Erinnerungskultur in OWL > Stadtarchiv Harsewinkel


 

1. Einleitung

 
 
 
Aus zwei Themenkomplexen - der Situation der katholischen Jugend in den 1930er-Jahren und der Situation von Zwangsarbeitern in der Landwirtschaft werden einige besonders ausssagekräftige Dokumente, jeweils mit kurzen einleitenden Bemerkungen versehen, vom Stadtarchiv Harsewinkel in das Internet eingestellt. Die Auswertung dieser Dokumente kann den Besuch im Stadtarchiv nicht ersetzen, weil sie nur in ihrem Kontext sachgerecht bewertet werden können.

Das im Jahr 1933 rund 5.600 zählende Amt Harsewinkel war nahezu vollständig katholisch geprägt. Nur etwa 5 % der Einwohner waren evangelisch oder gehörten zu anderen Bekenntnissen. Gleichwohl zeigte die enge Bindung der katholischen Einwohner an die Kirche und die kirchlichen Vereine, die sich im Kulturkampf herausgebildet und das Ende des deutschen Kaiserreiches unbeschadet überstanden hatte, während der Weimarer Republik erste Risse. Diese schlugen sich vor allem in für katholische Gebiete ausgesprochen niedrigen Wahlerfolgen des Zentrums nieder. Gleichwohl betrachteten die Nationalsozialisten die katholischen Vereine und insbesondere die katholische Jugend als Hauptkonkurrenten, deren Einfluss zu brechen war, um die eigene Vorherrschaft dauerhaft sicherzustellen.

Während der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus befand sich Harsewinkel im Übergang von einer rein landwirtschaftlich zu einer industriell geprägten Kommune. Die 1919 gegründete Landmaschinenfabrik Claas wuchs rasch und zählte 20 Jahre später bereits mehrere Hundert Beschäftigte, von denen viele im Nebenerwerb landwirtschaftlich eingebunden blieben. Sowohl die Produktion in der Landwirtschaft als auch die in der Industrie konnten während des Zweiten Weltkriegs nur mit Kriegsgefangenen und zivilen Zwangsarbeitern aufrecht erhalten werden.
 
 
 
 

2. Dokumente zu den Konflikten zwischen
NSDAP und katholischer Jugend

 
 
 
Durch den Abschluss des Reichskonkordats vom 20.07.1933 zwischen dem Deutschen Reich und dem Vatikan, in dem unter anderem die Rechte der katholischen Kirche gesichert wurden, hatte sich diese eine Wahrung ihres Handlungsspielraumes in der nationalsozialistischen Diktatur erhofft. Allerdings zeigte sich schon wenige Monate später, dass die Nationalsozialisten keineswegs daran dachten, den katholischen Vereinen ihr Wirken im bisherigen Umfang zu gestatten. Im Sommer 1935 wurden die Aktivitäten der katholischen Jugend auf rein kirchliche Angelegenheiten beschränkt und zum 01.11.1936 schließlich die Hitlerjugend zur Staatsjugend mit Pflichtmitgliedschaft erhoben.

Mit einer Erfassung der Mitgliederzahl begann im Februar 1934 auch im Amt Harsewinkel die Überwachung sämtlicher katholischer Vereine. Dabei wurde festgestellt, dass allein den männlichen und weiblichen Jugendgruppen in den drei Pfarreien Harsewinkel, Marienfeld und Greffen über 1.000 Jugendliche angehörten. Die Zahl der tatsächlich aktiven Mitglieder dürfte aber deutlich geringer gewesen sein. Als Kern der katholischen Jugend betrachteten die staatlichen Behörden dabei offensichtlich die Sturmscharen, in denen die schulentlassene männliche Jugend organisiert war. Zu den staatlichen Maßnahmen kamen Drangsalierungen durch örtliche HJ-Aktivisten hinzu. Vom Sommer 1935 an wurde schließlich jede nicht religiöse Aktivität der katholischen Jugendgruppen überwacht und verfolgt.

Darüber hinaus geben die Akten und die Sammlungen des Stadtarchivs Auskunft über die Beschlagnahme von Kirchenzeitungen sowie die Überwachung und Verfolgung von Priestern wegen regimekritischer Äußerungen in Predigten und in der Öffentlichkeit.
 
 
 
  • Aktivitäten der Jung- und Sturmscharen

    Anfang Januar 1934 wies die Geheime Staatspolizei in Berlin ihre regionalen Leitstellen an, die Aktivitäten der katholischen Vereine genauer zu überwachen, weil eine Ausweitung der Aktivitäten unter dem Schutz des Reichskonkordats befürchtet werden müsse. In diesem Zusammenhang gerieten auch die Aktivitäten der Jung- und Sturmscharen in Harsewinkel in das Blickfeld der behördlichen Untersuchungen. Über diese berichtete der Harsewinkeler Amtsbürgermeister am 19.01.1934 an den Landrat in Warendorf. Das in der Verfügung erwähnte Rundschreiben des Kaplans Bernhard Böckmann ist nicht überliefert.

    19.01.1934 
     Bericht des Harsewinkeler Amtsbürgermeisters Storp über das katholische Vereinswesen 
 
 
 
  • Überfall auf ein Treffen der Harsewinkeler Jungschar

    Nach einem Überfall mehrerer Aktivisten der Hitlerjugend auf ein Treffen der Jungschar in Harsewinkel beschwerte sich Kaplan Josef Eversloh, dem die geistliche Leitung der Jungschar oblag, beim Amtsbürgermeister. In seinem Schreiben fallen besonders die Hinweise auf die erst in letzter Zeit eingetretene Verschärfung der Konflikte und das sonst gute Einvernehmen zwischen der Hitlerjugend und der katholischen Jugend auf. Von der Amtsverwaltung wurde das Schreiben an den Landrat als vorgesetzte Behörde weitergeleitet. Eine Reaktion ist in den Akten nicht überliefert.

