PERSON

FAMILIESchiering
VORNAMEMarie


GESCHLECHTweiblich
GEBURT DATUM1834-03-30   Suche Portal
GEBURT ORTHelle bei Gehrde (Osnabrücker Land)
EHEPARTNER13.06.1870: Schiering, Gerhard
TOD DATUM1919-07-19   Suche Portal


VATERReiling, Johann Hermann Wilhelm
MUTTERLüdeling, Catharina Elisabeth


BIOGRAFIEAm Abend des 10. Juli 1876 holte Marie Schiering, Bäuerin in der Bauerschaft Groß Drehle im Osnabrücker Land, ein schmales Bündel Papier aus dem Schrank. Sie blätterte die Seiten auf, las noch einmal ihre Notiz vom Vortag und trug dann ein, was sie und ihr Mann Gerhard Schiering, was ihre Magd Anna zur Lage und ihr Knecht Rudolph Timmermann am Tag erledigt hatten: "Anna und ich vormittags Kohl gepflanzt. Nachmittags mit 6 Mann Kohl gepflanzt. Geregnet. Gerhard und Rudolph Heu in Haufen gemacht. Recht naß."

So tat es die Bäuerin jeden Abend über fast fünfzig Jahre hinweg. Seit sie auf dem Hof lebte, seit ihrer Hochzeit mit dem Bauern Gerhard Schiering im Juni 1870, notierte sie Abend für Abend die kleinen und großen Ereignisse des verflossenen Tages. An dieser Gewohnheit hielt sie bis kurz vor ihrem Tod am 31. Juli 1919 fest. Noch wenige Tage vorher notierte die inzwischen 85jährige Bäuerin in ihrer letzten Eintragung. "Schönes Wetter. Seit Wochen nicht so viel Sonnnenschein wie heute. Das letzte Heu eingefahren. 6 Fuder aus Frerbruch."

Mehr als 860 eng beschriebene Blätter sind erhalten - eine für Nordwestdeutschland "einzigartige Quelle, um etwas über das Alltagsleben einer Bäuerin zu erfahren. Das Wetter, die Arbeit in Haus und Hof, Briefe von Verwandten und Visiten bei Nachbarn, den Gang zur Kirche, Geldeinnahmen und -ausgaben - all dies notierte sie wortkarg und präzise. Auch Bemerkungen wie diese sind nicht selten: "Vormittags 2 Fuder Korn aus der Scheune ins Haus gefahren. Nachmittags gedroschen. Abends Gerhard düchtig mit mir gescholten: Ich wäre mit dem Teufel besessen. Ich wäre nicht recht klug usw. Vorwürfe über die neue Dreschmaschine."

Marie Schiering wurde am 30. März 1834 in der Bauerschaft Helle unweit des Dörfchens Gehrde im Osnabrücker Land geboren. Sie war die jüngste von drei Töchtern der Eheleute Johann Hermann Wilhelm Reiling und Catharina Elisabeth Reiling, geb. Lüdeling.

Im Alter von 36 Jahren hatte sie am 13. Juni 1870 den vier Jahre jüngeren Bauern Gerhard Schiering geheiratet. Das Paar blieb kinderlos. Ein junger Mann aus der weiteren Verwandtschaft trat später das Hoferbe an.

Um die Ehe der beiden Bauersleute scheint es von Anfang an nicht gut bestellt gewesen zu sein. Der Bauer, so geht es auch aus anderen Familiendokumenten hervor, war ein recht eigenbrötlerischer, nicht selten zornig aufwallender Mensch. Unter seinen Beschimpfungen hatte die Bäuerin besonders dann zu leiden, wenn sie in geschäftlichen Angelegenheiten mitreden wollte. Hier hatte sie nach Auffassung ihres Mannes zu schweigen.

