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1806-1807


5. Leitender Staatsmann in Preußen

 
 
Der außenpolitische Bedingungsrahmen hatte sich für Preußen nach Jena und Auerstedt entscheidend verschlechtert. Der  Friedensvertrag von Tilsit (07.07./09.07.1807) bescherte Preußen hohe Gebietsverluste und Kontributionen. Der Imperator wollte die Hohenzollernmonarchie außenpolitisch in sein System einbinden, jedoch nicht beseitigen. Von Berlin aus hatte er bereits am 21.11.1806 die Kontinentalsperre gegen England verfügt. Preußen degradierte er zu einer Mittelmacht und beschnitt sein Territorium auf das Gebiet östlich der Elbe. 300.000 Quadratkilometer und über neun Millionen Einwohner besaß Preußen vor dem Zusammenbruch, danach von beiden nur noch rund die Hälfte.

In dieser prekären Situation wurde Karl vom Stein am 04.10.1807 in die Regierung zurückgerufen. Frankreich bestrafte den unbesonnenen, waghalsigen Kriegsgegner mit großer Härte. Kontribution und Okkupation dienten Napoleon als Instrumente der Knebelung des Verlierers. In der Königsberger Konvention vom 12.07.1807 wurde der Truppenabzug von der Bezahlung einer Kontributionen abhängig gemacht, doch deren Höhe blieb über ein Jahr lang, bis zum Pariser Vertrag vom 08.09.1808, unbestimmt. Der Vertrag verpflichtete zur Zahlung von 140 Millionen Franken; die Summe wurde auf dem Erfurter Fürstentag (27.09. bis 14.10.1808) um 20 Millionen verringert. Das Land sollte nur dann von Truppenbesetzungen verschont bleiben, wenn die vereinbarten Ratenzahlungen pünktlich geleistet wurden. An der tatsächlichen Räumung des Landes war Frankreich aber keineswegs interessiert.

Napoleon setzte sich für die Berufung Steins ein, weil er in ihm irrtümlicherweise einen französischen Parteigänger vermutete. Hardenberg und die Reformpartei bemühten sich gleichfalls, den Freiherrn für die Staatsführung zu gewinnen. In der gedrückten Lage und Stimmung bedurfte die Regierung einer willens- und charakterstarken Persönlichkeit. Stein stellte Bedingungen für einen Wiedereintritt in das Ministerium: die Abschaffung der Regierung aus dem Kabinett, bei der Sekretäre die Verbindung zwischen dem Monarchen und den obersten Staatsbehörden herstellten. Das unmittelbare Vortragsrecht beim König wollte er sich nicht nehmen lassen. Statt einer kollegialen Regierungsführung, wie sie ihm eigentlich vorschwebte, übernahm er jedoch die Stellung eines leitenden Ministers, von der sich die Reformpartei mehr Effizienz versprach. Die Leitung bezog sich primär auf die Zivilverwaltung, in den übrigen Ressorts bestanden Kontrollbefugnisse. Überschwänglich begrüßten die Freunde und Anhänger, die er in Berlin immer noch besaß, seine Ernennung, allen voran der Historiker und Reformpolitiker Barthold Georg Niebuhr (1776-1831) sowie die ihn schon seit Jahren verehrende Karoline von Berg (1760-1826), eine Freundin der Königin Luise (1776-1810); seine Feinde hüllten sich in Schweigen. Vom 04.10.1807 bis 24.11.1808 leitete Stein die preußische Politik. In diesen 14 Monaten wurden langfristig bedeutsame Reformgesetze verabschiedet bzw. vorbereitet, die allerdings in der Bürokratie und der Öffentlichkeit schon länger diskutiert worden waren.

Im Vordergrund stand jedoch die Bewältigung aktueller politischer Probleme. Die Unterhaltung der Besatzungsarmee griff die Ressourcen des Landes aufs äußerste an:
"Drey französische ArmeeCorps, unter ebenso vielen Marschällen, saugten alle Kräfte des Landes zwischen Weichsel und Elbe, durch Einquartierungen, Requisitionen, Tafelgelder aus, am rohsten war das Betragen der Truppen des Rheinbundes."

