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(2 KB)   Franz von Papen als Page am Berliner Hof, 1897 / Münster, LWL-Medienzentrum für Westfalen/E. Tschich   Franz von Papen als Page am Berliner Hof, 1897 / Münster, LWL-Medienzentrum für Westfalen/E. Tschich
TITELSardonyx-Balsamarium von Nottuln


INFORMATIONDas kleine Gefäß von 9 cm Höhe hat die Form eines Alabastron, eines Salben- oder Parfümbehälters. Es ist geschickt aus einem in fünf Schichten wechselnd braun-weißen Stück des Halbedelsteins Sardonyx herausgedrechselt, anschließend wurde das Reliefbild so aus der Wandungszone herausgeschnitten, daß die helle obere und die dunkle untere Schicht sich verdeutlichend auf die einzelnen Figuren der Reliefdarstellung verteilen.

Die Formgebung des Reliefs, insbesondere etwa die Gewandwiedergabe, und die klassizistische Konzeption der Figuren deuten auf eine Entstehung des Gefäßes in der frühen Kaiserzeit, als in der römischen Kunst eine intensive Orientierung an klassischen griechischen Vorbildern vorherrschte. Wahrscheinlich ist das Gefäß wie viele ähnliche großformatige Arbeiten in der
mehrschichtigen Kameotechnik auch im Auftrag des iulisch-claudischen Kaiserhauses entstanden. Solche sog. Staats-Kameen waren mit Porträts der Kaiserfamilie und Themen der kaiserlichen Hofpropaganda in mythischer Verbrämung oder mit mythologischem Beiwerk dargestellt, und wurden offenbar als besonders kostbare Geschenke an hochgestellte und politisch wichtige Persönlichkeiten überreicht.

Die Hauptszene des Reliefs bildet eine Gruppe von drei Frauen (rechtes Bilddrittel), die sich mit einem von der einen im Arm gehaltenen kleinen Säugling beschäftigen. Die ihr gegenüberstehende Frau links, die den Arm zu dem Kleinen ausstreckt, stützt sich auf einen rechteckigen Gegenstand, der die Ecke eines Altars sein könnte. Die dritte, die frontal aus dem Bild heraussieht, sitzt erhöht auf dem Felsen quer hinter ihnen und hält mit beiden Händen eine Amphore auf der Schulter. Auf der anderen Seite sitzt auf einem Felsklotz eine vom Rücken gesehene Frau, die sich zu dieser Gruppe umsieht (mittleres Bilddrittel). Sie ist nackt bis auf den um die Beine geschlagenen Mantel und trägt einen großen Schild. Das Schildzeichen ist eine Agis mit Gorgoneion, der Schutzpanzer der Göttin Minerva mit dem versteinernden Haupt eines Ungeheuers, der Gorgo Medusa, als übelabwehrendem Zeichen. Vor der Frau liegt ihr Helm vom korinthischen Typus - einem altertümlichen griechischen Heimtyp, der nur noch in mythologischen Darstellungen verwendet wurde. Daneben sitzt ein nur in der Art eines Attributes, daher auch einfach etwas verkleinert wiedergegebener, gefesselter Gefangener, nach der Tracht mit Hosen und Ärmeln ist es ein besiegter Barbar. Im Hintergrund zwischen den beiden Gruppen steht ein Tropaeum, ein Siegesmal, das aus einer auf einem Baumstamm befestigten vollständigen Rüstung besteht. Auf dem letzten Bildfeld ist ein kleiner giebelbekrönter Tempel auf einem hohen Felsen zu sehen. Wir befinden uns also offenbar im Bezirk eines Heiligtums, und zwar nach den Waffen zu urteilen in dem einer kriegerischen Gottheit. Die sitzende Betrachterin kann nach ihrem Äußeren nicht eine einfache Begleitfigur, sondern nur eine Göttin und damit die Inhaberin des Heiligtums sein, wegen der Nacktheit natürlich nicht Minerva (die griechische Athena), sondern nur die Liebesgöttin Venus (Aphrodite) als Siegesgöttin, Venus Victrix. Hinter ihr ist dann wohl ihr wahrscheinlich von Augustus selbst erbauter Tempel auf dem Kapitol in Rom angedeutet. Die drei Frauen rechts dagegen sind, bis auf die Amphore, attributlos und wirken durch ihren engen Zusammenschluß wie eine Dreiheit. Porträtzüge kann man in ihren Gesichtern kaum erkennen, auch wenn die linke an Livia, die Frau des Augustus erinnert.





