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TITEL | 1648: Krieg und Frieden in Europa | |
ORT | Münster | |
JAHR | 1998 | |
ONLINE-TEXT | Hippel, Wolfgang von: Eine südwestdeutsche Region zwischen Krieg und Frieden - Die wirtschaftlichen Kriegsfolgen im Herzogtum Württemberg | |
SEITE | Bd. 1, S. 329-336 | |
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Die Frage nach den ökonomischen Auswirkungen des Dreißigjährigen Krieges gilt als Schlüsselfrage zum Verständnis der wirtschaftlichen Entwicklung im Deutschen Reich während des 17. und 18. Jahrhunderts. Sie ist im Verlauf ihrer wissenschaftlichen Diskussion recht unterschiedlich beantwortet worden und bedarf auch heute noch einer Klärung, die allseits als einigermaßen überzeugend empfunden wird. Für diese nicht sonderlich befriedigende Situation lassen sich vor allem folgende Gründe nennen:
So bildeten sich einige kontroverse Interpretationsmuster heraus: Die Verfechter der "Katastrophentheorie" gingen davon aus, der Krieg sei in eine blühende, von wirtschaftlichem Wachstum gekennzeichnete Wirtschaft eingebrochen und habe entsprechend verheerende Langzeitwirkungen mit sich gebracht; die Verfechter der "Niedergangstheorie" dagegen vertraten die Ansicht, bereits in den Jahrzehnten vor dem Krieg habe sich ökonomischer Verfall in Deutschland abgezeichnet, der Krieg habe diesen Trend allerdings noch verstärkt und mit dem wirtschaftlichen auch das politische und kulturelle Niveau des deutschen Volkes für lange Zeit auf einen besonders niedrigen Stand abgesenkt. Schließlich kam durch Siegfried H. Steinberg nach dem Zweiten Weltkrieg eine "neue Interpretation" ins Spiel, die jenseits der bisherigen Katastrophen- und Niedergangsbehauptungen ältere Umbewertungstendenzen zuspitzte und die wirtschaftlichen Auswirkungen der Kriegsjahrzehnte überhaupt bagatellisierte. Ohne überzeugenden Rückbezug auf die bereits vorliegende Einzelforschung behauptete Steinberg, die Bevölkerung Deutschlands sei durch den Krieg zwar umverteilt worden, habe jedoch zwischen 1600 und 1650 nicht ab-, sondern sogar leicht zugenommen; und Entsprechendes gelte für die Wirtschaft: Nicht Niedergang, sondern Neuorientierung und teilweise regionale Verlagerung von Handel und Gewerbe seien festzustellen. [2] "Alles in allem waren das Nationaleinkommen, die Produktivität und der Lebensstandard im Jahre 1650 höher als zu Anfang des Jahrhunderts." [3] Nur im Vergleich mit anderen westeuropäischen Staaten wie England, den Niederlanden und Frankreich, die sich rascher entwickeln konnten, schien Deutschland zu stagnieren. So problematisch diese Aussagen im ganzen wie im einzelnen sind, sie haben bis heute angesehene Befürworter gefunden. [4] Die offensichtlichen Schwierigkeiten, die Kriegsfolgen zwischen "Katastrophe", längerfristigem "Niedergang" oder höchstens gebremstem Wirtschaftswachstum genauer zu ermitteln und zu gewichten, liegen zum einen in dem Umstand begründet, daß die verschiedenen Bewertungsebenen von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft nicht isoliert betrachtet werden können, vielmehr die engen Wechselbeziehungen zwischen ihnen stets zu berücksichtigen bleiben; sie ergeben sich zum anderen aus den (damit wiederum eng verknüpften) Problemen adäquater Quellennutzung und Quelleninterpretation. Zwischen der Skylla pauschaler Einschätzungen und der Charybdis detailversessener Faktenerhebung hindurchschiffen könnte die Forschung vermutlich am ehesten, wenn sie von Regionen ausgehend die jeweiligen wirtschaftlichen Gegebenheiten und Entwicklungen vor, während und nach dem Krieg in längerfristigen Zusammenhängen anhand eines Rasters systematischer Fragestellungen analysiert. Die Verknüpfung einer Serie derartiger Untersuchungen, die so gut wie möglich aufeinander abzustimmen wären, böte wohl die größte Chance, unser Urteil über die ökonomischen Kriegsauswirkungen besser abzusichern und angemessen zu differenzieren. Vor mehr oder weniger spekulativen Hochrechnungen auf die "alles-in-allem"-Ebene einer nichtexistenten nationalen Volkswirtschaft jedenfalls sollte man sich ebenso hüten wie vor der unbesehenen Übernahme moderner Wachstumsvorstellungen, denn sie werden der damaligen Ökonomie in Mitteleuropa kaum gerecht. Im Folgenden soll der regionale Zugriff wenigstens ein Stück weit erprobt werden, und zwar für das größte und geschlossenste Territorium Südwestdeutschlands, für das Herzogtum Württemberg. Württemberg gehörte zu den Gebieten in Deutschland, die vom Krieg besonders hart getroffen worden sind. Das gilt nicht nur für die Bevölkerungsverluste, für die das seit langem bekannt ist, sondern ebenso für die gesamte Ökonomie. Hierüber wissen wir jedoch bisher nicht allzuviel - nicht deshalb, weil es an Quellen fehlen