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(90 KB)   Familie Wiechering: Sophie Wiechering (1871-1937), Ehemann Heinrich, Sohn Fritz und Tochter Luise in Stemwede-Dielingen / Münster, Volkskundliche Kommission für Westfalen   Informationen zur Abbildung

Familie Wiechering: Sophie Wiechering (1871-1937), Ehemann Heinrich, Sohn Fritz und Tochter Luise in Stemwede-Dielingen / Münster, Volkskundliche Kommission für Westfalen
FAMILIEWiechering
VORNAMESophie


GESCHLECHTweiblich
GEBURT DATUM1871-02-07   Suche
GEBURT ORTIlvede
TAUFNAMESophie Henriette Meta
EHEPARTNER20.12.1894: Heinrich Wilhelm Wiechering
TOD DATUM1937-04-01   Suche
TOD ORTFlintbek bei Kiel


VATERSchlüter, Friedrich-Wilhelm
MUTTERGaskamp, Marie Christiane


BIOGRAFIE"Unsere Jahre gehen dahin, als flögen sie davon. Und ist unser Leben köstlich gewesen, so ist es Mühe und Arbeit gewesen." Mit diesen Worten begann Sophie Wiechering Mitte der 30er Jahre, ihre Lebenserinnerungen niederzuschreiben. Ihren Kindern und Enkeln wollte sie darin berichten, wo und wie sie, eine Kleinbäuerin aus dem ostwestfälischen Dörfchen Dielingen, aufgewachsen war und wie ihr Alltag auf dem Land ausgesehen hatte. Im Vorwort notierte sie selbstbewußt: "Ich habe mir gedacht, es gibt so viele Bücher von berühmten Männern und Frauen, daß die Leute doch einmal zu Abwechslung auch lesen könnten, wie es so einer einfachen Bauersfrau wie mir auf der Welt ergeht."

Geboren wurde Sophie Henriette Meta Schlüter - so ihr vollständiger Geburtsname - am 07.02.1871 in Ilvede, Gemeinde Haldem, als Tochter der Eheleute Friedrich Wilhelm und Marie Christiane Schlüter, geborene Gaskamp. Ihre Eltern lebten von den ärmlichen Einkünften einer kleinen Hofstelle, die sie als Heuerlinge des benachbarten Hofes Meyer zu Ilvede bewirtschafteten. "Meine Eltern mußten damals für Haus, Garten und zwölf Morgen Land eine Pacht in Höhe von dreißig Talern zahlen. Hinzu kam aber noch das Tagewerken. Im Sommer hatten wir Tag für Tag bereitzustehen. Ungefähr zweihundert halbe Arbeitstage im Jahr hatte meine Mutter abzudienen, mein Vater dagegen weniger." Ihr Vater verdiente sich ein schmales Zubrot als Holzschuhmacher.

Sophie erlebte eine harte Kindheit und Jugend. Eine strenge Erziehung - sie erinnerte sich später an Schläge mit Birkenruten auf ihren kindlichen Rücken -, der frühe Tod ihres einzigen Bruders und die schwere tägliche Arbeit auf dem Hof waren die prägenden Erfahrungen der heranwachsenden Heuerlingstochter.

Mit zwanzig Jahren schließlich wurde ihr noch einmal vor Augen geführt, wie unsicher die ohnehin dürftige Existenz ihrer Familie war: Die Heuerlingsfamilie mußte das Haus verlassen. Es wurde für den Sohn "ihres" Bauern benötigt.

Glücklicherweise hatten ihre Eltern einige Ersparnisse an die Seite gelegt, mit denen sie einen eigenen kleinen Hof samt neunzehn Morgen Land und Heide erwerben konnten. Dafür mußte auch die Aussteuer herangezogen werden, die die Eltern für ihre Tochter Sophie mühsam zusammengespart hatten. Die Mutter eröffnete ihr: "Du wirst Dich von Deinem Freunde trennen müssen, denn wir können dir jetzt keine Aussteuer geben." - "Wie mir zumute war, will ich nicht beschreiben. Meine Fröhlichkeit war dahin. Wohl ging ich noch ab und zu auf den Tanzboden, aber es war nicht mehr so wie früher."

