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(89 KB)   Anna Breitenbürger (geb. 1906), Gastwirtin aus Rödinghausen / Münster, Landwirtschaftliches Wochenblatt Westfalen-Lippe / Gisbert Strotdrees   Informationen zur Abbildung

Anna Breitenbürger (geb. 1906), Gastwirtin aus Rödinghausen / Münster, Landwirtschaftliches Wochenblatt Westfalen-Lippe / Gisbert Strotdrees
FAMILIEBreitenbürger
VORNAMEAnna


GESCHLECHTweiblich
GEBURT DATUM1906-12-06   Suche
GEBURT ORTOstkilver
EHEPARTNER1942, Rödinghausen: Otto Breitenbürger


VATERBösmann


BIOGRAFIEMit einem Satz von ihr beginnt die Ortschronik von Rödinghausen, heute eine Kleinstadt nahe Bünde. "Ach, was", so diktierte Anna Breitenbürger dem Dorfchronisten Rolf Botzet 1988 ins Mikrophon, "ach, was, die Vergangenheit war nicht schön." Verklärung der Vergangenheit, der "guten alten Zeit", ist ihre Sache nicht. "Ein jeder Stand hat seine Last", so zitiert sie eine Volksweisheit, "und das war früher auch schon so."

Anna Breitenbürger weiß, wovon sie redet. Seit ihrer Heirat im September 1942, mitten im Zweiten Weltkrieg, lebt und arbeitet sie in der Dorfgaststätte, direkt neben der alten Kirche in Rödinghausen. Wenn hier in der Bauernkneipe nichts zu erfahren war von den Nöten und Ängsten, von den kleinen und großen Freuden der Menschen aus dem Dorf, wo dann?

Auch in ihrer persönlichen Geschichte gibt es für Anna Breitenbürger nichts zu verklären. Daß sie einmal Gastwirtin würde und mit ihrem Mann noch nebenher eine kleine Landwirtschaft betreiben würde, hätte sie vor ihrer Heirat nie geahnt - ja, sie wollte es nicht einmal, wie sie freimütig bekennt. "Der Hof hier hätte mir schon gereicht", sagt sie, und beinahe nebenbei erklärt sie: "Wo man hingestellt wird, tut man seine Pflicht!"

Geboren wurde sie am 23.12.1906, als Tochter der Bauersleute Bösmann in Ostkilver. Auf dem Hof wuchs sie mit einer Schwester und sechs Brüdern auf. "Die mußten alle Soldat werden", erzählt Anna Breitenbürger aus den Jahren des Ersten Weltkrieges. "Meine Mutter packte für sie immer Lebensmittel ein, und wir, meine Schwester und ich, mußten dann die Pakete mit dem Rucksack auf dem Buckel zum Bahnhof nach Bieren bringen."

Andere Stationen ihrer Jugend zählt Anna Breitenbürger rasch auf: Mit 14 Jahren Entlassung aus der Schule, später ein Jahr im Haushalt einer Lehrerfamilie in Bielefeld, ansonsten Mitarbeit auf dem elterlichen Bauernhof, wie sie es schon als Kind gewohnt war. Zwischendurch besuchte sie einige Kurse: Mit 17 Jahren ging sie zur Nähschule im Gemeindehaus Bünde, mit 18 besuchte sie für acht Wochen eine Kochschule in Osnabrück, später dann noch einen Rote-Kreuz-Kurs in Kilver samt sechswöchigem Praktikum im Bünder Krankenhaus. Eine weitere Ausbildung konnten die Eltern nicht bezahlen. Mehr war auch nicht üblich oder gar vorgesehen für eine Bauerntochter. "Die Kurse waren immer im Winter", so Anna Breitenbürger, "denn in der anderen Zeit hatten wir ja genug auf dem Hof zu tun."

Nach der Heirat mit Otto Breitenbürger zog sie von Kilver nach Rödinghausen, in die traditionsreiche Gastwirtschaft "Zum alten Wrangel", die der Großvater ihres Mannes 1869 gegründet hatte. Eine kleine Landwirtschaft gehörte dazu: 8 ha Acker, Wiese und Wald, ein paar Kühe, Schweine und Federvieh. "Ursprünglich war sogar noch eine Bäckerei dabei, aber die hatte mein Schwiegervater schon aufgegeben - Gott sei Dank, denn sonst hätte ich nicht mehr gewußt, wohin mit der Arbeit!"

