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(81 KB)   Elisabeth Becker (1858-1932), Wanderhändlerin im Sauerland / Arnsberg, Sauerland-Museum des Hochsauerlandkreises   Informationen zur Abbildung

Elisabeth Becker (1858-1932), Wanderhändlerin im Sauerland / Arnsberg, Sauerland-Museum des Hochsauerlandkreises
FAMILIEBecker
VORNAMEElisabeth


GESCHLECHTweiblich
GEBURT DATUM1858-03-31   Suche
GEBURT ORTHellefeld bei Arnsberg
TAUFNAMEElisabeth Agnes
TOD DATUM1932-06-04   Suche
TOD ORTEnkhausen
BEGRÄBNIS ORTFriedhof Enkhausen


VATERBecker, Anton
MUTTERStahl, Catharina


BIOGRAFIEDas Brückchen über den schmalen Bach könnte fast übersehen werden, stände dort nicht ein Schild: "Butterbettchen-Brücke" kann da jeder lesen, der sich im sauerländischen Bauerndorf Hellefeld auf den Weg macht in Richtung Arnsberg und nun nach wenigen Minuten Fußweg den Bach überquert. Weiter erläutert das Holzschild: "Elisabeth Becker brachte über 50 Jahre wöchentlich dreimal die Butter von Hellefeld nach Arnsberg." Acht Kilometer nördlich, in Arnsberg, ist dieser Frau sogar ein Bronze-Denkmal gesetzt.

Elisabeth Becker galt schon zu Lebzeiten als "die bekannteste Persönlichkeit weitum", wie ein Arnsberger Chronist 1922 urteilt. "Bieder" soll sie gewesen sein, "heimatverbunden" - so wurde sie erst vor einigen Jahren im Blatt des Arnsberger Heimatbundes gelobt, und: "ein echtes Kind ihrer sauerländischen Heimat". Wer war diese Frau? Warum wurde ausgerechnet sie zum "echten Sauerländer Original" hochstilisiert?

Dem bronzeglänzenden Denkmal ist kaum anzusehen, daß "Butterbettchen" aus bescheidenen ländlichen Verhältnissen stammte. Geboren wurde Elisabeth Agnes Becker - so ihr vollständiger Name - am 31. März 1858 in Hellefeld, einem winzigen Bauerndorf südlich von Arnsberg. Ihr Vater Anton Becker, im Dorf Struwe genannt, war alteingesessener Hellefelder, er stammte von einem alten Bauernhof; ihre Mutter Catharina Becker, geborene Stahl, war die Tochter eines Lehrers in Berge bei Meschede.

Das Ehepaar Becker unterhielt in Hellefeld eine Bäckerei und einen kleinen Kramladen. Elisabeth Becker wuchs mit vier Geschwistern auf: mit dem 1851 geborenen Johann Arnold, dem 1854 geborenen Johann Josef, der 1856 geborenen Maria Franziska und der 1863 geborenen Maria Theresia.

1875, im Alter von 17 Jahren, kam Elisabeth Becker in die "große Stadt", nach Arnsberg. Sie verdingte sich, wie es für junge Töchter aus ländlichen Familien üblich war, als Dienstmädchen im Haushalt eines Kaufmanns.

"Das Stadtleben scheint ihr nicht behagt zu haben. Sie war ein echtes Kind vom Lande und fühlte sich in ihrer bäuerlichen Umwelt offenbar wohler", heißt es romantisch-verklärend in einem Lebensbericht über "Butterbettchen". Ob die Sätze, 1982 niedergeschrieben, so stimmen? Immerhin suchte Elisabeth Becker nicht schon nach wenigen Tagen oder Wochen wieder das Weite, sondern blieb zwei Jahre als Dienstmädchen in Arnsberg. Auch scheint ihre "Herrschaft" mit Bedacht gewählt worden zu sein, denn im Haushalt des Kaufmanns dürfte sie so einiges gelernt haben, was ihr später zugute kam, als sie die Geschäfte ihres Vaters übernahm.

Anschließend kehrte sie wieder nach Hellefeld zurück. Ihr geschäftstüchtiger Vater hatte inzwischen am Rande des Dorfes im "Erlenbruch" ein Haus erwerben können. Hier bestritt die Familie ein eher bescheidenes Leben. Ein paar Felder wurden beackert, etwas Vieh stand im Stall. Die Bäckerei hatte Vater Anton Becker aufgegeben; stattdessen besserte er die kargen Einkünfte durch den Wanderhandel zwischen Hellefeld und Arnsberg auf.

Seit sie 1878 zurückgekehrt war, half Elisabeth Becker ihrem Vater fortan bei seinen Marketendergängen. Um 1890 starb ihre Mutter, im Sommer 1899 ihr Vater. Nach seinem Tod übernahm Elisabeth Becker den Kleinhandel und führte das Geschäft allein fort. Zeit ihres Lebens blieb sie unverheiratet.

"Mit der Regelmäßigkeit einer wohlaufgezogenen Uhr", wie es in einem zeitgenössischen Bericht heißt, wanderte sie zwischen Hellefeld und Arnsberg hin und her - Woche für Woche, Monat für Monat, Jahr für Jahr. An drei Tagen in der Woche ging sie über Land, suchte in den umliegenden Dörfern die Landwirte und Kleinbauern auf, um bei ihnen Handelsware zu kaufen: Butter, Eier, Fleisch und Wurst. An den anderen drei Tagen in der Woche machte sie sich, in jedem Arm einen vollbepackten Korb, auf den beschwerlichen Weg in die Regierungs- und Beamtenstadt Arnsberg. Die Lebensmittel brachte sie direkt in die Bürgerhäuser.

