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(86 KB)   Martha Dreisbach (geb. 1921), Hebamme im Wittgensteiner Land / Münster, Landwirtschaftliches Wochenblatt Westfalen-Lippe / Gisbert Strotdrees   Informationen zur Abbildung

Martha Dreisbach (geb. 1921), Hebamme im Wittgensteiner Land / Münster, Landwirtschaftliches Wochenblatt Westfalen-Lippe / Gisbert Strotdrees
FAMILIEDreisbach
VORNAMEMartha


GESCHLECHTweiblich
GEBURT DATUM1921-02-26   Suche
GEBURT ORTRinthe (nahe bei)
EHEPARTNER1948 Rinthe: Heinrich Dreisbach


VATERAfflerbach, Wilhelm
MUTTERDreisbach, Luise


BIOGRAFIEWintertage waren für die Hebamme Martha Dreisbach das Schlimmste. "Die Wege hier waren nicht geräumt", erzählt sie, "und Schneefräsen kannte man damals ja noch nicht. Der Schnee war oft meterhoch verweht. Der Postbote konnte nicht jeden Tag bis zum letzten eingeschneiten Gehöft kommen. Aber ich, ich mußte zusehen, wie ich zu Fuß irgendwie dadurch kam. Die Leute warteten ja dringend auf mich."

Martha Dreisbach wohnt in Rinthe, einem kleinen, abgelegenen Bauerndorf unweit von Bad Berleburg im Wittgensteiner Land. Vierzig Jahre lang, seit 1941, war sie hier praktizierende Hebamme. Vierzig Jahre lang stand sie den werdenden Müttern zur Seite - vor, während und nach der Geburt. In dieser Zeit betreute sie insgesamt 1160 Geburten.

Unweit von Rinthe ist Martha Dreisbach gemeinsam mit vier Brüdern und zwei Schwestern aufgewachsen. Sie ist geboren am 26.02.1921 als jüngste Tochter des Schreinermeisters und Kleinbauern Wilhelm Afflerbach und seiner Ehefrau Luise geborene Dreisbach.
Als 17jährige besuchte sie 1937/38 die Mädchenabteilung der Landwirtschaftsschule in Erndtebrück. Damals, so erzählt die 70jährige Frau, habe sie ursprünglich Krankenschwester werden wollen. Als dann bei uns im Dorf die alte Hebamme starb, habe ich mir das anders überlegt."

Gerade 18 Jahre alt war sie, als sie im April 1939 das Wittgensteiner Land verließ. In der Bochumer Landesfrauenklinik, damals neben Paderborn die einzige Hebammenschule Westfalens, wurde Martha Dreinbach anderthalb Jahre lang ausgebildet, gemeinsam mit zwanzig weiteren Schülerinnen. "Das war keine einfache Zeit", erinnert sie sich. "Da lagen ja Welten zwischen unserem kleinen Dorf und der Industriestadt." In Bochum erlebte sie den Beginn des Zweiten Weltkrieges, die Fliegeralarme und die ersten Bombenabwürfe über der Stadt. "Und dann natürlich die Schule selbst - da ging es sehr streng, fast militärisch zu."

Im September 1940 schloß sie ihre Ausbildung mit einem Staatsexamen ab und kehrte in ihren Heimatort, in das Haus ihrer Eltern zurück. Anfang 1941 nahm sie ihre Tätigkeit auf. Als sie 1948 den Landwirt Heinrich Dreisbach heiratete, dachte sie für einen kurzen Moment daran, den Beruf aufzugeben. "Aber mein Mann wollte, daß ich Hebamme blieb. Er hat damals weiter gedacht als ich. Denn jetzt hab' ich eine eigene Rente."

Für sechs Dörfer im Umkreis war Martha Dreisbach anfangs zuständig - "der Bezirk war genau eingeteilt". Rund 35 Jahre später hatte sie Frauen im ganzen Wittgensteiner Land zu versorgen, als letzte frei praktizierende Hebamme in der Region. 1975 gab sie ihre freie Praxis auf und arbeitete weitere sechs Jahre im Kreiskrankenhaus in Bad Berleburg.

Wenn Martha Dreisbach von den Anfängen ihrer Tätigkeit erzählt, glaubt man, Geschichten aus einer längst vergangenen Zeit zu hören. In den ersten Jahren beispielsweise war sie telefonisch gar nicht zu erreichen. Das einzige Telefon stand in der Guten Stube des Nachbarhofes, auf der anderen Seite der Dorfstraße. "Ein werdender Vater mußte dann jedesmal da anrufen, und dann mußte der Nachbar erst einmal herüber kommen und hier Bescheid sagen."