Die Staatseinnahmen versiegten, da Steuern und Abgaben von den Franzosen direkt einbehalten wurden. Zahlungen an Pensionäre, Invaliden, Arme, Beamte und Geistliche konnten nur erfolgen, wenn der Generalintendant der französischen Armee, Pierre Antoine Comte de Daru (1767-1829), etwas für sie abzweigte. Die gesamte Verwaltung stand unter seiner Aufsicht. Napoleons Ziel war nicht Versöhnung, sondern ein Pfand der Unterwerfung und Unterordnung.

Während viele Preußen resignierten, betrieb der Freiherr vom Stein eine Politik zwischen Anpassung und geheimem Widerstand. Um den Reststaat vom Druck der Okkupation und der fremden Verwaltung zu befreien, beendete er die Diskussion über die Höhe der Kriegsschuld. Offen blieben Termin und Modalitäten der Zahlung, und darüber wurde weiter gefeilscht. Es ging um die Höhe der Barzahlung, um Betrag und Laufdauer der Wechsel sowie die Abtretung von Domänen. Napoleon wollte binnen Jahresfrist 100 Millionen Franken herauspressen, während die Regierung diese Summe auf zehn Jahre zu verteilen wünschte. Der leitende Minister betrieb eine rigorose Sparpolitik. Der für die Verpflegung bestimmte Militäretat wurde um 70 % gekürzt, was zu einer Entlastung von fast zwei Millionen Talern jährlich führte. Die erzwungene Demobilisierung erleichterte die Ausgabenminderung. Alle Staatsdiener, Zivilbeamte wie Offiziere, und auch der Hofstaat mussten Kürzungen hinnehmen.
Königreich Preußen:  "Friedens-Traktat mit Frankreich" (sog. "Tilsiter Frieden")


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Reiterbildnis Napoleon Bonapartes (1769-1821), um 1800


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Treffen der drei Monarchen Napoleon I., Alexander I. und Friedrich Wilhelm III. bei Tilsit, um 1808


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Die Herrscher der Dynastie Bonaparte: Brustbilder von Napoleon I., Joseph Napoleon, Louis Napoleon, Joachim Murat, Jérôme Napoleon, Eugène Beauharnais), um 1810


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Gruppenbildnis von Napoleon Bonaparte und den von ihm eingesetzten Königen mit ihren Frauen, 1809
 
 
Das Angebot der Königin Luise, einen Bittgang nach Paris auf sich zu nehmen, lehnte Stein ab. Einverstanden war er hingegen damit, den vierundzwanzigjährigen Prinzen Wilhelm (1783-1851), einen Bruder König Friedrich Wilhelms III., in die französische Metropole zu entsenden, um den Imperator zu einem Entgegenkommen zu bewegen. Der Prinz sollte die Bereitschaft Preußens bekunden, ein Truppenkorps von 30.000 bis 40.000 Mann Napoleon zur freien Verfügung zu stellen. Als Gegenleistungen wurden die Senkung der Kontribution und die Beendigung der Okkupation erwartet. Die Mission des Prinzen scheiterte. Stein musste sich um Kredite bemühen und ließ Pfandbriefe auf Domänen, Kronjuwelen und ein goldenes Tafelservice Friedrichs II. (1712-1786, reg. ab 1740) ausstellen. Landstände und Kaufleute übernahmen Bürgschaften.

Die kurzfristigen Bemühungen zur Krisenbewältigung waren begleitet von Strukturreformen im Agrarbereich, im Kommunalwesen und in der Staatsorganisation. In dieser Verknüpfung lag die große staatsmännische Leistung des Freiherrn vom Stein. Seine Bedeutung für die Preußischen Reformen sollte jedoch nicht überschätzt werden. Vielfältige Reformbestrebungen existierten unabhängig von seiner Person und hatten eigenständige Wurzeln. Eine ganze Beamtengeneration stand unter dem Einfluss der Koryphäen der Königsberger Universität, von Immanuel Kant (1724-1804) und Christian Jakob Kraus (1753-1807).
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Bildnis von Friederike Luise von Preußen, geb. von Mecklenburg-Strelitz (Hannover 10.03.1776-Hohenzieritz/Neustrelitz 19.07.1810), Ehefrau des preußischen Königs, um 1806/1810
 
 

5.2 Die Bauernbefreiung

 
 