Das "Sauerländer Original" führte ein äußerst ärmliches Leben. Über fünfzig Jahre wanderte Elisabeth Becker bei Wind und Wetter über die Dörfer und nach Arnsberg, um ihren dürftigen Unterhalt zu verdienen.

Daß eine Frau einen solchen Handel betrieb, war äußerst ungewöhnlich. Denn dies war gewöhnlich Sache der Männer, die mit Pferd und Wagen in die Stadt fuhren. Elisabeth Becker indes kam immer zu Fuß nach Arnsberg. Kurze Zeit soll sie einen Esel besessen haben, der ihr auf den langen Wegen die Last abnahm; das reichlich störrische Tier soll sie aber nach kurzer Zeit wieder verkauft haben.

Auch durch ihre bäuerliche Kleidung fiel Elisabeth Becker in der Beamtenstadt Arnsberg auf. "Bettchen trägt über dem schlichten Landkleid die einfache blaue Schürze", so beschreibt ein Arnsberger namens W. Lindner 1922 die Wanderhändlerin, "um den Kopf das wärmende Tuch, am Arm den Deckelkorb mit der saftiggelben Fracht."

Weiter schwärmt Lindner: "Sie ist noch nicht alt mit ihren 66 Jahren; sie wird ihre Butter noch an die Enkelkinder der diesjährigen Brautleute verkaufen. Der dreistündige Weg über die Berge läßt ein Altwerden einfach nicht zu. "Darin sollte er nicht Recht behalten. Elisabeth Becker mußte schon wenig später ihren Handel aufgeben. Ein Neffe holte die kranke, altersschwache Frau zu sich nach Enkhausen. Er brachte sie im dortigen Karolinum-Hospital unter, wo sie von Ordensschwestern gepflegt wurde. Elisabeth Becker starb 74jährig am 4. Juni 1932 in Enkhausen. Auf dem dortigen Friedhof wurde sie bestattet.

Am Tag der Beerdigung veröffentlichte das Arnsberger "Central-Volksblatt" einen ausführlichen Nachruf. Sie habe "mit allen Fasern ihres Herzens an ihrer Heimat gehangen", heißt es da, und: "Sie blieb einfach und bieder. Die Mode kannte sie nicht, einfach gekleidet ging sie wie ihre Eltern. Einfach, still und bescheiden wie ihre Kleidung war auch ihr Denken und Handeln. Butterbettchen sprach nur in ihrem geliebten Sauerländer Platt, auch. dann, wenn sie zur Stadt kam. Schlagfertig gab sie dann stets Antwort und Bescheid, wenn ein naseweiser Städter glaubte, das alte Butterbettchen einmal hänseln zu können."

Damit wurde bereits an der Legende von der einfachen Frau vom Lande gestrickt, an der Legende vom "Butterbettchen", dem "echten", weil arbeitsamen "Sauerländer Original", in der Stadt wenig geachtet oder gar angefeindet und dennoch allen überlegen.

Ein 83jähriger Arnsberger Landwirt namens Karl Voß nahm den Faden auf. Unmittelbar nach ihrem Tod verfaßte er ein ausführliches plattdeutsches Gedicht über "Butterbettchen". Es wurde vom Heimatbund Arnsberg im Dezember 1932 in einer 20seitigen Broschüre veröffentlicht als "Lebenserinnerungen an Butterbettchen von Hellefeld".

Der Titel war irreführend, denn das Leben der Wanderhändlerin war kaum mehr wiederzuerkennen. In seinen Versen, auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise niedergeschrieben, läßt der Landwirt das arbeitsame "Butterbettchen" beispielsweise auftreten gegenüber feinen Leute aus der Stadt, die den ganzen Tag über Sekt trinken würden, als wäre es "klares Wasser"; da wird sie ins Feld geführt gegen hochnäsige Regierungsbeamte, gegen Steuereintreiber vom Finanzamt und gegen Wegelagerer, denen "Butterbettchen" eine Prise Pfeffer in die Augen gestreut habe, um sich zur Wehr zu setzen.

Im Gedicht wird das "Original" schließlich jenen Städtern gegenübergestellt, die nicht - wie "Butterbettchen" - zu Fuß gehen könnten, sondern nur noch mit dem Auto durch das schöne Sauerland brausten. Sie wird jenen Stadtfrauen gegenübergestellt, die bis mittags im Bett liegen, dann "mit Samt und Seide und falschem Geschmeide" durch Arnsberg stolzieren, abends ins Kino gehen und dafür sogar das gebrauchte Geschirr auf dem Tisch stehen lassen...

Kurzum: In den Versen diente "Butterbettchen" nur noch als idyllisches Gegenbild zum angeblich verkommenen städtischen Leben. Das harte, entbehrungsreiche Leben der ländlichen Wanderhändlerin Elisabeth Becker war bis zur Unkenntlichkeit verklärt.

QUELLE  Strotdrees, Gisbert | Es gab nicht nur die Droste | S. 100f.
PROJEKT  Lebensbilder westfälischer Frauen
AUFNAHMEDATUM2004-09-09


QUELLE    Strotdrees, Gisbert | Es gab nicht nur die Droste | S. 100f.

SYSTEMATIK / WEITERE RESSOURCEN  
Zeit3.8   1850-1899
3.9   1900-1949
Ort1.7   Hochsauerlandkreis
Sachgebiet6.7.2   Dorf, Land
6.8.8   Frauen
6.8.14   Soziale Randgruppen
DATUM AUFNAHME2003-11-06
DATUM ÄNDERUNG2010-09-20
AUFRUFE GESAMT4479
AUFRUFE IM MONAT286