würde, sondern weil diese bisher nicht in gebührendem Maß erschlossen worden sind. Vor allem mangelt es an Strukturdaten, um eine tragfähige Vorstellung über ökonomische Größenordnungen und damit über die Basis des wirtschaftlichen Handelns der damals lebenden Menschen zu gewinnen. Einschlägiges Aktenmaterial entstand gewöhnlich, wenn die Obrigkeit Finanzansprüche selbst geltend machte bzw. sich gegen finanzielle Ansprüche von anderer Seite abzusichern suchte. Solchen Ursprung hatten auch die sogenannten Kriegsschadensberichte, welche die württembergische Regierung 1652 erhob, um damit auf dem bevorstehenden Reichstag zu Regensburg alle Klagen und Beschwerden auffangen zu können, die gegen Herzog und Landschaft "ratione der obhabenden Schulden" zu erwarten waren, und zur vorbeugenden Abwehr "aller andern ohnerträglichen Zumuethungen". Deshalb forderte die Stuttgarter Regierung sämtliche Städte und Ämter des Herzogtums Württemberg in einem Generalausschreiben vom 28. August 1652 auf, darüber zu berichten,
Das politische Anliegen war also klar; es schlug sich dementsprechend in der "Specification" nieder, welche die Regierung aus den eingehenden Angaben der Städte und Ämter für den Regensburger Reichstag erstellte. Die Stuttgarter Zentrale legte dabei großen Wert auf möglichst genaue Information und hakte nach, wenn ihr die vorgelegten Daten nicht präzise genug ausfielen. Das Ergebnis ihrer Bemühungen war die "Specification, Waß das Herzogthumb Württemberg von anfang des Kriegswesens de Anno 1628.629.630. biß auf dieses 1654.te Jahr an Einquartierungen, Contributions-Geltern, Blinderungen, Fridens-Geltern und Römermonten darschiesen, ertragen und überdulden müesen". [6] Die Rechnung konnte sich sehen lassen (fl = Gulden):
Insgesamt waren dies 58.742.864 fl. Hinzu kam laut der Spezifikation der Verlust von 57.721 Haushaltungen ("Mannschaft"); 8 Städte, 45 Dörfer, 67 Kirchen, 150 Pfarr- und Schulhäuser und 36.086 Häuser und Scheuern wurden als verbrannt und ruiniert, 248.013 Jauchert (= 117.251 ha) Acker, 40.195 Morgen (= 12.668 ha) Weingarten und 24.503 Morgen (= 7.722 ha) Wiese als noch unbebaut gemeldet. Die Genauigkeit der Daten, die zumindest amtsweise, nicht selten sogar bis auf die Gemeindeebene hinunter vorgelegt wurden, war natürlich oft genug problematisch. Am zuverlässigsten waren sicher die Angaben über die "Mannschaft", die der damit beauftragte Sachbearbeiter als "durchauß zimblich lauter undt ohne sonderbahre defect" bewertete. [7] Ansonsten mußte er mit Schätzwerten arbeiten, da die Ämter des öfteren die Flächen nicht nach Kategorien (Acker, Wiese, Weingarten) trennten und bei den Angaben über die Gebäude recht unterschiedlich verfuhren. Zuverlässiger als dieses Material sind die bisher nur punktuell bekannten und zur Kenntnis genommenen Erhebungen von 1655 für eine neue Steuerbeschreibung, wie sie eben die Zerstörungen des Dreißigjährigen Krieges erforderlich machte. [8] Sie eröffnen über unseren bisherigen Kenntnisstand hinaus einen differenzierteren Einblick in den wirtschaftlichen Zustand des Herzogtums Württemberg vor dem schweren Kriegseinbruch 1634 und in die Situation einige Jahre nach Ende des langwierigen Kriegstheaters. Und sie spiegeln zugleich etwas von dem Bemühen der Landesherrschaft und der Landstände, die Kriegsfolgen so gut wie möglich zu erfassen und in den Griff zu bekommen. Der in den Erhebungen vorgegebene Vergleich der Situation vor der "leidigen Landsoccupation" oder dem "leidigen Einfall" der kaiserlichen Truppen nach der Schlacht von Nördlingen (5./6.9.1634) mit dem Zustand von 1655 macht eine ganze Menge von den direkten und indirekten Kriegsauswirkungen sichtbar. Und die Herkunft der Quellen und ihre eher nüchternen substantiellen Aussagen entziehen sie dem Verdacht, bloß subjektiv eingefärbte Greuelberichte von erbaulich-schaurig übertreibenden Pfarrherren zu sein, die möglicherweise besonders leicht Opfer von Plünderungen geworden waren. [9] Auch der mehrjährige Abstand zum Kriegsende ist von Vorteil, weil die Annahme entfällt, die mitgeteilten, oft enormen Bevölkerungsverluste seien vor allem die Folge zeitweiser Flucht vor Truppen und Kriegslagern gewesen: Derartige Scheineinbußen waren inzwischen durch Rückwanderung längst behoben; die Berichte lassen vielmehr auf Grund der inzwischen bereits zögernd einsetzenden Zuwanderung von Ortsfremden die tatsächlichen Verluste bis zum Kriegsende eher zu niedrig erscheinen. Deshalb darf man ihre Aussagen natürlich nicht unbesehen übernehmen. Ihre Entstehung und die Solidität ihrer Aussagen bleiben zu überprüfen. Für die vergleichsweise hohe Qualität der Berichte, welche die Städte und Ämter 1655 lieferten, um Regierung und Landschaft über den Zustand der Steuerobjekte und