 
Im agrarischen Bereich stand die Bauernbefreiung auf der Tagesordnung. Aus Gutsuntertanen sollten Staatsbürger und aus Lehnsgütern, die mit Frondiensten, Zinsen und Abgaben belastet waren, sollte persönliches Eigentum werden. Im  "Oktoberedikt", das tief in die überlieferte Sozialstruktur der ländlichen Welt eingriff, wurde im Namen des Königs verkündet "Nach dem Martinitage 1810 gibt es nur freie Leute, so wie solches auf den Domänen in allen Unsern Provinzen schon der Fall ist." Das Edikt gilt mit Recht als eine der wichtigsten Verordnungen der preußischen Reformzeit zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Erst fünf Tage vor der Unterzeichnung war Stein als leitender Minister in die Regierung zurückgekehrt. Die Materie war ihm altvertraut. Als Oberpräsident hatte er in Westfalen die Befreiung der Domänenbauern durchgeführt. Auf die Reformen im Westen folgte, noch vor den militärischen Niederlagen bei Jena und Auerstedt, die Befreiung von über 50.000 "spannfähigen" Domänenbauern ("spannfähige" Bauern betrieben die Landwirtschaft im Haupterwerb) von den Frondiensten und aus dem Erbuntertänigkeitsverhältnis. Zahlreiche Bauern erhielten ein erbliches Besitzrecht.

Mit dem Oktoberedikt erreichten die Reformen auch die Gutsuntertanen, die bisher aus Rücksichtnahme auf den Adel ausgespart geblieben waren. Als Stein am 04.10.1807 ins Ministerium zurückkehrte, war die Diskussion über die Bauernbefreiung bis zur Entscheidungsreife gediehen. Er entschied sich für den Entwurf Theodor von Schöns (1773-1856), des späteren Oberpräsidenten der Provinz Ostpreußen, der gegen die restlose Aufhebung des Bauernschutzes war. Auf der Gegenseite stand der Provinzialminister Friedrich Leopold Reichsfreiherr von Schroetter (1743-1815), der die Gefahr eines Bauernlegens gering einschätzte und deshalb für die völlige Liberalisierung von Grund und Boden eintrat. Karl vom Stein verzichtete darauf, die Einwilligung der Stände zum Edikt einzuholen. Er dehnte dessen Geltungsbereich auf alle nach dem Krieg gegen Napoleon noch verbliebenen Provinzen der Monarchie aus. Ursprünglich war das Edikt auf die Verhältnisse in den Provinzen Ost- und Westpreußen zugeschnitten.

Das Oktoberedikt ist in seinen sozialen und ökonomischen Folgen ambivalent zu beurteilen. Auf der einen Seite steht die Auflösung der feudalen Gesellschaftsordnung durch die allgemeine Gewährung von Freiheitsrechten nach englischem und französischem Vorbild, auf der anderen Seite eine Besitzumschichtung großen Ausmaßes zugunsten der adeligen Großgrundbesitzer, der Junker. Unter Stein kam die Eigentumsverleihung an die Privatbauern nicht mehr zustande. Die von Hardenberg verabschiedeten Edikte zu dieser Materie begünstigten den Adel, dem anders als den Bauern Kapital und Kredite zur Verfügung standen. Nach dem Regulierungsedikt von 1816 musste das gutsherrliche Obereigentum (je nach der Qualität der Besitzrechte) in den östlichen Provinzen mit einem Drittel oder gar mit mehr als der Hälfte des Grund und Bodens abgelöst werden. Mehrere Millionen Morgen Land fielen an die Gutsherren. In den westlichen Provinzen setzte sich das Modell der Kapitalabfindungen durch. Stein wollte zwar keinen Schutz um jeden Preis, vielmehr lebens- und leistungsfähige Großbetriebe, doch er hatte gehofft, dass sich die Bauern im freien Spiel der Wirtschaftskräfte besser behaupteten.