Auch ein Auto hatte Martha Dreisbach nicht, sie hätte es sich auch kaum leisten können. In den ersten Monaten kam sie per Fahrrad, den Hebammenkoffer hinten auf den Gepäckträger geklemmt, zu den werdenden Müttern.

Um die langen, mühseligen Wege möglichst schnell zurücklegen zu können, legte sich Martha Dreisbach von den ersten Ersparnissen ein Motorrad zu - "eine 98er Göricke mit Sachs-Motor". Für viele war das ein recht ungewöhnliches Bild. "Frauen mit Motorrad", so Martha Dreisbach schmunzelnd, "waren hier damals dünn gesät."

Das Fahren sei kein "reines Vergnügen" gewesen, erzählt sie. Die Straßen waren kaum ausgebaut, rauh und holprig. Die Motorradkleidung bot nur dürftigen Schutz gegen Wind und Wetter. Besonders schlimm sei es in den Kriegsnächten gewesen: "Man durfte nur mit fast zugeklebten Scheinwerfer fahren, mit einem kleinen Lichtschlitz. Wenn es dazu noch regnete, war ein schmaler Weg kaum zu finden."

In den Kriegsjahren kam es nicht selten auch zu Stromausfällen in den Häusern. Statt durch elektrisches Licht mußte das Zimmer von Karbidlampen und anderen "Funzeln" beleuchtet werden. "Einmal hatte ich als Lichtquelle nur ein offenes Ofentürchen", berichtet die Hebamme.

In den langen Wintermonaten, bei tiefem Schnee und Eis, war das Motorrad völlig nutzlos. Dann mußte Martha Dreisbach sich zu Fuß zu den jungen Frauen aufmachen. Bisweilen wurde sie von einem der Nachbarbauern mit dem Pferdeschlitten abgeholt. Unter solchen Umständen kam Martha Dreisbach nicht immer rechtzeitig an. "0 ja, manche Kinder hatten' s eilig. Einmal bin ich auf einen Hof gekommen, da war das Kind schon da. Ein Onkel hatte es mit einer einfachen Schere abgenabelt - glücklicherweise lang genug, daß ich den Nabel noch ordentlich verbinden konnte."
An einem anderen winterlichen Dezembertag sei sie in aller Herrgottsfrühe zu einem Hof geeilt. Da war das Kind auch schon da, als ich ankam. Die Schwägerin trat aus dem Zimmer und meinte nur: In dieser Nacht hab' ich mir einen Orden verdient!’"

Bei den Hausgeburten auf dem Land halfen in der Regel die Mutter der Wöchnerin oder eine Schwägerin. Auch die Ehemänner seien - anders als bei den Krankenhausgeburten - vielfach dabei gewesen. "Das war je nach Naturell, je nachdem, wie sich die Männer kräftig fühlten."
Geburten im Haus, so Martha Dreisbach, seien überhaupt viel schöner und persönlicher als im eher anonymen Krankenhaus. "Die Mutter war im Haus; wenn Kinder da waren, waren sie nicht allein, und sobald wieder Ordnung im Zimmer war, konnte die Familie das Neugeborene sehen. Und diese Freude mitzuerleben, das war immer wieder schön für mich."

Nach der Geburt hatte Martha Dreisbach zehn Tage lang die Wöchnerin und das neugeborene Kind zu versorgen. Tag für Tag suchte sie dann die junge Mutter auf, um beim Wickeln und Stillen zu helfen und mit Rat und Tat zur Seite zu stehen.

Der Verdienst der Hebamme war vergleichsweise gering. 28 Mark erhielt Martha Dreisbach in den ersten Jahren pro Geburt, Vor- und Nachbetreuung eingeschlossen. "Man hat wirklich eine große Verantwortung gehabt", sagt sie, "und es ist ein Beruf, der mir viel Freud gemacht hat. Aber reich werden konnte man dabei nicht."

QUELLE  Strotdrees, Gisbert | Es gab nicht nur die Droste | S. 162f.
PROJEKT  Lebensbilder westfälischer Frauen
AUFNAHMEDATUM2004-09-09


QUELLE    Strotdrees, Gisbert | Es gab nicht nur die Droste | S. 162f.

SYSTEMATIK / WEITERE RESSOURCEN  
Zeit3.9   1900-1949
3.10   1950-1999
Ort1.10   Siegen-Wittgenstein, Kreis
1.10.1   Bad Berleburg, Stadt
Sachgebiet6.8.8   Frauen
8.5   Medizinische Versorgung, Ärztin/Arzt
DATUM AUFNAHME2003-10-17
AUFRUFE GESAMT3607
AUFRUFE IM MONAT397