über die jeweils geltenden Steuermodalitäten zu informieren, spricht aber eben ihre Entstehungsgeschichte: Zwar hatte die Regierung von Herzog Eberhard III. nach langen Verhandlungen mit den Ständen unter dem wachsenden Druck des Krieges 1629 die erste allgemeine Steuerinstruktion durchgesetzt, um für ein Mindestmaß an Gleichheit der Besteuerungsprinzipien im ganzen Land zu sorgen [10], doch wurden die in Steuerbüchern der Gemeinden festgeschriebenen Ergebnisse durch die Kriegsverluste und -zerstörungen sehr bald gründlich in Frage gestellt. Der Verteilungsschlüssel für die Steuerumlage entsprach nach dem Krieg nicht mehr der Steuerkraft der einzelnen Ämter und Gemeinden, und die so entstandenen Ungleichheiten der Belastung lösten angesichts der allgemein gesunkenen Leistungsfähigkeit - zumal während einer ausgesprochenen Nachkriegsdepression - verständliche Unzufriedenheit aus. Daher häuften sich die Beschwerden wegen Steuerüberbürdung aus allen Teilen des Landes, die Rückstände bei der Steuerzahlung schwollen an [11], und die Bevollmächtigten des Größeren Ausschusses des Landtags wurden beim Herzog Anfang 1655 wegen Festlegung eines neuen Steuerfußes vorstellig. [12] Nach einigem Hin und Her einigten sich beide Seiten auf folgendes Verfahren: Die Amtsvorsteher hatten Ort für Ort unter Hinzuziehung von Schultheißen, Bürgermeistern und Gericht sowie der verpflichteten Steuersetzer die früheren und gegenwärtigen Steuerverhältnisse anhand vorgegebener Fragen zu erheben und über das Ergebnis binnen zweier Monate an den Geheimen Regimentsrat zu berichten. Hauptziel des ganzen Unternehmens war die "durchgehende Gleichheit" der Steuerveranlagung auf Grund der jeweils ermittelten Steuerkraft. Hierzu sollte für den Zeitpunkt "vor der Landtsoccupation" und für die Gegenwart erfragt werden:
Angaben über die steuerpflichtigen Flächen von
Als Vergleichsmaterial sollte die Kommission angesichts des Verlusts zahlreicher Güterbücher im ganzen Land die Steuerunterlagen der Landschaft von 1629 heranziehen; sie sollte auch etwaige Ausstände aufspüren und besonders darauf achten, "ob nicht etwan die Vermögliche übertragen, hingegen allein die Mittelmäßige und Unvermögliche zu Abstattung ihrer Schuldigkeitten angehalten werden". [13] Nachdem die Berichte eingegangen waren, überprüfte eine von Herzog und Landtag paritätisch besetzte Kommission diese Unterlagen in elf Ämtern noch eigens vor Ort. Insgesamt bestätigte sie, daß man sich auf die Angaben der Ämter, auch wenn sie unterschiedlich ausführlich waren, verlassen konnte. [14] Auf dieser Erfahrungsgrundlage ging der Größere Ausschuß die Berichte der Städte und Ämter durch und überlegte, wie jeder Ort neu veranschlagt werden könne; nachdem die Ergebnisse im Plenum vorgetragen worden waren, nahm sich der Landtag seinerseits anhand der Unterlagen Städte und Ämter in alphabetischer Reihenfolge Ort für Ort vor, ließ anschließend die Abgeordneten der einzelnen Orte zu Wort kommen, hörte dann Vertreter der benachbarten Orte an, erstellte daraufhin den Steueranschlag und holte die Meinung der fürstlichen Deputierten ein; das ganze Geschäft der Steuereinschätzung konnte so Anfang Juni 1656 in fünf Tagen abgeschlossen werden. [15] Auch wenn die Ämterberichte nicht mit dem Maßstab heutiger statistischer Erhebungen gemessen werden dürfen, sie bieten für einen vergleichsweise großen Raum doch einen Grundbestand an Daten, die im Vergleich von Vor- und Nachkriegszeit mit gebotener Vorsicht Aussagen über die damaligen wirtschaftlichen Gegebenheiten und über deren Veränderung infolge des Krieges ermöglichen. [16] Soweit es die Vorkriegssituation betrifft, kann man anhand der Angaben über die vorhandene "Mannschaft", verstanden als Bürger mit eigenem Haushalt, die vor dem Krieg bestehende Bevölkerungsdichte einigermaßen zutreffend schätzen [17]: Sie belief sich im gesamten Herzogtum auf wenigstens 50 Einwohner/km [2], variierte allerdings je nach Tragfähigkeit der vorhandenen Landwirtschaft - in Hochlagen der Alb und des Schwarzwaldes lag sie unter 20 Einwohner/km [2], in den fruchtbareren Ackerbauzonen des Unterlandes stieg sie auf 60 bis 70 Einwohner/km [2] und erreichte in den ausgesprochenen Weinbaugebieten fast durchweg Werte von über 100 Einwohner/km [2] . Das Herzogtum Württemberg rangierte damit unter den besonders dicht besiedelten Regionen Deutschlands, ja Europas auf einem der ersten Plätze. Wenn das Bevölkerungswachstum Württembergs in den Jahrzehnten vor dem Krieg offensichtlich eine rückläufige Tendenz aufwies, so ist der Rückschluß erlaubt, daß hier der Nahrungsspielraum unter wachsenden Bevölkerungsdruck geraten war. Dafür sprechen auch die vorhandenen Vergleichsdaten über die besteuerten landwirtschaftlichen Nutzflächen (Acker, Wiese, Weinberg). Diese sind zwar gewiß nicht einfach identisch mit den tatsächlich vorhandenen Flächen, denn die Meßgenauigkeit entsprach keineswegs modernen Standards, es gab steuerfreie Güter, und es gab zweifellos auch noch genügend Land, das nicht in die Steuerrechnung einging. Aber die Steuerbefreiungen hielten sich gerade im Herzogtum Württemberg insgesamt in engen Grenzen, und die nicht weiter ausgewiesenen Flächen wie Gemeindeeigentum (Weiden) oder abgelegenes Nutzland zählten unter den damals bestehenden Bedingungen zu ausgesprochenen Grenzböden; man darf also nicht davon ausgehen, daß auf ihnen erhebliche Teile des Sozialprodukts erwirtschaftet worden sind. Auf Grund einer Reihe von möglichst realitätsnahen Annahmen über vorhandenes Arbeitskräftepotential, über den erforderlichen Einsatz von Arbeitskräften zur Bestellung der verfügbaren Flächen, über durchschnittliche Ernteerträge und über den Nahrungsmittelbedarf der Bevölkerung lassen sich auf die wirtschaftlichen Verhältnisse in Württemberg vor dem Dreißigjährigen Krieg mit der gebotenen Vorsicht Rückschlüsse ziehen. Demnach konnten bei einigermaßen rationeller Nutzung annähernd 70 Prozent der Arbeitskräfte in der Land- oder in der Forstwirtschaft ein Auskommen finden. Die errechnete Getreideproduktion deckte in den erfaßten Ämtern den tatsächlichen Bedarf aber nur zu etwa 85 Prozent, so daß noch eine beachtliche Zufuhr vonnöten gewesen wäre. Die verstreute zeitgenössische Information läßt zumindest deutlich erkennen, daß in Württemberg die Nahrungsmitteldecke dünner wurde, daß zunehmend Grenzböden unter den Pflug kamen und hierbei auch der Wald als Landreserve nicht verschont blieb, daß man vor allem in den besonders dicht besiedelten Landesteilen die Viehhaltung zugunsten des Feldbaues so weit wie möglich reduzierte, auf diese Weise aber wiederum die Regenerationsmöglichkeiten für den Boden durch Düngerzufuhr verschlechterte. Der Konsum von Fleisch, tierischem Eiweiß und Fett war entsprechend gering und wurde durch obrigkeitliche Maßnahmen zusätzlich eingeschränkt. Der Ausbau der Rebflächen stellte demgegenüber den wichtigsten landwirtschaftlichen Intensivierungsprozeß in Württemberg während des Jahrhunderts vor dem Dreißigjährigen Krieg dar. Bisher nicht oder schlecht genutzte Flächen wie Steilhänge, Wald und Weide, aber auch Ackerböden wurden mit Rebstöcken bepflanzt: Der "Neckarwein" fand seinen Weg nach Oberschwaben, Bayern und Österreich, in die Schweiz und in den Norden Deutschlands. Doch trotz solch überregionaler Nachfrage blieb der Gewinn, gemessen an dem erforderlichen Arbeitseinsatz, deutlich hinter demjenigen aus dem Getreideanbau zurück. Wenn dennoch Acker für den Weinbau umfunktioniert wurde, so spricht das erneut dafür, daß Arbeitskraft überreichlich zur Verfügung stand. Denn die Arbeitsmöglichkeiten außerhalb der Landwirtschaft blieben beschränkt. Zwar wies Württemberg, soweit erfaßbar, schon früh beachtliche Gewerbequoten auf: Im frühen 18. Jahrhundert, als die Bevölkerungszahl aus der Zeit vor dem Dreißigjährigen Krieg noch keineswegs überall wieder erreicht war, beliefen sich Handwerkerhaushalte auf ein Viertel und mehr des Gesamtbestandes. Doch handelte es sich hierbei überwiegend nur um Teilerwerbsplätze in Verbindung mit einer kleinen Landwirtschaft. Auch hier darf man davon ausgehen, daß wachsender Bevölkerungsdruck angesichts knapper werdender landwirtschaftlicher Ressourcen einen Ausweg in handwerklicher und heimgewerblicher Tätigkeit suchte, vor allem in der Textilproduktion (Spinnen und Weben), die mit der Herstellung von Wolltuchen im württembergischen Schwarzwald (Calw als Zentrum) und von Leinwand auf der Schwäbischen Alb Exportartikel produzierte. Selbst wenn man weitere Tätigkeitsfelder in Fürsten- und Kirchendienst sowie in Handel und Fuhrgewerbe berücksichtigt, läßt sich insgesamt eine Arbeitslosenquote von etwa 15 Prozent errechnen. Das bedeutete in Wirklichkeit die Unterbeschäftigung eines sehr viel größeren Teils der Bevölkerung. Nach dem Gesagten ist es nicht verwunderlich, daß unter dem wachsenden Bevölkerungsdruck auch die Einkommens- und Vermögensdisparitäten offensichtlich zunahmen. Die zeitgenössischen Nachrichten über steigenden Wohlstand und wachsende Armut widersprechen sich nur auf den ersten Blick, denn vornehmlich die Verteilung des knappen und begehrten Grundbesitzes bzw. der ihm gegenüber bestehenden Ansprüche auf Abgaben wie Gülten und Zehnten bestimmte maßgeblich auch die Einkommens- und Vermögensverteilung. Nur umfangreicherer Landbesitz sicherte die Eigenversorgung und darüber hinaus die Chance zu Marktgewinnen, die um so größer waren, je stärker die Nachfrage infolge der Bevölkerungszunahme wuchs, während die Löhne zumindest