Der Akzent des Edikts lag mehr auf dem Freiheits- als auf dem Gleichheitsgedanken. Ständische Schranken wurden aufgehoben, eine freie Berufswahl war möglich, doch adelige Vorzugsrechte blieben noch lange erhalten. Zwar entfiel eine gänzliche Befreiung von der Grundsteuer, doch ein günstigerer Steuersatz ließ sich noch bis 1861 halten. Bis 1848 existierte das Jagdrecht auf Bauernland, und die gutsherrliche Polizeigewalt wurde im preußischen Kernland erst 1872 abgeschafft. Das Oktoberedikt beseitigte dort auch noch nicht die Patrimonialgerichtsbarkeit. Zwar übte der Gutsherr nicht selbst die niedere Gerichtsbarkeit aus, doch er berief den Richter. In den Provinzen Rheinland und Westfalen liefen die Uhren aufgrund der französischen Interimsherrschaft aber anders. Mit den Folgen der Preußischen Reformen hatte Stein auch in seiner westfälischen Wahlheimat zu tun, aber auch mit denen der französisch-rheinbündischen Zeit.
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Sonderbriefmarke der Deutschen Post der DDR mit dem Porträt des Freiherrn vom Stein in der Reihe "Deutsche Patrioten", 1953


Königreich Preußen:  "Edikt den erleichterten Besitz und den freien Gebrauch des Grundeigentums sowie die persönlichen Verhältnisse der Landbewohner betreffend", 09.10.1807
 
 

5.3 Die Städteordnung

 
 
 
Die Nassauer Denkschrift wollte "Gemeingeist und Bürgersinn" auf allen politischen Ebenen erzeugen, angefangen von der Gemeinde bis hin zum gesamten Staat. Die Verwirklichung der Selbstverwaltungsidee gelang Stein aber nirgendwo mehr als in der  Städteordnung, die am 19.11.1808 verabschiedet wurde. Sie gilt als Realisierung der Idee, "Staat und Gesellschaft, Staat und Nation zu verbinden, das Gemeinwesen auf bürgerliche Freiheit zu gründen" (Thomas Nipperdey). Der Nachhall dieser Reform reicht bis in die Gegenwart: Ein Porträt des Freiherrn vom Stein auf Gebührenmarken von Gemeinden und Gemeindeverbänden, die bis heute noch vereinzelt im Gebrauch sind, stellt eine bemerkenswerte Reverenz dar. In Süddeutschland besaß die Städteordnung seit 1818 Vorbildcharakter.

Die Selbstverwaltungsidee wurzelte in Steins altständischem Misstrauen gegen den zentralistischen Staat und die Herrschaft der Bürokratie. Hinzu kam das nationalpädagogische Motiv, die Bürger in den Staat zu integrieren und sie für öffentliche Angelegenheiten zu aktivieren. Bei der Umsetzung seines Konzepts unterstützten ihn engagierte und sachkundige Mitarbeiter wie der Königsberger Polizeidirektor Johann Gottfried Frey (1762-1831), dessen Gutachten den Gesetzestext inhaltlich maßgeblich prägten.

Das Wahlrecht der Bürgerschaft war nicht mehr nach Geburtsständen unterschieden, jedoch an die Dauer der Ansässigkeit, an Vermögenswerte, den Besitz von Grund und Boden, gebunden. Ein modernes Verfassungselement lag im Prinzip der Gewaltenteilung. Stadtverordnetenversammlung und der gewählte Magistrat standen sich als Legislative und Exekutive gegenüber. Besoldete Magistratsmitglieder wurden für zwölf, unbesoldete für sechs Jahre gewählt. Erstere musste die Regierung bestätigen. Der Magistrat wurde nach dem Vorbild westeuropäischer Verfassungen den Ratsmitgliedern untergeordnet. Ihm oblag die Handhabung der Polizeigewalt. Das Budgetrecht besaßen ausschließlich die Stadtverordneten. Das war ein Gegenmodell zu dem in der Zeit weit verbreiteten bürokratischen Absolutismus, auch zu dem Zentralismus französischer Prägung, der in den Rheinbundstaaten Fuß fasste und dem "maire", dem Bürgermeister, eine dominante Stellung gegenüber dem Rat einräumte.

Die Kommunalverfassung des platten Landes konnte Stein noch nicht reformieren; die Dörfer blieben unter gutsherrlicher Aufsicht, da die aristokratische Opposition noch zu stark war. Erfolglos blieb er mit seiner Idee einer ständischen Mitwirkung und nationalen Repräsentation schließlich auch auf Provinzial- und Gesamtstaatsebene. Erstere kam aber in den 1820er Jahren, letztere 1848 zustande.
 
