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(103 KB)   Visscher, Claesz Jansz (Kupferstich): Raub des Paderborner Liborius-Schreins durch Herzog Christian von Braunschweig / Niederländisches Flugblatt auf die Einschmelzung des Liborischreins 1622 bzw. "Westphaelische Transformatie“ / Münster, Westfälisches Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Münster / Münster, Westfälisches Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Münster   Visscher, Claesz Jansz (Kupferstich): Raub des Paderborner Liborius-Schreins durch Herzog Christian von Braunschweig / Niederländisches Flugblatt auf die Einschmelzung des Liborischreins 1622 bzw. "Westphaelische Transformatie“ / Münster, Westfälisches Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Münster / Münster, Westfälisches Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Münster
TITELRaub des Paderborner Liborius-Schreins durch Herzog Christian von Braunschweig / Niederländisches Flugblatt auf die Einschmelzung des Liborischreins 1622 bzw. "Westphaelische Transformatie“
URHEBER OBJEKTVisscher, Claesz Jansz (Kupferstich)
DATIERUNG1622


INFORMATIONIn der Regierungszeit Dietrichs von Fürstenberg konnte sich die Gegenreformation im Paderborner Land weitgehend ungehindert von störenden auswärtigen, militärischen Einflüssen entfalten. Um kriegerische Auseinandersetzungen zu vermeiden, wurden hohe Lösegelder bezahlt zum Beispiel 11.000 Taler 1591 an die Niederländer und 12.000 Taler 1604 an die Spanier für das Versprechen friedlichen Durchzugs. [1] Für Niederländer und Spanier war Westfalen ohnehin nur mittelbar von Interesse als Glacis, zur Erholung und Proviantierung der Truppen. Dies änderte sich durch die religionspolitischen Kämpfe des 30jährigen Krieges (1618-1648).

Als der böhmische Aufstand gegen die habsburgische Herrschaft 1620 mit der Vertreibung des "Winterkönigs" Friedrich V., zugleich Kurfürst von der Pfalz, niedergeschlagen worden war, wandte sich Kaiser Ferdinand II. auch gegen die Pfalz. Die Kurfürsten von der Pfalz, seit Jahrzehnten Führer der calvinistischen "Partei" im Reich, sollten aus ihren Stammlanden verdrängt und endgültig unterworfen werden. Dieses Vorgehen bedrohte das empfindliche, machtpolitische Gleichgewicht unter den konfessionellen Lagern und konnte von den Gegnern nichteinfach hingenommen werden. Zu den protestantischen Fürsten, die den Pfälzern zur Seite traten, gehörte Herzog Christian von Braunschweig, Administrator des protestantisch gewordenen Bistums Halberstadt. Sein Ansporn rührte freilich weniger von weitsichtigen staats- und kirchenpolitischen Zielen als von ungestümem Tatendrang und einer ritterlichen", schwärmerischen Verehrung seiner Kusine Elisabeth Stuart, der Gattin des früheren "Winterkönigs" von Böhmen. [2] Mit dem Versprechen, geistliche Territorien für die Plünderung freizugeben, warb er in Niedersachsen ein ansehnliches Heer zusammen, mit dem er in die Pfalz ziehen wollte. In Hessen stellte sich ihm aber das nordwestdeutsche Heer der katholischen "Liga" unter dem kaiserlichen General Graf Johann Jakob von Anholt, einem Westfalen, in den Weg und zwang ihn zum Rückzug.