Zum Hof gehörten 34 Hektar fruchtbares Ackerland, auf dem hauptsächlich Getreide angebaut wurde. Bei Saat und Ernte sowie beim Dreschen hatte die Bäuerin selbstverständlich mitzuhelfen. Hauptsächlich aber, so geht es aus dem Tagebuch hervor, hatte sie Haushalt, Garten und Vieh zu versorgen, gemeinsam mit einer wechselnden Zahl von Mägden und Knechten.

Der bäuerliche Haushalt war noch weitgehend auf Selbstversorgung ausgerichtet. Brot wurde aus eigenem Getreide gebacken - zum Teil von der Bäuerin selbst, zum Teil aber auch vom Bäcker im nahen Kirchdorf Gehrde. Zwischen November und März wurden Schweine geschlachtet. und "verwurstet", dann und wann auch zusätzlich ein Bulle. Das Fleisch wurde im eigenen Haushalt verzehrt oder im Tausch an Nachbarbauern weitergegeben.

Ende Juli, kurz vor Beginn der Roggenernte, trug Marie Schiering regelmäßig in ihr Tagebuch ein: "Das erste Bier gemacht." Auch dies, die Bierbrauerei, gehörte zur alljährlich wiederkehrenden Arbeit der Frauen auf dem Hof, zur Arbeit der Bäuerin und der Mägde.

Flachs wurde bis etwa zur Jahrhundertwende auf dem Hof Schiering angebaut und versponnen. Gewebt wurde allerdings auf dem Hof nicht mehr; diese Arbeit wurde gegen Lohn von Köttern in der Nachbarschaft erledigt.

Andere Haushaltswaren und Lebensmittel mußten hinzugekauft werden. Diese Einkäufe erledigte Marie Schiering in der Regel selbst. Zeit dazu fand die Bäuerin sonntags, bei schlechtem Wetter bisweilen auch an gewöhnlichen Arbeitstagen.

Wenn sie ins nächste Dorf zum Händler ging, nahm sie Butter und Eier, ganz selten auch ein Stück Schinken oder einen Speckstreifen mit. Den Wert dieser Waren schrieb der Krämer entweder an, oder Marie Schiering erhielt dafür sofort und im Tausch die Waren, die sie benötigte. Meist waren das Salz und Zucker, oder es waren Zuaten wie Gewürze, Essig oder Senf - Waren also, die es auf dem Hof nicht gab.

Dann und wann auch kaufte Marie Schiering ein Pfund Kaffee oder Tee, um es weiterzuverschenken. Noch seltener leistete sich die Bäuerin den Luxus, so teure Lebensmittel wie Reis oder Käse zu kaufen. "Einen halben Eidam Käse" kaufte sie kurz vor Ostern 1874 für das Festmahl; in einem anderen Jahr brachte sie einen Edamer Käse mit, um ihn dem Anerben auf dem Hof zu schenken.

Einfache Haushaltsutensilien gab es ebenfalls nur beim Dorfhändler. "Schwefelhölzer" beispielsweise vermerkte sie in ihrem Tagebuch, hin und wieder "Packgarn" und nicht zuletzt "Schreibpapier" für ihre abendlichen Notizen. Vor allem aber brachte die Bäuerin regelmäßig Seife, Soda und Stärke für den "Waschtag" mit.

Etwa acht bis zehnmal im Jahr, so geht aus dem Tagebuch der Bäuerin hervor, wurde auf dem Hof Schiering gewaschen. Eine einfache "Waschmaschine", also ein Holzbottich mit "Rührwerk", gab es auf dem Hof erst ab 1903, und selbst damit war das Waschen eine kräftezehrende Arbeit. In den Jahren zuvor aber zog sich die Waschprozedur über mehrere Tage hin. Der "Waschtag" war eine "Waschwoche", wie die Bäuerin beispielsweise im Oktober 1873 notierte:

18.: "Betten aufgezogen."
19.: "2 3/4 Pfd a 9 sgr (Silbergroschen) Butter verkauft. Dafür erhalten 10 Pfd Seife a 2 1/2 sgr und 1 Pfd Soda 1 1/2 sgr."
20.: "Hemden und Bettzeug eingeseift."
21.: "Mit 3 Mann gewaschen."
22.: Erneut "2 Pfd Seife" gekauft.
23.: "Kl. Wäsche gestärkt - Bettzeug getrocknet."
27.: "Geplättet."

