nicht, wenn auch über die Zustände in ihnen selbstverständlich nicht wahrheitsgemäß berichtet wurde. Es ist in diesem Zusammenhang von Bedeutung, daß es sich bei Paul Bugla und Walter Henningsen um Häftlinge mit "grünem Winkel" handelte und es lag wohl Absicht darin, daß die SS zuerst ausschließlich "Befristete Vorbeugungshäftling" nach Wewelsburg schickte. So ließ sich die beabsichtigte propagandistische Wirkung ("Kampf gegen das Verbrechertum") besser erzielen, hafte sie damit doch scheinbar einen realen Kern. Zugleich offenbart die Beunruhigung in der Wewelsburger Bevölkerung, die sich noch steigerte, als nach einem weiteren Fluchtversuch im Januar 1940 ein schon gestellter Häftling beim Verhör in einem Bauernhof mitten im Nachbardorf Ahden von dem Kommandoführer Plaul erschossen wurde, daß man sich die Behandlung selbst von Verbrechern so nicht vorgestellt hatte. Diese Unruhe war der ausschlaggebende Grund, daß im Februar das gesamte Häftlingskommando nach Sachsenhausen zurückverlegt wurde, wo alle Häftlinge als Strafe zu Schwerstarbeiten im Klinkerwerk eingesetzt wurden und viele nach kurzer Zeit umkamen, während die SS nach Wewelsburg Zeugen Jehovas schickte, die aufgrund ihrer Glaubensüberzeugung keine Fluchtversuche unternahmen.

Ein Abschnitt aus der Gemeindechronik (Dokument 3  Quelle), die der Schulleiter von Wewelsburg führte, der gleichzeitig Politischer Leiter der NSDAP-Ortsgruppe war, dokumentiert einerseits, wie sehr das propagandistisch gewollte Negativbild der Lagerhäftlinge ins Wanken geraten war, und andererseits, wie sehr es sich bei manchen schon unverrückbar etabliert hatte. Der Ortschronist überliefert die denkwürdige Tat eines Bauern, der - als er zum ersten Mal mit einem geflüchteten Häftling persönlich zusammentraf - sich spontan zur Hilfeleistung entschloß. Zugleich bewertet der Schreiber selbst dieses Verhalten negativ. Am Beispiel dieses Fluchtversuchs wird eine gewisse Bandbreite von sozialen Verhaltensweisen der Bevölkerung deutlich, die für die Zeit des Bestehens des Konzentrationslagers bestimmend blieb. Auch heute noch neigen viele Menschen der Wertung des Ortschronisten zu. Dabei wird allerdings nicht beachtet, daß die Einweisung in ein Konzentrationslager ausschließlich durch die Geheime Staatspolizei erfolgte. Es gab weder ein gerichtliches Verfahren, noch eine Verurteilung. Anhand der Verfolgtengruppen läßt sich verdeutlichen, daß es sich bei den Häftlingen, von einem kleinen Teil abgesehen, nicht um Kriminelle gehandelt hat.


TECHNIKTypendruck
MATERIALPapier
FORMATjpg


OBJEKT-PROVENIENZBüren, Kreismuseum Wewelsburg


QUELLE    Hüser, Karl / Brebeck, Wulff E. | Wewelsburg 1933-1945 | Dia 02, S. 22f.
PROJEKT    Diaserie "Westfalen im Bild" (Schule)

SYSTEMATIK / WEITERE RESSOURCEN  
Typ35   Bildmaterial (Reproduktion, Foto)
165   Presseveröffentlichung (Zeitungsartikel)
Zeit3.9   1900-1949
Ort2.7.4   Büren, Stadt
Sachgebiet3.2   Politische Ideologien
DATUM AUFNAHME2004-02-25
AUFRUFE GESAMT763
AUFRUFE IM MONAT189