Die Szene gehört nicht zu den üblichen Mythendarstellungen und ist wahrscheinlich wieder ein Thema der kaiserlichen Hofpropaganda. Dabei muß man daran denken, daß Venus als Stammutter des iulischen Geschlechts verehrt wurde. Die Figur, um die sich alles dreht, ist offenbar der Säugling. Es wird sich um einen iulisch-claudischen Prinzen und zwar am ehesten - zumal wenn die Frau links Livia sein sollte - um einen der Enkel des Augustus handeln, auf die er seine Hoffnung als Nachfolger setzte. Leider bleibt undeutlich, was die drei Frauen, über deren Identität auch nur Vermutungen angestellt werden können, mit ihm machen. Sie mögen mit der Geburt verbundene Gottheiten wie Lucina oder Nundina sein, die den neugeborenen Prinzen der Mutter oder - wenn es Livia ist - der Großmutter präsentieren. Die Amphore deutet auf das Bad des Neugeborenen, die feierliche Lustratio, die von den Göttinnen in Gegenwart der ihm kriegerische Erfolge und eine glanzvolle Karriere verheißenden Stammutter Venus am Altar vollzogen wird. Auch wenn sich der Name des Prinzen nicht mehr feststellen läßt, wird das Gefäß doch am ehesten in die spätere Regierungszeit des Augustus gehören, was auch zum Stil der Reliefs im Vergleich mit anderen geschnittenen Steinen der iulisch-claudischen Dynastie ("Staatskameen") paßt.

Das Fläschchen wurde 1834 von den Berliner Museen angekauft aus dem Besitz des ehemaligen adligen Nonnenstifts Nottuln, einer Gründung karolingischer Zeit. Nach Ausweis eines kleinen Zettels in spätmittelalterlicher Handschrift, der mit dem Gefäß aufbewahrt wurde, befand sich darin Blut der blutflüssigen Frau, die nach Matth. 9, 20/Lukas 8, 431/Markus 5, 25 von Jesus geheilt wurde. Es handelte sich also im Mittelalter um einen kostbaren Reliquienbehälter. Er könnte schon bei der Gründung in den Besitz des Klosters gekommen sein, denn sein Gründer Liudger, der erste Bischof von Münster, hatte auch sein Lieblingskloster Werden, heute Stadt Essen, mit einer Reihe kostbarer antiker Objekte ausgestattet, vor allem Elfenbeinarbeiten, die er möglicherweise zu diesem Zweck aus Italien mitgebracht oder bezogen hatte. Da von den Kreuzzügen, insbesondere von der Plünderung Konstantinopels und seines Kaiserpalastes auf dem 4. Kreuzzug 1204, zahlreiche große Kameen und geschnittene Gefäße aus Halbedelstein und andere Kostbarkeiten, die in den Schatzkammern des byzantinischen Reiches seit der Antike überdauert hatten, in den Westen verschleppt wurden, ist es durchaus denkbar, daß auch das Nottulner Alabastron erst damals in den Westen gelangte. Es mag bereits als Reliquiar gedient haben, auch wenn diese Funktion ihm ebensogut erst bei der Übertragung von einem geschickten Händler oder Stifter angedichtet worden sein kann. Auf jeden Fall kann man die alte Vermutung ganz ausschließen, daß das Stück ein von den augusteischen Feldzügen in Westfalen stammender alter Bodenfund sei, der im Mittelalter wegen seines Wertes vom Finder dem Kloster gestiftet worden wäre.


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OBJEKT-PROVENIENZBerlin, Ehemals Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz, Antikenmuseum Charlottenburg
FOTO-PROVENIENZBerlin, Ehemals Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz, Antikenmuseum Charlottenburg


QUELLE    Stupperich, Reinhard | Römischer Import in Westfalen | Dia 12, S. 38-41
PROJEKT    Diaserie "Westfalen im Bild" (Schule)

SYSTEMATIK / WEITERE RESSOURCEN  
Typ35   Bildmaterial (Reproduktion, Foto)
Zeit1.6   Römische Kaiserzeit
2   Mittelalter
Ort3.3.8   Nottuln, Gemeinde
DATUM AUFNAHME2004-03-01
AUFRUFE GESAMT2988
AUFRUFE IM MONAT161