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Marcus Weidner

Das "Bucharchiv Frhr. vom Stein"
im Historischen Centrum Hagen

 
 
 
Das "Bucharchiv Frhr. vom Stein" im Historischen Centrum Hagen, ein Zusammenschluss von Stadtarchiv und Stadtmuseum, ist eine Überraschung. Auf rund 17 Regalmetern hat der frühere Hagener Stadtarchivleiter Walter K[arl] B[oguslaw] Holz (1908-1993) schätzungsweise über 1.000 Titel zum Thema 'Freiherr vom Stein' zusammengetragen - die wohl umfangreichste Literatursammlung zur Person überhaupt. Holz - weder Archivar noch Historiker, sondern ausgebildeter Vermessungstechniker - kam während der NS-Zeit vermutlich über den Auftrag, eine stadtgeschichtliche Dokumentation zu erstellen, in engen beruflichen Kontakt mit der Hagener Stadtgeschichte, und 1949 übernahm er die Leitung des dortigen Stadtarchivs. Nur ein kleiner Beitrag, den er in seiner umstrittenen Publikation "Orthodoxes Archivdenken oder Geschichtsämter, dargestellt am Beispiel Hagen (und Westfalen)" (S. 51-53) im Kommissionsverlag v. d. Linnepe rund sechs Jahre nach seinem Ausscheiden 1979 veröffentlichte, informiert über dieses ehrgeizige, jedoch zum Zeitpunkt der Drucklegung bereits 20 Jahre ad acta gelegte Projekt. In den Verwaltungsakten des Archivs fanden sich leider keine Anhaltspunkte auf weiteres Schriftgut zum Bucharchiv.

Im Umkreis des Stein-Jubiläums von 1957 begann Holz mit seiner Erwerbstätigkeit. In  Musterschreiben bat er um Unterstützung. Das Stadtarchiv Hagen, so heißt es in einem seiner Schreiben, bemühe "sich sehr um den Aufbau eines möglichst lückenlosen Bestandes an gedrucktem Geschichtsgut über den Freiherrn vom Stein". Grund sei nicht nur die Tatsache, dass Stein "etwa 9 Jahre im Hagener Raum gelebt und gewirkt habe"; diese Materialsammlung habe "für geschichtsinteressierte Kreise besonderes deshalb ihren Wert, [...], weil hierbei Orts- und Provinzgeschichte sich in besonderer Weise mit der Reichsgeschichte verbinden". Seine Sammlungstätigkeit bestand v. a. darin, Autoren, Verlage oder andere Einrichtungen um Überlassung von Stein-Titeln zu bitten - als Geschenk, im Tausch oder als Ausleihe, um Kopien herzustellen. Sollte das gewünschte Buch nicht vorhanden sein, bat er um Hinweise, wo es zu bekommen sei. Daneben müssen auch Ankäufe aus dem Antiquariats- und Buchhandel erfolgt sein. Im Fokus standen selbst Neuauflagen oder -ausgaben. Kennzeichen seiner "Erwerbungsstrategie" war es, die Angeschriebenen in seinen Vordrucken oder individuellen Einzelbriefen subtil unter Druck zu setzen und sie zur Ablieferung zu bewegen, indem er stets vorgab, dass der "Katalog" bald erscheinen würde.

Pünktlich zum Stein-Jubiläum 1957 konnten im Rahmen der Hagener Stein-Ausstellung im Souterrain des Ernst-Osthaus-Museums erste Bücher als Exponate gezeigt werden; diese sind noch heute über die später in das Buch eingelegten Exponatkarten erkennbar. Holz' Sammlungsinteresse hatte keine Schwerpunktsetzung, sondern bezog alle Druck- oder Maschinenschriften ein. Neben Zeitschriftenaufsätzen oder Büchern umfasste es auch - heute z. T. seltene - Manuskripte etwa von Staatsarbeiten, Dissertationen oder Hörfunkskripten. Auch die verschiedenen Auflagen eines Titels versuchte er für die Sammlung zu erwerben. Daneben dokumentierte er die großen Stein-Jubiläen 1931 und 1957 anhand von originalen oder abfotografierten Zeitungsausschnitten.
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Signaturschild des "Bucharchivs"


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Stehordner


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Holz bei der Auswahl von Titeln für die Stein-Ausstellung 1957
 
 
Soweit er "gedrucktes Schriftgut" auftreiben konnte, wurde dieses zumeist vom Buchbinder gebunden und im Stadtarchiv in rote Stehordner mit Goldschrift gelegt. Bei Büchern schien dieses Ablageverfahren nicht immer praktikabel, sodass es auch einen Buchbestand außerhalb der Ordner anlegte. Bei Zeitschriftenaufsätzen wurde immer auch das Inhaltsverzeichnis der Gesamtausgabe angefordert und der entsprechende Stein-Titel unterstrichen. War keines vorhanden, wurden an die betreffende Stelle zumeist Zettel eingelegt - ein heute nicht ganz unproblematisches Verfahren, da diese die Buchseiten z. T. angegriffen haben.