Zum Arbeitsbereich Marie Schierings bzw. der Mägde gehörte es auch, das Vieh zu versorgen. Eier, Butter und Fleisch, die Produkte aus dieser Arbeit, durfte die Bäuerin zwar verkaufen, doch wenn sie mit dem Vieh Handel trieb, hagelte es schwere Vorwürfe - so etwa im Juni 1874, als sie ein fünfwöchiges Kalb an einen Viehhändler verkaufte: "Gerhard darüber viel mit mir gescholten, daß ich zu billig verkauft hätte." Ähnlich im April 1877: "Anna und ich Hemden gewaschen. Gerhard tüchtig mit mir gescholten, um die verkauften Kühe; er wolle, daß er mich nie gesehen hätte." Tags drauf notierte die Bäuerin: "Ich brauche ihm nie ein Wort wieder zu sagen."

Überhaupt durfte sie bei geschäftlichen Dingen nicht mitreden. Erhob sie doch einmal ihr Wort, wurde es von ihrem Mann nicht beachtet. Er verkaufte das Vieh, er bestellte Handwerker auf dem Hof, er kaufte neue Maschinen, ohne daß die Bäuerin auch nur den Preis erfuhr. Des Abends trug sie dann Notizen wie diese in ihr Tagebuch ein: "Gerhard eine neue Mähmaschine geholt. Wie viel er dazu bezahlt hat, weiß ich nicht. Alles gegen meinen Willen.'

Überhaupt schien der Bauer ein, "Querkopf" zu sein, wie folgende Notiz zeigt: "Abends Gerhard mit unsern Knechten gescholten, sie sollten nicht die Harmonika spielen. Sie sollten sich aus dem Hause scheren usw. Viel geärgert." Seiner Frau verbot er, sich werktags mit der Nachbarin zu unterhalten. Er schimpfte sie "ein albern Weufken", die der Teufel holen solle.

Die arbeitsame Bäuerin muß Zeit ihres Lebens schwer unter ihrem Mann gelitten haben. Düster beispielsweise folgende Eintragung: "Morgens sieben Uhr. Gerhard am Kaffeetisch immer mit mir gescholten, daß die Erbsen nicht rein ausgedroschen wären. Ich wäre eine recht verschwenderische Frau, er hätte sie nicht schlimmer kriegen können usw. Gestern morgen und heute morgen immer meinen Kaffee mit Thränen getrunken. Gott, mein Gott! Wann wirst Du mich von dieser Erde abholen?"

Selbst unter diesen bedrückenden Umständen kam für die frommen, kirchentreuen Bauersleute eine Scheidung der Ehe nie in Frage. Überraschenderweise verließ der Bauer 1907 den Hof Gerhard Schiering zog zu seinem Bruder, der in der Nähe ebenfalls einen Bauernhof bewirtschaftete. Auf diesem Hof verstarb er sechs Jahre später.

Was genau ihren Ehemann zum "Umzug" auf den brüderlichen Hof bewogen hat, geht aus dem Tagebuch der Bäuerin nicht hervor. Marie Schiering jedenfalls sowie auch der junge Hoferbe und das Gesinde dürften aufgeatmet haben.

QUELLE  Strotdrees, Gisbert | Es gab nicht nur die Droste | S. 91-93
PROJEKT  Lebensbilder westfälischer Frauen
AUFNAHMEDATUM2004-09-09


QUELLE    Strotdrees, Gisbert | Es gab nicht nur die Droste | S. 91-93

SYSTEMATIK / WEITERE RESSOURCEN  
Zeit3.7   1800-1849
3.8   1850-1899
3.9   1900-1949
DATUM AUFNAHME2003-10-10
DATUM ÄNDERUNG2010-04-08
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