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Die Kinoreforbewegung im Kaiserreich

 
 
 
Gut ein dutzend Jahre nachdem 1895 die ersten öffentlichen Filmvorführungen in Paris und Berlin stattgefunden hatten, formierte sich in Deutschland ab 1907 in der so genannten Kinoreformbewegung erstmals weitreichender gesellschaftlicher Protest gegen das neue Medium. Dabei handelte es sich nicht um eine einheitliche Organisationform, sondern um Bestrebungen sehr unterschiedlicher Interessengruppen, die das gesamte Spektrum der bürgerlichen Öffentlichkeit abdeckten, von der Kirche über die Lehrer- und Ärzteschaft bis hin zur Justiz. Die Proteste bezogen sich in erster Linie auf Filme, die als moralisch "anstößig" empfunden wurden. Die Akteure kritisierten das niedrige Niveau vieler Filme, sorgten sich um die Konkurrenz für die Theater, forderten Kontroll- und Zensurmaßnahmen und diskutierten darüber hinaus Möglichkeiten, wie man den Film im Sinne der "Volksbildung" nutzen könne. Im Kern handelte es sich dabei um konservative und reaktionäre Bestrebungen.
 
 
 
Die Auseinandersetzungen um das Kino im Zeitraum vor dem Ersten Weltkrieg fanden vor dem Hintergrund grundlegender Wandlungsprozesse im Bereich der Filmwirtschaft statt und wurden durch diese zum Teil mit hervorgerufen. Mit dem Durchbruch und der Etablierung des langen Spielfilms um 1910 enstandt das Kino in seiner heutigen Form. Die aufkommenden "Filmdramen" verdrängten die bisherigen Ladenkinos, die varietéartige Kurzfilmprogramme zeigten. Der Strukturwandel im Verleihwesen, die Veränderung der Kinoprogrammstruktur und die Errichtung eigenständiger Lichtspieltheater sind Kennzeichen dieses Prozesses. Insbesondere die als Dramen bezeichneten Langfilme erschienen den Kinoreformern gefährlich. Seine Dynamik erhielt der Konflikt durch die Entstehung einer publizistischen Öffentlichkeit, die sich ausschließlich dem Film widmete. Die erste und in der Folgezeit wichtigste Zeitschrift war "Der Kinematograph", 1907 als Fachblatt der Filmbranche gegründet. Hier veröffentlichten zunächst auch prominente Kinoreformer Beiträge, jedoch kam es um 1912 zum Bruch mit der Kinoreformbewegung, die inzwischen über eigene Publikationsorgane verfügte.
 
 
 
Einer der Wortführer der Kinoreformbewegung war der evangelische Theologe und Hagener Gymnasialprofessor Adolf Sellmann. Vorrangiges Ziel Sellmanns, der zahlreiche Artikel und Schriften zum Thema Film verfaßte, war nicht die Beschränkung oder gar die Beseitigung des neuen Mediums, in dem er einen "Kulturfortschritt" erblickte, sondern dessen Reform. In Westfalen arbeitete er zu diesem Zweck mit der 1909 gegründeten Lichtbilderei GmbH in Mönchengladbach zusammen, einer der bedeutendsten kirchlichen Einrichtungen in der Frühzeit der Kinematographie, die vom "Volksverein für das katholische Deutschland" getragen wurde. Die Lichtbilderei gründete im März 1912 die Zeitschrift "Bild und Film", die bis zu ihrer Einstellung 1915 ein zentrales Organ der Kinoreformbewegung war. Sellmann besaß außerdem Kontakt zum Westfälischen Landgemeindetag, der sich 1912 gewissermaßen an die Spitze der Reformbewegung in Westfalen stellte und eine Kinokommission einsetzte.

Diejenigen zwischen 1912 und 1915 in der Zeitschrift "Film und Bild" erschienenen Beiträge, die sich mit Fragen der Kinoreform in Westfalen befassen, stehen hier im Volltext zur Verfügung.
 

Adolf Sellmann
 
 

 
 
Quellen
Adolf Sellmann und die Auseinandersetzung um das Kino

Neben seinem Hauptwerk "Der Kinematograph als Volkserzieher?" (2., vermehrte Auflage, Langensalza 1912), mit dem sich Sellmann im zeitgenössischen Streit um das Verhältnis von Kino und Theater zu Wort meldete, veröffentlichte er zahlreiche Artikel. In seinen Beiträgen in der Zeitschrift "Bild und Film" setzte er sich u.a. mit dem "Geheimnis des Kinos" im Vergleich zum Theater auseinander und bezog im "Kampf um den Kino" Position.