Arbeit gab's genug für die Frau - vor allem, als ihr Mann im Zweiten Weltkrieg zur Wehrmacht eingezogen wurde. "Die Arbeit auf dem Hof kannte ich ja von zu Hause, aber die Gaststätte, die ganze Buchführung und was da alles so zugehört, da mußte ich mich alleine zurechtfinden." Bei den Arbeiten in Hof, Stall und Feld halfen ihr Nachbarn und ein französischer Kriegsgefangener, über den sie nur lobende Worte findet.

Zur Ernte kam ihr Mann nach Hause, doch sicher war das nicht immer. Denn einmal, so weiß Anna Breitenbürger zu berichten, war ihr Antrag auf Ernteurlaub ihres Mannes gar nicht weitergereicht worden. "Da hab' ich dem Ortsbauernführer gesagt: Unterschreiben Sie das, und ich schick das Formular selbst weg.' Er wollte das erst nicht, hat es dann aber doch getan und dann konnte mein Mann auch nach Hause kommen."

Ein anderer Bauer war dazu bestimmt, auf dem Hof Breitenbürger nach dem Rechten zu sehen, während ihr Mann weg war. "Der wollte mich auch ins Bockshorn jagen", sagt die betagte Frau. "Einmal ist er zu mir gekommen und sagte: Anna, Du mußt das Korn schneiden, das ist schon längst reif.' Und da bin ich zum Feld gegangen, hab' mir das angeguckt, und da war das Korn noch ganz weich." Ein stolzer Unterton ist nicht zu überhören, wenn sie hinzusetzt: "Irgendwie wollte er mich wohl aufs Kreuz legen, aber das hat nicht geklappt."

Bei harter körperlicher Arbeit verlor sie im Herbst 1944 ihr erstes Kind "das war die schlimmste Zeit in meinem Leben", sagt sie. Über Monate litt sie an schwerem Wochenbettfieber, das sie - unter den widrigen Umständen des Krieges - beinahe nicht überlebt hätte. Nach langer Genesung in einem Bielefelder Krankenhaus kam sie wieder nach Hause und erlebte hier das Chaos des Kriegsendes - durchmarschierende Soldaten auf dem Rückmarsch, evakuierte Frauen und Kinder, entlassene Kriegsgefangene, die sich auf dem Heimweg im Gastzimmer einquartierten. Ihr Mann schließlich kehrte im Spätsommer 1945 heim.

"Ich war überglücklich, daß wir dann doch noch Kinder bekamen", erzählt Anna Breitenbürger weiter, "denn nach der Fehlgeburt hatte ich da große Sorgen." 1947 bekam sie ihr erstes Kind, die Tochter Hanna, ein Jahr später ihren Sohn Wilhelm. "Mein Mann stand hinter der Theke, und ich versorgte die Kinder", beschreibt sie in sachlichem Ton die Arbeitsteilung. "Und die Landwirtschaft machten wir gemeinsam."

Zweimal im Jahr fand um die Gaststätte "Zum alten Wrangel" ein Großereignis statt, von dem schon Wochen vorher ganz Rödinghausen sprach: die Dorfkirmes. Jeweils im Mai und Ende August schlugen Händler ihre Verkaufsstände vor der Kneipe auf. Bauern und Händler kamen, um ihre Tiere feilzubieten. Schausteller bauten Losbuden, Kramstände und Pferdekarussells auf. "Ich hatte die Schausteller alle zum Essen. Da hab' ich dann den ganzen Tag in der Küche gestanden mit zwei Mädchen, die mir halfen.

"So war immer viel Arbeit", sagt Anna Breitenbürger, als wollte sie damit ihr Leben auf einen Nenner bringen. Und sie setzt hinzu: "Ich erinnere mich noch, wie einmal mein Mann am Tag nach so einer Kirmes morgens ganz früh zu mir sagte: Anna komm', Du mußt aufstehen, wir müssen heute noch das letzte Korn einfahren.' Und ich, ich wollte gar nicht, ich war so müde."

QUELLE  Strotdrees, Gisbert | Es gab nicht nur die Droste | S. 154
PROJEKT  Lebensbilder westfälischer Frauen
AUFNAHMEDATUM2004-09-09


QUELLE    Strotdrees, Gisbert | Es gab nicht nur die Droste | S. 154f.

SYSTEMATIK / WEITERE RESSOURCEN  
Zeit3.9   1900-1949
3.10   1950-1999
Ort2.3.7   Rödinghausen, Gemeinde
Sachgebiet6.8.8   Frauen
10.10   Landwirtschaft, Landwirtin/Landwirt
11.2   Verkehrsentwicklung, Verkehrsplanung
DATUM AUFNAHME2003-10-17
AUFRUFE GESAMT1001
AUFRUFE IM MONAT237