"Westfalen im Bild" - Texte

Höper, Hermann-Josef
Römerlager an der Lippe
Münster, 1985



Vorwort

Diese Bildserie behandelt die bedeutendsten materiellen Hinterlassenschaften des im Jahre 12. v. Chr. beginnenden und 28 Jahre andauernden römisch-germanischen Krieges, die römischen Militärlager an der Lippe. In diesem Krieg ging es um die Sicherung der Rheingrenze bzw. um die Vorherrschaft innerhalb des rechtsrheinischen Landes, das Jahre später die Bezeichnung Germania libera, freies Germanien erhielt.

Aufgrund der in der damaligen Zeit fehlenden bzw. schlechten Überlandwege kam den Wasserläufen eine besondere Bedeutung zu. Römische Schiffe befuhren nicht nur den die Grenze zwischen den Kriegsparteien bildenden Rhein, sondern auch die Lippe, Ems und Elbe. Entlang dieser Flüsse wurde der römische Angriff vorgetragen.

Archäologische Quellen und Ausgrabungsbefunde können mit unterschiedlichsten Methoden von den Archäologen "zum Sprechen gebracht werden", d.h. als Zeugen der Vergangenheit werden ihnen historische Aussagen abgewonnen, mit denen eine frühere Wirklichkeit rekonstruiert werden kann. Derartige Aussagen beruhen jedoch auf einer von Fall zu Fall mehr oder weniger gesicherten Interpretation. Zu einer Interpretation gehört ein gewisses Maß an Beobachtungsgabe, aber auch an realitätsgebundener Phantasie. Diese Phantasie ist immer wieder zu disziplinieren, sonst werden falsche Interpretationen nicht erkannt. Um schließlich zu einer historischen Aussage zu gelangen, benötigt der Archäologe übereinstimmende Ergebnisse bei einer mit verschiedenen Arbeitsmethoden untersuchten Quelle und/oder mehrere Quellen (Funde, Befunde, literarische Überlieferung), deren Aussagen übereinstimmen. Die Motive dieser Bildserie sind unter dem Gesichtspunkt ausgewählt worden, daß an ihnen auch einige archäologische Arbeitsmethoden verdeutlicht werden können.

Die Tatsache, daß kleinste Fundstücke - z.B. in einer Fäkaliengrube gefundene Samenkörner, Scherben oder Knochen -, selbst Bodenverfärbungen von größter Wichtigkeit sein können und ein erlaubtes, ja notwendiges Maß an Vorstellungsgabe bei der Interpretation von Funden und Befunden lassen das Gebiet der Archäologie geeignet erscheinen für Aktivitäten von Freizeitarchäologen, denen viele bedeutsame Hinweise auf Bodenfunde zu verdanken sind. Die Interpretationsergebnisse dieser Hobbyarchäologen beruhen häufig auf äußerst spitzfindigen Überlegungen und die Beweisführung erscheint in sich auch logisch. Bei näherer Untersuchung aber fallen derartige "Forschungsergebnisse" zumeist sehr rasch wie ein Kartenhaus zusammen und es stellt sich heraus, daß selektiert worden ist, nur die Quellen berücksichtigt worden sind, die mit einer ihrer Interpretationsmöglichkeiten einer fiktiven Theorie dienlich sein können.

Ein herausragendes Beispiel derartiger Aktivitäten ist in Westfalen die Suche nach dem Schlachtfeld, auf dem die Germanen unter Führung des Arminius den römischen Oberbefehlshaber der Rheinarmee, Publius Quinctilius Varus mit seinen drei Legionen und Hilfstruppen vernichtend geschlagen haben.

Der Versuch, die Ereignisse des römisch-germanischen Krieges um die Zeitenwende zu rekonstruieren, konfrontiert die Historiker mit dem Problem, daß es nur von Seiten der Römer schriftliche Überlieferungen der Ereignisse gibt, die bereits bei ihrer ersten Fixierung Lücken aufwiesen, die nicht sämtlich ungewollt gewesen sein können. Die heute gebräuchliche Bezeichnung "Germanien" ist eine spätere Adaption. Germanien als Gebiet einer Volksgruppe oder als das einer Nation existierte noch nicht. In seiner gegen Ende des 1. Jh. n. Chr. entstandenen Schrift "De origine et situ Germanorum" schreibt Tacitus:
"lm Übrigen sei die Bezeichnung Germanien noch neu und erst vor kurzer Zeit gegeben worden. Ursprünglich seien nur diejenigen, die als erste den Rhein überschritten und die Gallier verdrängten, die jetzigen Tungrer, Germanen genannt worden. Der Name dieses Einzelstammes, nicht der eines gesamten Volkes habe allmählich eine weiter verbreitete Verwendung gefunden...."