    06.06.1934 
     Beschwerde des Kaplans Eversloh über einen Überfall auf ein Treffen der Harsewinkler Jungschar 
 
 
 
 
 
 
 

3. Dokumente zum Einsatz von Kriegsgefangenen und zivilen Zwangsarbeitern

 
 
 
Insgesamt arbeiteten in Harsewinkel während des 2. Weltkriegs in der Landwirtschaft und in der Industrie über 1.200 Arbeitskräfte aus den von Deutschland besetzten Ländern als Kriegsgefangene oder zivile Zwangsarbeiter. Sie stammten aus Polen, der UdSSR, Frankreich, den Niederlanden, Jugoslawien und Italien. Während die Zahl der zivilen Zwangsarbeiter aus den Karteien des Meldeamtes relativ exakt ermittelt werden kann, lässt sich die Zahl der in mehreren Lagern untergebrachten Kriegsgefangenen nicht feststellen. Aus der Nachkriegsüberlieferung und den Meldekarteien ist bekannt, dass bei der Landmaschinenfabrik Claas rund 300 sowjetische Kriegsgefangene und darüber hinaus rund 100 italienische Militärinternierte beschäftigt waren. Die Mehrzahl der Zwangsarbeiter war in der Landwirtschaft im Einsatz.

Die über polnische und sowjetische Zwangsarbeiter in der Landwirtschaft überlieferten Akten geben Auskunft über deren Arbeitsstellen, die Einschränkungen der Bewegungsfreiheit, denen sie unterworfen waren sowie über Konflikte mit den Landwirten. Die bekannte Zahl von Konflikten ist gemessen an der Zahl der Zwangsarbeiter gering - jedoch bleibt die Frage offen, ob nur die Spitze eines Eisbergs in den Akten abgebildet ist oder doch von einer nicht diskriminierenden und menschlichen Behandlung der Zwangsarbeiter auf der Mehrzahl der Höfe ausgegangen werden kann.
 
 
 













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  • Bestrafung des polnischen Arbeiters Edmund K.

    Zusammen mit rund 100 weiteren polnischen Kriegsgefangenen war Edmund K. im Herbst 1939 nach Harsewinkel gekommen und in einem Arbeitskommando für Kriegsgefangene inhaftiert. Im Sommer 1940 nahm er, wie die meisten Kameraden, die Möglichkeit an, in ein ziviles Zwangsarbeitsverhältnis zu wechseln. Seitdem war er auf einem Bauernhof in Greffen tätig, wo er auch wohnte.

    Nach einem anfänglich offenbar guten Verhältnis zwischen dem Landwirt S. und Edmund K. kam es im Frühjahr 1941 zu Konflikten. K. wurde vorgeworfen, seine Arbeit nur noch nachlässig zu versehen und einen höheren Lohn zu fordern. Außerdem wollte K., der aus Westpreußen kam, nicht als Pole, sondern als Deutscher behandelt zu werden. Zur Beschwerde des Landwirts über K. bei der Amtsverwaltung kam es, nachdem in seinem Zimmer ein Glas mit rahmhaltiger Milch gefunden worden war, dessen Diebstahl man K. unterstellte.

    K. wurde am 03.05.1941 in das Polizeigefängnis Münster eingeliefert und von dort in ein Arbeitserziehungslager eingewiesen. Aus diesem kehrte er im August 1941 nach Harsewinkel zurück, wo er einer anderen Arbeitsstelle zugewiesen wurde. Im November 1943 wurde Edmund K. in die deutsche Volkstumsliste aufgenommen, womit er sein Ziel erreichte, als Deutscher anerkannt zu werden. Er verließ Harsewinkel, als er seinen Dienst in der Wehrmacht antrat.

    28.05.1941 
     Bericht des Hauptwachtmeisters der Polizei über Edmund K. 
    31.05.1941 
     Verfügung des Landrats des Kreises Warendorf an die Harsewinkeler Ortspolizei, den Zwangsarbeiter Edmund K. zur Geheimen Staatspolizei nach Münster zu bringen 
    06.08.1941 
     Verfügung des Amtsbürgermeisters zu Harsewinkel über die Zuweisung des K. zu einer neuen Arbeitsstelle 
     
     Meldekarte von Edmund K. 
 
 
 
  • Verlegung eines sowjetischen Ehepaars zu einer anderen Arbeitsstelle

    Das Schreiben des Amtsbürgermeisters von Harsewinkel an das für den Arbeitseinsatz von Zwangsarbeitern zuständige Arbeitsamt in Warendorf dokumentiert, dass es für die Zwangsarbeiter geringe Spielräume gab, ihre Situation zu verbessern. Entscheidend dürfte in diesem Fall gewesen sein, dass auch der Ortsbauernführer die Umsetzung zu einer anderen Arbeitsstelle befürwortete.

    Aus einem Zeitzeugenbericht von Viktor B. ist bekannt, dass schon vor der Geburt des Sohnes zwischen seiner Frau und dem Hofesinhaber erhebliche Konflikte bestanden, weil die Schwangere nicht die erwarteten Arbeitsleistungen erbringen konnte. Diese Situation habe sich nach der Geburt des Sohnes verschärft; unter anderem sei den Eltern verboten worden, die Windeln des Kindes zu trocknen und es ausreichend zu versorgen. An der neuen Arbeitsstelle traten keine Konflikte mehr auf, und es wurde eine ausreichende Versorgung des Kindes ermöglicht.

    17.12.1943 
     Verfügung des Amtsbürgermeisters zu Harsewinkel der Verlegung eines sowjetischen Ehepaars zu einer anderen Arbeitsstelle