Herzog Christian wich nach Westfalen aus und fiel am 30.12.1621 in die Warburger Börde, d. h. in das Paderborner Stift ein. Er konfrontierte einige Städte, kleinere Siedlungen und die Regierung in Paderborn mit Lösegeldforderungen, insbesondere mit der bedrohlichen militärischen Überlegenheit Durch Brandschatzung mehrerer Orte bekräftigte er seine Forderungen. Als strategischer Stützpunkt diente ihm die Stadt-Festung Lippstadt die durch einen listigen Handstreich genommen worden war. In Paderborn, wo die unter Fürstenberg benachteiligten, protestantisch fühlenden Bürger dem Eindringling wohlgesonnen waren, konnte eine effektive, einheitliche Beschlussfassung zu der Bedrohung nicht erreicht werden, zumal der Fürstbischof Ferdinand l. (Herzog von Bayern, 1618-1650) - zugleich in Personalunion Oberhirte der Erz-/Diözesen Köln, Lüttich, Hildesheim, Münster, der Abteien Stablo-Malmedy und Berchtesgaden - in Köln weilte. [3] Viele Geistliche waren bereits aus Paderborn geflüchtet, die Jesuiten mußten Schulen und Universität schließen und zogen mit den Schülern ins Lippische. Fünf Patres waren von protestantischen Bürgern an der Flucht gehindert worden. Von den Klöstern blieben nur die Kapuziner und von der fürstbischöflichen Regierung harrte allein der Kanzler aus. Es wurde mit Christian verhandelt, doch der Inhalt der Gespräche ist nicht zweifelsfrei verbürgt. [4] Sollte ihm eine dreitägige Einquartierung zugesichert worden sein gegen das Versprechen, keinen Bürger zu bedrohen oder zu verletzen? Oder wurde ihm einfach insgeheim der Zugang in die Stadt versprochen? Sicher ist die darauffolgende gewaltlose Öffnung der Stadt überliefert, in die Christian am 31.01.1622 mit großem Gefolge einrückte.

Die zurückgebliebene, im Stillen noch lutherische Bürgerschaft Paderborns, wie - später - auch anderer Städte des Paderborner und des Münsterlandes, setzte große Hoffnungen auf ihn als den Befreier von katholischem Glaubensdruck. Er wurde wohl auch auf Grund seiner persönlichen Ausstrahlung mit einer gewissen Sympathie empfangen, die ihm den volkstümlichen Namen: "der Tolle Christian" oder "der Tolle Halberstädter" einbrachte. Er ließ in der Paderborner Marktkirche den seit 1598 untersagten evangelischen Gottesdienst wiederaufnehmen, den Rat der Stadt mit Protestanten besetzen und die bleichenden Gebeine Liborius' Wichart würdevoll bestatten. Im Jesuitenkolleg nahm er Quartier, behandelte die verbliebenen Jesuiten freundlich, ließ aber den Dom und andere Kirchen nach Wertgegenständen aller Art durchsuchen. [5] Kleriker und Bürger wurden erpresst Von mehreren Klöstern mußten Lösegeldsummen gezahlt werden, darunter 20.000 Taler von den Jesuiten. Nur durch Zufall konnte die Bibliothek der Jesuiten gerettet werden. Beinahe wäre der Turm des Jesuitenkollegs gesprengt worden. Acht Tage plünderte man tagsüber, abends folgten wilde Gelage im Jesuitenkolleg. Besonders hart fielen die Lebensmittelrequirierungen aus. Die große Beutesumme nutzte Christian zu großzügigen Werbungen für den Militärdienst in ganz Norddeutschland, zur Modernisierung der Waffen und auch zu einer gezielten Münzpropaganda.

Im Verlauf des 30jährigen Krieges wurde Paderborn insgesamt sechzehnmal von feindlichen Schweden, Hessen, Braunschweigern und den befreundeten Kaiserlichen besetzt, verbrannt oder zerstört, von der Pest, anderen Seuchen und dem Hexenwahn mehrfach heimgesucht. Doch der Aufenthalt Christians traf die Paderborner Bevölkerung besonders schwer durch die ungeheuren Beutesummen und massenhaften Einquartierungen, vor allem aber durch den Raub des Domschatzes und der Libori-Reliquien - für das katholische Paderborn ein Sakrileg. Sie waren zuvor nach Soest geschafft worden, um sie vor dem Zugriff Christians zu sichern, fielen ihm dann aber doch nach Eroberung der Stadt in die Hände (siehe  Bild 10).

