PERSON

FAMILIEFischer
VORNAMELilly


GESCHLECHTweiblich
GEBURT DATUM1875-08-04   Suche
GEBURT ORTWormeln bei Warburg
TAUFNAMEElisabeth Leopoldine
EHEPARTNER1895 Heinrich Fischer (1865-1917)
TOD DATUM1943-11-19   Suche
TOD ORTHaus Riepen bei Warbug


VATERRitgen, Bruno
MUTTERCosack, Franziska


BIOGRAFIEAm 16. Oktober 1929, nachmittags gegen zwei Uhr, versammelten sich im Hotel Buschkühle in Hamm Frauen aus allen Regionen des ländlichen Westfalens. Bäuerinnen, Gutsfrauen und Lehrerinnen der landwirtschaftlichen Haushaltungskunde kamen zur ersten Hauptversammlung der frisch gegründeten "Westfälischen Landfrauenvereinigung" zusammen. An oberster Stelle der Tagesordnung stand die Wahl eines Vorstandes und vor allem der ersten Vorsitzenden.

Das Votum der Frauen fiel auf die 54jährige Lilly Fischer aus Warburg. Die Wahl überraschte niemanden, denn Lilly Fischer hatte sich schon früh für einen Zusammenschluß der Landfrauen eingesetzt. Sie leitete die Vereinigung bis zur Auflösung im Jahr 1933. Wer war diese Frau? Woher kam sie, und was brachte sie dazu, sich in den 20er Jahren für eine Organisation der westfälischen Landfrauen einzusetzen?

Ihr vollständiger Geburtsname war Elisabeth Leopoldine Ritgen. Sie wurde am 4. August 1875 geboren als älteste Tochter der Eheleute Josef Bruno Ritgen und Franziska Ritgen, geborene Cosack. Ihr Vater war Besitzer eines ehemaligen Klostergutes in Wormeln, südlich von Warburg; ihre Mutter stammte aus einer weitverzweigten Sauerländer Fabrikanten-, Gutsbesitzer- und Arztfamilie.

Die wohlhabenden Eltern ließen ihre Tochter von Privatlehrern unterrichten. Ihre weitere Ausbildung erfuhr Lilly Ritgen, wie sie allseits genannt wurde, auf einer Pensionatsschule in Boppard.

Im Alter von zwanzig Jahren heiratete Lilly Ritgen den zehn Jahre älteren Gutsbesitzer Heinrich Fischer. Ihm gehörte das stattliche, rund 150 Hektar Land umfassende Gut "Haus Riepen", zwischen Warburg und Borgentreich gelegen. Die Ehe war also durchaus standesgemäß geschlossen, getreu den ungeschriebenen Regeln des Landes. Zwischen 1897 und 1902 gebar Lilly Fischer vier Kinder, von denen eines früh starb.

Neben der Erziehung der Kinder und der Leitung des Haushaltes mit seinen zahlreichen Bediensteten übernahm Lilly Fischer auch einen Wirtschaftszweig des Gutes: Sie züchtete Pferde.

Dies war auf den Gutsbetrieben damals eine ausgesprochene "Männer-Domäne", für eine Frau also völlig ungewöhnlich. Wie aus Familienpapieren hervorgeht, war Lilly Fischer eine begeisterte Reiterin, und sie muß in der Pferdezucht großes Geschick bewiesen haben.

Seit Beginn des Ersten Weltkrieges übernahm sie die Leitung des Gutes. Ihr Mann zog als Reserveoffizier an die Front. Schwer erkrankt kehrte er im Frühsommer 1917 heim. Mitten in der Getreideernte, im August 1917, verstarb er auf dem Gut.

Anfang der 20er Jahre übertrug sie die Verwaltung des Gutes ihrem Sohn. Zu dieser Zeit kam eine junge Bauerntochter aus dem Münsterland als Praktikantin nach Haus Riepen. Änne Hüntrup-Farwick - so ihr Name - erinnerte sich später rückblickend an den Alltag auf dem Gut, der bei der jungen Frau nachhaltigen Eindruck hinterließ: "Für mich, die ich in einfachen bäuerlichen Verhältnissen aufgewachsen war, tat sich eine neue Welt auf. Es war, als wenn ich einen Courths-Mahler-Roman erlebte."