Die Ordnung wurde grob durch das formale Kriterium der Titelgröße vorgegeben, und in einigen Fällen ist erkennbar, dass innerhalb der drei vorhandenen Größen Titel auch systematisch abgelegt worden sind, das meiste Material jedoch ist ungeordnet. Die Erfassung wurde über eine alphabetische und eine systematische Kartei mehr recht als schlecht abgewickelt. Nach Auskunft Holz' seien die Bestände mit finanzieller Unterstützung der Freiherr-vom-Stein-Gesellschaft "durch eine in der Ausbildung befindliche Bibliothekarin" verzeichnet worden. Ein "Buchkatalog", zentraler Aspekt des Vorhabens, der sich laut Bittschreiben "in Druckvorbereitung" befände und in Kürze erscheinen solle, kam jedoch ebenso wenig zustande wie ein Liste mit der wichtigsten Literatur. Im Vordergrund stand offenbar das Sammeln, nicht jedoch das Erschließen des Materials. Dieser Eindruck drängt sich auch bei der näheren Betrachtung des "Sammlungsguts" auf. Eine Trennung beispielsweise der Zeitungsausschnitte von Druckwerken erfolgte nicht, und selbst Münzen, Briefmarken, Plakate und Schriftwechsel beließ Holz bei den Büchern, ebenso wie die Korrespondenz mit den Lieferanten, die er in die Buchrücken klebte oder an die Katalogkarten heftete. Selbst der Stein betreffende Nachlass des Archivars und Historikers Max Lehmann (1845-1929), den ihm die Witwe übergeben hatte, fand kurzerhand Eingang in die Sammlung [z. B. Mappen 7074a, 7973a].

Offenbar verlor Holz schon bald das Interesse an der Weiterführung des Bucharchivs, d. h. an der weiteren Sammlung, Erfassung und Systematisierung der Titel - vielleicht auch den Überblick. Gründe mögen im Abebben des Interesses an Stein nach dem großen Jubiläum von 1957 gelegen haben, vielleicht auch in der fehlenden Beherrschbarkeit oder den Kosten, die etwa für die Bindung oder Beschaffung der Titel anfielen. Vermutlich ist der Grund für das nachlassende Interesse auch in der Person Holz zu suchen, die nicht nur einmal in "großen Projekten" aufging. Im November 1959, also unmittelbar nach den - soweit erkennbar - letzten Erwerbungen für das Stein-Archiv, legte Holz in der Zeit des "Sputnik-Schocks" die Idee eines in das Stadtgebiet integrierten, begehbaren Modells des Planetensystems vor, und ab 1962 begann er mit dem Aufbau des "Westfälischen Musikarchivs" (WMA) und eines
"Westfälischen Literaturarchivs".

Derartige Projekte waren für Holz geradezu Unterscheidungsmerkmale eines modernen, innovativen Archivs - eines "Geschichtsamts" - von "orthodoxen" Einrichtungen, die in einem "orthodoxen Archivdenken" verharrten. In seiner genannten Eigenpublikation von 1979 verschweigt er denn auch nicht mit einer gewissen Verbitterung und Rechtfertigungsabsicht die unvermeidliche Kritik von außen, so die "stetige Hintergrundarbeit" eines dann doch nicht genannten "Archivpotentaten", der die Stein-Sammlung besser bei einer regionalen Bibliothek, nicht jedoch einem Stadtarchiv aufgehoben wüsste und die hohen Kosten beklagte, die gegenüber der Bürgerschaft kaum zu vertreten gewesen seien.

Alle diese neuen, für ein Stadtarchiv mehr als untypischen Aufgaben beanspruchten offenbar die weitere Arbeitskraft und das Interesse von Holz derart, dass das Stein-Projekt eingestellt wurde. Wenngleich das "Stein-Bucharchiv" bis heute nur als unsystematischer, ungeordneter und deshalb kritisch zu hinterfragender Torso überliefert ist, so hat die akribische Sammlungstätigkeit Holz' doch zu einem Buchbestand der Stein-Literatur bis Ende der 1950er Jahre zusammengeführt, der in seinem Umfang und seiner Qualität einzigartig ist.