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(86 KB)   Hamsterer im Münsterland / H. Müller, Fünf vor Null, Verlag Aschendorff, 1983 / Münster, LWL-Medienzentrum für Westfalen/O. Mahlstedt   Hamsterer im Münsterland / H. Müller, Fünf vor Null, Verlag Aschendorff, 1983 / Münster, LWL-Medienzentrum für Westfalen/O. Mahlstedt
TITELHamsterer im Münsterland


INFORMATIONNeben der Zerstörung bilden Hunger, Kälte und Schwarzmarkt die mit der frühen Nachkriegszeit assoziativ am engsten verbundenen Vorstellungen in der deutschen Bevölkerung. Noch bestehende Nahrungsmittelvorräte aus der Kriegszeit verhinderten zunächst, daß die Mangelsituation in der Versorgung sofort auf das Leben jedes Einzelnen durchschlug. Doch spätestens im Herbst 1945 wurde allen Deutschen klar, daß noch für eine längere Zeit existentielle Not in Deutschland herrschen würde. So lagen denn auch bis in den Sommer 1948 hinein die Lebensmittelrationen mit geringen Schwankungen weit unter dem Existenzminimum. Dem Zerstörungsgrad entsprechend war auch in Münster die städtische Bevölkerung von Hunger und Mangelversorgung ungleich stärker betroffen als die ländliche. Die Bewohner der Städte mußten daher unter anderem weite Wege aufs Land in Kauf nehmen, um sich mit den nötigsten Lebensmitteln und Heizmaterial zu versorgen.

Wie hier auf dem Foto zu sehen, zogen die Einwohner auch im Münsterland auf Fahrrädern, mit Handwagen oder mit den wenigen erhalten gebliebenen Lastwagen in die Wälder, um das zu dieser Zeit so lebenswichtige Brennholz zu organisieren. Mitgenommen wurde so viel, wie man gerade noch ziehen bzw. tragen konnte, um die beschwerlichen Wege nicht unnötig häufig absolvieren zu müssen. Lebensmittel gab es für die Städter bei den Bauern häufig nur im Tausch. Die letzten geretteten Wertsachen oder auf andere Weise organisierte Gegenstände und angebotene Dienstleistungen mußten für einen derartigen Handel herhalten, Da Ausgebombte und Flüchtlinge aber oft nur das gerettet hatten, was sie auf dem Leibe trugen, konnten sie auf dem Tauschweg nur selten an Lebensmittel gelangen.

Um die Lebensmittelversorgung generell aufrechterhalten zu können, übernahmen die britischen Militärbehörden das seit 1935 bestehende System der "Bewirtschaftung knapper Rohstoffe" von den Nationalsozialisten und gaben Lebensmittel, Kleidung und viele Gegenstände des täglichen Lebens nur gegen Bezugsmarken aus. Jeder Einwohner bekam pro Zuteilungsperiode eine Karte, auf der genau festgehalten wurde, was in weicher Menge ihm zustand. Mit dieser Karte wurde gewährleistet, daß diese Waren zu stets gleichbleibenden Preisen gekauft werden konnten, vorausgesetzt, man bekam sie.

ln der britischen Zone - die Zahlen variierten zwischen den Zonen - standen jedem Bürger pro Tag 1.050 Kalorien zu. Praktisch bedeutete diese Zahl nicht viel mehr als "zwei Scheiben Brot mit etwas Margarine, einen Löffel voll Milchsuppe und zwei kleine Kartoffeln". [1] Die tatsächlichen Lieferungen in die Städte blieben meist noch hinter diesen Sollvorgaben zurück, und nicht selten kehrten die Münsteraner nach stundenlangem Warten vor den Geschäften mit leeren Händen in ihre Trümmerbehausung zurück.

Je knapper die Waren angesichts schnell schrumpfender Vorräte und nur langsam anlaufender Produktion wurden, desto üppiger entfaltete sich der "Schwarzmarkt". Er bestimmte, mehr als jeder andere Wirtschaftsfaktor, das alltägliche Leben, insbesondere in den Städten. Wer in den Städten überleben wollte, dem blieb fast nichts anderes übrig, als sich auf diese Weise zu versorgen. Eine große Rolle spielte dabei die sogenannte "Zigarettenwährung". Vor allem gegen "Ami-Zigaretten", die wertvoller als z.B. deutsche Zigaretten waren, konnte man so rare Waren wie Butter, Brot und andere Lebensmittel auf dem schwarzen Markt erstehen. Wie überall, galt dieser Zustand auch für Münster, wo vor allem in der Bahnhofsgegend und in diversen Gaststätten die Schwarzmarktgeschäfte abgewickelt wurden.

Natürlich versuchte die Militärregierung - nicht zuletzt durch erhebliche Strafandrohungen - gegen diese illegalen steuerfreien Geschäfte einzuschreiten. Dessen ungeachtet, fanden die Tausch- und "Kompensationsgeschäfte" trotz zahlreicher Razzien weiterhin in aller Öffentlichkeit statt, so daß sie von weiten Kreisen als absolut korrekt angesehen wurden.