Einer kränklichen Tante, deren Mann gestorben war, mußte sie zeitweilig den Hof verwalten. "Ich hatte vollauf zu tun, ein Pferd, drei Kühe, zehn Schweine und fünfzig bis sechzig Hühner waren zu versorgen."

Bei einem "Tanzvergnügen", wie sie schreibt, stellte ihr ein Bauer aus dem Nachbardorf "einen ernstlichen Heiratsantrag". Am 20.12.1894 heiratete die 23jährige Sophie Schlüter den ein Jahr jüngeren Bauern Heinrich Wilhelm Wiechering. Er besaß im Nachbardorf Dielingen einen kleinen Hof von fünf Hektar Land; zwei Kühe standen im Stall, zwei Schweine und ein Dutzend Hühner. Ihr Mann kannte kaum etwas anderes als Arbeit. Sophie Wiechering beschreibt ihn als einen wortkargen, nachdenklichen und rechtschaffenen Menschen, der oft seinen Herr-im-Haus-Standpunkt vertrat - eigensinnig und bisweilen zornig aufbrausend.

Sophie Wiechering war eine nüchtern denkende, energische Frau. Sie scheute sich nicht, auch in öffentlichen Dingen mitzumischen - obwohl dies für eine Frau, zumal für eine Kleinbäuerin, verpönt war. So suchte sie beispielsweise eine Gemeinderatssitzung auf, um bei den Dorf-Honoratioren die Verbesserung der Wege in ihrer Dauerschaft zu erreichen. Mehrmals schon hatten sich die Wiecherings und ihre Nachbarn erfolglos beschwert. Sophie Wiechering muß den Gemeinderat beeindruckt haben, denn sie erreichte tatsächlich, daß die Wege kurze Zeit später befestigt wurden.

Die beiden Eheleute mußten hart arbeiten, um von ihrem mageren Sandboden einigermaßen einträglich leben zu können. Jeder Pfennig wurde beiseite gelegt, und nach etlichen Jahren konnten sie daran denken, ihr kleines Fachwerkhaus zu vergrößern und sogar eine Viehscheune zu bauen.

Sophie Wiechering: "Wenn so ein kleiner Bauer wie wir mit zwanzig Morgen Grund und Boden es weiterbringen will, dann geht es nur so zu machen. Dienstboten kann er sich nicht halten, dazu ist die Besitzung zu klein. Überall muß die Frau mit zupacken. Sie darf sich nicht nur allein aufs Haus beschränken wollen." Andererseits, so urteilte sie, konnten "die kleinen Höfe mehr Geld erübrigen als die großen, weil Besitzer und Kinder eben anspruchsloser sind. Oft ist ein großer Dünkel unter den größeren Besitzern, und diese Sorte sitzt dann gern lange im Dorfkrug und sieht ein bißchen geringschätzig auf den kleinen Mann, der sich so abschindet."

Über ihren ersten Neubau auf dem Hof schrieb sie: "Nun war der Raum da, nun sollte er auch ausgefüllt werden. Damit der Boden voll wurde, pachtete mein Mann noch einige Morgen dazu. Mir wurde es zuviel, und ich ging dagegen an. Aber er war der Meinung, daß die Kinder - besonders der Junge - schon mithelfen könnten."

Die beiden Eheleute hatten eine Tochter und einen Sohn. Der Vater hätte ihn gerne als Hofnachfolger, als derb zupackenden jungen Bauern gesehen. Der Sohn aber wollte, je älter er wurde, von der Landwirtschaft nichts wissen. Er vergrub sich lieber in den Büchern und eröffnete seiner Mutter schließlich, er wolle Lehrer werden.