 

5.4 Die Staatsreform

 
 
 
Auf die Neuordnung des Staatsapparats legte Karl vom Stein großes Gewicht. Dazu gehörte die Auflösung des Generaldirektoriums, dessen Aufgaben auf die Minister des Innern, der Finanzen und des Militärwesens übergingen. Das Neben- und Gegeneinander von Provinzial- und Sachressorts entfiel damit. Die zahlreichen Nebenbehörden, die nur dem Monarchen direkt unterstellt waren, verschwanden. Anerkenntes Vorbild für die Bildung eines modernen Kabinetts aus Fachministern mit klar abgegrenzten Kompetenzen und Verantwortlichkeiten war die französische Verfassung von 1791. Im Unterschied zu Hardenberg wollte Stein die Stellung eines leitenden Ministers durch einen kollegial organisierten Staatsrat ersetzen. Der Organisationsplan war gerade unterschriftsreif, da wurde Stein aufgrund eines von der französischen Spionage abgefangenen Briefs, der seine Widerstandspläne offenbarte, entlassen - der Entwurf blieb unausgeführt. Hardenberg gab dem Kanzlersystem den Vorzug und wies dem Staatsrat lediglich eine beratende gutachterliche Funktion zu. Zur Kabinettsregierung kehrte aber auch er nicht zurück.

Unter Stein wurden für die mittlere Verwaltungsebene die Institutionen des Oberpräsidenten und der "Regierungen" (früher der Name für die Justizbehörden auf Provinzebene) konzipiert. Die alten Kriegs- und Domänenkammern wurden zu modern organisierten Regierungen, die kollegial arbeiteten. Stein sah auch für diese eine ständische Mitwirkung vor, doch zu einer solchen ist es in der Folgezeit - bis heute - nicht gekommen.

Hardenberg fand, als er nach einer kurzen Übergangszeit die Leitung der preußischen Politik übernahm, einen im Gang befindlichen Reformprozess vor. Er besaß die Chance einer längeren politischen Wirksamkeit. Steins Werk setzte er nur teilweise fort, im übrigen gab er den Reformen eine eigene, vom Ständeideal des Vorgängers abweichende bürokratisch-etatistische Richtung. Mit seinen Verfassungsplänen (Kreisordnung, Nationalrepräsentation) scheiterte Hardenberg, als der napoleonische Druck nachließ und die Kräfte der Reaktion im Zeichen der Restauration die Oberhand gewannen.
 
 
 

5.5 Resistenz, Entlassung, Ächtung

 
 
 
Nach der preußischen Niederlage in der Doppelschlacht von Jena und Auerstedt machte es sich Freiherr vom Stein zur Aufgabe, gegen die in der Bevölkerung weit verbreitete niedergeschlagene und verzweifelte Stimmung anzugehen und mit der Siegermacht um eine Senkung der Kriegslasten zu ringen. Unerträglich fand er allein schon die bloße Tatsache der Besatzung. Eine Armee von 150.000 Mann und 50.000 Pferden musste erduldet und unterhalten werden. In dieser prekären Situation wuchs nicht nur bei Stein der Gedanke an Widerstand. Patriotische Geheimbünde breiteten sich aus. Als sich das spanische Volk gegen Joseph, den 1808, nach der Entthronung der bourbonischen Monarchie, zum König erhobenen Bruder Napoleons, erhob, hoffte der preußische Staatsmann auf den Ausbruch eines europäischen Krieges. Die Spanier führten, unterstützt von England, einen Partisanenkrieg gegen die Besatzungstruppen. Die Franzosen erlitten, auch durch die reguläre spanische Armee, schwere Verluste, bevor Napoleon Ende 1808 wieder Ruhe herstellen konnte. Gerüchte über die Volkserhebung auf der iberischen Halbinsel verbreiteten sich rasch über ganz Europa. In der Erwartung eines neuen Krieges rüstete Österreich auf.