real, teilweise sogar nominal absanken. Der Drang nach eigenem Landerwerb entsprang dem Bedürfnis, sich soweit wie möglich aus der riskanten Abhängigkeit von Lebensmittel- und Arbeitsmarkt zu lösen, er trieb freilich seinerseits wiederum die Preise für Grund und Boden in zuvor nicht gekannte Höhen und förderte die Verschuldung breiter Bevölkerungsschichten. Dies war kein Risiko, solange die Bodenpreise weiter im Steigen begriffen waren; sobald sie allerdings infolge sinkender Bevölkerung und damit auch sinkender Nahrungsmittelnachfrage abstürzten, drohte die Verschuldung in Überschuldung umzuschlagen, wie sich nach dem Dreißigjährigen Krieg zeigen sollte. Die ökonomische Gesamtsituation vor dem Krieg in Württemberg fügt sich weder in das Bild einer florierenden noch in das einer niedergehenden Wirtschaft. Bei steigendem Bevölkerungsdruck beinhaltete das vergleichsweise beschränkte absolute Wirtschaftswachstum freilich in längerfristiger Perspektive wohl ein sinkendes reales Pro-Kopf-Einkommen. Daran konnten auch Intensivierungsprozesse wie die Ausweitung des Weinbaues und der exportorientierten Woll- und Leinenproduktion nichts Grundlegendes ändern. Die Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen vergrößerte sich unter derartigen Rahmenbedingungen. Breite Bevölkerungsschichten dürften eine Existenz geführt haben, die von Unterbeschäftigung, Unterernährung und im Fall schlechter Ernten von akuter Not und sprunghaft ansteigender Sterblichkeit geprägt war. Vor diesem Hintergrund sind die Kriegsfolgen zu beurteilen. Zunächst stiegen die Steuern in bisher unbekannte Höhen, und die Einquartierungen durchziehender Truppen mehrten sich. Die berüchtigte Periode der Kipper und Wipper 1621/22, gekennzeichnet durch die Produktion minderwertiger Münzen, um den allseits wachsenden Kriegsbedarf zu finanzieren, blieb zwar weit entfernt von den Wirkungen einer modernen "großen" Inflation, traf jedoch die lohnabhängigen Schichten durch Preiserhöhungen beim Getreide auf etwa das Vierfache des bisherigen Normalstands - das entsprach den Folgen einer schweren Mißernte. Die unterschiedliche Intensität der Münzverschlechterung verstärkte das Preisgefälle zwischen benachbarten Regionen und trieb eine wirtschaftliche Scheinblüte hervor, wie der Anstieg der württembergischen Zolleinnahmen etwa auf den dreifachen Durchschnitt belegt. Immerhin suchte die württembergische Regierung durch Höchstpreisbestimmungen im Land und Exportsperren für Lebensmittel den drohenden Schaden für die eigene Bevölkerung in Grenzen zu halten; demselben Ziel diente ihr Bemühen, die Rückzahlung von Schulden mit schlechtem Geld gesetzlich zu verhindern. Erst seit dem Herbst 1634 traf der Krieg mit aller Härte das Herzogtum und verwandelte es schon während des ersten schweren Einfalls der kaiserlichen Truppen 1634/35 in eines der Hauptzerstörungsgebiete innerhalb Deutschlands. Der Einbruch in die Erntearbeiten, die Plünderung fast sämtlicher Orte des Landes, umfangreiche Fluchtbewegungen der Bevölkerung, der plötzliche Rückgang des Getreideanbaues bei kräftiger zusätzlicher und meist nicht bezahlter Nachfrage seitens des feindlichen Militärs - all dies mündete in eine akute Hungersnot und verstärkte die Auswirkungen der als "Pest" bezeichneten Seuche(n), die durch die Armee eingeschleppt und durch Militär und fliehende Bevölkerung im ganzen Land verbreitet wurde(n). Im Unterschied zu früheren Seucheneinbrüchen verstärkten sich nun die Wirkungen von Krieg, Krankheit, Hunger und Bevölkerungsflucht wechselseitig über einen längeren Zeitraum: Dem katastrophalen Einbruch 1634/35 folgten zahlreiche Truppendurchzüge, Sommer- und Winterquartiere der verschiedenen kriegführenden Parteien mit all ihren Bedrängnissen. Die Berichte lassen längerfristige Wirkungen recht zuverlässig erkennen: 1655 belief sich der Bevölkerungsstand landesweit nur noch auf 43 Prozent desjenigen aus der Zeit vor der "leidigen Landsoccupation"; die Streubreite nach Ämtern lag zwischen 69 und 23 Prozent. Die beträchtlichen regionalen Unterschiede waren Folge unterschiedlich intensiver Kriegseinwirkungen: Orte an wichtigen Durchgangsstraßen und strategisch bedeutsame Plätze waren die Hauptleidtragenden, abgelegene Gegenden blieben stärker verschont; Städte, die durch ihre Mauern vor allem gegen Marodeure und kleine Militärtrupps besseren Schutz boten, zogen Bevölkerung aus dem näheren Umfeld an und erschienen daher in geringerem Maße betroffen. Weniger die direkten Kriegshandlungen, sondern vor allem Seuchen und Hunger hatten ein derartiges Massaker unter der Bevölkerung angerichtet. Diese Tatsache spiegelte sich auch in den zahlreichen Spuren der Zerstörung, die der Krieg im Lande hinterließ. So blieb, verglichen mit der Bevölkerung, ein