Zwischen Vater und Sohn bahnte sich ein langjähriger Konflikt an, der Sophie Wiechering innerlich zerriß. Dem Berufswunsch des Sohnes stimmte der Vater nur widerwillig zu - nicht nur, weil die Ausbildung teuer war, sondern auch, weil der Bauer vom "Städter-Beruf" nicht viel hielt. Unterstützte Sophie Wiechering hierin noch ihren Sohn, so brachte sie nur schwer Verständnis dafür auf, daß er eine Herforder Bürgerstochter zu heiraten gedachte. Sophie Wiechering in ihren Erinnerungen: "Wir hatten immer gedacht, daß er sich eine Frau vom Lande nehmen sollte, die unsere Verhältnisse kannte und uns in unserer Einfachheit besser verstand als ein Stadtmädchen. Mein Mann konnte die Stadtfratzen - wie er sagte - in den Tod nicht leiden und hatte schon öfter zu mir und meinem Sohn geäußert, daß er eine Schwiegertochter aus der Stadt nicht in seinem Haus sehen wolle."

Zwei Lebenswelten prallten hier aufeinander, die für Sophie Wiechering, aber mehr noch für ihren Mann unvereinbar waren. Seine Ablehnung alles "Städtischen" war so abgrundtief, daß er weder die Verlobung noch die Hochzeit seines Sohnes mitfeierte und dies auch seiner Frau verbot. Sie hat sehr darunter gelitten, sich jedoch nicht gegen ihren Mann durchsetzen können. Es dauerte Jahre, ehe Sohn und Schwiegertochter das elterliche Haus in Dielingen besuchen konnten.

Die Tochter heiratete einen Bauernsohn aus dem Nachbardorf. Auch darüber wurde Sophie Wiechering nachdenklich: "Mir wollte es nicht in den Sinn, daß wir auch unser zweites und letztes Kind aus dem Hause geben sollten. Was wurde aus uns, wenn wir erst alt waren und nicht mehr allein fertig werden konnten?"

Zwei Jahre später, mitten in der sommerlichen Erntezeit, starb ihr Mann, gerade 54 Jahre alt. Nun mußte sie sich allein durchschlagen. Abgesichert war sie lediglich durch das Testament, daß sie zur Alleinerbin des Besitzes bestimmte. Sie verpachtete den Betrieb, behielt sich aber drei Räume vor. Bald merkte sie, daß der Pächter "nicht der allerbeste Bruder" war. Er zahlte unpünktlich, Sophie Wiechering mußte sich sogar vor Gericht mit ihm auseinandersetzen. "Des Nachts fand ich keine Ruhe mehr, und weil ich wußte, daß er streitsüchtig war, hatte ich schon mal die Absicht, mir zur Sicherheit einen Revolver zu kaufen."

Ihr Sohn arbeitete inzwischen als Lehrer in Kiel. Ihre Tochter und deren Mann verkauften um 1930 den Hof unweit von Dielingen, um einen Siedlerhof in Schleswig-Holstein zu gründen. "Sie mochten ziehen, ich wollte auf meine alten Tage meine Heimat nicht mehr verlassen und zurückbleiben." Aber andererseits grübelte die Bäuerin: "Alle haben sie ihre Beschäftigung, nur du sitzt hier allein und verlassen. Und wenn du krank wirst, müssen dich fremde Hände pflegen. Ließen sich denn noch so alte Bäume verpflanzen?"

Sophie Wiechering faßte den schwersten Entschluß ihres Lebens: Sie verkaufte ihren kleinen Besitz und zog zu ihrer Tochter auf den neuen Hof in Flintbek bei Kiel. Hier brachte sie ihre ausführlichen Lebenserinnerungen zu Papier, bevor sie am 01.04.1937 starb, im Alter von 66 Jahren.

QUELLE  Strotdrees, Gisbert | Es gab nicht nur die Droste | S. 109-111
PROJEKT  Lebensbilder westfälischer Frauen
AUFNAHMEDATUM2004-09-09


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QUELLE    Strotdrees, Gisbert | Es gab nicht nur die Droste | S. 109-111

SYSTEMATIK / WEITERE RESSOURCEN  
Zeit3.8   1850-1899
3.9   1900-1949
Ort2.6.11   Stemwede, Gemeinde
Sachgebiet10.10   Landwirtschaft, Landwirtin/Landwirt
DATUM AUFNAHME2003-10-10
AUFRUFE GESAMT3866
AUFRUFE IM MONAT204