Obgleich es eine Reihe römischer Militärlager in Germanien gegeben haben muß, sind sicher belegbare Lager auf rechtsrheinischer Seite in Nordwestdeutschland lediglich entlang der Lippe nachgewiesen worden, der Hauptstoßrichtung römischer Truppen nach Osten. Dieses hängt u.a. mit der unterschiedlichen Bauart römischer Lager zusammen. Es sind sogenannte Marsch- und auch Sommerlager (castra aestiva) einerseits, andererseits Winterlager (castra hiberna) und Standlager (castra stativa) zu unterscheiden. Erstere wurden kurzfristig, bestenfalls für eine Saison genutzt, letztere über Jahre hinweg, weswegen sie auch besser ausgebaut waren. Massivere Baumaterialien und die längere Anwesenheit großer Menschengruppen aber hinterlassen deutlichere Spuren, die eher wiederentdeckt werden können (Hauptlager Haltern, Oberaden). Plätze von Marsch- oder Sommerlagern können zwar wiederholt aufgesucht worden sein, ihre Auffindung geschieht heute aber mehr durch Zufall (Holsterhausen).

Mit den Ausgrabungen der Lager Holsterhausen, Beckinghausen, Oberaden, Anreppen und der Lager bei Haltern haben die Archäologen weitere wichtige Quellen zur Rekonstruktion der damaligen Ereignisse erschlossen.


Historische Übersicht

Die kriegerischen Handlungen zwischen 12 v. und 16 n. Chr. dürfen nicht einseitig als römischer Okkupationskrieg gesehen werden mit dem Ziel einer Grenzbegradigung oder als Bewährungsmöglichkeit für karrieresüchtige Mitglieder und Freunde des römischen Kaiserhauses. Vielmehr sind die Ereignisse im Rahmen einer großen Wanderungsbewegung zu sehen. Die Sueben, von den Archäologen mit der Kulturgruppe der Elbgermanen gleichgesetzt, drängten nach Westen und trieben andere Stämme auf den Rhein zu. Bereits 38 v. Chr. konnten unter Agrippa die Ubier in einer friedlichen Aktion von der rechtsrheinischen auf die linksrheinische Seite übersiedeln. 16 v. Chr. überschritten die Sugambrer, Usipeter und Tenkterer den Rhein und schlugen die herbeigeeilte 5. Legion, wobei der Legionsadler erobert wurde, was von den Römern als besondere Schmach angesehen wurde. Kaiser Augustus, persönlich zuständig für die Provinz Gallien, begab sich in das Krisengebiet, ordnete und überwachte die Verlegung und gleichzeitige Massierung der Truppen an den Rhein, wobei er offensichtlich einzelne Lagerplätze vor Ort selber festlegte. Ein gutes Straßennetz wurde angelegt, das einerseits der Versorgung der Truppe diente, andererseits aber auch für eine schnelle Verlegung der Truppen in aufständische Regionen notwendig war. Diese von den Römern getroffenen Maßnahmen lassen zwar die übliche Interpretation als Vorbereitung für einen Okkupationskrieg gegen die rechtsrheinischen Gebiete bis zur Elbe hin zu, schließen aber nicht aus, daß sie als reine Grenzsicherungsmaßnahmen gedacht gewesen sind (KÜHLBORN).

13 v. Chr. wurde Drusus, ein Stiefsohn des Kaisers zum Statthalter von Gallien und zum Kommandanten der römischen Rheinarmee ernannt. An der Grenze existierten die Lager Mogontiacum (Mainz), Novaesium (Neuss), Asciburgium (Moers-Asberg), Vetera (Xanten-Fürstenberg) und Noviomagus (Nijmegen). Noviomagus sicherte den Norden, Vetera die Lippemündung, Asciburgium die Emscher- und die Ruhrmündung, Novaesium lag wahrscheinlich dem Kerngebiet der Sugambrer frontal gegenüber und Mogontiacum sicherte die Mainmündung. 12 v. Chr. nutzten die Sugambrer innere Unruhen in der gallischen Provinz zu einem erneuten Einfall in linksrheinische Gebiete. Noch im August desselben Jahres überschritten römische Truppen den Rhein und drangen in die Gebiete der Usipeter und Sugambrer ein. Mit den Friesen wurde ein Freundschaftsvertrag geschlossen und die römische Flotte drang über die Ems in das Land der Chauken vor. Zum Winter hin befanden sich offensichtlich alle römischen Truppen wieder auf linksrheinischem Gebiet. Im zweiten Kriegsjahr überquerten die Römer bereits zum Frühjahrsbeginn den Rhein, unterwarfen die Usipeter und drangen von Norden her über die Lippe in das Land der Sugambrer ein. Offensichtlich ohne nennenswerte Kämpfe bestehen zu müssen, gelangten die Römer bis an die Weser, während die Streitmacht der Sugambrer gegen die Chatten gezogen war.