deutlich größerer Anteil an Gebäuden erhalten, nämlich 57 Prozent, freilich in erbärmlichem Zustand, da sie infolge längeren Leerstehens verwahrlost waren oder weil Militär und Zivilbevölkerung sie ausgeschlachtet hatten, um sich auf bequeme Weise mit Bau- und Brennholz zu versorgen. Die landwirtschaftlichen Flächen wurden, abgesehen vom Weinbau, der nur ca. 40 Prozent des Vorkriegsstandes erreichte, in sehr viel erheblicherem Umfang wieder genutzt, als es dem Bevölkerungsschwund entsprach: Die ortsnahen Gärten waren fast völlig bestellt, die Wiesen zum größten Teil, die Äcker immerhin zu 58 Prozent. Die Flächenerträge dürften der immer wieder beklagten Verwilderung zum Trotz kaum unter denjenigen der Vorkriegszeit gelegen haben, weil jetzt natürlich Grenzböden brach liegenblieben. Offensichtlich nutzten die Menschen die nun gegebene Chance, die Anbaufläche zur eigenen Ernährung sowie in Hoffnung auf guten Gewinn über ihre bisherigen Möglichkeiten hinaus auszudehnen. Da aber auch die einstigen Absatzgebiete infolge verminderter Bevölkerung den Eigenbedarf weit besser als früher zu decken vermochten, ließ die unvermeidlich eintretende Überproduktion die hohen Getreidepreise der Vorkriegs- wie der Kriegszeit unter die Rentabilitätsgrenze abfallen. Wenn die Bauern trotz der einhelligen Klagen über die sich weit öffnende Schere zwischen den abgesackten Getreidepreisen einerseits und den demgegenüber ungewohnt hohen Löhnen sowie Preisen für gewerbliche Produkte andererseits nicht versuchten, Kapital und Arbeitskraft vorteilhafter einzusetzen, so mag das wenigstens zu einem Teil darauf zurückzuführen sein, daß sich die wirtschaftliche Situation auch in vielen Zweigen des Handwerks keineswegs besonders günstig gestaltete. Denn die Nachfrage nach ihren Erzeugnissen mußte maßgeblich von den Landwirten ausgehen, blieb jedoch angesichts des gesunkenen und schlecht bezahlten Absatzes der landwirtschaftlichen Produktion entsprechend schwach und beschränkte sich auf das Allernotwendigste. Vor allem Bauhandwerker und Tagelöhner als gesuchte Arbeitskräfte profitierten daher von den niedrigen Getreidepreisen, während die Handwerker anderer Branchen sich wegen ungenügender Beschäftigung selbst auf Taglöhnerei oder Landwirtschaft verlegten. Immerhin standen offenbar genügend Ackergerät und Zugvieh zur Verfügung, um einen vergleichsweise umfangreichen Ackerbau zu betreiben. Allerdings mußten die Bauern sich recht häufig Vieh auf Borg oder als Stellvieh über größere Entfernungen (z.B. aus dem Elsaß) besorgen. Kapital blieb knapp. Kapitalmangel trug auch zum Rückgang der Rebkultur bei, zumal die Preise gerade bei den einfachen Weinsorten verfielen. Der Anbau zog sich infolgedessen auf die besten Gebiete des Unterlandes zurück, wobei die Winzer mangels eigener Mittel noch stärker als früher in Abhängigkeit von Kapitalgebern gerieten, die ihnen mit Blick auf die nächste Weinlese ausliehen. Die Grundversorgung der Menschen mit Nahrungsmitteln war wegen der starken Bevölkerungsverluste in den Jahrzehnten nach dem Krieg besser gewährleistet als vor dem verheerenden Kriegseinbruch. In dieser Hinsicht wirkte sich der Dreißigjährige Krieg ähnlich aus wie der katastrophale Einbruch der Pest um die Mitte des 14. Jahrhunderts, auch hinsichtlich der sich verschiebenden Austauschrelationen zwischen agrarischen Produkten einerseits, gewerblichen Erzeugnissen und menschlicher Arbeitskraft andererseits. Ansonsten allerdings bestanden zwischen den Wirtschaftsdepressionen um die Mitte des 14. und der des 17. Jahrhunderts gravierende Unterschiede: Nach dem Dreißigjährigen Krieg mußte der Kapitalstock vor allem der Landwirtschaft zu einem großen Teil neu gebildet werden, gleichzeitig aber ging die gesamte Wirtschaft aus dem Krieg mit hohen Schuldenlasten und Steuerverpflichtungen hervor. Um die geforderten Steuern, Brandschatzungen und ähnliches aufbringen zu können, waren die Landstände, aber auch die Gemeinden und Ämter während des Krieges immer wieder genötigt gewesen, hohe Kredite aufzunehmen. Dank des gut eingespielten Kreditsystems vermochten die kriegführenden Parteien über die augenblickliche Belastungsgrenze hinaus erst künftig anfallende Erträge aus dem Land zu ziehen. Und da ein beträchtlicher Teil der Kredite nicht aus dem Inland stammte oder einschlägige Schuldverschreibungen von ausländischen Interessenten vor allem in der Schweiz aufgekauft wurden, flossen die entsprechenden Aufwendungen für Zinsendienst und Tilgungsraten ins Ausland ab und verschärften so den inländischen Kapitalmangel. Der Bestand an Mobilien und Kapital schrumpfte infolge des Kriegs auf einen Bruchteil des einstigen Wertes. Gleichzeitig sackte der Wert der Immobilien angesichts des Bevölkerungsrückganges und der