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(93 KB)   Anton und Josepha Micheel (1855-1930), Landstreicherehepaar auf dem Hof Schwinheer in Everswinkel / Münster, Volkskundliche Kommission für Westfalen   Informationen zur Abbildung

Anton und Josepha Micheel (1855-1930), Landstreicherehepaar auf dem Hof Schwinheer in Everswinkel / Münster, Volkskundliche Kommission für Westfalen
FAMILIEMicheel
VORNAMEMaria Theresia Josepha


GESCHLECHTweiblich
GEBURT DATUM1855   Suche Portal
GEBURT ORTMünster
EHEPARTNER1897: Anton Micheel (1855-1928)
TOD DATUM1930-03-15   Suche Portal
TOD ORTTelgte


VATERRickers


BIOGRAFIEMaria Theresia Josepha Micheel, geb. Rickers - mit diesem Namen weiß wohl kaum ein älterer Bauer im östlichen Münsterland etwas anzufangen. Stellt man die Frau aber als "Eva" vor, die mit ihrem "Adam" in den 20er Jahren über die Landstraßen des Münsterlandes zog, von Bauernhof zu Bauernhof, dann wissen viele gleich Bescheid. Die beiden Landstreicher sind noch heute bekannt, von "Adam und Eva" wird an Stammtischen und bei Kaffeekränzchen gerne erzählt. "Die beiden waren wohl das bekannteste Paar des östlichen Münsterlandes", heißt es in der Marienfelder Chronik, "bei den Bauern mehr oder weniger beliebt, von den Kindern gern gehänselt, und noch heute bei vielen gemütlichen Nachmittagen in den Dörfern und Städten oft imitiert."

Einstmals erntete das Landstreicher-Ehepaar Hohn und Spott, und viele waren froh, wenn die beiden weiter ihres Weges zogen - heute hingegen ist ihnen sogar ein stattliches Bronze-Denkmal gesetzt: 2,20 m hoch und 400 kg schwer ist die glänzende Doppelstatue, die im Frühjahr 1991 feierlich im münsterländischen Sassenberg enthüllt wurde.

Die umherziehenden Eheleute, zu ihrer Zeit schief angesehen, sind längst zu gefeierten "Originalen des Münsterlandes" aufgestiegen. Ihr elendes Leben ist zur lieben Legende verfälscht. Denn tatsächlich waren die beiden zwei "arme Teufel" auf der Walz. Gemeinsame Not hatte die beiden "zusammengeschweißt auf wenig Gedeih und viel Verderb", so der Warendorfer Publizist Rainer A. Krewerth.

Maria Theresia Josepha Rickers kam 1855 in Münster zur Welt. Ihr Vater war Glöckner der Liebfrauen- und Überwasserkirche. Wohlhabend waren ihre Eltern nicht, aber immerhin wuchs die Tochter, wie es gemeinhin heißt, in "gesicherten Verhältnissen" auf. Im Alter von 16, 17 Jahren begann sie, als Magd zu arbeiten - zunächst in einer Westkirchener Dorfgaststätte, später dann im benachbarten Haus des Kaplans.

Über den weiteren Lebensweg der jungen Frau ist Sicheres nicht überliefert. Sie habe, so wird erzählt, mit einem Arbeiter aus den Ennigerloher Steinbrüchen angebändelt, der sie dann sitzengelassen habe. Doch das alles ist Spekulation und gehört wohl auch ins Reich der Legende. Fest steht jedenfalls, daß Josepha Rickers auf mehreren Höfen im Münsterland als Magd arbeitete.

1897, so ist urkundlich belegt, heiratete die 42jährige Frau den gleichaltrigen "Adam" - mit bürgerlichem Namen Anton Micheel. In Kirche und Standesamt wurde die Ehe der beiden ordnungsgemäß besiegelt.

Ihr Mann Anton Micheel stammte aus Pixel, einer Bauerschaft zwischen Rheda-Wiedenbrück und Gütersloh. Er war der Sohn eines Schreiners. Am 25. Juni 1855 geboren, verdingte er sich schon früh als Knecht auf Bauernhöfen in der Nachbarschaft. Später machte er sich auf den Weg nach Telgte und Münster und arbeitete zeitweise als Schneidergehilfe. Hier lernten sich die beiden kennen, sie verliebten sich und beschlossen zu heiraten.

Die Ehe blieb kinderlos. Eine gemeinsame Unterkunft konnten sich die beiden nicht leisten, dafür waren sie zu arm. Josepha Micheel, geb. Rickers nächtigte nach wie vor im Haus ihrer Eltern, Anton Micheel kam im Münsteraner Kolpinghaus unter. Die beiden verdienten sich hier und da ein paar Groschen, besuchten als gläubige Menschen regelmäßig die Kirche und führten - so Krewerth - "eine Ehe der seltenen Gelegenheiten".