Nach wechselndem Miß-/Erfolg und mehreren Kriegszügen, die Christian und sein Heer nach Hessen und in die Pfalz führten, wurde er erst am 06.08.1623 bei Stadtlohn vernichtend geschlagen. Nach seinem Rückzug aus dem Paderborner Land war das benachbarte Lippstadt als strategische Position von holländisch-"staatischen" und brandenburgischen Truppen gehalten worden. Unter Führung des Grafen Johann von Ostfriesland und Rietberg, der schon die militärischen Operationen des Paderborner Fürstbischofs Dietrich IV. leitete, wurde die Stadt Anfang September 1623 belagert und schließlich, vier Wochen später zur Kapitulation gezwungen. Mit diesen Siegen gewann die katholische "Partei" in Westfalen wieder Oberhand. Wo sich unter Schutz Christians protestantische Regungen gezeigt hatten, wie zum Beispiel in Paderborn, ging man mit Gewalt vor. Die Stadt war trotz der Bitten protestantischer Bürger unbesetzt gelassen und konnte von den nachrückenden katholischen Truppen leicht genommen werden. Die protestantischen Hoffnungen Paderborner Bürger waren endgültig zunichte. Hatte ihnen Fürstbischof Ferdinand 1618 bei seinem Regierungsantritt noch einen Teil der bei Wicharts Sturz verlorenen städtischen Rechte zurückgegeben, so erneuerte er nun im Strafgericht die 1604 von Dietrich IV. erlassene, strenge Verfassung und unterwarf die Stadt wieder seiner unbeschränkten Herrschaft. Weihbischof Johannes Pelcking (1574-1642) kämpfte erfolgreich gegen die letzten evangelischen Gemeinden im Paderborner Stift und verhalf der Gegenreformation auch im Stift Minden und in Ravensburg zum Durchbruch.

Der zeitgenössische Kupferstich ( Bild 9) enthält ein Brustbild des Herzogs im Harnisch nach rechts, vor einem Schlachtszenen-Panorama in einem Oval, und darüber hinausgreifend seine Rechte mit dem Feldherrnstab. Oberhalb sind das Wappen seiner Familie und ein Lorbeerkranz zu sehen, die am unteren Bildrand in der Inschrift mit den Titeln Christians wiedererscheinen. Das Bild entspricht einem höfischen "Herrscherporträt", das den Betrachtenden zu Achtung und Respekt gegenüber der dargestellten Persönlichkeit ihrer Majestät und ihrer besonderen Tugenden anhalten soll (vgl. u. a. die Blickrichtung Christians!). [6] Der Stich betont die militärischen Eigenschaften, soldatische Tugenden, Herrscherwille, Machtanspruch und Entschlußfreudigkeit.

Das niederländische Flugblatt ( Bild 10) schildert den Raub des Libori-Schreins, die Einschmelzung des Silbers und die Prägung entsprechender Münzen in Lippstadt, der sogenannten "Pfaffenfeindtaler" oder "Christianstaler". Sie hatten zwar den Wert der üblichen Reichstaler, waren aber weniger als Kursgeld denn als "reine Propagandaausgaben" vorgesehen. [7] Sie waren dank ihrer handlichen Form besonders dazu geeignet das Ansehen und den Ruf Christians in der Öffentlichkeit zu beeinflussen. Wie er sich verstanden wissen wollte, zeigte auf der Vorderseite der Münze ein vierzeiliger Text "GOTTES / FREVNDT / DER PFAFFEN / FEINDT", umgeben von der Randschrift mit seinem Namen. Auf der Rückseite ist ein gepanzerter Arm zu sehen, der aus den Himmelswolken ragt und ein kampfbereites Schwert hält. Die Umschrift enthält die Devise: "TOVT - AVEC - DIEV" (d. h. Alles mit Gott!) und das Prägejahr 1622. So werden Christians Kriegszüge, der Raub des Libori-Schreins und dessen Verwendung für die Münzpropaganda als Gottes Wille dargestellt und Christian erscheint als Vollstrecker des göttlichen Willens.

Im Vergleich zur früheren Paderborner landesfürstlicher Selbstdarstellung (vgl.  Bild 1,  Bild 2,  Bild 8) fällt die scharfe Freund-Feind Struktur der Münzpropaganda auf, die für das veränderte politische Klima symptomatisch war.


