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Schriftlichkeit und Bildungsinstitutionen im Mittelalter (Stiftsschulen, Klosterkultur)


 
 
 
Die christliche Kirche war die einzige, den Zusammenbruch des römischen Reiches überdauernde Institution im europäischen Raum. Als solche bewahrte und tradierte sie Schriftkenntnisse und antikes Wissen.

In Westfalen breitete sich der christliche Glauben unter karolingischer Herrschaft aus. Karl der Große gründete im Kampf gegen die Sachsen und zur christlichen Missionierung der Besiegten um 790 die Bistümer Münster und Paderborn.[1]

Vermutlich bereits zu dieser Zeit entstanden an den Bischofssitzen in Münster, Paderborn und Minden Domschulen[2] und – in Corvey und Herford – die ersten Klosterschulen.[3] Erst im 12. und 13. Jahrhundert sind weitere Schulen in den Klöstern Wedinghausen (Arnsberg), Marsberg und in den Damenstiften Freckenhorst (bei Warendorf) und Neuenheerse (Bad Driburg, Paderborn) nachweisbar.[4] Zusätzlich zu den Domschulen entstanden zu dieser Zeit auch in Münster, Paderborn und Minden an den Kollegiatsstiften Stiftsschulen, ebenso in Soest und weiteren Orten wie Beckum, Bielefeld, Dülmen, Hameln, Höxter, Horstmar und Wiedenbrück. In den von Benediktinern, Prämonstratensern und Augustinern geführten Klosterschulen, sowie den Dom- und Stiftsschulen erhielt der Klerikernachwuchs eine für den Fortbestand der kirchlichen Strukturen (v.a. der Verwaltung der kirchlichen Territorien) angemessene Ausbildung.[5] Auch der Adel griff bei Verwaltungsaufgaben (Verträgen) auf die Kenntnisse der Kleriker zurück. Wissen und Bildung galten im Mittelalter primär als Heilsgut; Wissenssuche und -vermittlung dienten dem Seelenheil. Entsprechend kam die Gründung von Schulen und Universitäten vor allem dem Seelenheil der Stifter zugute und wurde weniger aufgrund nützlicher Gesichtspunkte vorgenommen.[6]

Mit dem Aufblühen der Städte seit dem 13. Jahrhundert begannen sich die Bildungsziele unter dem Einfluss der Bedürfnisse der Bürger zu verändern. Stadt- und Ratsschulen entstanden, so u.a. 1248 in Brilon, 1250 in Hamm, 1268 in Dortmund (Reinoldikirche), 1272 in Menden, 1280 in Dortmund (Nicolaikirche), 1295 in Unna, 1322 in Rüthen, 1323 in Dülmen, 1329 in Warendorf, 1345 in Ibbenbüren, 1360 in Bocholt, 1404 in Dortmund (Marienkirche), 1418 in Kamen, 1429 in Recklinghausen und 1459 in Blomberg.[7] Der Unterricht diente nicht mehr ausschließlich der Vorbereitung auf die kirchliche Laufbahn, sondern vermittelte eine allgemeine, auf die kaufmännischen und juristischen Bedürfnisse des städtischen Bürgertums bezogene (Aus-)Bildung. Grundsätzlich waren die jeweiligen Bildungsmöglichkeiten abhängig von der Größe und der Bedeutung der Städte und ihrer Bevölkerung. Zweck und Ziel des Unterrichts lagen in der Unterweisung der Bürgersöhne – sehr selten der Töchter – in Lesen, Schreiben und Latein, in der Unterstützung der Pfarrkirche bei Kirchendienst, Chorgebet und -gesang sowie in der Disziplinierung der Jugend "damit sie nit müssig sei".[8]