entsprechend gesunkenen Nachfrage nach Wohnraum und Nahrungsmitteln ins Bodenlose: Bei starker regionaler Streuung dürfte der Preissturz durchschnittlich etwa 75 Prozent des Vorkriegswertes betragen haben. Einst erträgliche Verschuldung für Grunderwerb schlug also durch die Einwirkungen des Krieges in massive Überschuldung um, denn selbst ein nominal gleichbleibender Schuldenstand bedeutete nun eine etwa vierfach so hohe reale Belastung. Soweit bisher Daten verfügbar sind, lag die private Pro-Kopf-Verschuldung nach dem Krieg aber selbst nominal über dem Stand von 1629 und erreichten die Orts- und Amtsschulden schätzungsweise das Vierfache des damaligen Nominalwertes, während das versteuerte Gültkapital nur noch ein Viertel des Standes von 1629 betrug. Nimmt man dies alles zusammen, so liegt der Schluß auf der Hand, daß die reale Verschuldung (gemessen an den damaligen Immobilienpreisen) insgesamt auf wenigstens das Vierfache angestiegen war. Diese knappen und recht abstrakten Aussagen könnten mit einer Fülle von Einzelheiten, welche die Berichte der Ämter liefern, farbiger und differenzierter ausgemalt werden. Bewertet waren die betreffenden Angaben gewöhnlich aus der Perspektive derer, denen es vor dem Krieg besser gegangen war, aus der Sicht der wohlhabenderen Bauern und Bürger. Von daher ertönte fast stereotyp die Klage über den Verfall der Getreidepreise und die gestiegenen Kosten für Lohn- und Handwerkerarbeit, so daß sich die Landwirtschaft kaum noch lohne, und ebenso regelmäßig wiederholte sich das Jammern über die Einbuße früherer ergiebiger Erwerbsquellen - des Verkaufs von Schiffsholz nach Holland, von Brenn- und Nutzholz innerhalb des Landes, des rentablen Absatzes von Wein, des Fuhrwerks zum Transport von Holz und Wein, des zusätzlichen Gewinns aus dem Obstbau, während jetzt die Fruchtbäume zum großen Teil abgeholzt seien, des Betreibens profitabler Viehzucht, um wenigstens das Wichtigste zu nennen. Es lag nahe, daß die herzogliche Regierung vor allem diesen Bevölkerungsgruppen aufzuhelfen suchte, die als tragende Stütze des Wohlstandes im Lande galten. Der Wiederaufbau der Landwirtschaft war zweifellos der wichtigste Ansatzpunkt, um die ökonomische Stagnation der Nachkriegsperiode zu durchbrechen. Den größten Effekt konnte die Regierung durch Abbau bestehender Belastungen erzielen. Beliebige Handlungsspielräume standen ihr hierbei freilich kaum zur Verfügung. Im Rahmen der Steuererhebung suchten Herzog und Landstände die regionalen Ungleichheiten der Belastung auszugleichen und Handel und Gewerbe stärker als bisher zur Kasse zu bitten. Wichtiger noch waren Maßnahmen, die Verschuldung des Grundbesitzes so weit wie möglich in ein angemessenes Verhältnis zum gesunkenen Wert zu setzen, denn nur dann durfte man mit einer rascheren Wiederbesiedlung des Landes rechnen: Solange bürgerliche Niederlassung mit der Übernahme hoher Kriegsfolgelasten in Gestalt von Schulden und Steuern verbunden war, mußte es Zuwanderern vorteilhafter erscheinen, zunächst nicht seßhaft zu werden, sondern nur die eigene Arbeitskraft zu vergleichsweise hohem Preis zu vermarkten. Die Gemeinden aber verzichteten fast durchweg auf die Besteuerung der neuen Bewohner, weil sie andernfalls deren Abzug befürchteten. Einen rigorosen Schuldenabbau hat Württemberg freilich nicht in die Wege geleitet. Die Tilgung von 75 Prozent der aufgelaufenen Zinsrückstände war reichsrechtlich begründet. Für den württembergischen Steuerzahler war es von Bedeutung, daß es der württembergischen Landschaft in einem Vergleich mit ihren Gläubigern gelang, deren Ansprüche und damit auch die ihnen gegenüber zu leistenden Zins- und Rückzahlungsverbindlichkeiten auf die Hälfte zu mindern. Aber auch dann noch verharrte die Steuerlast selbst nominal gegenüber der Vorkriegszeit etwa auf dem doppelten, umgerechnet auf den Kopf der Bevölkerung sogar auf annähernd dem vierfachen Stand. Wohl noch wirksamer waren die private Bereinigung von Schuldverpflichtungen und Gläubigeransprüchen und die Klärung von Besitzrechten an verlassenem Grund und Boden. Die Schulden wurden hierbei auf dem Wege des Vergleichs gewöhnlich auf ein Drittel als Obergrenze reduziert. Eine weitergehende Umverteilung, die zu spürbarer Konzentration des Grundbesitzes geführt und die überkommene Agrarverfassung in Frage gestellt hätte, wurde auf diese Weise von vornherein vermieden. Sonstige Versuche der Regierung, die Position der Landwirtschaft auf dem Arbeitsmarkt und beim Absatz ihrer Produkte zu verbessern, erwiesen sich als nicht sonderlich erfolgreich: Die zahlreichen Taxordnungen, die unter Hinweis auf "christliche Billigkeit" und "christliche Liebe" den Preis für Lohnarbeit und Handwerksleistungen zugunsten der Landwirtschaft abzusenken bemüht