Eine Verbesserung der Ernährungssituation wurde auf Seiten der Bevölkerung auch dadurch angestrebt, daß jedes Fleckchen Boden, das irgendwie verwertbar war, bebaut wurde. Ganze Stadtviertel wurden in Schrebergärten umgewandelt. Bekannt geworden sind in diesem Zusammenhang die Bilder, auf denen Deutschlands Raucher auf Balkonen und Hinterhöfen Tabak zogen, im Volksmund "Siedler-Stolz" genannt. Improvisation bestimmte den Alltag. Aus Eicheln entstand Mehl, Löwenzahn und Scharbockskraut wurden zu Salat und aus Rüben und Kartoffeln wurde Schnaps gebrannt. Eine neue Gesellschaft entstand. Oben war nun, wer Butter und Speck produzierte oder organisierte. Zur Geldaristokratie zählte, wer über Camel, Chesterfield und Lucky Strike verfügte. Der Mittelstand setzte sich aus denen zusammen, die aus Stahlhelmen Kochtöpfe, aus Fallschirmseide Handtaschen und aus Kartuschenhülsen Ofenbleche machen konnten. [2]

Viele Menschen der Nachkriegszeit verdanken ihr Überleben nicht zuletzt den meist privaten Hilfsmaßnahmen von Wohlfahrtsverbänden in europäischen und nordamerikanischen Ländern. Der. bekannteste war die amerikanische CARE-Organisation (Cooperative for American Remittances to Europe) [3], über die viele Pakete mit lebenswichtigem Inhalt von Nordamerika auch nach Münster gelangten.

Das Ende des Schwarzmarktes und ein sich normalisierendes Warenangebot traten erst mit der Währungsreform vom 20.06. und 21.06.1948 ein. Durch die nationalsozialistische Kriegswirtschaft war eine riesige Geldmenge entstanden, der nur ein geringes Warenangebot gegenüberstand. Die alte Währung, die Reichsmark, hatte dadurch zu sehr an Kaufkraft verloren und wurde gegen die "Deutsche Mark" eingetauscht. Jeder Bewohner der Westzonen erhielt im Umtausch gegen 60 Reichsmark 40 Deutsche Mark und im August noch einmal 20 DM. Unternehmer erhielten für jeden beschäftigten Arbeitnehmer 60 DM zusätzlich. Löhne, Gehälter, Pensionen, Renten, Mieten und Pachtzinsen wurden im Verhältnis 1:1 umgestellt, die meisten anderen Verbindlichkeiten im Verhältnis 10:1. Besonders hart traf die Währungsreform Personen mit Sparguthaben, deren Einlagen im Verhältnis 100:6,5 abgewertet wurden. So sehr diese Menschen im Gegensatz zu Besitzern von Sachwerten benachteiligt wurden, die positiven Ergebnisse der Währungsreform waren offensichtlich. Schon am Morgen danach trauten die meisten Bürger ihren Augen nicht. Über Nacht waren plötzlich Schaufenster und Regale der Geschäfte wieder mit Dingen gefüllt, die zwei Tage zuvor allenfalls auf dem Schwarzmarkt angeboten worden waren. Händler hatten sie in Erwartung der Währungsreform gehortet, um sie dann gegen harte DM verkaufen zu können.

Schon bald nach der Währungsreform kam es jedoch auf breiter Front zu enormen Preiserhöhungen, die bei gleichbleibenden Löhnen zu Kaufkraftminderungen führten. Arbeitslose, Rentenempfänger und Fürsorgebezieher waren besonders hart davon betroffen und bald kaum mehr in der Lage, ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. Nun konnte man zwar offiziell wieder fast alles kaufen, doch verfügten nur wenige über das entsprechende Geld. Erst als die Löhne ein halbes Jahr später der Preissteigerung in etwa angepaßt wurden und der Wirtschaftsmotor ansprang, ließen die sozialen Härten nach und das "Wirtschaftswunder" im Zuge der sozialen Marktwirtschaft konnte beginnen.


[1] Kleßmann, Ch., a.a.O., S. 48.
[2] Spiegel 1970, Nr. 19, S. 81.
[3] Kleßmann, Ch., a.a.O., S. 50.


TECHNIKFoto
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OBJEKT-PROVENIENZH. Müller, Fünf vor Null, Verlag Aschendorff, 1983
FOTO-PROVENIENZMünster, LWL-Medienzentrum für Westfalen/O. Mahlstedt


QUELLE    Santel, Josef | Nachkriegsjahre: Münster 1945-1949 | Dia 6, S. 19-22
PROJEKT    Diaserie "Westfalen im Bild" (Schule)

SYSTEMATIK / WEITERE RESSOURCEN  
Typ35   Bildmaterial (Reproduktion, Foto)
Zeit3.9   1900-1949
Ort1.3   Münsterland
Sachgebiet9.4   Konsum, Nahrung
10.16   Handel, Kauffrau/Kaufmann
DATUM AUFNAHME2004-02-08
AUFRUFE GESAMT398
AUFRUFE IM MONAT95