Diese Schulen wurden Partikularschulen (nichtuniversitäre Schulen) oder auch Trivialschulen genannt. Das Lehrprogramm beschränkte sich auf die Fächer des Triviums, d.h. es standen Grammatik, Rhetorik und Dialektik im Mittelpunkt des Unterrichts. Gleichzeitig gehörten sie zu den Lateinschulen, da Latein die bis zum Ende des 18. Jahrhunderts vorherrschende Schul- und Wissenschaftssprache und das Fach "Grammatik" Hauptbestandteil des Unterrichts war. Diese Schulen dienten meist der Vorbereitung der Schüler auf die Dom- und Stiftsschulen, später als Hinführung auf die Universität. In kleineren Orten existierten vielfach gemischte sogenannte deutsch-lateinische Schulen. Da im Anfangsunterricht auch die Vermittlung von Grundfertigkeiten wie Lesen und Schreiben gepflegt wurde, übernahmen diese Schulen häufig auch Funktionen primärer Bildung. Die Schülerschaft wurde meist in drei Gruppen eingeteilt, die sich im gleichen Raum aufhielten: Die älteren Schüler unterwies der Schulmeister, den Anfängerunterricht übernahm ein Gehilfe oder ältere Schüler. Es hing vom Geschick des Schulmeisters ab, diesen Ablauf effektiv zu organisieren. In guten Schulen – gekennzeichnet durch einen fähigen Schulmeister, gute Organisation, erschwingliches Schulgeld und ein wohlhabendes und freigebiges Bürgertum – konnten die obersten der von oben nach unten gezählten acht Klassen bis weit ins universitäre Programm reichen.[9] Nach Abschluss der Schule war der Übergang zur Universität vielfach fließend, da die Fächer des Triviums auch an der Universität gelehrt wurden.

Gegen Ausgang des Mittelalters veränderte sich mit dem Wandel der Bildungsziele und dem Aufstieg des städtischen Bürgertums die Trägerschaft der Stadtschulen, wobei es gelegentlich auch zu "Streiten um das Schulregiment" bei der Berufung von Rektoren kam. So unterstand in Dülmen die Stiftsschule während der ersten hundert Jahre dem Stiftskapitel. 1434 schlossen Stift und Stadt, verkörpert durch Bürgermeister und Rat, einen Vergleich zur gemeinsamen Ernennung des Schulmeisters.[10] Damit gewann der Rat, parallel zur Ausweitung städtischer Rechte auf anderen Gebieten (Münzrecht, Wegerechte usw.), Einfluss auf die Schulgestaltung. Dülmen stand hier nicht allein: In den meisten Städten gelang es dem Rat, die Aufsicht über diese Schulen zu erlangen.


 
Anmerkungen
[1] Nonn, Christoph, Geschichte Nordrhein-Westfalens, München 2009, S. 21.
[2] Jacobi, Franz-Josef, Anfänge und Frühgeschichte, in: Lassalle, Günter (Hg.), 1200 Jahre Paulinum in Münster, 797-1997, Aschendorff 1997, S. 9-20, hier S. 10.
[3] Saal, Friedrich Wilhelm, Das Schul- und Bildungswesen, in: Kohl, Wilhelm (Hg.), Westfälische Geschichte, Bd. 3, Das 19. und das 20. Jahrhundert, Wirtschaft und Gesellschaft, Düssedorf 1984, S. 533-618, hier S. 536.
[4] Höing, Norbert, Das Gymnasium Laurentianum zu Arnsberg. Teil 1: Gründung der Schule und ihre Entwicklung bis zur Vollanstalt, Arnsberg o.J., S. 6-8; Saal, Schul- und Bildungswesen 1984, S. 536.
[5] Saal, Schul- und Bildungswesen 1984, S. 536.
[6] Seifert, Arno, Das höhere Schulwesen - Universitäten und Gymnasien, in: Hammerstein, Notker (Hg.), Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. 1, München 1996, S. 197-374, hier S. 215.
[7] Saal, Schul- und Bildungswesen 1984, S. 536.
[8] Saal, Schul- und Bildungswesen 1984, S. 537; Seifert, Das höhere Schulwesen 1996, S. 224; Wriedt, Klaus, Schulen und bürgerliches Bildungswesen in Norddeutschland im Spätmittelalter, in: Moeller, Bernd, Hans Patzke und Karl Stackmann (Hg.), Studien zum städtischen Bildungswesen des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit, Göttingen 1983, S. 152-172, hier S. 165.
[9] Seifert, Das höhere Schulwesen 1996, S. 208, 223-225.
[10] StA Dülmen U 38 (nur Regest nach Regest im Kopiarbuch Stadt Dülmen, A 376, fol. 21), 1434 November 12.