Im Juli 1808 schlug Steins politische Taktik um. An die Stelle einer Politik des friedlichen Ausgleichs mit Frankreich rückte jetzt das Ziel in den Vordergrund, an der Seite Österreichs für Deutschlands Unabhängigkeit in den Krieg zu ziehen. England sollte Geld, Waffen und Munition liefern, eventuell mit Truppen zwischen Ems und Elbe landen und eine Volkserhebung in Westfalen, auf das der ehemalige Oberkammerpräsident große Hoffnungen setzte, unterstützen. Der Minister entwickelte diese Gedanken in vertrautem Kontakt mit den Generälen Gerhard von Scharnhorst (1755-1813) und August Graf Neidhardt von Gneisenau (1760-1831). König Friedrich Wilhelm III. war jedoch nicht bereit, Thron und Staat aufs Spiel zu setzen. Entscheidend für die Vorsicht war die Haltung des Zaren, der die Teilnahme an einem Krieg gegen Frankreich zu diesem Zeitpunkt ablehnte. Ein Kampf mit Österreich allein erschien ihm aussichtslos.

Ein patriotisches Geheimbundwesen breitete sich aus, am bekanntesten war der zeitweise offiziell - auch von Stein - gebilligte, in Königsberg gegründete "Tugendbund". Die französische und österreichische Polizeispionage überschätzte die Bedeutung der Organisation, die maximal 700 Mitglieder besaß und Ende 1809 vom preußischen König förmlich aufgehoben wurde.
 
 
 
Im Kontext der gärenden Stimmung des Widerstandes verfasste Stein einen Brief an den Fürsten Wilhelm Georg zu Sayn-Wittgenstein-Hohenstein (15.08.1808), der seine Gegnerschaft gegen die Besatzungsmacht erkennen ließ. Dieser fiel in die Hände der feindlichen Spionage und machte das riskante Doppelspiel des leitenden Ministers zwischen Erfüllungspolitik und Widerstand offenkundig. Schon am 06.09.1808, wenige Tage nach der Aufdeckung von Steins feindlicher Gesinnung, befahl der Imperator seinem Bruder, König Jérôme von Westphalen, die nassauischen Güter des preußischen Ministers beschlagnahmen zu lassen.

Friedrich Wilhelm III. von Preußen ging sogleich auf Distanz zu Stein. Bedingungslos und ohne ihn zu konsultieren, ratifizierte der Monarch den Pariser Vertrag vom 08.09.1808, der die Kontributionen festlegte. Stein hingegen ließ sich auch jetzt nicht in seinen Erhebungs- und Kriegsplänen beirren. Pro und Contra wurde in der Presse über ihn und seine Politik diskutiert, zum Leidwesen des Ruhe suchenden Hofs. Schließlich galt Karl vom Stein dem Monarchen und seinen engsten Beratern als unhaltbar. Der wohlwollende Tenor des Entlassungsschreibens verdeckt, wie gravierend die Differenzen in Wirklichkeit waren. Der Form nach handelt es sich in der Kabinettsorder an Stein vom 24.11.1808 um den willfährigen Bescheid auf ein Entlassungsgesuch. Dass die Entlassung unumgänglich geworden war, bringt das Schreiben gleichwohl zum Ausdruck. Durch die Einhaltung der Formen erhielt das Ausscheiden des Ministers den Anschein eines ehrenhaften Abgangs. Der Monarch bedauert die Trennung, bedankt sich für die geleisteten Dienste und sichert die Zahlung des Ministergehalts noch für ein weiteres Jahr zu.

Stein hatte nach der Entlassung gehofft, sich in ein ruhiges Privatleben zurückziehen zu können, doch Napoleon sah in ihm einen gefährlichen Unruhestifter und Feind. Von Spanien aus erließ er am 16.12.1808 ein Ächtungsdekret, von dem der Freiherr am 05.01.1809 Kenntnis erhielt. Die französische Diplomatie vollzog nicht die angeordnete Verhaftung, sondern ermöglichte Stein die Flucht nach Böhmen. Innerhalb von zwei Monaten war, bezeichnend für die gefahrvolle Zeit, aus dem leitenden Minister ein Flüchtling geworden, der seines Lebens nicht mehr sicher sein konnte. Ohne Amt und Würden und als bedrohter Flüchtling auf eine Zuschauerrolle zurückgedrängt, wurde Steins Wunsch umso größer, den Kontinent von der napoleonischen Hegemonie befreit zu sehen.
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Jérôme Bonaparte, König von Westphalen (1784-1860), 1810