[1] Kohl, Zeitalter, S. 519.
[2] Hömberg, Landesgeschichte, S. 249f. Vgl. Wertheim, Hans, Der tolle Halberstädter Herzog Christian von Braunschweig im pfälzischen Kriege 1621-1622, ein Abschnitt aus dem 30jährigen Kriege, Band 1, Berlin 1929, S. 193ff. (zur Charakteristik Christians in der Geschichtsschreibung).
[3] Ferdinand von Bayern (1577-1650), seit 1595 Koadjutor seines Onkels in Köln (siehe Anm. Nr. 14), seit 1612 dessen Nachfolger als Erzbischof und Kurfürst von Köln, Bischof von Hildesheim, Münster und Lüttich, zugleich Abt von Corvey und Stablo, seit 1618 auch Bischof von Paderborn, unterstützte die Übertragung der Kurpfalz an seinen Bruder Maximilian und setzte das Tridentinum in seinen Erz- / Diözesen durch. Vgl. Theuerkauf, Dietrich von Fürstenberg, S. 37f. Vgl. Brandt / Hengst, Bischöfe von Paderborn, S. 229ff.
[4] Kindl, Harald, Lippstadt als Hauptquartier des "Tollen Christian", sein Aufenthalt in Lippstadt während des Einfalls in Westfalen vom 30. Dezember 1621 bis 20. Mai 1622, in: Geschäftsbericht 1972 der Volksbank Lippstadt, Lippstadt 1972, S. 65. Vgl. ders., Der "Tolle Christian" in Hochstift Paderborn, Heft 3 der Heimatkundlichen Schriftenreihe der Volksbank Paderborn, Paderborn 1972.
vgl. Wertheim, Christian von Braunschweig, Band 2, S. 43f.
[5] Unter dem Hochaltar im Dorn fand man eine Bleikiste mit 8000 Goldstücken zu je fünf Talern Wert, aus anderen Altären und Grabgewölben raubte man hohe Geldsummen aus frommen Gold- und Silberstiftungen, im Kapitelhaus zum Beispiel 8000 Taler. Vgl. Schröer, Kirche in Westfalen, Band 2, S. 138ff. vgl. Kindl, Lippstadt, S. 65-68. Vgl. Mertens, Conrad, Der hl. Liborius, sein Leben, seine Verehrung und seine Reliquien nach gedruckten und ungedruckten Quellen, Paderborn 1873, S. 75ff.
[6] Berghaus, Peter, Das Herrscherporträt, graphische Kunst im Dienst von Herrschaftsidee und Staatspropaganda, in: Porträt 1 (Der Herrscher) - Graphische Bildnisse des 16.- 19. Jahrhunderts aus dem Porträtarchiv Diepenbroick, Katalog zur Ausstellung des Westf. Landesmuseums für Kunst und Kulturgeschichte Münster vom 20.11.1977 bis zum 8.1.1978, hg. v. Landschaftsverband Westfalen-Lippe, Münster 1977, S. 10.
[7] Berghaus, Peter, Lippstädter Geld im Wandel der Jahrhunderte, in: Klockow, Helmut, Stadt Lippe - Lippstadt, aus der Geschichte einer Bürgerschaft, Festschrift zum 50jährigen Bestehen der Volksbank Lippstadt, Lippstadt 1964, S. 367.


TECHNIKTypendruck mit Kupferstich
FORMATjpg
MASZE39,5 x 28,5 cm (Blatt), 18,7 x 24,1 cm (Platte)


OBJEKT-PROVENIENZMünster, Westfälisches Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Münster
OBJEKT-SIGNATURK 35-55 LM
FOTO-PROVENIENZMünster, Westfälisches Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Münster


QUELLE    Vogt, Arnold | Die Gegenreformation im Paderborner Land | Dia 10, S. 36-40
PROJEKT    Diaserie "Westfalen im Bild" (Schule)

SYSTEMATIK / WEITERE RESSOURCEN  
Typ35   Bildmaterial (Reproduktion, Foto)
Ort2.28   Paderborn, (Fürst-)Bistum < - 1802>
DATUM AUFNAHME2004-02-29
AUFRUFE GESAMT3084
AUFRUFE IM MONAT223