waren, konnten die ökonomische Wirklichkeit nicht in dem gewünschten Maße steuern. Dasselbe galt für die freilich erst 1672 amtlich erfolgte Festsetzung von Mindestpreisen für Getreide. Auch die Abwehr "ausländischer" Produkte, um die Nachfrage so weit wie möglich auf inländische Erzeugnisse umzulenken, dürfte nicht allzu viel erbracht haben. Luxus- und Kleiderordnungen oder Importsperren, besonders bei Textilien und bei Wein, griffen kaum sonderlich wirksam in das Marktgeschehen ein. Die sich nach dem Krieg verstärkenden Ansätze zu einer merkantilistisch ausgerichteten Wirtschaftspolitik zielten nicht über die tradierte Rechts-, Wirtschafts- und Sozialordnung hinaus. Die Höhe der Grundabgaben blieb, soweit erkennbar, in vollem Umfang erhalten, die gewährten Freijahre bei der Neubestellung wüstliegender Güter hielten sich in äußerst bescheidenen Größenordnungen. Einer rascheren Wiederbesiedlung des Landes stand das gewiß ebenso im Wege wie die mangelnde Bereitschaft, großzügig religiöse Toleranz walten zu lassen. Anders als z.B. der Pfälzer Kurfürst Karl Ludwig verzichtete Württemberg damit auf das wirksamste Instrumentarium einer erfolgreichen Einwanderungspolitik, denn die Hauptmasse der Zuwanderer nach Südwestdeutschland stammte aus den katholischen und reformierten Alpenländern, aus Tirol, Bayern und vor allem aus der Schweiz; angesichts der eingeschränkten Aufenthaltserlaubnis für Nicht-Lutheraner aber fand sie nur zögernd den Weg in das Herzogtum. Das durchaus beachtliche Bevölkerungswachstum von durchschnittlich 1,8 Prozent pro Jahr zwischen 1652 und 1678 erklärt sich überwiegend aus dem hohen Geborenenüberschuß der Nachkriegsjahrzehnte, der den Anteil der Kinder und Jugendlichen im Alter bis zu 14 oder 15 Jahren auf Werte zwischen 40 und 50 Prozent der Gesamtbevölkerung steigen ließ. Der Dreißigjährige Krieg hat in Württemberg wie andernorts neue Tatbestände und auch Möglichkeiten auf dem Feld der Wirtschaft geschaffen. Offensichtlich wäre es zu einfach, ihm ohne Wenn und Aber die Vernichtung einer vorangehenden wirtschaftlichen Blüte anzulasten; dafür zeigten die damaligen ökonomischen Gegebenheiten unter dem Druck des Bevölkerungswachstums zu deutliche Zeichen der Anspannung, ja teilweise der Überspannung. Daß der Krieg selbst einen verheerenden Einbruch in den damals erreichten beachtlichen Stand der materiellen Kultur darstellte und daß er sich selbst aus deren Substanz so lange ernähren konnte, ist unzweifelhaft. Aber ihm folgte keine langanhaltende Periode des wirtschaftlichen Niedergangs oder der Stagnation, sondern eher eine Periode des mühsamen ökonomischen Wiederaufbaues. Wenn dieser Aufbauprozeß im späten 17. und frühen 18. Jahrhundert durch die Kriege mit dem Frankreich Ludwigs XIV. freilich recht nachhaltig unterbrochen und verzögert wurde, so ist dies zu einem guten Teil auf die politisch-militärischen Konstellationen zurückzuführen, die wiederum der Dreißigjährige Krieg durch Schwächung der Reichsorganisation bei gleichzeitigem Ausbau der französischen Machtposition im Elsaß und am Oberrhein für den deutschen Südwesten geschaffen hat. ANMERKUNGEN - Siglenliste für Literaturangaben1. Hinweise hierzu mit weiterführenden Literaturangaben bei Hippel 1985, S. 111-125.2. Vgl. Steinberg 1967, S. 7 und 111ff. 3. Steinberg 1967, S. 143. 4. Z.B. übernimmt Wehler 1987, S. 54, Steinbergs Sicht offenbar ohne Einschränkungen. 5. Konzept mit Notanda zu den Ergebnissen im Hauptstaatsarchiv Stuttgart (künftig: HSAS) A 29 Büschel (künftig: Bü) 105 Quadrangel (künftig: Q) 1. 6. HSAS A 29 Bü 105 Q 3. 7. HSAS A 29 Bü 105 Q 2. 8. Die Berichte befinden sich verstreut in dem Bestand HSAS A 261; die kommentierte Publikation der einschlägigen Daten, soweit wie möglich bis auf die Einzelorts-Ebene hinunter, ist für 1998/99 vorgesehen. 9. So die pauschale Bewertung der zeitgenössischen Berichte durch Steinberg 1967, S. 116. 10. Reyscher 1839, S. 127-131. 11. HSAS A 203 Bü 207 Fasz. betr. 1655. 12. Dekret vom 24. Januar 1655; HSAS A 203 Bü 207 Fasz. betr. 1655. 13. Instruktion vom 10. April 1655; HSAS L 6 Fasz. 18.3.1.2. 14. 3. Juni 1656; HSAS A 203 Bü 207 Fasz. betr. 1656. 15. HSAS A 261 Bü 3. 16. Die folgenden Ausführungen greifen zurück auf Hippel 1978, S. 413-448. Im einzelnen wird daher auf diese Untersuchung verwiesen. 17. Zugrunde gelegt wurde ein Multiplikator von 5 je Bürger, eine nach vorhandenen Vergleichsdaten nicht zu hoch angesetzte Größe. | |
QUELLE | | 1648: Krieg und Frieden in Europa | Bd. 1, S. 329-336 | |
PROJEKT | 1648 - Westfälischer Friede | |
DATUM AUFNAHME | 2005-10-31 | |
AUFRUFE GESAMT | 3922 | |
AUFRUFE IM MONAT | 6 | |
Seiten-URL: http://www.westfaelische-geschichte.de/tex440 | ||
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