1912 
 Adolf Sellmann, Das Geheimnis des Kinos 
1913 
 Adolf Sellmann, Der Kampf um den Kino 
 
 
 


Berichte der Kinokommission des Westfälischen Landgemeindetages

Der Westfälische Provinzial-Landgemeindetag befasste sich auf seiner Jahrestagung am 5. Juni 1912 in Münster mit der Frage "Reform des Kinematographenwesens und Gemeinden". Angeregt durch einen Vortrag von Adolf Sellmann wurde eine Kommisson gewählt, die sich mit der Frage "Errichtung von Kinematographentheatern durch die Gemeinden und die Reform des Kinos" befassen sollte. Als Publikationsorgan bestimmte man die von der Lichtbilderei Mönchengladbach herausgegebene Zeitschrift "Bild und Film", in der in der Folgezeit Berichte über die Arbeit der Kommission veröffentlicht wurden.

1912 
 Bericht über die erste Sitzung der Kinokommission des Westfälsichen Landgemeindetages 
1912 
 Bericht über Entstehung, Zwecke und Ziele der Kinokommission des Westfälischen Landgemeindetages 
1912 
 Bericht über eine Besprechung der Kinokommssion des Westfälischen Landgemeindetages anläßlich der Eröffnungsfeier des Gemeindelichtspielhauses in Eickel 
1912 
 Bericht über die zweite Sitzung der Kinokommission des Westfälischen Landgemeindetages am 11.12.1912 in Dortmund 
1913 
 Bericht über den Instruktionskurs der Kinokommission des Westfälischen Landgemeindetages am 26.02.1913 in Eickel 
1914 
 Bericht über die dritte Sitzung der Kinokommission des Westfälischen Landgemeindetages am 07.01.1914 in Hagen 
 
 
 


Die Einrichtung kommunaler Kinos

Neben der vehementen Kritik des bestehenden Filmangebots, wie sie in Publikationen und Vorträgen zum Ausdruck kam, bemühten sich Teile der Kinoreformbewegung durch Filmarbeit um einen aktiven Beitrag zur Verbesserung der aus ihrer Sicht katastrophalen Situation. Adolf Sellmann wird zugeschrieben, in diesem Zusammenhang als einer der ersten die Idee eines gemeindeeigenen, kommunalen Kinos formuliert zu haben. Das erste Gemeindelichtspielhaus im Deutschen Reich wurde am 01.12.1912 in Eickel eröffnet. Bereits im August 1912 hatte sich in Hagen ein Arbeitsausschuss unter dem Vorsitz Sellmanns gebildet, der die Errichtung eines Reformkinos vorbereitete. Das Hagener Kino war ab Anfang Januar 1913 täglich geöffnet.

1912 
 Adolf Sellmann, Kino und Stadtverwaltungen 
1912 
 Das erste Gemeindekino im Ruhrkohlenbezirk in Eickel 
1912 
 Errichtung eines Reformkinos in Hagen 
1912 
 Das Reformkino in Hagen 
1912 
 Adolf Sellmann, Beschaffung von Kinematographen durch die Landgemeinden 
 
 
 

 
 
Literatur
Grabe, Wilhelm
Vergiftung des gesunden Volksgeistes? Die Anfänge des Kinos in Warendorf. In: Westfälische Zeitschrift 148, 1998, S. 199-222.

Hofmann, Paul
Auf der Suche nach den Anfängen der Kinematographie im rheinisch-westfälischen Industriegebiet. In: Lisa Kosok / Mathilde Jamin (Hg.), Viel Vergnügen. Öffentliche Lustbarkeiten im Ruhrgebiet der Jahrhundertwende, Essen 1992, S. 218-257.

Rose, Olaf
Erregende Bilder. Adolf Sellmann und die Kinoreformbewegung in Hagen vor dem 1. Weltkrieg. In: Hagener Impuls, 1994, S. 32-36.

Schulze, Volker
Frühe kommunale Kinos und die Kinoreformbewegung in Deutschland bis zum Ende des ersten Weltkriegs. In: Publizistik 22, 1977, S. 61-71.