Auf dem Rückweg zum Rhein ließ Drusus zwei Lager in Feindesland errichten, von denen eines in Oberaden bei Bergkamen eindeutig identifiziert werden konnte. Römische Truppen harrten bereits im zweiten Kriegswinter auf weit vorgeschobenem Posten in Feindesland aus. Auf Schiffen konnte über die Lippe vom Lager Vetera aus Nachschub herangebracht werden. In den Jahren 10 und 9 v. Chr. fanden die römischen Operationen weiter im Süden statt. Von Mogontiacum (Mainz) stießen römische Truppen über die Wetterau und den hessischen Graben gegen die Chatten, Sueben und Cherusker vor. Die Elbe wurde erreicht und die Sugambrer waren von anderen Stämmen abgeschnitten. Auf dem Rückweg vom Rhein verstarb Drusus nach einem unglücklichen Sturz vorn Pferd. Neuer Kommandant wurde sein Bruder Tiberius, der im folgenden Jahr mit einer großen Umsiedlungsaktion der Sugambrer - die literarischen Quellen geben 40.000 Personen an - in den Raum Vetera einen Abschluß der von Drusus begonnenen Operationen erreichte. Archäologische Quellen deuten auf eine große Umstrukturierung der Truppen in den Jahren 8 und 7 v. Chr. hin, u.a. wurde Oberaden geräumt.

Germanien galt als eine fast tributpflichtige Provinz. Persönliche Enttäuschungen, deren Ursachen in der Nachfolgeregelung des Kaisers zu suchen sind, veranlaßten Tiberius, freiwillig ins Exil auf die Insel Rhodos zu gehen. Im rechtsrheinischen Germanien beschränkten sich die Römer auf Sicherungsmaßnahmen, der genaue Status dieses Gebietes ist unklar.

1 n. Chr. hat es im rechtsrheinischen Germanien einen Aufstand gegeben, über den wir kaum etwas wissen. Erst als Tiberius 4 n. Chr. wieder als Befehlshaber an den Rhein kam, gelang die Niederschlagung der Revolte. Im Bereich der Lippequellen schlug die gesamte nach Osten vorgedrungene römische Streitmacht ein Winterlager auf. Im Jahre 5 brach der Aufstand endgültig zusammen, und 7 n. Chr. hielt die römische Administration den Zeitpunkt für gekommen, eine rechtsrheinische Provinz Germanien zu schaffen. Publius Quinctilius Varus wurde mit dem Oberkommando über die rheinischen Truppen betraut. Varus hatte sich große Verdienste bei dem flächendeckenden Aufbau der römischen Administration in Syrien erworben und schien der Mann für eine gleichgeartete Aufgabe in Germanien zu sein, wo die Römer nur einzelne Punkte des Landes in ihrer Gewalt hatten und bei sommerlichen Umzügen Macht demonstrierten, aber kein zusammenhängendes Gebiet beherrschten. Varus scheint in Germanien auf die gleiche Weise vorgegangen zu sein wie in Syrien. Jedenfalls lassen die später gegen ihn erhobenen Vorwürfe auf eine solche Verfahrensweise schließen. Im Grunde ist aber nicht dem Varus der Hauptvorwurf für das im September des Jahres 9 v. Chr. hereinbrechende Desaster zu machen, sondern der politischen Führung in Rom. Die Lage in Germanien war völlig falsch eingeschätzt worden und der Aufstand westgermanischer Stämme unter Führung des Cheruskers Arminius, bei dem drei römische Elitelegionen nebst Hilfstruppen - ca. 25.000 Mann - in einem drei Tage dauernden Gemetzel im "saltus Teutoburgensis" vernichtet wurden, war die Reaktion. Alle rechtsrheinischen Römerlager wurden von den Germanen eingenommen. Nur das noch nicht identifizierte Lager Aliso wurde von den Entkommenden gehalten, bevor sich diese Restgruppe mit List weiter in Richtung Rhein durchschlagen konnte. Es existiert eine umfangreiche Diskussion, ob dieses Aliso mit dem Hauptlager in Haltern gefunden worden ist, worauf hier aber nicht näher eingegangen werden kann. Die mit Varus zugrunde gegangene 17., 18. und 19. Legion wurden nie wieder aufgestellt und den wenigen Überlebenden wurde es nicht gestattet, jemals wieder italischen Boden zu betreten. Tiberius wurde zum dritten Male mit dem Oberkommando betraut und die Truppenstärke wurde auf acht Legionen - mehr als ein Viertel der gesamten römischen Streitkräfte - verstärkt. Erst nach dem Tode des Augustus kam es von 14 bis 16 n. Chr. zu den sogenannten Rachefeldzügen des Germanicus, deren Schwerpunkt das Gebiet von Westfalen und Südniedersachsen gewesen ist. Die Germanen konnten besiegt, Arminius aber nicht gefaßt werden. Die Verluste im Kampf und die Verluste auf See während eines Unwetters waren derart hoch, daß der neue Kaiser Tiberius noch im Winter 16/17 den Befehl zum Rückzug hinter den Rhein gab und als Gewinn lediglich zwei zurückeroberte Legionsadler zu verzeichnen waren.




Westfalen im Bild, Reihe: Historische Ereignisse in Westfalen, Heft 2