In aussichtsloser Lage beschlossen die beiden schließlich irgendwann um die Jahrhundertwende, "auf die Walz" zu gehen. Tag für Tag machten sie sich fortan auf die Suche nach einer neuen Unterkunft, auf die Suche nach etwas Eßbarem. Aus blanker Not tippelten sie gemeinsam auf den Landstraßen des östlichen Münsterlandes umher. Irgendwo zwischen Harsewinkel und Greven, zwischen Füchtorf und Sendenhorst waren die beiden bis 1928 gemeinsam unterwegs.

"Eva" schritt vorneweg, "Adam" humpelte hinterdrein. Seine beiden Hüften, durch einen Jugendunfall schwer verletzt, waren nie richtig verheilt. Überhaupt bot das Landstreicher-Ehepaar ein erbarmungswürdiges Bild. Ihren ganzen ärmlichen Besitz schleppten sie mit sich herum. Hosen und Jacken, Mäntel, Röcke und Schürzen trugen sie mehrfach übereinandergeschlagen am Leib. Ein Rosenkranz baumelte herunter, den sie unterwegs beteten. Mit der einen Hand stützten sie sich auf ihren Fußmärschen an krummen Stöcken ab, in der anderen Hand hielten sie einen Beutel, darin fand sich bisweilen etwas Brot, fanden sich auch ein paar Kartoffeln oder Äpfel, die sie bei irgendeinem Bauern erbettelt hatten.

Wenn man der mündlichen Überlieferung folgt, dann soll "Eva" den Ton angegeben haben. Sie soll ihren Ehemann und Tippelbruder zurechtgewiesen und kommandiert haben, heißt es; sogar wahre "Schimpfkanonaden" habe ihr "Adam" bisweilen ertragen müssen - aber vielleicht ist auch dies zur Legende von den "eigenartigen, schrulligen Originalen" zu rechnen.

Willkommen waren die beiden nirgendwo, aber sie wurden auch nicht als "unsichere Gesellen" verleumdet. Jedermann wußte, daß die beiden weder stahlen noch sonst irgendwelche "krummen Dinger" drehten. In den penibel geführten Akten von Polizei und Justiz taucht das Landstreicher-Ehepaar nicht auf Die beiden hätten auch kaum den Stoff zur niedlich-heimattümelnden Legende abgegeben, wenn sie jemandem Schaden zugefügt hätten.

Die zwei kümmerlich umherziehenden Wanderer galten als harmlos. In die Bauernhäuser freilich wurden sie nicht gelassen - des Ungeziefers wegen. Sie durften allenfalls in Scheunen und Wagenremisen der Bauern, in den Viehküchen, Ställen und Hütten übernachten. Immer fanden sie eine Unterkunft, und immer fanden sie auf dem Land Leute, die ihnen etwas Eßbares zusteckten - ein paar Kartoffeln oder eine Stulle Brot, dann und wann sogar einen schmalen Streifen Speck.

Die beiden wurden freilich nicht selten Opfer erbarmungslosen Spotts. Vor allem Kinder hänselten das Landstreicher-Ehepaar: "Die Blagen rücken ihnen auf den Leib, wo sie sie zu sehen und zu packen kriegen, rufen Schimpf-und-Schande-Worte, betasten dreist und keck ihre doppelt-drei-und-vierfachen Kleider, fühlen ihnen mit Stöcken auf die buchstäblich faulenden Zähne" - so hat Rainer A. Krewerth von seiner Mutter erfahren, die das Paar müde und erschöpft um 1925 in einer Gartenhecke am Warendorfer Münstertor lagern sah. Zu diesem Zeitpunkt waren die beiden immerhin schon 70 Jahre alt!

Drei Jahre später, am 29.03.1928, starb Anton Micheel alias "Adam". In der Freckenhorster Bauerschaft Flintrup hatte er sich im strengen Winter eine Erkältung, vielleicht auch eine Lungenentzündung zugezogen. Auf dem Weg nach Telgte dann wurde der abgemagerte alte Mann von Ortsgendarmen aufgegriffen und ins katholische Hospital "Hülle" in Telgte gebracht, wo er seiner Erkrankung erlag.

In den nachfolgenden Jahren mußte sich Josepha Micheel, geb. Rickers, alias "Eva" ohne einen Gefährten durchschlagen. Ziellos wanderte die betagte Frau auf den Landstraßen des Münsterlandes umher - alleine und allein gelassen.

Dem Winter 1929/30 schließlich hatte die alte Frau nichts mehr entgegenzusetzen. Am 15.03.1930 starb sie elend und entkräftet ebenfalls im Telgter Krankenhaus "Hülle". Auf dem dortigen Friedhof wurde sie unweit der letzten Ruhestätte ihres Mannes begraben.

QUELLE  Strotdrees, Gisbert | Es gab nicht nur die Droste | S. 97-99
PROJEKT  Lebensbilder westfälischer Frauen
AUFNAHMEDATUM2004-09-09


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QUELLE    Strotdrees, Gisbert | Es gab nicht nur die Droste | S. 97-99

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