Die Bauerntochter aus dem Münsterland rieb sich verwundert die Augen über das imposante Wohnhaus, inmitten eines großzügigen Parks gelegen, über den Tennisplatz und vor allem über die "hochherrschaftliche Einrichtung des Hauses". Zweispännig und mit einem Kutscher in Livree, so staunte Änne Hüntrup-Farwick noch in ihren Erinnerungen, sei sie mit der Gutsherrin Lilly Fischer regelmäßig zum Einkaufen nach Warburg gefahren. Und auch daran erinnerte sich Änne Hüntrup-Farwick: "Ich durfte nicht mit den Mädchen in der Küche essen. Oft ergab es sich, daß der junge Chef abwesend war und mir allein im großen Eßzimmer am Tisch sitzend - mein Essen vom Diener serviert wurde. Ich kam mir vor wie eine Witzfigur. "

Weiter berichtet die Münsterländer Bäuerin: "Meine Chefin sah es als notwendig an, Bauerntöchtern eine gründliche, fachliche Ausbildung zu vermitteln, und zwar auf breiter Grundlage. Wohl wissend, daß die meisten Eltern ihre Kinder nicht in teure Internate schicken konnten, suchte sie mit anderen Frauen nach Wegen und Möglichkeiten, hier Abhilfe zu schaffen. Sie organisierte in den Gaststätten der umliegenden Dörfer Zusammenkünfte mit den Frauen, erzählte von ihren Plänen und bat um deren Unterstützung. Oft mußte ich sie auf diesen Fahrten begleiten."

Verwandte von Lilly Fischer waren Landwirte in Ostpreußen. Von ihnen dürfte die westfälische Gutsherrin zum ersten Mal von Elisabeth Böhm erfahren haben, der ostpreußischen Begründerin der Landfrauenorganisation in Deutschland. Um 1920 war Elisabeth Böhm einige Tage zu Gast auf dem Warburger Gut. In den Gesprächen, so ist zu vermuten, dürften die beiden Gutsfrauen den Aufbau einer westfälischen Landfrauenorganisation erörtert haben.

Wann und wie Elisabeth Fischer ihr Anliegen bei der westfälischen Landwirtschaftskammer vortrug, ist nicht überliefert. Fest steht, daß die Kammer 1921 einen Landfrauenausschuß einrichtete und Elisabeth Fischer zur Vorsitzenden wählte. Den Honoratioren der Landwirtschaftskammer muß Lilly Fischer als eine geeignete Kandidatin erschienen sein - nicht nur wegen ihrer Herkunft, sondern auch wegen ihres frühen Engagements in Sachen Landfrauenorganisation.

Ein dutzend Jahre leitete Lilly Fischer den Landfrauenausschuß. In dieser Zeit wurde das ländlich-hauswirtschaftliche Bildungswesen für junge Bäuerinnen aufgebaut; Wanderhaushaltungsschulen wurden überall in Westfalen eingerichtet, später kamen Mädchenklassen an den landwirtschaftlichen Winterschulen hinzu. Erst dadurch wurde es überhaupt einer breiteren Schicht junger Bauerntöchter möglich, die notwendigen hauswirtschaftlichen Kenntnisse zu erwerben.

Über den Landfrauenausschuß der Landwirtschaftskammer initiierte Lilly Fischer auch die Gründung von Landfrauenvereinen in Westfalen. Sie reiste kreuz und quer durchs Land, um die Bäuerinnen zum Zusammenschluß zu bewegen.

In den angestrebten Vereinen, so führte sie beispielsweise im münsterländischen Billerbeck aus, sollten sich "alle Landfrauen vom Groß- und Kleinbesitz zusammenfinden, und auch jene Frauen, die Landwirtinnen im kleinen sind - die Lehrer-, Förster- und in evangelischen Gegenden die Pastorenfrauen".

Aufgabe der Landfrauenvereine müsse es sein, sich fortzubilden, Neuerungen in Wissenschaft und Technik zu vermitteln, Erfahrungen auszutauschen und gemeinsame Interessen zu vertreten. "Die Politik und die konfessionellen Fragen zu erörtern, liegt nicht in unseren Zielen und Zwecken", so Lilly Fischer in Billerbeck.

Ähnlich auch stand es später in der Satzung der "Westfälischen Landfrauenvereinigung". Unter diesem Dachverband schlossen sich die einzelnen Vereine zusammen, die seit Mitte der 20er Jahre überall im Land entstanden. Lilly Fischer wurde, wie eingangs erwähnt, zur ersten Vorsitzenden des Dachverbandes gewählt.

1933 kam das Ende der westfälischen Landfrauenbewegung. Die Vereine wurden aufgelöst und von der Zwangsorganisation des NS-Reichsnährstandes ersetzt. Wie viele "Frauen der ersten Stunde" zog sich auch Lilly Fischer völlig zurück. Auf Haus Riepen verstarb sie am 19. November des Kriegsjahres 1943.

QUELLE  Strotdrees, Gisbert | Es gab nicht nur die Droste | S. 119f.
PROJEKT  Lebensbilder westfälischer Frauen
AUFNAHMEDATUM2004-09-09


QUELLE    Strotdrees, Gisbert | Es gab nicht nur die Droste | S. 119f.

SYSTEMATIK / WEITERE RESSOURCEN  
Zeit3.8   1850-1899
3.9   1900-1949
DATUM AUFNAHME2003-10-10
DATUM ÄNDERUNG2010-09-20
AUFRUFE GESAMT2033
AUFRUFE IM MONAT164